2011 11 Tages - Anzeiger Zuerich: Freundliche soziale Vampire
Quelle: tagesanzeiger.ch vom 21. November 2011
«Das sind freundliche, soziale Vampire»
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VON SANDRA HOTTENROTT
Der deutsche Vampirforscher und Kriminalbiologe Mark Benecke über alte Vampir-Mythen, aktuelle Subkulturen und die Erotik der Untoten.
Sind Sie ein Fan der «Twilight»-Saga?
MB: Natürlich bricht das extrem stark mit der alten Vampir-Tradition, dass Vampire mächtige Verführer sind, die sehr dunkel, kriminell und erotisch sein können. Das wird profanisiert. Das Zweite ist: Es ist gut, dass es das Motiv Vampirismus mal wieder geschafft hat, sich an die Gesellschaft anzupassen. Diesmal an eine weichgespülte Gesellschaft. Und das Dritte ist ganz persönlich: Ich finde es recht witzig, dass es jetzt eine irre Diskrepanz zwischen den verschiedenen Vampir- Subkulturen gibt. Die Leute, die denken sie wären Vampire, die haben «Twilight» nicht gesehen.
Warum sind gerade Teenager von «Twilight» so begeistert?
MB: Ich bin gar nicht mal so sicher, dass Teenager so begeistert sind. Als wir rumgefragt haben, waren das eher 30- bis 50-jährige Frauen, die immer noch nach ihrem Traumprinzen suchen. Die Teenies finden das aus demselben Grund gut, weil es immer schon alle gut fanden: Nämlich, dass es was Mystisches gibt, ein bisschen was Über- sich-Hinauswachsendes und dann am Ende ewige Liebe. Früher musste man sich lossagen von seiner Familie, von seinem bisherigen Leben, sogar von seinem bisherigen Körper. Bei «Twilight» kriegt man die «Light-Version» davon. Das sind freundliche, soziale Vampire.
Was sagen sie dazu, dass sich in «Twilight» Vampire im Sonnenlicht bewegen können und dabei glitzern?
MB: Darüber machen sich viele lustig. Das ist aber kein Fehler, denn die ursprünglichen Vampire aus den ganz alten Überlieferungen können sich auch bei Tageslicht bewegen. Die Lichtscheue der Vampire hat erstmals der Schriftsteller Bram Stoker eingeführt. Und das mit dem Glitzern ist eine typische Film-Erfindung. Man will ja auch ein paar schicke Spezialeffekte haben.
Wie beurteilen Sie die Verknüpfung von Erotik und Gefährlichkeit bei Vampiren?
MB: Historisch kommt es daher: Wenn man männliche Leichen aus der Erde holt, dann haben die durch die Gasblähungen häufig einen erigierten Penis. Da hat man gedacht: Der ist zwar tot, aber sexuell aktiv. In der viktorianischen Zeit stand der Vampir für die unterdrückte Sexualität. Und jetzt darf man es zulassen, aber erst - die Autorin ist ja Mormonin - nachdem eine sichere dauerhafte Bindung durch Heirat gesichert ist.
Wie beeinflussen die Filme die Vampir-Subkulturen in Deutschland?
MB: Komischerweise gar nicht. Es gab erhebliche Einflüsse in den 80er Jahren durch die Autorin Anne Rice und durch die Verfilmungen von Francis Ford Coppola. Seitdem ist es auch üblich, dass man Vampirzähne trägt. Aber «Twilight» hat überhaupt keine Wirkung gehabt. Vor allem die «Real-Life-Vampire», die denken, sie wären echte Vampire, schmunzeln eher darüber.
Sie haben zwei Bücher über den Vampir-Lebensstil geschrieben. Wie lassen sich die Subkulturen beschreiben?
MB: Es sind Menschen, die merken, dass sie durch ihr ganzes Wesen Aussenseiter sind. Sie sind zum Teil so ruhig und still, dass die eigenen Eltern sie manchmal übersehen, wenn sie irgendwo rumsitzen. Oder sie sind sehr komisch auffällig, weil sie einen stechenden Blick haben. Da fragen sich diese Leute im Laufe ihres Lebens, warum das so ist. Ich bin traurig, ich fühle mich der Nacht zugezogen, nicht dem Tag, weil ich da immer nur ausgelacht werde. Also was muss ich sein: Ein Vampir.
Mit herzlichem Dank an Sandra Hottenrott und die Redaktion für die Erlaubnis zum Abdruck.
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