2012 unicum: (Film-)Mythos "Vampir": Kriminalbiologe Mark Benecke im Interview
Quelle: Unicum, http://www.unicum.de/studienzeit/leben/filme/film-mythos-vampir-kriminalbiologe-mark-benecke-im-interview/
(Film-)Mythos "Vampir": Kriminalbiologe Mark Benecke im Interview
Zum Kinostart von "Abraham Lincoln Vampirjäger" (03.10.) sprach UNICUM mit dem Experten
von Barbara Kotzulla
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Von Nosferatu über Bram Stokers Dracula bis hin zu "Der kleinen Vampir" und der "Twilight"-Saga: Kaum ein anderes Fabelwesen ist in unserer Kultur so weitverbreitet und gleichfalls so beliebt wie der Vampir. Im neuen Actionkracher "Abraham Lincoln Vampirjäger" zeigen sich die blutsaugenden Nachtwandler aber nicht als diabolische Verführer, sondern als bösartige Dämonen, die es zu vernichten gilt. UNICUM sprach zum Kinostart am 03. Oktober mit Mark Benecke, Kriminalbiologe und Autor von "Vampire unter uns".
UNICUM: Mark, was hat dein persönliches Interesse an der Figur des Vampirs geweckt? Als Biologe hättest du ja ebenso über Zombies ein Buch schreiben können ...
Mark Benecke: Stimmt, ich habe auch schon was Fettes über Zombie-Erscheinungen geschrieben. Mich interessiert einfach alles Mögliche, was untot ist. Eine Frage ist, was Zombies und Vampire unterscheidet: Zombies haben oft weiße Augen, taumeln durch die Gegend, haben irgendwelche Krankheiten. Vampire sind zumindest in den meisten Büchern und Filmen sehr intelligent und eher charmant. Wir haben einmal verglichen, durch welche Leichenerscheinungen man die Entstehung der Mythen nachvollziehen kann. In warmen Regionen gibt es Zombies, weil dort die Leichen gleichzeitig auseinanderfallen und vertrocknen. Leichen von angeblichen Vampiren werden in ganz anderen Regionen gefunden und meist auch im Winter ausgegraben. Bei den Enterdigungen tritt dann z.B. flüssiges Blut auf. Das gibt es bei Zombies nicht. Vampire und Zombies sind eigentlich zwei Facetten derselben Sache, nämlich von regional unterschiedlichen postmortalen Leichenerscheinungen.
Also kommen Vampire und Zombies eigentlich nicht parallel in verschiedenen Kulturen vor?
Genau. Auch das so genannte "Shapeshifting" findest du nicht überall: Im anglo-amerikanischen Bereich können sich Vampire und Werwölfe verwandeln, von Zombies hörst du da ursprünglich nichts. Die Menschen haben in ihrer Umgebung einfach Beobachtungen gemacht und daraus ihre märchenhaften Auslegungen entwickelt.
Wie gehst du als Kriminalbiologe, der täglich mit dem Tod konfrontiert ist, mit einem Schlagwort wie "Unsterblichkeit" um? Ist das etwas Wünschenswertes? Etwas, das möglich sein könnte?
Es könnte sein, dass so etwas irgendwann mal möglich ist. Aktuell werden viele Daten vom humanen Genom öffentlich gemacht, die man also breit nutzen kann. Die Alters-Höchstgrenze von 115-120 Jahren beim Menschen ist noch nicht erklärt. Es gibt viele Einflüsse und Programme, die das Altern der Zellen beeinflussen. Und man versteht das programmierte Sterben natürlich auch evolutionär, denn, wenn alle Leute immer weiterleben würden, könnten sie sich nicht an neue Umweltbedingungen anpassen. Das können nur genetisch neu kombinierte Nachkommen. Aber im Grunde ist es technisch vorstellbar, dass sich Menschen irgendwann einmal starke Lebensverlängerungsmaßnahmen durch Medikamente oder genetische Behandlungen leisten können. Ob das eine echte Unsterblichkeit wird, ist natürlich fraglich. Denn genau wie bei Vampiren: Gegen mechanische Zerstörung wird man auch da nichts machen können. Gegen, wie wir Forensiker sagen, „mit dem Leben nicht vereinbare Verletzungen“ wird es kein Mittel geben.
Eine Alternative wäre natürlich, die Person zu klonen. Dann ist der Körper technisch gesehen unsterblich. Wenn du z.B. jetzt auf ein Papier spuckst, kann man dich daraus in 500 Jahren klonen. Das bist dann aber trotzdem seelisch nicht du. Die Unsterblichkeit wäre also so oder so sehr aufwendig und hätte hohe soziale Kosten. Mir persönlich ist das wurscht. Ich habe mich damit abgefunden, dass alles kommt und geht auf der Welt. Das man halt das Beste daraus machen muss, was man hat. Aber, wenn es jetzt in 30 Jahren sozialverträglich möglich wäre, das Leben zu verlängern, würde ich nicht ausschließen, dass ich es, wie viele andere Leute, mal ausprobieren würde.
Wird denn die Biologie irgendwann in der Lage sein, Untote zu produzieren – wie man es auch aus einigen Horrorfilmen kennt?
Zumindest durch Unfälle wird das nicht passieren können: denn die menschliche DNA ist so komplex, dass einfach radioaktive Strahlung oder eine Chemikalie schon sehr viel und fein in uns verändert müsste, damit wir zu rastlosen Untoten werden. (lacht)
Hast du denn einen Lieblingsvampir aus Film und Literatur?
Nein, ich mag eher allgemein die Wandelbarkeit des Motives. Ich finde es zum Beispiel lustig, dass man den Vampirmythos z.B. in den Kontext mit Abraham Lincoln setzten kann. Auch der "klassische Vampir" ist ja eigentlich eine Neuerfindung von Bram Stoker, der ihn aus alten Geschichten, die er nur fragmentarisch kannte, entwickelt hat.
Es ist faszinierend, dass sich die Figur immer neu verwandelt. Die Motive bleiben gleich: Ewige Liebe, ewiges Leid, diese ganz tiefen Sehnsüchte, aber die Folie, auf der das stattfindet, die wandelt sich. Bei Bram Stoker kamen die unterdrückte Sexualität und auch das soziale Ausbrechen aus Konventionen hinzu. In den 1980er-Jahren dann diese Blutorgien, wie in der Dracula-Verfilmung von Coppola. Damals war Aids ein Tabuthema, das Blut stand sehr stark für das Verbotene und Geheimnisvolle. Und es gibt natürlich die ganzen Remixe, die wir auch in den 70ern hatten, wie "Lesbian Vampire Killers" und so etwas in der Art (lacht). Und jetzt halt eben "Abraham Lincoln – Vampirjäger".
Man merkt einfach, dass hinter diesem Mythos mehr steckt, etwas, das viel stärker ist als die jeweiligen Ausformungen, die in der jeweiligen Zeit vorhanden sind. Der Vampir ist älter als Bram Stoker und ihn wird es auch so lange wie den Menschen geben.
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