Die Severins-Detektive
Quelle: Blickpunkt / bund deutscher kriminalbeamter köln 3/2011
Die Severins-Detektive
VON MARK BENECKE
[MBs Publikationen] [MB erhält die Silberne Ehrennadel] [Zum Original-Artikel]
Leiche ist Leiche - auch wenn sie schon über tausendfünfhundert Jahre alt ist. Das ist nicht nur das Gebot von Archäologen, die wir seit Jahren wegen der Grabungen im Gebiet rund um das alte Polizeipräsidium sehen (und das seit kurzem nun völlig abgetragen ist). Es war auch die von Neugier und Spannung getriebene Einstellung eines Teams aus Textilkundlerinnen, eines Siegelkundlers, der Gemeinde St. Severin, von Ur- und Frühgeschichtlern und vielen weiteren, die das Team um die Erforschung und Identifizierung der Gebeine des vermuteten Heiligen Severin in der Kölner Südstadt bildeten.
Als Nachbar der Leiche aus der gleichnamigen Kirche nahe dem Waidmarkt (genauer gesagt: aus der Kirche auf dem Plätzchen, auf dem Weiberfastnacht der Karneval los geht) wurde auch der Berichterstatter hinzugezogen. Dieser ist nicht nur durch Kriminalfälle, sondern auch die Tatsache, dass er in der Südstadt auf einem riesigen römischen Gräberfeld mit hunderten von noch nicht enterdigten Leichen wohnt, an die Nähe zu Toten gewöhnt.
Zur Untersuchung: Bei der Öffnung eines hölzernen Kastens, der sich im bis heute in St. Severin frei ausgestellten, sehr schönen Schrein des Hl. Severin befindet, kamen bei der Öffnung im Juni 1999 viele kriminaltechnisch verwertbare Spuren zutage. Diese wurden teils in Dosen verpackt (Knochenbestandteile, mögliche Lederbestandteile, Mäuseknöchelchen, Flügeldecken von Käfern) oder kamen erst nach Vergrößerung, Histologie, Absaugen, Waschen, Färben und/oder Fadenzählen zum Vorschein. Ein spurenkundliches Fest!
Wieviel Arbeit es aber war, die alten Zeugen-Aussagen (Überlieferungen) zum Hl. Severin, alte Dokumente und eben die objektiven Spuren wie Jahresringe im Holz, C14-Datierung der Käferflügel und die Muster der Stoffe kriminalistisch zu verweben, beweist die Dauer bis zum Abschluss-Bericht: Erst zwölf Jahre später konnten wir uns zum finalen Kölsch über dem wunderschönen Buch treffen.
Soviel Vorlauf herrscht bei den meisten KK11-Fällen natürlich nicht...und dennoch lohnt sich sowohl bei aktueller KT als auch bei sehr alten Fällen die aufwändige, akribische Spuren-Untersuchung mit Zuziehung aller möglichen ExpertInnen. Nur ein Beispiel: Für ein fingernagelgroßes Stückchen Stoff aus der Markhöhle eines der Oberschenkel, ergab sich eine Herstellungs-Zeit zwischen den Jahren 230 und 420.
Ein kleines Kügelchen, das wir zunächst für vertrocknetes Leichengewebe hielten, stellte sich unter dem Mikroskop als Pflanzenteil heraus. Obwohl nur noch etwas die Hälfte der Leiche vorhanden war, konnte die Körpergröße der nun toten Person auf etwa 1,60 m festgestellt werden. Die Zahn-Untersuchung ergab ein Sterbe-Alter von 55 Jahren und die Isotopenauswertung zeigte, dass der Tote seine Kindheit im Linksrheinischen verbracht haben musste.
Ich lernte dabei übrigens erneut, wie gefährlich es ist, Annahmen aus dem eigenen Leben zu übertragen: Ein Tuch, das für mich einfach wie Omas zusammengenähte Küchenhandtücher aussah, wurde von den Textilkundlerinnen als über tausend Jahre alt und extrem wertvoll erkannt.
Dank der freundlichen Spende des Kölner bdk konnten wir Geschichts-KTlerInnen unsere kleine Feierstunde im September 2011 mit den im Foto gut erkennbaren Gläsern - erneut in der Kölner Südstadt - abhalten. Wir einigten uns, dass detektivische Arbeit nicht vom Alter der Leiche abhängt. Die KollegInnen freuen sich schon, ihren StudentInnen die kleine Anerkennung des bdk für ihre hervorragende KT-Arbeit vorzuführen. Auch die Presse fand die multidisziplinäre Auswertung spannend und berichtete deutschlandweit über die Befunde zum Heiligen und seinem Aufbewahrungs-Behältnis.
Falls mich daher künftig jemand fragt, welcher mein spannendste Fall gewesen sei, dann werde ich sagen: ?Der Fall des Hl. Severin. Zwar wurde er nicht getötet, und zwar habe ich auch nur wenig beigetragen. Aber umso mehr Freude hat es mir gemacht, mit so vielen Experten zu arbeiten, die kriminaltechnisch bedeutsame Spuren erkannten, von denen ich auch nach zwanzig Jahren im Dienst noch nicht einmal geahnt hätte, dass man sie beweissicher auswerten kann?
Es lohnt sich nicht nur zugunsten erfolgreicher Ermittlungen, viele SpezialistInnen zuzuziehen, sondern es macht auch enormen Spaß, den eigenen Horizont zu erweitern. Das gilt für geschichtliche und historische Fälle genauso wie für aktuelle polizeiliche Ermittlungen, die ebenfalls nur mit gut qualifizierten kriminalpolizeilichen KT- und Ermittler-Einheiten laufen können. Ich habe viele neue spurenkundliche Ideen für künftige Kriminalfälle gesammelt - dank eines Heiligen, der vor 1600 Jahren starb.
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