Dezember 2018 Januar 2019 Hessische Wirtschaft: Interview mit dem Herrn der Maden
Quelle: "Hessische Wirtschaft" (Industrie- und Handelskammer Hessen), Heft Dezember 2018 / Januar 2019, Seiten 42—43
Interview mit dem „Herrn der Maden“
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Das Interview führte Dr. Friedemann Götting, IHK Wiesbaden
Foto: Annika List/annikalist.de
„Paradiesvogel aus dem Bilderbuch“ und „Herr der Maden“! Gestatten, Dr. Mark Benecke, Kriminalbiologe. Er ist nicht nur – neben vielen anderem – in der Transylvanian Society of Dracula, im Bund deutscher Kriminalbeamter und bei den Donaldisten aktiv, sondern auch öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für „Kriminaltechnische Sicherung, Untersuchung und Auswertung von biologischen Spuren“. Grund genug, den Redner des IHK-Sachverständigentreffens 2018 in der Hessischen Wirtschaft vorzustellen.
Mark, wer ist der bessere Sachverständige: Donald Duck oder Daniel Düsentrieb?
Keiner von beiden. Es sind die Neffen, Tick, Trick und Track. Sie schauen alles im Handbuch nach, prüfen alles. Donald Duck sagt nur, was ihm gerade einfällt. Die Neffen gehen hin und testen alles.
Das macht Daniel Düsentrieb natürlich auch. Er ist im guten Sinne verrückt und sprengt Denk-Grenzen. Sachverständige müssen aber, anders als Düsentrieb, auch alle Grundannahmen prüfen. Es ist bei ihnen eine experimentell gesteuerte Kreativität.
Wie zeigt sich das bei Deiner Arbeit?
Meine Arbeit ist wissenschaftlich und sachlich. Ich trete aber jedem – lebendigen und toten – Lebewesen mit Zuneigung und Offenheit gegenüber. Sonst funktioniert das nicht. Die Naturgesetze gelten zwar immer, aber ich muss auch ein Experiment durchführen, das zum Fall passt.
Bis dahin gab es keine Gerichtsgutachten nach unserem heutigen Sachverständigen-Verständnis zu Maden an Leichen. Mit Hilfe der Maden konnte ich die Liegezeit der Toten bestimmen. Die Besonderheit war und ist dabei immer noch, alle Untersuchungen für jeden nachvollziehbar darzustellen.
Gab es da auch Widerstände?
Nein, ich hatte ja in Instituten für Rechtsmedizin gearbeitet und kannte die Gewohnheiten dort ganz gut. Ich passe nur höllisch darauf auf, keine juristischen Bewertungen abzugeben.
„Mörder“ oder „Vergewaltiger“ gibt es daher in meinen Stellungnahmen nicht. Lieber schweige ich für den Rest meines Lebens, als einen solchen Begriff gutachterlich zu verwenden.
Dabei bist Du doch eher zufällig zur Rechtsmedizin gekommen, oder?
Ja, für meine Promotion über genetische Fingerabdrücke wollte ich eigentlich Vaterschaftstest bei Flamingos im Zoo machen. Das hat mangels Geld für die Chemikalien dort nicht geklappt, und so habe ich Fadenwürmer untersucht.
Gelernt habe ich die Technik in den Kellerräumen der Rechtsmedizin der Uni Köln. Da habe ich mich mit den Fach-Kolleginnen und -Kollegen, auch Polizistinnen und Polizisten, unterhalten und ihnen auch mal ein paar Insekten gezeigt, die an Leichen leben.
In der 'Zeit' war neulich ein Artikel über Urwälder in Rumänien. Dort stand, dass es nirgends so viel Leben gebe wie in einem toten Baum. Wie viel Leben ist einem toten Menschen?
Unvorstellbar viel. Da ist ein Füllhorn voll Leben. Bei einer Leiche im Wald etwa graben manche Käfer ein Loch in die Haut, Gewebe wird für eine Höhle zur Seite getragen. Oder Bakterien übernehmen blitzschnell die ganze Leiche.
Und deshalb kann man ganz genau den Todeszeitpunkt bestimmen?
Das hängt von der Menge und der Qualität der Informationen ab. Je mehr man hat, desto besser. Am wichtigsten ist die Temperatur: Schmeißmaden wachsen schneller, je wärmer es ist. Wichtig ist deshalb beispielsweise zu wissen, wie der Schatten am Fundort verläuft. Manche Insekten verstecken sich an kühleren Orten, andere wagen sich ins Licht.
Es finden sich aber inzwischen immer weniger Insektenarten, Spinnen und andere Gliedertiere an den Tatorten. Mir liegt deshalb auch so sehr am Herzen, etwas dagegen zu tun, dass ganze Tiergruppen aussterben.
Lebst Du auch deshalb vegan?
Ja. Eine vegane Lebensweise ist das schnellste Mittel zur Energieeinsparung. Und sie macht dreiviertel der Landflächen wieder frei für eine natürliche Besiedlung. Bei „meinen“ Tieren, den Insekten, wird es ja oft belächelt, das Aussterben: Maden sind unsexy und ekelig. Dabei sind es hoch angepasste und schöne Lebewesen. Das Insektensterben ist ein weiterer Beweis für den Zusammenbruch ganzer Ökosysteme*.
Die Maden haben Dich berühmt gemacht. Das Spektrum Deiner Tätigkeit macht aber bestimmt mehr aus?
Das ist ganz weit und vielfältig. Ich bearbeite auch, ob ein verstorbener, vermeintlicher Vater wirklich der genetische Vater ist und wir dazu einen Briefumschlag prüfen, dessen Briefmarke früher abgeleckt und aufgeklebt wurde. Oder ob das rote Barthaar im möglichen Van-GoghGemälde wirklich vom Maler stammt.
Wie wichtig ist die öffentliche Bestellung und Vereidigung als Sachverständiger für Deine Arbeit? Sie ist ein exzellentes Qualitätsmerkmal vor Gericht. Ich trete ja fast nur in Strafprozessen auf. Dort heißt es oft „der seit Jahren gut bekannte Sachverständige“, wenn man etwas von ihm verwerten will. Als öffentlich bestellter Sachverständiger kann man sich diese Begründung sparen.
In der Sendung „Inas Nacht“ hast Du auch einmal „Dance me to the end of love“ von Leonard Cohen gesungen**. Welcher Cohen-Song beschreibt Deine Tätigkeit am Besten?
"You want it darker"... Du denkst, Du hast alles schon gesehen, aber dann wird es noch mal finsterer.
- (*) https://home.benecke.com/publications/9th-international-congress-of-dipterology-icd9-windhoek-namibia-25-30-nov-2018picture :: https://home.benecke.com/publications/an-invitation-by-martin-sonneborn-non-attached-meppicture?rq=european :: https://home.benecke.com/publications/2013/8/4/entomologie-heute-what-is-the-edge-of-a-forest?rq=edge%20of%20forest
- (**) https://fb.com/markbenecke/posts/1741781479175879 :: https://fb.com/markbenecke/posts/1510978038922892 :: https://www.facebook.com/markbenecke/posts/1570045253016170
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