2014 02 Neue Westfaelische Zeitung Die DNA ist wie eine Schatzkiste
Quelle: Neue Westfälische Zeitung, 22. Februar 2014, Seite 4
"Die DNA ist wie eine Schatzkiste"
Die Kriminalbiologen Dr. Mark Benecke und Dipl.-Biol. Kristina Baumjohann zum Doppelmord von Gütersloh
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INTERVIEW: PATRICK MENZEL
Gütersloh. Winzige Spuren spielen im Fall des Doppelmordes an der pensionierten Ärztin Helgard G. (74) und ihrem Bruder Hartrnut S. (77) eine große Rolle. Sein genetischer Fingerabdruck an Wasserglas, Weinflasche und Wange sowie unter einem abgebrochenen Fingernagel des Opfers haben den mutmaßlichen Täter, einen 28-Jährigen aus Verl, überführt. Patrick Menzel sprach mit Dr. Mark Benecke und Diplom-Biologin Kristina Baumjohann über einen kleinen, stummen Zeugen: die DNA.
Herr Benecke, was genau ist eine DNA?
Dr. Mark Benecke: Man muss sich die Desoxyribonukleinsäure, kurz DNA, wie eine Zahl vorstellen, die ein Mensch bei seiner Geburt zugelost bekommt. Diese Zahl ist in allen Zellen - außer in den roten Blutzellen - eines einzigen Menschen immer gleich. Mit seinen Zellen, Haaren und Speichel lässt ein Mensch seine individuelle Zahl überall liegen: Auf dem Sofa, im Bett oder eben an einem Tatort - wie eine Visitenkarte.
Was verrät DNA über einen Menschen?
Benecke: Beim genetischen Fingerabdruck fallen keine biometrischen Daten über Körper oder Geist an. Nichts über Inttelligenz oder Krankheiten.
Sicherlich lassen sich daraus aber noch weitere Informationen entschlüsseln.
Kristina Baumjohann: Die DNA ist wie eine Schatzkiste. Natürlich lassen sich daraus viele weitere Informationen über einen Menschen ablesen. Die Bereiche der DNA, die in Kriminalfällen untersucht werden, lassen jedoch keine biometrischen Daten erkennen. Das ist per Gesetz so geregelt.
Welche Rolle hat die DNA mittlerweileile in der Forensik eingenommen?
Baumjohann: Eine besonders Wichtige. Die Methoden zur Auswertung und Bearbeitung werden immer ausgefeilter. So können heutzutage bereits viel geringere Mengen an DNA ausgewertet werden als da etwa noch vor zehn Jahren der Fall war.
Reichen allein DNA-Spuren an einer Weinflasche und einem Wasserglas aus, um einen Täter zu überführen?
Benecke: Überführen -- das ist eher ein juristisch und journalistisch geprägter Begriff. Die nachgewiesenen Spuren bedeuten, dass der Tatverdächtige mit diesem DNA-Muster Weinflasche und Wasserglas berührt hat. Nicht mehr, und auch nicht weniger.
... und eine DNA-Spur unter dem abgebrochenen Fingernagel eines der Opfer?
Baumjohann: Wenn der Fingernagel des Opfers abgebrochen ist, deutet das auf eine gewaltsame Auseinandersetzung hin. Oder sind Ihnen schon einmal beim Händeschütteln die Nägel abgebrochen?
Nein.
Baumjohann: Es kommt eben auf das gesamte Spurenbild am Tatort an. Die DNA des Tatverdächtigen unter dem abgebrochenen Fingernagel des Opfers lässt sich somit wohl nicht mit einem freundlichen Handschlag erklären.
Also fällt auch eine herzliche Umarmung als Begründung für die an der Wange des Opfers gesicherte DNA-Spur weg.
Benecke: Wenn sich Tatverdächtiger und Opfer dabei nicht unbedingt gekratzt haben, schon.
Baumjohann: Sicherlich kann eine Umarmung ausreichen, um DNA zu übertragen. Da hängt aber letztlich von vielen Faktoren ab, etwa der Intensität der Umarmung oder den Kontaktstellen. Ein Experiment wäre aufschlussreicher als das reine Gedankenspiel.
Hat es hierzulande bereits Verurteilungen gegeben, die ausschließlich auf einer DNA-Spur basieren?
Benecke: Nein, das ist höchstrichterlich - und auch sinnvollerweise - verboten. Es könnte ja sein, dass jemand eine Zigarette raucht, die Kippe fliegt auf den Boden und wenig später wird an dieser Stelle ein Mensch getötet. Eine Verurteilung, die ausschließlich auf der Kippe basiert, wäre nicht tragbar.
Hätte eine Gasexplosion womöglich alle Spuren im Haus des Geschwisterpaares vernichtet?
Baumjohann: Das kommt darauf an, wie nahe DNA-Träger der Explosionsquelle sind. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass bei vollständig verbrannten Leichen - nur dann die DNA des Tatverdächtigen auf der Wange des Opfers gefunden worden wäre. Ein GIücksfall, dass das Haus nicht in die Luft geflogen ist - für die Ermittier der Mordkommission, aber auch für die Nachbarn und Anwohner des Gütersloher Stadtparks.
Benecke: In der Regel sind sehr kleine Spuren wie Fasern, DNA und Blut fast immer bei ganz genauem Hinsehen zu finden. Da kann sehr zeitaufwendig sein. Gut, wenn man Tüftler im Team hat, die sich wochenlang gerne kleine Sachen sehr, sehr ordentlich ansehen. Nicht wie im Kino eine blau leuchtende Maschine, die ihre Arbeit auf Knopfdruck von selbst erledigt.
Akribie und Spürsinn der Spurensicherung am Tatort sind also der Schlüssel zur Aufklärung eines Verbrechens.
Baumjohann: Auf jeden Fall sind das Eigenschaften, die eine erfolgreiche Ermittlung tragen. Manchmal hilft auch eine glückliche Fügung. Todesermittler und Spurensicherer sind sehr hartnäckige Charaktere, die nicht aufgeben und in Fällen wie dem des Doppelmordes von Gütersloh sich selbst und ihre Arbeit im Team ständig überprüfen. Auch Teamarbeit und die Betrachtung von Fragestellungen aus unterschiedlichen Blickwinkeln sind Teil des ErfolgsschlüsseIs.
Bevor die Beamten mit der Spurensicherung beginnen konnten, mussten sie das mit Gas geflutete Haus lüften. Eine genaue Ermittlung des Todes- und Tatzeitpunktes sei somit nicht möglich, behaupten sie.
Benecke: Ob sich trotz des Durchlüftens ein exakter Zeitpunkt feststellen lässt, müsste man ganz individuell für diesen Fall anhand eines Liegezeitutachtens prüfen. Bei der Todeszeit-Feststellung gibt es viele Methoden, die ineinander greifen.
Zur Person: Kristina Baumjohann
• Kristina Baumjohann (35) ist die einzige selbstständige Kriminalbiologin Deutschlands.
• Die Diplom-Biologin wird von Polizei, Anwälten, Rechtsmedizinern, Staatsanwaltschaften, aber auch von Privatpersonen beauftragt.
• Seit zehn Jahren arbeitet Baumjohann mit Mark Benecke zusammen.
• Ihr Herz schlägt nach eigenem Bekunden für insektenkundliche Spuren.
• Interdisziplinäre Zusammenarbeit bereitet Baumjohann Freude. Und es fordere sie heraus, kleine Mosaikteile zu einem großen vollständigen Bild liefern zu können.
• Neben ihrem Beruf arbeitet sie an ihrer Doktorarbeit.
Zur Person: Dr. Mark Benecke
• Dr. Mark Benecke (43) man nennt ihn auch "Dr. Made" - gilt als einer der bedeutendsten Kriminalbiologen Deutschlands.
• Er liest aus Blutspuren und liefert mit Hilfe von Insekten wichtige, oft die entscheidenden Informationen zur Überführung von Tätern.
• Schon anhand von toten Stallfliegen klärte er einen Mord auf.
• Benecke untersuchte beispielsweise das Gebiss und die Schädeldecke Adolf Hitlers.
• Er veröffentlichte mehrere Bücher, unter anderem über Kriminalfälle, Kriminalbiologie und das Altern aus biomedizinischer Sicht.
• Benecke ist Vorsitzender des Landesverbandes NRW der Partei Die PARTEI.
Mit herzlichem Dank an Patrick Menzel und die Redaktion der Neuen Westfälischen Zeitung für die Freigabe und die Genehmigung zur Veröffentlichung.
Lesetipps
- Buchtipp: Dem Täter auf der Spur - z.B.: HIER
- [12 2012: 5. Forum Wissenschaftskommunikation|Wissenschaft & Wirtschaft]]