2012-01-27 Oetinger: Wieso, weshalb, warum ich ein Experimentierbuch geschrieben und dann beschlossen habe, dass es mein Lebenswerk ist
Quelle: Oetinger, Landing Page, 27. Januar 2012
Wieso, weshalb, warum ich ein Experimentierbuch geschrieben und
dann beschlossen habe, dass es mein Lebenswerk ist
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VON MARK BENECKE
Als Kind bin ich mit der Straßenbahn nachmittags oft zum größten Buchladen Kölns gefahren. An der winzigen Regal-Stelle, an der die Experimentier-Bücher standen, bin ich rumgehangen. Nicht an der coolsten Telefonzelle der Stadt, nicht im Klamottenladen, sondern wirklich dort, am Experimentier-Regal. Die Bücher darin waren grau, weiß oder silber eingebunden (sollte vielleicht seriös oder wie Raketen-Aluminium wirken) und innen supereng bedruckt. Wenn es Bilder gab, waren es schwarzweiße Strich-Zeichnungen. Wer Experimente macht, kann auch Kleinstkram entschlüsseln, dachte man wohl.
Ist ja auch was dran. Denn seinerzeit galten Experimente wie das Schmelzen von Eisen und die Herstellung bengalischer Lichter noch als für jedermann, auch für Kinder, "gefahrlos" - steht sogar auf einem der alten Buchdeckel. Bei derart feuriger Stimmungs-Chemie sollte man aber in der Tat sehr genau hingucken. Ich danke daher bis heute meiner Apothekerin, dass sie mir als Kind mit einer (ich fürchte erfundenen) Geschichte eindrucksvoll schilderte, wie sich beim Schwarzpulverbasteln schon mal Fingerglieder verabschieden. Das wollten wir alle nicht, und deshalb gab's Salpeter von ihr nur in Kleinstmengen. Reicht auch dicke für Zauberkreise auf Malpapier. Ist im Buch mit dem knalligen Frosch drauf!
Ein paar andere Experimente konnte ich nicht retten, beispielsweise die "genaue Sauerstoffmessung" mit Kaliumpermanganat, Quetschhahn und gebogenen Röhrchen. Dauerte alles zu lang, und der Apotheker an der Ecke war trotz unseres eigens angefertigten Chemiebastler-Ausweises auch nicht amused.
Also haben wir einfach alles an experimentellem Quatsch, Schmarrn, Kappes und Krachbumm zusammengetragen, das wir lustig fanden und wie neugierige Kinder ganz von vorne angefangen: mit Staunen, Matschen und natürlich ganz gefahrlos.
Aus der Kriminalbiologie entliehen wir unsere laboreigene Geheimtechnik zum Fliegen anlocken - ganz exklusiv. Nach einem Film-Dreh, bei dem ein dicker Junge behauptete, magnetisch zu sein, haben wir geguckt, ob nicht jeder Besteck (und nichtmagnetisches Plastik) auf seine Haut kleben kann. Im Supermarkt schummelten wir anhand von Buchstabennudeln ein bisschen Statistik zum Selbermachen ins Buch. Danach ließen wir noch ein paar Maden durch die Bude wimmeln und Zitronen zu Limo werden. Meine Mitarbeiterin Tina hatte komischerweise auf einmal ziemlich viel Gel in den Haaren und unser Bad sah aus, als sei es die Milchstraße - aber hey! Wer experimentieren will, muss Einsatz zeigen. Und die Milchstraßensterne sind wirklich saucool.
Kurz gesagt, ich fühlte mich monatelang wie ein Kind mit tellergroßen Augen. Meine Täschnerin (sowas gibt's in Köln noch) wurde gleich mit angesteckt und baute mit mir eine Skytale (was das ist, verraten wir im Buch). Mit Roberto und Rita aus dem Ristorante an der Ecke zerbrach ich Linguine und Spaghetti No. 5, weil das Hochhauszusammenstürze korrekt, aber simpel darstellt. Der erste Höhepunkt dieser Bemühungen war es, den Verlags-Vertretern von Oetinger kurz vor einem leckeren Essen Bärlappsporen und brennende Herzen um die Ohren und Nasen wehen zu lassen. Es war herrlich, wie sich die Erwachsenen darum balgten, ihre Hand in das Blütenstaubwasser zu tauchen, die dabei niemals nass wird.
Jetzt ist das Experimentierbuch endlich erschienen. Ich freu' mich wie irre, denn in diesem total cool illustrierten, lektorierten und fotografierten Werk - meinem Lebenswerk - steht alles, was ich fein finde: Dass man nicht grübeln soll, sondern lieber fummeln. Dass es ruhig mal stinken darf, wenn man dafür forever weiß, warum sich Gerüche verbreiten. Und dass Sherlock Holmes recht hatte, als er sagte: "Ich denke nie. Das ist eine entsetzliche Angewohnheit!"; Ausprobieren ist immer besser. Steht natürlich auch im Buch.
Zuletzt: Ja, es ist wirklich ein Experiment zum Abspülen von schmutzigem Geschirr dabei und nein, es ist kein Witz, dass die beiden Rezepte zur Herstellung von LSD und zum Bau einer Atombombe vom Verlag zensiert wurden. Umso besser. So kann sich groß und klein garantiert schmerzfrei amüsieren. Und wenn damit die nächste Generation an tüftelnden und messenden ExperimentatorInnen heranwächst, kann diese Welt eigentlich nur wahrer, lustiger und bunter werden.
Viel Spaß beim Lesen, Basteln, Messen und Experimentieren ;)
Euer Markito
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