2002-02 Kriminalistik: Milzbrandbriefe auch in Deutschland?
Quelle: Kriminalistik, Heft 56/2002, 56. Jahrgang, Seiten 112 bis 116
Milzbrandbriefe - Eine neue Waffe des Terrorismus?
Oder: Bacillus anthracis auch in Deutschland?
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VON MARK BENECKE, MARTIN MOSER, MICHAEL TREPKES und NORBERT SPAUSCHUS
Nach den Terroranschlägen in New York und Washington am 11. September 2001 wurden in den USA mehrere Milzbranderkrankungen bekannt. Einige der Erkrankten verstarben an den Folgen der Infektion. Ermittlungen zufolge waren die Infektionen offensichtlich durch Briefe verursacht worden, die mit Milzbrandsporen versetzt waren und auf dem üblichen Postweg an verschiedene Regierungseinrichtungen sowie an Medienvertreter versandt wurden. Lähmender Schrecken breitete sich aus. Auch in Deutschland. Der folgende Aufsatz beschreibt den Ablauf eines Falles und gibt Tipps für eine angemessene Umgangsweise mit ansteckendem Material.
Mit der Verbreitung von "Milzbrandbriefen" in den USA tauchten auch in Deutschland Briefe auf, die allem Anschein nach mit einem weißen Pulver kontaminiert waren. Der Ursprung dieses Pulvers war nicht nachzuvollziehen. Der Verdacht auf Milzbranderreger wurde daher weitgehend in die Lagebeurteilungen einbezogen. Teilweise wurden sogenannte "Trittbrettfahrer-Briefe" in öffentlichen Umlauf gebracht, die mit der Aufschrift "Milzbrand", "Anthrax" o. ä. versehen waren (Abb. 1, 2). Das führte zu einer erheblichen Verunsicherung in der Öffentlichkeit, zumal sich die Presse regelrecht auf diese Vorfälle stürzte. Bundesweit wurden nun Ermittlungsgruppen der Polizei eingesetzt, um die Situation sach- und lagegerecht zu bearbeiten.
Im folgenden Bericht wird beispielhaft von der Ermittlungskommission "Briefe" beim Polizeipräsidium Köln berichtet sowie aus kriminalbiologischer Sicht erläutert, welchen Gefahren man im Umgang mit dem Bakterium "Anthrax" ausgesetzt ist und wie man praxisorientiert damit umgehen kann.
Die "Milzbrand-Idioten" und die EK Briefe
Am Freitag, dem 12. Oktober 2001, wurde in Köln ein Briefumschlag mit der Aufschrift "Milzbrand" an einem PKW in der Innenstadt aufgefunden. Eine Politesse der Stadt Köln fand den Briefumschlag hinter dem Scheibenwischer eines parkenden PKW. Sie informierte die Polizei und die Berufsfeuerwehr Köln. Durch die eingesetzten Kräfte wurde der gesamte Straßenzug abgesperrt. Die Feuerwehr erschien mit insgesamt 15 Fahrzeugen unter dem Einsatzstichwort "Biofund 1".
Bevor sich dann jedoch ein voll ausgestatteter ABC-Einsatztrupp in Chemieschutzanzügen an das Fahrzeug begeben konnte (Abb. 3), meldeten sich schon die zwei Täter. Sie konnten durch ihr Geständnis vor Ort den weiteren Einsatz der Feuerwehr verhindern. Sie wurden vorläufig festgenommen. Später wurden sie durch die Medien überregional als die "Milzbrand-Idioten" bekannt. Besonders die Mittelrheinische Boulevardzeitung Express bemühte sich um betont erzieherisch wirksame Einwirkung und berichtete bis zuletzt über die beiden Täter (Abb. 4).
Nun stiegen die Milzbrand-Verdachtsfälle sprunghaft an. Das führte zu der Einrichtung der EK Briefe. Beim PP Köln wurde die sachliche Zuständigkeit beim KK 13/14 (Brand, Sprengstoff) gesehen, weil man zum einen von der allgemeinen Zuständigkeit im Hinblick auf die gleichgelagerten Fälle der Bombendrohung (§ 126 StGB - Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten) ausging, zum anderen ausgebildete Brand- und UmweltermittIer mit entsprechender Ausbildung und Schutzausstattung zur Verfügung standen. Zunächst wurden zehn Beamte für die EK abgestellt.
Ziel dieser sofort eingerichteten EK war es, durch eine enge Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft und den Justizbehörden eine schnelle Verurteilung mit einem hohen Strafmaß und somit eine Abschreckung und damit einen Rückgang der Fälle herbeizuführen.
Um das zu erreichen, wurde durch die EK ein Tatortteam eingesetzt. Aufgabe des Tatortteams war die zeitnahe Erkenntnisgewinnung vor Ort unter Berücksichtigung der Gefahrenlage und die sofortige Weitergabe von vorhandenen Ermittlungsansätzen an die EK und somit an die bereitgehaltenen Ermittlungsteams.
Bei allen Einsätzen trat die grundsätzliche Problematik auf, dass die Polizei von Trittbrettfahrern ausging, jedoch eine mögliche Gefährdung durch einen echten Anthrax-Brief nicht auszuschließen war.
Aus diesem Grund war es für die EK zwingend erforderlich, Informationen von Fachleuten zu erlangen, wie beispielsweise durch Dr. M. Benecke, mit denen ein praxisgerechter Umgang und eine realistische Gefahrenbewertung erarbeitet wurde.
Praktisch angemessene Umgangsweise mit dem möglicherweise ansteckenden Material
Wir versuchten unter anderem, die scheinbar recht verschiedenen Darstellungen deutscher und US-amerikanischer Stellen zum Eigenschutz und dem Schutz der Bevölkerung intelligent und angemessen umsetzbar zu machen. Medien wie der Spiegel hatten Äußerungen aus dem Robert-Koch-Institut stark verkürzt als: "Nicht berühren, nicht einatmen, nicht kosten" wiedergegeben. Das US-amerikanische Center for Disease Contral gab sich auf seiner Website ab dem 12. Oktober 2001 wesentlich nüchterner und riet offiziell:
• Ruhe bewahren
• Warum erscheint die Sendung verdächtig? Prominenter Empfänger? Kein Absender? Überfrankiert? Beschmiert (Werkstatt/Labor)?
• Beachte: Biowaffenfähige Milzbrand-Erreger müssen in stark pulverisielte Form gebracht werden, um viele Menschen am nicht sofort äußerlich erkennenbaren Lungenmilzbrand erkranken zu lassen. Es gibt aber kaum Firmen oder Forscher, die das de facto vermögen.
• Behältnisse mit möglichen Erregern in Pulverform nicht schütteln. Dafür sorgen, dass kein Durchzug (Innenräume) oder sonstige Verwirbelung (im Freien etwa durch Plastikplanen) entsteht.
• Umschläge o. ä. in (gegebenenfalls dicht schließende) durchsichtige Plastiktüten bringen, erst dann näher betrachten oder, falls notwendig, in der Tüte öffnen.
Diese realistischen Regeln konnten teils auch besorgten Bürgern nahegebracht werden, die nach Erhalt eines ihnen verdächtig erscheinenden Briefes den Polizeinotruf gewählt hatten.
Uns war bewusst, dass GummiHandschuhe, Schutzanzüge und gegebenenfalls auch Atemschutz vor Ort zwar sinnvolle Schutzmaßnahmen darstellen, um das Risiko von Hautkontakt und Einatmen des Erregers zu verringern, Sie können aber kein perfekter Schutz sein, weil die Sporen sich auch in Haaren, Falten usw. verfangen können. Aus kriminalbiologischer Sicht wurde daher vorgeschlagen, notfalls auch ohne erkannten Kontakt mit dem Erreger auf mögliche Krankheitserscheinungen zu achten und im Zweifel sofort einen Test in einem Krankenhaus durchführen zu lassen. Das ist sinnvoll, da dann in allen Fällen genügend Zeit bleibt, um die Krankheit dauerhaft und sicher auszuheilen. Für die Fundort-Beamten besteht unter diesen Bedingungen selbst bei Gegenwart des Erregers in der Luft und auch ohne Tragen von Vollschutz keine Lebensgefahr. Auch in den USA kam es nur dann zu Todesfällen, wenn die Krankheit nicht rechtzeitig erkannt wurde.
Außerdem wurden in der EK einige Handgriffe mikrobiologischen Arbeitens gemeinsam betrachtet, die wiederum sehr einfach klingen, aber wirkungsvoll sind:
• Beim Verbringen des untersuchten Objektes stets Packpapier (Einweg) unterlegen.
• Arbeitsflächen abschließend stets mit reichlich um etwa 1/4 mit Leitungswasser gestrecktem Brennspiritus abwischen.
• Beim Arbeiten vor allem die Hände schützen, gegebenenfalls mit doppelten Einweghandschuhen.
Wichtig für die Gefahrenabschätzung am Fundort war, dass Milzbrand eine leicht mit Antibiotika zu behandelnde Krankheit ist, die nicht im Sinne einer Seuche von Person zu Person ansteckend ist. Die Krankheit kündigt sich zudem durch erkältungsartige Zeichen (Ermattung, Fieber) an und kann innerhalb kurzer Zeit - beispielsweise in einer Universitätsklinik - diagnostiziert werden.
Milzbrand war im Übrigen früher eine Berufskrankheit (etwa bei Abdeckern). Auf der Haut (nicht aber im Körperinneren) konnte lange unbehandelter Milzbrand von selbst abheilen. Erst, wenn er durch eine Wunde von der Haut ins Körperinnere gelangte, wurde der Keim gegebenenfalls tödlich.
Biowaffenfähige Milzbrand-Stämme, die gegen heutige Antibiotika mehrfach unempfindlich sind, finden sich in der Natur praktisch nicht. Selbst mit großem Personalaufwand können sie in einem modernen Labor kaum und ganz sicher nicht in möglichen Wüsten-Labors hergestellt werden.
Kriminalistische Überlegungen
Aus kriminalistischer Sicht erschien es uns, dass mögliche Täter die nur begrenzt verfügbaren Milzbrand-Sporen mit sehr großem Aufwand hergestellt oder erworbenen haben müsste. Diese Person(en) würden, wenn sie terroristische Erfolgsabsichten hätten, das aus ihrer Sicht wertvolle Material eher nicht in auffallenden - erst recht nicht in markierten Briefen - versenden, sondern in unauffälligere Sendungen verstecken oder ganz anders verteilen.
Lebende Milzbrand-Kulturen lassen sich praktisch nicht sinnvoll als Biowaffe einsetzen, da sie schon durch den Transport mit der Post oder durch zufällige Lagerung der Sendung absterben können. Daher liegt vor allem die Verbreitung in der Luft als Sporen nahe. Sporen sind ein stabiles Ruhestadium von Milzbrand-Erregern (und anderen Bakterien). In diesem Zustand können sie Jahre ausharren, bis sie durch Feuchte wieder in aktives Leben übergehen.
Eine bereits erfolgte Verteilung von Milzbrandsporen durch die Luft würde allerdings nicht mehr in den Aufgabenbereich der EK fallen können. Im Grunde gilt das auch schon für Briefe, die durch die Post befördert wurden, denn in den USA wurden mit hoher Wahrscheinlichkeit Sporen innerhalb der Brief-Sortiermaschinen verteilt.
Der in die USA übergelaufene Leiter des russischen Biowaffenprogramms "Ken Alibek" berichtet andererseits, dass auch mit viel Erfahrung kaum Menschen durch das Verstreuen der Sporen in der Luft anzustecken sind.
Milzbranderreger galten lange als besonders gefährliche Biowaffe, weil Experimente damit auf einer Insel durchgeführt worden waren, die dann gesperrt wurde. Das machte einen nachdrücklichen Eindruck auf die Öffentlichkeit.
Der Leiter des damals trotz internationalen Verbots laufenden sowjetischen/russischen Biowaffenprogramms hatte, nachdem er in den 1990er Jahren in die USA übergelaufen war, in einem Buch geschildert, dass es nur unter erheblichem biotechnologischem Aufwand gelang, mit biologischen Waffen wie Anthrax-Sporen eine große Anzahl Lebewesen zu infizieren (die Versuche wurden mit Affen durchgeführt). Gewöhnliche Milzbrand-Keime, auch in Sporen-Form, scheinen nicht ohne weiteres zur Massen-Ansteckung von Menschen durch Auspusten in die Atemluft (etwa von einem höheren Haus aus) geeignet zu sein. Die biologischen Gründe dafür sind nicht bekannt.2
Beispielsweise kam es im März 1979 in Swerdlowsk zu einem mehrere Stunden andauernden Austritt von Milzbrandsporen aus einer Biowaffenfabrik. Zwar starben innerhalb einer Woche alle Arbeiter einer Fabrik auf der anderen Straßenseite, wohin der Wind wehte. Diese Arbeiter starben aber nur, weil sie eine sehr hohe Menge der Keime einatmeten und nicht behandelt wurden, da das erstens politisch nicht gewünscht war (Vertuschung wegen internationalem Biowaffenverbot) und der Unfall zweitens erst sehr spät bemerkt wurde. Insofern liegt hier keine Ähnlichkeit mit dem Szenario "Brief im Supermarkt/unter dem Scheibenwischer/auf der Straße" vor.
Die Ansteckungszeit für einen der Arbeiter betrug offenbar nur einen Tag, im übrigen wurde die normale Inkubationszeit von drei bis vier Tagen beobachtet.
Die in Swerdlowsk erwiesenermaßen nach außen verwehten Keime infizierten außer den genannten Arbeitern in der Nachbarschaft nur einige Dutzend Menschen (!), darunter vor allem Männer (also erstaunlicherweise nicht Frauen und Kinder. Vermutlich lag das daran, dass es ein Freitag Abend war, an dem die Männer Kneipenumzüge veranstalteten. Es ist aber auch schon früher beobachtet worden, dass Männer zehnmaJ häufiger erkranken als Frauen, eventuell wegen Berufsausübung').
Die in den USA deutlich erhöhte Sicherheitsstufe (Abb. 5) beim Fund möglicher Antrax-Sendungen erklärte sich nur aus kriminalistischen Gründen (Zielland der Terroristen), aber nicht, weil dort andere biologische Überlegungen gemacht wurden. Es war aber wesentlich wahrscheinlicher, dort wirkliche Milzbrand-Erreger anzutreffen. In den USA gibt es nach Angaben des FBI auch mehrere tausend Firmen, die mit Milzbrandsporen arbeiten4 Diese sind allerdings nicht unbedingt "biowaffenfähig", das heißt gut lagerbar, gut verteilbar und gegen Antibiotika unempfindlich.
Behördliche Zusammenarbeit bei "Milzbrand"-Meldungen
Nach diesem Einblick zurück zur Kölner EK. Die Problematik insgesamt sowie der hohe Kräfteansatz der Feuerwehr bei jedem einzelnen Einsatz führte zu einer Absprache der Polizeiführung mit den anderen betroffenen Behörden und Institutionen. Dazu gehörte das Gesundheitsamt der Stadt Köln, die Berufsfeuerwehr Köln und das Mikrobiologische Institut der Universität Köln. Dabei wurde nachfolgend aufgeführte Verfahrensweise festgelegt:
• Erstmaßnahmen durch die eingesetzten Einsatzmittel (Streifenwagen), Absperrung im Radius von 25 m, Anforderung derEK.
• Gemeinsame Gefahrenbeurteilung vor Ort durch die Feuerwehr (Messleitwagen) und das Tatortteam der EK. Kategorisierung bzw. Prioritätenfestlegung laut Schema vor Ort.
• Erkenntnisgewinnung durch TatortArbeit (soweit möglich), anschließende Bergung des Gegenstandes durch die Feuerwehr und Transport durch diese.
• Untersuchung im Mikrobiologischen Institut der Universität Köln.
• Meldewege (auch Benachrichtigung der Einsatzkräfte über das Untersuchungsergebnis, Absetzen von WE-Meldungen, etc.).
• Nach Freigabe des Gegenstandes erfolgten die üblichen kriminaltechnischen Untersuchungen.
• Weitere Ermittlungen durch die EK. Nach dem o. a. Schema wurden ab sofort die Einsätze gefahren. Die Zusammenarbeit zwischen der Feuerwehr und der Polizei hatte sich innerhalb kürzester Zeit eingespielt.
Das Mikrobiologische Institut der Universität Köln erhielt zu dieser Zeit Proben von milzbrandverdächtigen Gegenständen aus fast ganz Nordrhein-Westfalen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten aufgrund des hohen Probenaufkommens erfolgte eine sofortige Bearbeitung aller eingereichten Proben mit einem Ergebnis nach spätestens 48 Stunden. Hier leistete das Institut mit zusätzlich abgestelltem Personal sehr gute Arbeit.
Problematischer war hier die Zusammenarbeit mit der originär zuständigen Behörde, dem Gesundheitsamt der Stadt Köln. Eine Erreichbarkeit der zuständigen Ärzte bei akuten Einsatzlagen war nicht gegeben. Weiterhin richtete die Behörde keinen Bereitschaftsdienst ein und war weder an den Wochenenden noch an den Feiertagen erreichbar. Erst nach massiver Einflussnahme durch Polizei und Feuerwehr wurde nach drei Wochen ein Bereitschaftsdienst eingerichtet, der per Handy abrufbar war.
Polizei intern gab es Probleme bei der Ergänzung vorhandener bzw. zusätzlicher Beschaffung von Schutzbekleidung. Dies wurde zunächst mit der Begründung abgelehnt, dass eine Tatortarbeit vor der Mitteilung des Untersuchungsergebnisses nicht nötig sei. Schriftverkehr diesbezüglich lief über zwei Wochen bis in das Innenministerium.
Drei beispielhafte Lagen
In den sechs Wochen von Oktober bis November 2001, in denen die meisten Einsätze anfielen, wurden 85 Milzbrandverdachtsfälle durch die EK bearbeitet, 29 Ermittlungsverfahren gern. § 126 StGB eingeleitet und sieben Tatverdächtige ermittelt.
Die tatsächliche Zahl der in diesem Zusammenhang gefahrenen Einsätze liegt jedoch deutlich höher. Dies erklärt sich dadurch, dass in vielen Fällen durch das Tatortteam oder die eingesetzten Beamten der Schutzbereiche ein Milzbrandhintergrund schon im ersten Ansatz ausgeschlossen werden konnte.
Beispielhaft werden im folgenden einige Fälle geschildert:
1) Am 17. Oktober 2001 wurde beim Verladen von Gepäckstücken in ein Flugzeug am Köln/Bonner Flughafen das Austreten von weißem Pulver aus einem Koffer bemerkt. Der Koffer gehörte einem kuwaitischen Staatsangehörigen. Dieser Hintergrund reichte aus, um den Kuwaiti dem Polizeipräsidium zuzuführen. Eine Probe des Pulvers wurde dem Mikrobiologischen Institut Köln zur Untersuchung überbracht. Die Maschine konnte dann mit erheblicher Verspätung, nach Freigabe durch das Gesundheitsamt, abfliegen. In diesem Fall entstanden Einsatzkosten in Höhe von 23000 Euro.
2) In einer Kölner Chemie-Firma beging ein Arbeiter einen "schlechten Scherz", indem er seinem Kollegen im Umkleideraum einen Brief mit der Aufschrift "Milzbrand" und einem weißen Pulver als Inhalt in die Spindtür steckte. Der betroffene Arbeitskollege erschrak sich, der Täter trat hinzu und beide lachten über den Scherz. Der Brief blieb liegen und wurde einige Zeit später durch einen unbeteiligten Dritten gefunden, der die Polizei informierte. Gegen die beiden erstgenannten wurde ein Verfahren gern. § 126 StGB eingeleitet.
Das Strafverfahren wurde durch die Justizbehörden eingestellt und der Vorfall als "Scherz" gewertet, obwohl eine Außenwirkung vorhanden war.
3) Am 31. Oktober 200I, dem Halloween-Abend, verstreute eine Gruppe Kinder und Jugendlicher als "Halloween-Scherz" zwei Tüten Mehl im Bereich von drei Strassenzügen (ca. 600 m). Besorgte Anwohner riefen am Morgen des 1. November 2001 (Wochenfeiertag: Allerheiligen) Feuerwehr und Polizei. Aufgrund der großflächigen "Kontamination" wurde durch die Feuerwehr der Einsatz "Biofund 3" ausgelöst und fast alle in Dienst befindlichen Einsatzmittel der Feuerwehr wurden an den Einsatzort beordert. Durch den Einsatzleiter der Polizei wurde eine BA05 ausgelöst und eine Kräftesammelstelle eingerichtet. Durch das Tatort-Team der EK und dem Messleitwagen der BF Köln wurde das weiße Pulver als Mehl eingestuft. Eine Klarheit darüber gab es jedoch nicht und es wurden Proben gezogen. Durch vor Ort eingeleitete Ermittlungen konnte die Gruppe Kinder ermittelt und ausfindig gemacht werden. Durch ihre Aussagen konnte dieser Einsatz abgebrochen werden.
Zu diesem Zeitpunkt hatte die Feuerwehr bereits ca. 100 m einer Straße desinfiziert.
Lehren
Als Resumee aus sechs Wochen hektischer Arbeit mit bis zu 35 Überstunden pro Woche ergibt sich, dass die angestrebte polizeiliche Strategie nicht aufging:
• Es erfolgten keine zeitnahen Verurteilungen und somit keine Abschreckung; auch das Strafmaß war dazu nicht geeignet (Geldstrafen, Abb. 4).
• Das Kernproblem waren nicht so sehr die Trittbrettfahrer, wie die Gesamtzahl der Fälle zeigt, sondern die ausgesprochene Hysterie im Umgang mit der Sache. Die überschnelle Reaktion von Fernsehsendern und -teams in der Medienstadt Köln sowie die außerordentlich breite Berichterstattung In Zeitungen trug dazu bei.
Das Phänomen "Milzbrand" verschwand nach Einstellung bzw. Abklingen der Berichterstattung wie es gekommen war. Bleibt nur noch der Blick in die Zukunft:
• Die Angst hat sich gelegt, aber wie lange?
• Wer sagt uns, dass nicht eines Tages doch der Ernstfall eintritt?
Anmerkungen:
1 Ausführlicher Bericht incl. Details zu erstem Milzbrand-Brief (an Johanna Huden, Mitarbeiterin der New York Times) und Verteilungsmuster der Sporen, auch in den Post-Anlagen: Lipton E, Johnson K: Tracking bioterror's tangled course. New York Times, 26. Dez. 2001.
2 Vgl. Ken Alibek: Biohazard. The Chilling True Story of thc Largest Biological Weapons Program in the World - Told from the Inside by the Man Who Ran It, Random House, New York, 1999.
3 Vgl. Schneeweiß: Spezielle Mikrobiologie, Berlin 1968. S. 131.
4 Lt. Michael Rolince auf BKA-Herbsttagung 2002.
5 BAD = Besondere Aufbauorganisation.
Mit großem Dank an die Redaktion für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.
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