2018 Vorwort: Leben mit einer Depression
Julian Laschewski: Nur in meinem Kopf: Leben mit einer Depression
EYGENNUTZ VERLAG 2018, ISBN 978-3-946643-12-8, 196 Seiten, 12,90 €, mit vielen, sehr coolen Abbildungen von Kira Jung
Ein Vorwort von Dr. Mark Benecke
[Weitere Artikel von MB] [Alle Vorworte von MB]
Die Grenze zwischen Nichtwollen und nicht Nichtkönnen ist dünn. Der Tanz über sie zehrt Kräfte, ist bizarr, aber manchmal auch lustig. Zumindest dann, wenn niemand stirbt. Deswegen haben die beiden Verlegerinnen und ich den wunderschönen Lebensbericht von Julian nebst der knorken Zeichnungen von Kira Jung – übrigens dank der Vermittlung der von mir verehrten Zeichnerin Sarah Burrini (»Das Leben ist kein Ponyhof«) – gerne und mit Liebe zu einem ordentlich gedruckten Buch werden lassen.
Das waren jetzt viele Adjektive, aber sie treffen meine Begeisterung.
Denn manche Berichte depressiver Menschen drehen sich gedanklich derart im Kreis, dass es kaum auszuhalten ist. Sie klagen und jammern und ziehen den Zuhörer*innen die Energie aus den Knochen. Nun ist das allerdings auch die Natur der oft genug tödlichen Krankheit. Depressionen sind sogar so tödlich, dass Suizide in Deutschland bei Menschen zwischen 15 und 35 Jahren die zweithäufigste Todesursache sind. Yep, richtig gelesen.
Das Coole an Julian ist, dass er weder ein Gothicboy ist, der Gedichte über eiskalte bis blutige Tränen schreibt, die auf nassem Asphalt gefrieren (was verständlich gewesen wäre; ich bin selbst Grufti, es würde aber erstens in die Irre führen und zweitens die Zielgruppe einschränken). Noch hat er sich in medizinische Einzelheiten zwischen Psychologie, Psychiatrie und Neurologie hineingefuchst.
Nein, das hier ist kein schwarz, pastell oder sonstwie gefärbtes Selbsthilfegequatsche. Julian stolpert stattdessen vollrohr, naiv, couchkartoffelig und stets verdächtig nah an der Videospielsucht mitten in eine Krankheit, die am Ende des Buches auch noch einen schrägen Dreher – in Gestalt eines längst überfälligen Enzym-Tests – aufweist. Doch ich werde nicht spoilern. Julians Story ist von vorne bis hinten jede Leseminute wert.
Bei all dem Shit, den seine Nervenüberträger anstellen, handelt Julian verblüffenderweise oft richtig. Er weiß es bloß nicht. So lehnt er seinen ersten Therapeuten nicht etwa deswegen ab, weil er die Hosen voll hätte vor dem, was bei den Gesprächen seelisch ans Licht kommen könnte. Sondern Julian steht, trotz voll erblühter Depression, einfach nicht auf Draculas Wohnzimmer.
Auch, dass Julians Gefühle taub und finster werden, drückt er weder Gott noch der Welt aufs Auge und rappt dann über das fremde Böse ab. Irgendwo in ihm glimmt die Erkenntnis, dass ihn exakt die Last seiner eigenen Welt in die Kissen drückt. Sonst nichts. Dieser Unterschied, nämlich der zwischen Rumgebitche und gesundem Selbstbezug, ist alles entscheidend: An mir kann ich arbeiten (lassen), an der Menschheit nicht. Zumindest nicht so schnell, wie es bei einer gefährlichen Erkrankung nötig ist.
Außerdem verträgt Julian Cannabis nicht (gut für sein Gedächtnis), und Alkohol hat er, aus Gründen, eh nie angerührt. Das ist bemerkenswert, besonders für jemanden, der einen »Beifahrer in der Murmel« hat. Denn wer würde nicht mit einem soliden Rausch liebäugeln, wenn die Nerven laufend ihr eigenes Ding machen? Ich könnte es verstehen.
Sogar das Übersinnliche bezirzt Julian nicht, und das ist vielleicht das Erstaunlichste in diesem Buch. Denn obwohl depressive Menschen öfters einen eigentümlich tiefen Wahrheitssinn entwickeln, wenden sie sich dennoch gehäuft erlöserischen Hilfsanbietern zu. Quacksalber wissen das und leben davon, oft sogar sehr gut. Dass ausgerechnet Videospiel-Kumpels und -Projekte hilfreicher als höhere oder vorgetäuschte Mächte sein können – das tröstet sogar mich.
Einen Wunsch hätte ich übrigens noch: Das Ganze mal aus der Sicht seiner offenbar heldenhaft liebevollen Partnerin zu hören. Doch das ist – für diesmal – eine andere Geschichte, die ein andermal erzählt wird.
Erfreut über das großartige Buch und in der Gewissheit, dass es Leser*innen mit und ohne psychische Veränderungen große und schwungvolle Schritte voranbringen wird, wünscht und garantiert viel Freude beim Lesen –
Mark Benecke
Kriminalbiologe
Klappentext
Noch immer werden Depressionen gern als Stimmungstief abgetan, das mit etwas gutem Willen rasch wieder vorbeigeht.
Wie es tatsächlich ist, mit dieser psychischen Erkrankung zu leben, erzählt Julian Laschewski anschaulich und mit Humor, erläutert Strategien, die ihm geholfen haben, und macht anderen Betroffenen und ihrem häufig ratlosen Umfeld Mut. Abgerundet wird Julians Geschichte durch die pointierten und warmherzigen Cartoons von Kira Jung.
Julian über sich
JULIAN LASCHEWSKI wurde 1988 in Dormagen geboren und ist das älteste von vier Geschwistern. Seine Kindheit verbrachte er mit dem Gucken von Zeichentrickserien wie Batman, Spider-Man, Ducktales oder Chip & Chap, und wenn die Eltern länger schliefen, klammheimlich Power Rangers. Außerdem entwickelte er früh ein Faible für Videospiele und verdient damit mittlerweile hervorragenderweise sein Geld – nämlich mit dem Schreiben von Rezensionen und Podcasts. Damit er aber nicht den ganzen Tag vor der Glotze hängt, geht er mehrfach am Tag mit seinen zwei Huskys spazieren, die beide genauso stur und frech wie Vorschulkinder sind. Und nebenbei arbeitet er an weiteren Projekten wie seinem geplanten Stand-up-Programm, einem Kriminalroman oder seiner Netflix-Serie, von der Netflix noch gar nichts weiß.
Lesetipps
- Verschobene Leben - Michael Hutter (Vorwort)
- Weizenfelder (Vorwort)
- Self-Discovery (Vorwort)
- Killing Philistines (Vorwort)
- Charles Manson - Meine letzten Worte (Vorwort)