1998 Die Zeit: Kampf der Wissenschaftshumorjournale
Quelle: Die Zeit, Ausgabe 5/1998, Seite 35
Kampf der Wissenschaftshumorjournale
Dies ist die Rohfassung des anschließend veröffentlichten Artikels
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VON MARK BENECKE
"Näher werde ich dem Gefühl wohl nicht kommen, Alice im Wunderland zu sein", glaubt Marc Abrahams, Mathematiker in Cambridge und Herausgeber des Wissenschaftshumorjournals Annals of Improbable Resaerch (AIR). "Ich spreche nur noch mit dem Richter", sagt George Scherr, Mikrobiologe und ehemals über 25 Jahre lang Herausgeber des Wissenschaftshumorjournals Journal of Irreproducible Results (JIR). Und "ein Gerichtsverfahren, wie es sich die Marx Brothers ausgedacht hätten", kommentiert das WWW-Journals Wired.
Die Geschichte dahinter ist einfach und unglaublich. Als sich Marc Abrahams 1994 entschloß, seinen Posten als Herausgeber der JIR zugunsten der Neugründung der format- und inhaltsähnlichen Annals aufzugeben, zog dies viel gutes nach sich. Bei den Lesern besonders beliebt sind neben den Berichten über skurril anmutende Experimente wie die zur Wiederbelebung scheintoter Stubenfliegen, zum Zusammenhang zwischen dem pH-Wert von Zahnpasta und dem Huhn-Ei-Prioritätsproblem oder zur Extraktion von Nährstoffen aus Erde mithilfe von Coca Cola auch die neuen Restaurantkritiken von Mensen bekannter Universitäten in den USA und Europa.
Daneben richten die AIR an der Harvard-Universität das jährliche Nonsens-Ig-Nobelpreis-Spektakel aus (siehe DIE ZEIT 2/98) und fördern den von der Biochemikerin Dr. Karen Hopkin zusammengestellten Wandkalender mit dem unübersetzbaren Titel Studmuffins of Sciece, in dem knackige Forscher halbbekleidet bei der Ausübung ihres jeweiligen Lieblingssports abgelichtet sind. Warum selbst Nobelpreisträger den Spaß mitmachen, erklärt AIR-Mitherausgeber Dudley Herschbach (Chemie, 1986) damit, daß "die Leute wissen sollen, daß Wissenschaftler nicht einfach ein Haufen humorloser Superdeppen sind."
Daß dies gelingen kann, belegen die über 20.000 Subskribenten der Internet-Miniausgabe der Annals. Mit dem Aufstieg der AIR begann der Fall der JIR. Der streitlustige JIR-Veteran George Scherr ernannte sich daraufhin zum eigenen Anwalt und reichte Ende 1997 bei Gericht persönlich eine zwanzigseitige Anklageschrift ein, die Abrahams unter anderem Schwindel, unfaires Geschäftsgebahren, Markenklau und die Verabredung zum Betrug vorwirft. Besonders erbost ist Scherr darüber, daß zu den AIR praktisch die gesamte Mitherausgeberriege der JIR übergelaufen ist und sich angeblich zum Verwecheln ähnlich präsentiert.
Hätte Scherr den Streitwert mittlerweile - das heißt vor Beginn des eigentlichesn Prozesses - nicht schon auf über acht Millionen Dollar geschraubt, so könnte das AIR-Team seiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen und über einen weiteren wichtigtuerischen Wissenschaftler lachen. "So", meint Abrahams, "ist es allerdings nichts als eine gigantische Zeit- und Geldverschwendung, die unserem kleinen Magazin leicht den Nacken brechen könnte".
Seinen Humor hat der AIR-Chef darüber nicht verloren. So werden beispielweise in der elektronischen Miniausgabe des Heftes (http://www.improb.com) monatlich die bizarrsten Dialoge der telefonierenden Streitparteien veröffentlicht ("Sie wollen die Hausanschrift meines Postfaches wissen?" - "Genau die."). AIR-Mitherausgeber und Medizinnobelpreisträger Richard Roberts hat angesichts der kuriosen Ereignisse eine eigene Theorie der Dinge: "Könnte es nicht sein", fragte er in der bedeutendsten Forschungszeitschrift Nature, "daß Scherr und wir in Paralleluniversen leben?"
Mit großem Dank an die Redaktion für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.
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