1/2017 Zimmer Eins: Sollte man Freiheitsstrafen verhaengen
Quelle: ZIMMER EINS — Das Patientenmagazin, Ausgabe 1/2017, Seite 12
Sollte man Freiheitsstrafen verhängen, Dr. Benecke?
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Mark Benecke (*)
Gefängnisstrafen bewirken, dass Straftäter von der Straße verschwinden. Doch der Sinn, den wir mit Freiheitsentzug verfolgen, wird öfters verfehlt – ein Webfehler im System. So verlagern sich Drogengeschäfte, die durch Verbote verschwinden sollen, bloß in die Illegalität: deutlich erkennbar während des Alkoholver- botes der 1920er-Jahre, derzeit täglich live im Görlitzer Park in Berlin zu sehen. Hinter Gittern entstehen zudem Gesellschaften mit unguten Regeln, die antisoziale Eigenschaften fördern und sich später durch ganze Familien ziehen können.
Eine scheinbare Lösung lautet „lebenslänglich“. Jeder Häftling muss aber – so die Rechtsprechung – im Laufe seines Lebens wieder freikommen dürfen. Da es Menschen gibt, die derzeit nicht therapierbar sind, müsste man daher mit viel mehr Geld und Energie daran arbeiten, Therapien zu verbessern, zum Beispiel durch strenge Wirksamkeitsprüfung.
Voraussetzung für eine „Resozialisierung“ ist natürlich die Einsicht, dass vorher etwas falsch lief. Das bedeutet, besonders für Gewalttäter, schwere seelische Arbeit. Die ganz Harten müssen Schwäche erkennen und zeigen. Viele bleiben da lieber gleich im Knast – kein Witz. Und es gibt natürlich auch verhaltensgefestigte Psychopathen ... Für die gibt es derzeit gar keine Hoffnung.
Gegen die Idee, viel Geld für Sozialtherapien und Prävention auszugeben, gibt es öfters Widerstand. Das liegt auch daran, dass es zwi schen den „guten“ Menschen draußen und Gefängnisinsassen keine Berührungspunkte gibt. Viele tragen ein comicartiges Zerrbild des Bösen mit sich herum. Ich fände es sinnvoll, wenn mehr Menschen an Tagen der offenen Tür im Gefängnis teilnehmen würden. Das Zerrbild könnte sich – ganz ohne Mitleid, Ausnutzung, Tränen und Blabla – entspannen. Denn solange wir nur Schwarzweißbilder im Kopf haben, kann niemand von uns frei entscheiden, ob er vor den Bösen Angst haben muss oder bloß eine erträgliche und vielleicht sogar lösbare Schattierung menschlichen Verhaltens vorliegt.
So wie es heute ist, geht an Freiheitsstrafen kein Weg vorbei. Wir glauben, unsere Frei- heit durch das Wegsperren der „Bösen“ zu schützen. Dabei geben wir sie aber eben auch ein bisschen auf. Die Grundprobleme lösen wir so nur eingeschränkt. Prävention wäre besser – und sie funktioniert messbar. Doch dieses Brett muss wohl noch einige Generationen lang gebohrt werden.
(*) Ich erhalte für diese Kolumne übrigens weder Geld noch sonst irgend etwas. — MB
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