2014 06: Theatermagazin Bonn
Quelle: Theatermagazin Bonn, Ausgabe 3/2014, Seiten 40 bis 41
Quatsch keine Oper
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VON BENJAMIN DOUM
Dr. Mark Benecke ist Deutschlands bekanntester Kriminalbiologe und Spezialist für forensische Insektenkunde. Nebenher schreibt der Medienprofi aber auch erfolgreich Bücher, ist Kolumnist, Mitglied im Komitee der »Spaß-Nobel-Preise« und NRW-Landesvorsitzender von »Die Partei«, dem politischen Arm des Satiremagazins »Titanic«.
Lass uns ein paar Klischees abklopfen. Stirbt man wirklich, wenn man Luft in die Adern gespritzt bekommt?
MB: Eine kleine Spritze reicht da nicht.
Wachsen die Nägel nach dem Tod weiter?
MB: Nein. Das sieht nur so aus, weil die Haut darunter vertrocknet. Das gilt auch für Haare, die wachsen auch nicht weiter.
Bleiben wir noch kurz bei Klischees. Wenn Ärzte Arztserien schauen, schlagen sie oft ihre Hände vors Gesicht, weil diese selten die Realität abbilden. Geht es dir mit CSI und Co. genauso?
MB: Ich verstehe nicht, warum man sich darüber aufregt. Ich weiß doch, dass das Fiktion ist. Wegen sprechender Tiere beschwere ich mich auch nicht bei Disney. Und wer ernsthaft Kriminalbiologe werden will und dachte, dass da eine Schachtel Donuts serviert wird und man im Polizeiwagen mit Blaulicht über den regennassen Asphalt brettert, der wird spätestens beim Auseinanderpuzzeln des Mageninhalts einer Leiche nach zehn Minuten aussteigen.
Aber gleicht dein Ehrgeiz denn dem der TV-Forensiker? Freust du dich auch über komplizierte Fälle?
MB: Ja natürlich, aber ich bin eher zwanghaft als ehrgeizig. Ich sortiere unheimlich gern Sachen. Nehmen wir den schon angesprochenen Mageninhalt: alle Fettkügelchen zu den Fettkügelchen, alle Bohnenfasern zu den Bohnenfasern. Das ist spannend.
Und das macht Spaß?
MB: Der primäre Spaß ist immer das, was wir hemdsärmelig machen. Murray Marks, Chef einer echten Body Farm in den USA, wo man Leichen unter freiem Himmel verwesen lässt, um mehr über diesen Prozess zu erfahren, krempelt bei Übungen tatsächlich immer wieder die Ärmel hoch, steckt seinen Arm in eine verfaulte Leiche, zieht da einen Knochen heraus, hält den allen Teilnehmern unter die Nase und fragt, was für ein Knochen das sei. Das ist eine gute Übung, um zu lernen, dass es bei uns nicht darum geht, ob es stinkt, ob es traurig, oder ob es grausam ist. Es geht nur darum, welcher Knochen das ist.
Verändert der Beruf die Einstellung zum Tod?
MB: Für einen Biologen bedeutet der Tod einfach, dass der Körper nicht mehr arbeitet. Insofern hat sich durch meinen Beruf nichts verändert. Ein Biologe, der Probleme mit dem Tod hat, ist kein Biologe – der ist Esoteriker.
Wie wird man Kriminalbiologe?
MB: Ich bin da reingerutscht. Der Beruf war unbekannt, als ich klein war.
Wie um alles in der Welt rutscht man denn da rein?
MB: Das kam, weil ich in der Rechtsmedizin genetische Fingerabdrücke gelernt habe. Ich hatte vorher schon mit Tintenfischen gearbeitet. Und die einzigen wirbellosen Tiere in der Rechtsmedizin waren halt Insekten. So hat sich das durch Zufall ergeben. Ich könnte jetzt auch Fledermausforscher in Puerto Rico sein.
Warum ekeln sich viele Menschen vor Insekten?
MB: Weil Insekten etwas Unbekanntes sind. Die meisten Menschen reagieren so: Da krabbelt etwas, das bringe ich um.
Dein Verhältnis zu Insekten ist anders.
MB: Sie sind meine Kollegen. Manchmal kann ich z. B. sagen, dass ein Insekt fünf Tage auf einer Leiche gelebt hat, oder dass eine Leiche mit Sicherheit längere Zeit in einem Haus gelegen hat und nicht an der Stelle, wo sie gefunden wurde. Die Tiere helfen mir dabei.
Nach dem großen Atomknall überleben nur die Kakerlaken, richtig?
MB: Als unangefochtene Herrscher der Erde überleben die Gliederfüßer auf jeden Fall. Sie haben zwei große Vorteile gegenüber den Wirbeltieren: Viel schnellere Reproduktionsraten, und es gibt viel mehr Arten.
Wann hast du gemerkt, dass man die Menschen mit Leichen und Maden auch gut unterhalten kann?
MB: Gar nicht. Die Leute denken, sie werden gut unterhalten, aber tatsächlich reibe ich ihnen lauter kriminalistische Prinzipien unter die Nase, die zeigen, wie man Dinge prüft. Das ist mein wirkliches Anliegen. Wenn ich die Leute damit unterhalte, dann freut mich das, aber in Wirklichkeit geht es nicht um Leichen.
Und doch genießt du dein »Finsternis-Image«?
MB: Finsternis? Ich glaube nicht, dass mich irgendwer als düster wahrnimmt. Zumindest hat mir das noch keiner gesagt.
Wie würde der perfekte Mord aussehen?
MB: Jede Tat, bei der man die Spuren nicht versteht. Je blöder die Tat, desto schwerer ist es meistens zu verstehen, was passiert ist. Aber generell würde ich sagen, man sollte einfach niemanden umbringen.
Aber dann wärst du arbeitslos!
MB: Das würde ich in Kauf nehmen. Wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann wäre es der, dass die Leute endlich mal aufhören, einander umzubringen. Dann würde ich Pizza backen und wäre ein glücklicher Pizzabäcker.
Mit herzlichem Dank an Benjamin Doum und die Redaktion des Theatermagazins Bonn für die Freigabe und die Genehmigung zur Veröffentlichung.
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