2013 10 17: Mittelbayerische Zeitung
Quelle: Mittelbayerische Zeitung, 17. Oktober 2013, Seite 2
Themen im Blickpunkt
Mit Insekten hilft er, Morde aufzuklären
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Ein Interview von Isolde Stöcker-Gietl
Mark Benecke ist Kriminalbiologe, einer der besten seines Fachs. Wenn es vom großen Krabbeln erzählt, blickt man oft in menschliche Abgründe.
Dr. Mark Benecke gilt als bekanntester Kriminalbiologe der Welt. Sein Spezialgebiet ist die forensische Entomologie, also die Insekten, die sich auf Leichen finden. Er wird gerufen, wenn Morde, andere Gewalttaten aber auch Suizide als nahezu unlösbar gelten. Dann versucht er mithilfe von Fliegen und Maden Antworten zu finden. Bei der Polizei ist er auf allen Kontinenten gefragt. Aber auch der russische Geheimdienst griff schon auf Beneckes Fachwissen zurück und ließ die mutmaßliche Schädeldecke und das Gebiss von Adolf Hitler untersuchen. Benecke hält Vorträge und Workshops, ist auch häufig Experte in TV-Dokumentationen. „Niemand erklärt die Bedeutung von Käferfraß, Schmeißfliegenlarven und Madenbefall für die kriminalistische Spurensicherung so unterhaltsam und gleichzeitig explizit wie der tätowierte Kölner“, schrieb die Süddeutsche Zeitung über Benecke. An diesem Samstag gastiert er mit seinem Vortrag im Antoniushaus in Regensburg.
Tote, Tatorte und allerlei Getier: Brauchen die Zuschauer bei Ihrer Show am Samstag einen robusten Magen?
MB: Nein, ist ja keine Mutprobe, sondern verständliche Wissenschaft... Wenn es ekelig wird, sag ich vorher Bescheid.
Was macht ein Kriminalbiologe?
MB: Kriminalbiologische und kriminalistische Kurse & Vorträge geben, immer wieder als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger herangezogen werden, um biologische Spuren bei vermuteten Gewaltverbrechen mit Todesfolgen auszuwerten. Leichenbesiedlung durch Insekten untersuchen, um Hinweise auf die Leichenliegezeit, Todesursache und Todesumstände zu geben. Wissenschaftliche Beiträge verfassen, an Büchern arbeiten, mich für PETA, die Tierschutzorganisation einsetzen, Politik, Kultur...ich bin Vorsitzender des Vereins ProTattoo undundund...
Was machen Sie zuerst an einem Tatort?
MB: Bloß nichts anfassen! Zuerst muss man alles fotografieren. Das Zweitwichtigste ist, dass sich die Spezialisten vor Ort absprechen. Sonst trete ich in Spuren des Bidenkundlers oder der Mensch mit dem Klebeband, der Faserspuren sammelt, verändert vielleicht die Anordnung von Insektenspuren. Oder die DNA-Spezialisten bewegen die Leiche, wenn sie Körpersekrete suchen, und verbringen Fliegenmaden an eine andere Körperstelle. Manchmal wird eine Leiche so schnell wie möglich weggebracht, damit die rechtsmedizinische Untersuchung unter gutem Licht schnell stattfinden kann. Aber gerade der eilige Abtransport kann ein Problem sein. Manchmal werden auch aus Angst vor dem sagenumwobenen Leichengift die Kleider und Gegenstände aller Toten schnell in eine grosse Biohazard-Tonne geworfen. Das ist immer schlecht, weil sich dann Spuren vermischen.
Was ist der grösste Fehler, der am Tatort passieren kann?
MB: Man darf nie Annahmen machen, sonst verstellt man sich den Blick auf die Lösung. Wenn man beispielsweise denkt: Ah, da ist Sperma in der Vagina der weiblichen Leiche, dann handelt es sich also um ein Sexualdelikt – das muss nicht stimmen. Das kann auch noch vom Vortag sein oder es können in anderen Fällen Spermienköpfe irgendwann in kalt gewaschener Bettwäsche zurückgeblieben sein. Oder ich suche nur nach Spuren am Boden, dabei ist es ein Blutspritzer an der Zimmerdecke, der zeigt, in welchem Winkel ein Messer aus der Person gezogen wurde.
Können Kriminelle nicht selber Spuren legen, um die Polizei zu täuschen?
MB: Abdrücke oder Fliegenmaden auf Leichen zu platzieren, falsche Spuren zu legen, die vom Täter ablenken oder Ort und Todeszeit verschleiern: Das passiert nicht oft, und wenn, dann geht es aber wohl meist schief. Wir waren mal an einem Tatort, wo eine helle Stelle am Boden auffiel. Danach gefragt, erzählte die Frau in der Wohnung, das sei von der Tiefkühltruhe, die vorher dort gestanden hätte. Da werden wir dann hellhörig. Und tatsächlich: Die Frau hatte in der Truhe eine Leiche aufbewahrt, um die Tatzeit zu fälschen. Aber dann verquatscht man sich eben.
Gibt es den perfekten Mord?
MB: Spuren zu fälschen, ist kniffelig. Alle Delikte hinterlassen Spuren. Wenn man eigene gefälschte legen will, dann hat einen unverhofft doch jemand beobachtet, etwa wie man Fliegenmaden besorgt oder einem Auftragskiller ein Hotelzimmer reserviert. Selbst ich könnte keine Insektenspur so legen, dass ein sehr gute Kollege/Kollegin nicht was ahnen würde. Was auch falsch eingeschätzt wird: Mit dem körpereigenen Hormon Insulin zu morden, sei nicht nachweisbar. Die Rechtsmediziner und Giftspezialisten können das aber ganz hervorragend. Es muss nur jemand hingucken. Manchmal sehen wir eine beinahe perfekte Tat. Und dann wird klar: Je dümmer die Vorgehensweise, je näher ans Ziel gelangte der Täter. Das kommt dann höchstens durch Zufall raus. Für mich ist übrigens perfekt, gar nicht zu morden, schreien, schlagen und lügen.
Haken Sie manchmal nach, ob und wie ein Fall gelöst wurde?
MB: Als Sachverständiger interessiere ich mich nicht für soziale Umstände. Ich mache mein Gutachten und damit basta. Je mehr man von einem Fall weiß, desto eher lässt man sich beeinflussen. Meine wichtigste Regel lautet: keine Annahmen machen. Und niemandem glauben, vor allem nicht sich selbst. Ich darf mich nicht durch voreilige Schlüsse in die Irre führen lassen. Etwas, das wie eine Schusswunde aussieht, kann zum Beispiel durch Käferfraß verursacht worden sein. Ich muss Abstand wahren und darf das Geschehen nicht an mich heranlassen, wenn ich eine gründliche, wissenschaftliche Antwort finden will.
Was fesselt Sie dann an einem Fall?
MB: Die Wahrheit. Ich mag es nicht, wenn Dinge unsortiert sind, ich sortier’ auch meine Blu Rays oder Werbezettel, die auf einer Theke liegen. Das lässt mir sonst keine Ruhe.
Was war das Schlimmste, was Sie in Ihrem Beruf gesehen haben?
MB: Leute, die sich zu ernst nehmen. Es ist alles nur ein uraltes, immer gleiches Spiel.
Und das Interessanteste?
MB: Jeder Morgen – ich weiß nie, was als Nächstes passiert. Als ich den Schädel Hitlers in Moskau untersucht habe, wurde das von den Medien als sehr speziell dargestellt. Das finde ich aber nicht, es war ein Fall wie jeder andere. Oder der Fall des kolumbianischen Serienmörders Garavito, der über 300 Jungen totgefoltert hat. Daran arbeiten wir bis heute, und es ergeben sich immer neue Wendungen, die weit über das offensichtliche Grauen hinausgehen. Am spannendsten sind aber ganz oft die auf den ersten Blick simplen Fälle, beispielsweise Blutspurenfälle: Wenn wir zwar nicht wissen, wer der Täter ist, aber ungefähr, was passiert ist. Anhand der Blutspuren kann der komplette Tathergang manchmal verblüffend genau dargestellt werden. Das macht viel mehr Spaß, egal wie scheinbar langweilig oder aufregend der Fall von außen wirkt.
In Regensburg gibt es gerade einen Kriminalfall, der die Menschen beschäftigt. Eine junge Frau galt eineinhalb Jahre als vermisst. Vor wenigen Wochen wurde ihre skelettierte Leiche mit Löschkalkanhaftungen in einem Wald gefunden. Todesursache unbekannt, Todeszeitpunkt unbekannt, Todesort unbekannt. Der Verlobte sitzt in Untersuchungshaft, bestreitet aber die Tat. Kann der Fall nach einem so langen Zeitraum noch aufgeklärt werden?
MB: Wenn sich gute, erfahrene, coole, offene Kollegen zusammensetzen, findet man immer, absolut immer, irgendetwas, was bisher übersehen wurde. Das ist meine Erfahrung aus über 20 Jahren praktischer Arbeit. Ob solche Funde dann juristisch was bringen, ist ein anderes Thema – da weiß ich nicht, ob ich lachen oder weinen soll... bzw. ich weiß es doch: lachen.
Es heißt, sie verändern mit Ihren Vorträgen das Weltbild der Zuhörer. Kommt nach dem Tod noch was außer Maden?
MB: Ja, manchmal auch Verwandte, Bestatter, Erde, Regen, Feuer und die Unendlichkeit.
Mit herzlichem Dank an Isolde Stöcker-Gietl und die Redaktion für die Freigabe und die Genehmigung zur Veröffentlichung.
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