2013-02-27 Darmstätter Echo: Warum tun sich die Leute das an?
Quelle: Darmstätter Echo in der Ausgabe vom 27. Februar 2013
„Warum tun sich die Leute das an?“
Der Kriminalbiologe Mark Benecke über die wachsende Faszination an modernen Tatort-Detektiven
[Weitere Artikel von MB] [Artikel über MB]
VON KATHI FLAU
ECHO: Herr Benecke, sind Sie manchmal neidisch auf Ihre Fernsehkollegen – was die alles ermitteln dürfen, noch dazu in schicken Klamotten und Autos?
MB: Nee, überhaupt nicht. Abgesehen davon, dass ich diese Sendungen nie gucke: Das Ermitteln an sich, die Suche nach dem Täter ist mir egal. Mich interessieren die Spuren, die etwas über das Verbrechen aussagen könnten – die Brösel, die am Rand übrig bleiben.
ECHO: Warum interessieren sich so viele Leute heute dafür? Auch in Darmstadt wird die Hütte am Donnerstag ja wieder voll sein. Alles Ekel-Fans?
MB: Überhaupt nicht. Wer den Ekel sucht, sitzt bei uns verkehrt. Es kommen weniger die Fiction-Fans, die Wallander oder Thea Dorn lesen, sondern Leute mit unterschiedlichen Motiven. Manche hatten Kontakt mit realen, traumatisierenden Fällen: Suizide, Unfälle, Missbrauch in der Familie oder auch Tötungsdelikte. Das sind Menschen, die sich aktiv damit auseinandersetzen wollen und nicht nur zur Entspannung Mordgeschichten hören wollen. Es gibt Zuhörer, die einfach gerne Rätsel lösen wollen – so wie ich. Und manche wollen die Gewissheit bekommen: Da draußen gibt es Leute, die für Gerechtigkeit sorgen.
ECHO: Dafür sind Sie doch gar nicht zuständig.
MB: Genau das erzähle ich ja auch immer. Aber gerade Leute, die besonders verunsichert sind, suchen nach einem Superhelden. Deswegen stelle ich mich immer als jemanden dar, der sich einfach immer schon für Chemie interessiert hat, in Sport schlecht war und keinen Führerschein hat – ich bin nicht Bruce Willis, der den Terror in der Welt bekämpft.
ECHO: Dienen Sie nicht auch als Stellvertreter – jemand, der für die Steuerzahler einen unliebsamen Job macht?
MB: Ich glaube, viele Leute erwarten vom Forensiker eher sachliche Ankerpunkte. Sie wollen eine ungeklärte Sache klären, wollen wieder eine Struktur in einen unsicher gewordenen Teil ihres Lebens bekommen.
ECHO: Brauchen Sie dafür nicht eine psychologische Ausbildung?
MB: Wenn ich merke, dass die Leute, die bei mir Rat suchen, bei der Trauma-Therapie besser aufgehoben wären, vermittle ich die weiter. Ich kann nicht derjenige sein, der sie seelisch begleitet. Ich bin nur der Mann mit dem Chemiebaukasten.
ECHO: So gern manche Ihrer Zuhörer Details von Mordfällen hören – wenn es um Prävention geht, hören die meisten weg. Warum stößt gerade das Pädophilen-Projekt „Kein Täter werden” auf taube Ohren?
MB: Stimmt schon, wenn wir aufrufen, Geld für dieses Projekt zu spenden, kommt meistens das Standard-Gegenargument: „Dafür könnte man auch einen Kindergarten bauen.“ Klar kann man das, man kann auch Autobahnen bauen! Vielleicht liegt es daran, dass mancher zu unseren Veranstaltungen kommt und glaubt, er sei damit automatisch auf der guten Seite. Folglich sind alle, von denen die Fälle handeln, auf der bösen Seite. Das braucht man dann gar nicht mehr zu diskutieren und dafür gibts dann auch kein Geld. Menschen – und Tiere auch – sind grundsätzlich leider nicht darauf programmiert, Vorbeugung für etwas zu betreiben, das dann deswegen gar nicht passiert.
ECHO: Äußern manche Zuhörer auch Mordfantasien, wenn es um Pädophilie geht?
MB: Nicht bei den Vorträgen, aber im Gericht. Da sitzen dann Tag für Tag bestimmte Leute mittleren Alters und erregen sich über die verhandelte Straftat und fordern, man sollte den Angeklagten die Haut von den Füßen ziehen, sadistische Fantasien dieser Sorte.
ECHO: Wie reagieren Sie darauf?
MB: Ich frage die, warum die sich das jeden Tag aufs Neue antun. Antwort: "Ja, das weiß ich auch nicht."
Mit herzlichem Dank an Thomas Wolff und die Redaktion für die Freigabe und die Genehmigung zur Veröffentlichung.
Lesetipps