2012 unicum: Wie wird man eigentlich Kriminalbiologe
Quelle: unicum.de, http://www.unicum.de/abi-und-dann/beruf-oder-studium/studium/wie-wird-man-eigentlich-kriminalbiologe/, 2012
Wie wird man eigentlich Kriminalbiologe?
von Barbara Kotzulla
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Das Fernsehen ist mal wieder Schuld: Dank TV-Serien wie "CSI" haben wir als Otto-Normalverbraucher ein ziemlich falsches Bild von der Arbeit eines Forensikers und Kriminalbiologen. Lässig den Tatort nach Spuren absuchen, mit lauter schickem HighTech verdächtige Partikel scannen und dann den Erfolg bejubeln lassen – die Realität sieht da anders aus. Was wirklich in den biologischen Labors passiert und was man für den Beruf mitbringen muss, verrät Dr. Mark Benecke. Dieser zählt nicht nur selber zu den bekanntesten Kriminalbiologen der Welt, sondern bildet auch seit über einem Jahrzehnt den Nachwuchs in diesem Fach aus.
UNICUM: Du hast einmal gesagt: Kriminalbiologe ist kein cooler Job, bei dem man gegen das Böse kämpft. Was meinst du, wer ist falsch in diesem Beruf? Und, was muss man mitbringen?
Mark Benecke: Man muss einerseits ein bisschen kauzig sein. Neulich hat z.B. jemand zu mir gesagt, man müsse "monkig" (nach der TV-Serie "Monk"; Anm. der Red.) sein, das fand ich ein sehr schönes Wort (lacht). Ordnen und sammeln ist wichtig, man sollte beispielsweise Spaß haben, seine Blurays alphabetisch zu sortieren, und man muss Spaß daran haben, sein Puddingteilchen in vier gleiche Teile zu schneiden. Man muss also ein bisschen zwanghaft sein. Sonst wird man über die Fülle der Spuren wahnsinnig.
Man muss auch mutig sein. Ich hatte vor Kurzem zum Beispiel einen der wertvollsten Gegenstände, den man überhaupt auf dem Tisch liegen haben kann, im Labor und musste eine Probe entnehmen. Da muss man halt cool bleiben – jetzt nicht im Sinne von jugendlich-cool. Da muss man eher Nerven wie Stahlbetonwände haben. Diese Zusammenstellung hast du oft nicht. Die meisten Leute, die ein wenig zwanghaft sind, sind meistens auch ein wenig nervös und hibbelig, wenn's ganz ernst wird. Umgekehrt: viele Leute, die cool sind, die haben nicht die Nerven, sich zehn Stunden an ein Vergrößerungsgerät zu setzen, um das ein 0,1 Millimeter große Partikelchen rauszufrickeln. Und man darf auf keinen Fall glauben, man würde die Welt besser machen. Du machst kleine Einzelteile hoffentlich ein bisschen besser, aber das war’s auch.
Was war das denn für ein Gegenstand?
Das darf ich leider noch nicht verraten, weil das etwas Laufendes ist – ich verrat's aber später mal in der UNICUM, aufrichtig versprochen. Jedenfalls habe ich mich nach der Probenentnahme echt gefragt, wie ich das überhaupt machen konnte und warum ich nicht schreiend rausgerannt bin (lacht).
Wie abgebrüht muss man sein?
Man muss Dinge emotional abtrennen. Aber das kann man nicht lernen. Entweder du bist schon so oder du wirst das niemals lernen. Mitbringen muss man sozusagen eine gewisse Distanziertheit zu den Fällen, aber man darf sich auch nicht so sehr distanzieren, dass es einem ganz egal ist. Das ist eigentlich eine Schwäche, ein bisschen sozial inkompetent zu sein, aber man kann die Stärke daraus machen, auf die sachliche Seite zu schauen. Man muss die objektive Wahrheit lieben, aber nicht die Gerechtigkeit.
Du hast einmal gesagt, dass die Mehrheit deiner Studenten weiblich ist – und, dass diese besser mit Körperflüssigkeiten klar kommen. Sind Frauen einfach besser geeignet für Jobs wie Kriminalbiologe, Rechtsmediziner etc.?
Ich glaube, von der emotionalen Distanziertheit her würde es auch genug Männer geben, die das könnten. Tendenziell ist das wahrscheinlich sogar wirklich eher eine männliche Eigenschaft. Aber es ist einfach so, dass die Schwelle zu biologischen Spuren von Männern ungern überschritten wird. Du kannst ja einmal fragen, wie viele Männer einen Tampon angefasst haben, den ihre Freundin gerade herausgezogen hat. Das ist auch am Tatort eine spannenden Grenze, denn in den biologischen Spuren ist der Mensch noch ganz entfernt erkennbar, anders als bei der Arbeit an einer Maschine oder einem Gerät. Aber ich will jetzt nicht rumgendern, natürlich können Männer genauso Kriminalbiologen sein – aber die Erfahrung bei allen Kollegen weltweit zeigt, dass Frauen es lieber machen. Egal in welcher Kultur, das gilt für Malaysia, wie für Kanada, Polen und Frankreich.
Trifft man dann auch im Berufsleben verstärkt auf Frauen?
Natürlich nicht. Das ist ja wie immer: Nach 15 Jahren Ausbildung mit Studenten muss auch ich sagen, dass Frauen tendenziell irgendwann einen Gang runterschalten und sich an die Familienplanung machen. Schuld daran sind natürlich auch die Arbeitszeiten in meinem Beruf, die ja krankhaft ungeregelt sind. Ich als Freiberufler bin sogar wie Sherlock Holmes und warte die ganze Zeit auf Fälle. Schon nach einer Woche Kurs sagen sich viele: "Ist ja nett; schön, dass andere den Job machen und nicht ich." Ganz konkret: Ich gebe definitiv seit mehr als 10 Jahren überall auf der Welt Ausbildungen und bisher ist nur eine einzige Person nach dem Studium in diesem Fach in eine Festanstellung gegangen. Wenigstens war es eine Frau. Aber eine Studentin von Tausenden... das keine gute Quote.
Eigentlich sollte man doch als Student wissen, für was für einen Weg man sich entscheidet …
Nee, das ist es ja. In unserem Fach wollen sich viele Leute erst einmal mit Todessituationen und in erster Linie auch mit Fäulnis konfrontieren. Sie wollen erst einmal für sich rauskriegen, ob sie so arbeiten wollen oder nicht. Die meisten wollen danach eben nicht mehr. Wie schon gesagt, da kommt dann noch hinzu, dass die Arbeitszeiten wirklich absolute Scheiße sind. Wir sind 24 Stunden, auch Weihnachten, auch an Muttis Geburtstag, auch wenn wir schon etwas getrunken habe, erreichbar. Das sieht im Fernsehen cool aus, aber bei uns kommt dann halt auch kein Hubschrauber, es gibt keine Donuts, man wird nicht gelobt, man löst keine Fälle. Wenn die Leute all das live miterleben, dann sagen die auch: "Okay, ich wollte jetzt nicht wie ein Briefmarkensammler enden und Spuren aufklauben und archivieren." Aber das ist das, was wir machen: Wir sind halt kriminalistische Briefmarkensammler.
Du warst für deine Ausbildung auch an einer US-amerikanischen FBI Academy. Wie wichtig ist es in deinem Fach, ins Ausland zu gehen?
Es lohnt sich grundsätzlich, seinen Arsch so oft wie möglich zu bewegen. Egal wohin! Ob das jetzt Kolumbien, die USA ist oder Vietnam ist: In meinem Job muss man raffen, das Menschen überall auf der Welt gleich sind. Aber man muss verstehen, dass zum einen die gesetzlichen Richtlinien in allen Ländern anders sind, und dass gewisse Delikte in verschiedenen Ländern häufiger vorkommen. In Indien z.B. ist Selbstbegießen mit Benzin sehr häufig, da bringen sich gehäuft Frauen auf diese Art um. Das muss man einfach vor Ort kriminalistisch erlebt haben, denn denken kann man es sich echt nicht. Man kann deswegen gar nicht oft genug unterwegs sein und in anderen Ländern Erfahrungen sammeln. Damit sollte man auch schon ganz früh anfangen.
Je mehr man weiß, umso weniger nimmt man auch in Fällen etwas Falsches an. Das haben wir z.B., wenn hier in Deutschland "Ehrenmorde" passieren. Da muss man erst einmal verstehen, welche Sorten Ehre es gibt, welche Arten von Tötungen da überhaupt in Betracht kommen, warum dieser oder jener Gegenstand benutzt wurde. Dafür muss man immer unterwegs und neugierig sein. Und nicht am Strand liegen und Caipis saufen, sondern arbeiten. Arbeiten, arbeiten, arbeiten. Einfach immer arbeiten. Nicht faulenzen und CSI gucken (lacht).
Wenn du auf deine Karriere zurückblickst, würdest du dich dann wieder für diesen Weg entscheiden?
Jeden Schritt, den ich gehe, mache ich, weil ich ihn gehen will. Ich war allerdings ursprünglich zusätzlich für Germanistik, Psychologie und Theaterwissenschaften eingeschrieben. Das war bekloppt und viel zu viel, und so hab ich doch ausschließlich Biologie gemacht. Die anderen Fächer begleiten mich aber doch irgendwie: ich schreibe beispielsweise Bücher und Kolumnen. Das hat mit ein paar Techniken aus der Germanistik zu tun. Und Psychologie: Ich rede oft mit den Tätern und mit den Angehörigen der Opfer, da erlebe ich interessante psychologische Effekte. Ich bin deswegen überhaupt kein Psychologe, aber ich sehe viel, was ich mir dann von Fachleuten erklären lassen kann und will. Es ist sauwichtig, auch in die benachbarten Gebiete reinzuschnuppern. Man muss dabei nur raffen, dass man nicht der Coolste ist, sondern dass die KollegInnen mindestens genauso viel können wie man selber und dass man nur so -- mit Neugier und Respekt -- mit ihnen zusammenarbeiten kann.
Ich habe gelesen, dass du eigentlich Koch werden wolltest. Nehmen wir an, es wäre etwas daraus geworden, wo und was würdest du heute kochen?
Jau, als Kind wollte ich Koch werden. Hmm, heute… Ich bin ja Vegetarier. Und ich würde wahrscheinlich nur Überraschungsmenüs kochen. Es gäbe keine Speisekarte. Es würde in meinem Restaurant einen Einheitspreis geben und dann würde ich das, was halt eben regional aktuell vorhanden ist, zusammenschmeißen. Das wäre wohl immer Gemüse und ein Stück Brot dazu (lacht). Ein vegetarisches Überraschungsrestaurant, alles andere wäre mir auch zu langweilig. Alles, was man vorhersehen kann, da habe ich schon direkt keinen Bock drauf.
Meine letzte Frage ist etwas makaber, aber: Was soll einmal auf deinem Grabstein stehen?
Öhm… (lacht)… darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht. Aber ehrlich gesagt, wäre es mir lieber, wenn es gar keinen Grabstein geben würde, sondern mein Körper wieder in den Kreislauf der Natur käme. Das fände ich viel cooler. Aber ansonsten vielleicht "HELLO, FLIES" oder so.
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