2001 SeroNews 6:42: Beneckes Bücherschrank
Quelle: SeroNews 6:42 (Heft II/2001)
Endlich unsterblich? Gunther von Hagens
Beneckes Bücherschrank
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VON MARK BENECKE
Nina Kleinschmidt, Henri Wagner: Endlich unsterblich? Gunther von Hagens -- Schöpfer der Körperwelten. Bastei Lübbe, 2000, 402 Seiten, EUR 10,17, ISBN 3-404-60493-8.
Es ist schon verblüffend zu sehen, wie zwei Menschen aus dem Journalismus einem Menschen aus der Forschung voll und ganz verfallen. Dass die beiden Autoren (Nina Kleinschmidt, nach Eigenangabe nichtausübende Zeitungsredakteurin mit Interesse für alles, was sich bewegt und Henri Wagner, nichtausübender Diplom-Betriebswirt mit Interesse für alles, was in Bewegung ist) dabei gerade an die wenig beweglichen Plastinate Gunther von Hagens' geraten sind, wird schnell erklärt: Er ist genial, lautet der erste Halbsatz der Buchrückseite -- gemeint ist eben er, der Erfinder der Plastination persönlich, nicht seine Objekte.
Die aufrichtige Bewunderung des Autoren-Teams durchzieht das gesamte Taschenbuch und bläst all denen frischen Wind durch den Kopf, die grundsätzlich gegen die ´Körperweltenª-Ausstellungen oder deren Entwickler sind. Das Autorenteam begleitet von Hagens von der Kölner Ausstellung nach Kirgisien und China, wo der Plastinator nicht nur Kooperationspartner hat, sondern auch ein eigenes Institut aufbaut. (Um er gleich vorwegzunehmen, die Wahl dieser Orte ergibt sich nicht aus einer oft zu Unrecht unterstellten, angeblichen Verfügbarkeit von Leichen, sondern der Gegenwart der dort noch praktizierten klassischen Anatomie.) Stunden-lange Interviews vor Ort schmelzen im Buch fernsehfilmartig zusammen.
Es ist schön zu sehen, wie dabei entgegen des gängigen und erheiternd-absurden Vorurteils ("spinnerter Künstler") beleuchtet wird, dass von Hagens vor allem ein flexibler, beseelter, erfinderischer und mutiger Forscher ist, der sich seinerzeit weder von den DDR-Knast-Beamten noch von den heutigen Miesepetern beirren lässt. Sein großes Ziel, der Aufbau eines Menschen-Museums, wird er mit den hoffentlich eines Tages vorhandenen Überschüssen aus der Wander-Ausstellung bezahlen -- ein gewiss in Deutschland einmaliges und allen Nachwuchsforschern mit spannenden Zielen vielleicht auch vorbildliches Vorgehen: Es gibt eine Welt jenseits der DFG! Dass von Hagens trotz allem Presse-Rummel jedem Personenkult abhold ist und darüberhinaus MitarbeiterInnen in aller Welt derart motivieren kann, dass sie zuletzt Überstunden für schön halten, braucht man dem Buch nicht zu glauben -- der Autor dieser Rezension kann es aus eigener Erfahrung bezeugen.
Die beiden Journalisten haben für ihr Buch auch KörperspenderInnen befragt, sich bei den MitarbeiterInnen des Institutes sowie Kindern und Verwandten des Plastinators umgesehen. Alle berichten nur Gutes vom neugierigen von Hagens, und nicht eine Person hatte Übles über den Mann oder seine Ziele zu berichten. Kein Wunder, denn von Hagens ist ein guter, undogmatischer Zuhörer, der seine Meinung weiterbildet und keiner Diskussion aus dem Weg geht -- egal, ob sie bei Hans Meiser (R.I.P.) oder im Philosophie-Seminar stattfindet. Da er dort nicht den aalglatten Medien-Profi mimt, wirkt er gelegentlich schräger als er ist. In Wahrheit ist er vor allem eins: aufrecht -- und das macht ihn sympathisch.
Dass das Reportage-Buch den rätselhaften Titel "Endlich unsterblich?" trägt, die Fotos bestenfalls Zeitungs-Qualität haben und auch der Textwurf sehr skizzenhaft wirkt, ist dem Charakter der laufenden, teils verwirrten Diskussion um die ´Körperweltenª wohl angemessen. Die Autoren sehen ihr Buch auch eher als Vorläufer einer späteren Biografie. Lobenswert ist, dass sie ihr TV-Reportage-Tagebuch durchgetextet und zum Buch gemacht haben.
Es besteht heute kein Zweifel, dass die ´Körperweltenª, und mehr noch die Plastinations-Technik, schon in wenigen Jahren so selbstverständlich sein werden wie die Eisenbahn und Coca-Cola. Bis dahin wird es noch ein bisschen Wirbel, Konfusion und Theater geben, das sich aber legen wird, wenn auch der letzte grundsätzliche Feind der Ausstellung endlich einmal die Objekte seiner Irritation selbst angesehen hat. Denn das ist nach vielen zehntausend Zuschauer-Befragungen klar: Wer die ´Körperweltenª verlässt, findet sie bewegend (nur einigen SchülerInnen ist sie zu langweilig), aber geschockt oder angewidert ist praktisch niemand. Genauso wird es den LeserInnen des Taschenbuches gehen: Der Mensch von Hagens tritt hervor, und er bezaubert -- durch Taten.
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