Facharbeit Berstermann
Name: Rabea Berstermann
Jahrgang 2007
Hochschule für öffentliche Verwaltung Bremen, Doventorscontrescarpe 172, 28195 Bremen
Begleitet von Herrn PD Dirk Fasse & Herrn Ralf Gunther Pestrup
Bremen, den 15.05.2010
Der Körper nach dem Tod. Die Arbeit der forensischen Entomologen auf der „Body Farm“ in Tennessee
[Weitere Facharbeiten über Insekten]
[Weitere Facharbeiten über DNA]
[Weitere Artikel von MB] [Artikel über MB]
[Mehr über die Body Farm]
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Einleitung
In der täglichen Arbeit eines Streifenpolizisten fällt der Begriff der forensischen Entomologie eher selten. Sobald dieser Ausdruck jedoch mit dem Namen „Mark Benecke“ in einem Satz thematisiert wird, beginnt die Assoziation zu der Kriminalbiologie und den so genannten Leicheninsekten. Die forensische Entomologie umfasst die Untersuchungen von Gliedertieren, die sich auf, in oder nahe verstorbener Person oder Tiere befinden. Diese Gliedertiere werden Arthropoden genannt. Zu ihnen zählen Tausendfüßler, Spinnentiere, Krebse und Insekten. Sie bringen den Zyklus in Gang, der durch den Tod wieder Leben entstehen lässt. Auch wenn diese kleinen Tiere bei den meisten Menschen Angst und Ekel hervorbringen, sollten sie sich dennoch bewusst sein, dass es diese Tiere sind, die einen
toten Körper in immer kleinere Grundbausteine, die Moleküle, zersetzen,
damit andere Organismen diese kleinsten Segmente als neue Nahrungsund
Brutstätte nutzen können – „Kreislauf des Lebens“. Anhand der forensischen
Entomologie ist es seit geraumer Zeit möglich, die Leichenliegezeit
(post mortem interval, PMI) an toten Körpern durch die dort gefundenen
Insekten zu bestimmen. Es gibt hunderte verschiedener Arten, die
auf die unterschiedlichsten Weisen ihr Leben bestreiten, ihre Nahrung
sammeln, sich vermehren sowie an den unterschiedlichsten Orten der
Welt zu finden sind, ob in Gräsern, Sträuchern, Wäldern oder Küstengebieten.
So differierend sie allerdings aus sein mögen, eine Gleichheit besitzen
sie alle, den Trieb sich zu vermehren. Mit diesem Trieb geht einher,
dass sie ihrem Nachwuchs einen Lebensraum bieten wollen, in dem die
Larven nach ihrem Schlüpfen gut leben können. Leichen sind eine hervorragende
Brutstätte, bei denen einige Insektenlarven die inneren Organe
zu bevorzugen, wohingegen andere die Haut oder Mundhöhle favorisieren.
Um jedoch das Ergebnis der Leichenliegezeit durch dieses Verfahren bestimmen zu können, müssen verschiedene wissenschaftliche Instanzen,
der Forscher, Ärzte und Ermittler zusammenarbeiten. Dem Ermittler obliegt
dann die Pflicht, aufgrund dieses Wissens an einen Tatort solch gefundenes
Material sicherzustellen und einen Kriminalbiologen hinzuzuziehen.
Aber: Sieht auch die auch Praxis so aus? Wissen die Ermittler über
diese Methode und ihren Umgang Bescheid? Dieser essentiellen Fragestellung
soll in den folgenden Kapiteln nachgegangen werden.
Der erste, anhand der forensischen Entomologie gelöste, niedergeschriebene
Fall stammte aus dem 13. Jahrhundert. Der chinesische Gelehrte
Sung Tz’u vollzog dies in seinem gerichtsmedizinischen Werk, welches in
deutscher Sprache in etwa den Titel „Vom Hinwegwaschen des Ungerechten“
besaß. Es handelte sich um einen Mord in einem Reisfeld. Das Opfer
war männlich, verheiratet und besaß keine Feinde, er hatte nur einen
Schuldner, der allerdings ohne Verdacht blieb. Es ließen sich soweit keine
weiterführenden Spuren erheben, bis auf die Erkenntnis des damaligen
Ermittlers, der Mann sei mit einer Sichel erstochen worden. Aufgrund dieser
Feststellung ließ er alle Arbeiter mit ihrem Werkzeug zusammentreiben.
Auf einer Sichel setzten sich dabei Schmeißfliegen ab, die die, für
den Menschen nicht mehr sichtbaren Blutreste riechen können. Daraufhin
gestand der Täter den Mord - es war der Schuldner des Toten. Diese Anfänge
wurden im Jahr 1974 von den Belgiern Leclercq und Lambert aufgegriffen,
indem sie den Mord im Reisfeld noch einmal neu untersuchten
und die damaligen Feststellungen und Aufzeichnungen konzedierten.
Durch ihre Arbeit werden sie als die Gründer der modernen forensischen
Entomologie charakterisiert. Allerdings vollzog sich diese Auffrischung der
Thematik nicht nur in Belgien, sondern ebenso New York, wo der Insektenkundler
Murray G. Motter die Tiere auf 150 exhumierten Leichen untersuchte
und dabei ihre verschiedenartigsten Entwicklungsstadien aufzeigte.
Er erstellte daraufhin ein Register der gefundenen Insekten im „Journal of
the New York Entomology Society“ … [mit dem minuziösen Titel] „A Contribution of the Study of the Fauna of the Grave: A Study of One
Hundred and Fifty Disinterments, With Some Additional Experimental Observations“
(„Ein Beitrag zur Untersuchung der Tierwelt in Gräbern: Untersuchung
an 150 Exhumierungen nebst einiger zusätzlicher experimenteller
Beobachtungen“). Auch sechs Jahrzehnte später gab es die ersten
Dossiers in Knoxville, Tennessee, wo sich auch seit Anfang der 1970er
Jahre die Body Farm (Forschungsareal mit Körperspenden, folgt im Punkt
2.1.3.2) befindet. Dem Insektenkundler H. B. Reed ging es um dort allerdings
vorerst nicht darum, Insekten zu erforschen. Er verfolgte einen ökologischen
Ansatz, mit dem er herausstellen wollte, wie eine Leiche, das
kleine Ökosystem verändert, in dem sie verwest. Währenddessen machte
er an seinen für die Forschung ausgelegten Hundekadavern die Entdeckung,
vieler unterschiedlicher Insektenarten. Da sich seine Ermittlungen
über einen längeren Zeitraum erstreckten, konnte er unter anderem bei
warmen oder kaltem Wetter, im Gelände oder im Wald festhalten, welche
Insektenarten wann und wo zu finden waren sowie die Geschwindigkeiten
in der ihre Arbeit, bei unterschiedlichen Bedingungen, verliefen.
Einer der momentan populärsten Kriminalbiologen, der dieses Feld respektabel
beherrscht, ist der Dipl.-Biol. Dr. rer. medic. Mark Benecke. Über
ihn und seine Arbeit auf der Body Farm in Tennessee wird im Weiteren
noch berichtet. Zur jetzigen Zeit wird die Kriminalbiologie in dem Bereich
der forensischen Entomologie immer bekannter und es interessieren sich
stets mehr Menschen für diesen Arbeitszweig – allerdings wie Herr Benecke
in seinen Büchern und Interviews beteuert, hauptsächlich Frauen.
Niemand weiß, woran es liegt.
„[…] 1999 […] ahnte kein Mensch, wie populär die Kriminalbiologie innerhalb
weniger Jahre werden würde. Der Begriff war ausgestorben; das
Fach wurde an keiner deutschen Universität oder Polizeischule mehr gelehrt.
Heute sind unsere Kurse überlaufen […].“
Ist es also nun an der Zeit, das Fach und vor allem die forensische Entomologie
in den Modulplan der Polizeihochschulen aufzunehmen? Wurde
diesem Themenbereich bislang zu wenig Beachtung geschenkt, obwohl
es eine sichere und gute Methode ist, die Leichenliegezeit zu bestimmen
und somit als unbedingt wissenswert erscheint? Oder ist dieses Thema
lediglich momentan in vieler Munde, da es sich um eine Modeerscheinung,
durch gegenwärtige beliebte Fernsehserien wie CSI* oder Medical
Detectives* handelt? Durch die Befragung des Kriminalbiologen Dr. Benecke
im Punkt 3.2 dieser Arbeit und dem Beamten der Mordkommission
Bremen Herrn Mojen in Punkt 3.1 wird im Folgenden dieser Fragestellung
nachgegangen.
Im weiteren Verlauf des Textes werden die Reaktionsschemata des sterbenden
Körpers thematisiert und mit der anschließenden Arbeit der Ermittler
und Ärzte verknüpft. Diese besitzen die Pflicht zur Aufklärung, ob es
sich um einen natürlichen, einen unnatürlichen oder einen unlösbaren Todesfall
handelt. Ab dem Zeitpunkt, an dem eine Person als tot bezeichnet
wird, ist der Körper zwar regungslos, allerdings geschehen innerlich weiterhin
einzelne Vorgänge, die als Stadien der Zersetzung bezeichnet werden.
Einige treten noch am selbigen Tag ein, ein paar Minuten oder Stunden
nach dem Tod, andere dafür erst Tage, Wochen oder Monate später.
Dadurch, dass sich die Wissenschaft schon seit geraumer Zeit mit diesem
Thema beschäftigt, wurde schon sehr früh damit begonnen diese Stadien
zu untersuchen. Somit ist es uns heute möglich, eine gefundene Leiche
ihrem Zersetzungsphase und somit ihrem Todeszeitpunkt zuzuordnen. Es
gibt Methoden und Untersuchungen, die schon seit hunderten von Jahren angewandt werden. Dem gegenüber steht nun die moderne Möglichkeit
der Leichenliegezeitbestimmung anhand von Insekten und der Kriminalbiologie.
Welche Methode ist einfacher, genauer oder praktischer?
Es wird in dieser Arbeit anfangs die Tatortarbeit aufgezeigt, in der schon
früh Fehler gemacht werden können, die anschließende irreparable Auswirkungen
auf das gesamte Ermittlungsergebnis haben können. Infolgedessen
wird die konventionelle Methode der Todeszeitbestimmung beschrieben,
deren Möglichkeiten und Fehler und worauf es zu achten gilt. In
diesem Zusammenhang werden frühe und späte Leichenerscheinungen
präzisiert und daran die Aussichten erschlossen, wie eine Liegezeit bestimmt
werden kann. Im Anschluss wird das moderne Verfahren anhand
der Insekten, mit deren beträchtlicher Artenvielfalt, dargestellt und deren
Vor- und Nachteile aufgezeigt.
Zudem wird letztendlich die Frage erläutert, ob es sich lohnt, einen solchen
Berufszweig in Deutschland netzwerkartig aufzubauen oder ob das
aufschäumende Interesse an dieser Arbeit nur von kurzweiliger Dauer und
in ein paar Jahren aus unseren Köpfen wieder verschwunden ist. Anhand
von Abbildungen und Beispielfällen lassen sich die Todeszeitberechnungen
gut darstellen.
Hauptteil
Die Arbeit mit dem Tod
„Wer mit Leichen umgeht, hat dabei die gebotene Ehrfurcht vor dem toten
Menschen zu wahren.“ - § 2 Satz 1 Gesetz über das Leichenwesen. Vom
27. Oktober 1992.
Tatortarbeit
Vorgehensweisen
Das Verhältnis zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei ist „unfertig und in
seinen Grenzen unbestimmt, weil es an einer organischen Verbindung
zwischen beiden fehlt.“ Auch in seinem Buch „Mordmethoden. Ermittlungen
des bekanntesten Kriminalbiologen der Welt“ (2002) publiziert Mark
Benecke, es müsse immer eine enge Zusammenarbeit zwischen den
verschiedenen Ermittlergruppen in einem Fall geben. Egal wie unterschiedlich
ihr Arbeiten auch sei, eine ständige Kommunikation und der
fortlaufende Austausch über weiterführende Resultate seien essentiell.
Jede Abteilung und jeder Zweig besitzt seine zugeteilten Aufgabenfelder,
aber nur das Zusammentragen aller Erkenntnisse kann zu einem weiterführenden
Ergebnis vorangehen. So wird nun im Folgenden ein Einblick in
die konventionelle Arbeitsmethode der Kriminalisten an einem Tat- oder
Fundort gegeben und anschließend die moderne Methode der Kriminalbiologie
verdeutlicht. In beiden Variationen ist zudem die Verknüpfung
zwischen der Arbeitsweise der Polizei und anderen Fachdienststellen repräsentiert.
Um eine Tat rekonstruieren zu können, ist der Tatort der wichtigste Ausgangspunkt.
Hier hat der Täter agiert und Spuren hinterlassen. Eine Tatortbegehung
sollte nie unüberlegt und ohne Konzept erfolgen. Dies könnte
zur Vernichtung wichtiger Beweise führen. Wenn die Tatortarbeit professionell
erledigt werden soll, müssen einzelne Segmente vor Ort von Anfang
an im Bewusstsein eines jeden Kriminalisten sein. Wie bei jeglichem
anderen Arbeitsfeld gibt es auch hier Dinge, die wichtige Grundlagen für
die Abarbeitung darstellen. Dazu gehört beispielsweise der „Erste Angriff“,
der alle unaufschiebbaren Maßnahmen umfasst, die in der Bearbeitung
Erkenntnisse zur Tataufklärung liefern könnten. Der bedeutsamste Grundsatz
ist hier die Absperrung des Tat- oder Fundortes, damit alle ab dem
Zeitpunkt stattfindenden Veränderungen bemerkt und dokumentiert werden
können und alles weitere in polizeilicher Hand liegt. Nachdem die
Maßnahmen des „Ersten Angriffs“ getroffen wurden, folgt der „Sicherungsangriff“.
Unter diesem Begriff fallen alle aufkommenden Erstmaßnahmen,
wie die Erste Hilfe oder die Abwehr weiterer möglicher Gefahren,
beispielsweise einem Feuer oder Personen von denen eine Gefahr ausgeht.
15 Die wichtigste Regel lautet hier: „Augen auf, Mund zu, Hände in die
Taschen.“16 Alle Dinge, die ohne Handschuhe oder ohne zu Überlegen
berührt, verschoben oder in sonstiger Weise verändert werden, müssen
protokolliert werden, damit sie nicht zu unerkannten Trugspuren (siehe
Punkt 2.1.1.2) führen.
Spurenkunde
Es können prinzipiell zwei Arten von Spuren auftreten. Die einen kennzeichnen
sich durch ihre Individualität und ihre Einzigartigkeit (Werkzeugspuren
oder Fingerabdrücke) und die anderen sind identifizierbare Spuren
(Textilfasern oder Lackpartikel – diese können ihrem Ursprung genau oder
zumindest im Groben zugeordnet werden). Den Begriff Spur zu definieren
erfolgt vorwiegend in der Form, dass es sich um sichtbare oder latente
materielle Veränderungen, die im Zusammenhang mit einer Tat entstanden
sind und die einen Beitrag zur Aufklärung leisten können, handelt. Zu
unterscheiden gelten hierbei jedoch die Trug- (stehen nicht im Zusammenhang
mit der Tat, sind vorher oder derweilen durch Neugierige oder
Rettungskräfte entstanden) und die fingierten Spuren (absichtlich vom Täter
als Ablenkung verursacht). Über das Vorhandensein von jeglichen
Spurenarten sollte sich jeder Beamte vor Betreten des Fundortes bewusst
sein, damit keine unnötig verändert oder vernichtet werden. Alle Spuren
sind nun nach Möglichkeit für nachfolgende Untersuchungen zu sichern.
Im Weiteren sind Personen festzustellen, von denen Hinweise zum Tatgeschehen
erwartet werden können, Zeugen, Tatverdächtige u.a.* und weitere
Dienststellen, deren Zuständigkeit hier obliegt, sind zu benachrichtigen.
Als letzter Abschnitt erfolgt nach dem „Sicherungsangriff“ der „Auswertungsangriff“,
der eigentliche Beginn der Ermittlungsarbeit. Es wird der
Tatort untersucht. Die Maßnahmen konzentrieren sich im Groben auf folgende
Aspekte: Festlegung der Führung, Einrichten einer Befehlsstelle,
Tatortabsperrung überprüfen und gegebenenfalls verändern, Tatortbesichtigung
in Ruhe und ohne Hast, mögliche Sachverständige hinzuziehen,
Suche und Sicherstellung von Beweismitteln, Ermittlung und Vernehmung
von Zeugen und Tatverdächtigen, mögliche Fahndungsergänzungen und die Einleitung einer Medienbetreuung einleiten. Wichtig ist, dass es sich
bei keiner Aufzählung, Erklärung oder Definition um abschließend zu betrachtende
Angelegenheiten handelt, da der Blick eines Beamten immer
weitreichend und auf neuen Fortschritt oder noch nicht in Betracht gezogene
Möglichkeiten gerichtet sein muss. Fehler gehören zum menschlichen
Dasein, allerdings sollte versucht werden, an einem Tat- oder Fundort
diese durch größtmögliche Konzentration und Präzision zu vermeiden.
Begangene Mängel sollten nach Möglichkeit korrigiert werden, indem sie
im Bericht festgehalten oder schnellstmöglich durch neue Maßnahmen
behoben werden – beispielsweise eine unzureichende Absperrung zu vergrößern
oder zu vermeiden gewesenen Veränderungen am Tatort den
dort arbeitenden Beamten mitteilen und im Bericht vermerken. Vor allem
bei Leichensachen* muss bewusst sein, dass manche Fehler irreparabel
sind, wenn an der Leiche Veränderungen vollzogen oder Tatmittel beispielsweise
verschoben wurden. All dies erschwert die Rekonstruktion des
Falles und somit seine Aufklärung enorm. Um auch andere Vorgänge
außerhalb des Wissensstandes der Kriminalistik verstehen und besser
beurteilen zu können, sollte der in Punkt 2.1.1 genannte Kreislauf der interdisziplinären
Zusammenarbeit verschiedener Arbeitsfelder (Polizei,
Rechtsmedizin, Forensiker, Statiker, Biologen, Mediziner u.a.) stets den
Möglichkeiten entsprechend stattfinden.
Maßnahmen bei Leichenfund
Wenn bei einer aufgefundenen Person keine Lebenszeichen mehr feststellbar
sind, beginnen die Ermittlungen, die den Tathergang rekonstruieren
lassen sollen, um einen natürlichen (Krankheit, Alter, ohne Fremdverschulden),
einen unnatürlichen (Unfall, Selbsttötung oder sonstige Einwirkung von außen, gem. § 159 StPO muss ermittelt werden) oder einen
ungeklärten (Todesart kann mit den zur Verfügung stehenden Behelfen
nicht ermittelt werden) Todesfall zu bestätigen. Ein wichtiger Bestandteil
ist nun die Informationssammlung in jegliche Richtung sowie der Versuch,
die Todesart und den Todeszeitpunkt zu klassifizieren. Es sind der Kriminaldauerdienst*
und ein Amtsarzt zu informieren. Die Ermittler und die
Spurensucher müssen durch ihre Arbeit feststellen, ob der Ort, an dem die
Leiche gefunden wurde, auch der Tatort ist oder ob die Person erst nach
ihrem Tod dort abgelegt wurde. (Unterscheidung Fund- und Tatort!).
Ebenso wird versucht die Identität des Opfers festzustellen. Bei erst kurzzeitig
Verstorbenen, könnte durch die Beschreibung der Leiche (männlich/
weiblich, Größe, Gewicht, etwaiges Aussehen, Kleidung, besondere
Merkmale wie Tätowierungen, Narben, Schmuck, festzustellende Krankheiten
u.a.), eine Verbindung zu vermissten Personen der letzten Tage/
Wochen/Monate gezogen werden. Weitere Identifizierungsmöglichkeiten
sind die daktyloskopischen* Untersuchungen, Röntgenbilder oder der
Zahnstatus. Bringen diese Methoden keinen Erfolg, kann allerdings die
anschließende Bestimmung des Todeszeitpunktes und somit der Leichenliegezeit
Rückschlüsse auf die Identität geben. So wird errechnet, wie lange
die Leiche schon tot ist. Es eröffnet sich somit die Möglichkeit, für den
Zeitraum Verbindungen zu Vermissten zu ziehen. Die Reihenfolge der Untersuchung,
zunächst durch die Spurensicherung (äußerliche Spurensuche
an Kleidung, mitgeführten Gegenständen, Verletzungen) und erst im
Anschluss durch den Rechtsmediziner (weiterführende Spurensuche, Gewebeproben,
Obduktion) ist von großer Bedeutung. Die Spurensuche am
Opfer durch Ermittler oder dem ÄBD* erfolgt nun über eine äußerliche Leichenschau, „Die Leichenschau wird von der Staatsanwaltschaft, auf Antrag
der Staatsanwaltschaft auch vom Richter, unter Zuziehung eines Arztes
vorgenommen. Ein Arzt wird nicht zugezogen, wenn dies zur Aufklärung
des Sachverhalts offensichtlich entbehrlich ist.“ Die Leichenschau
ist dann durchzuführen, wenn eine Straftat nicht ausgeschlossen werden
kann. Zu Beginn der äußeren Leichenschau, muss sich vorerst ein Gesamtüberblick
über die Situation verschafft werden. Sind Medikamente
vorhanden? Liegen Alkoholflaschen oder Spritzbesteck herum? Sind irgendwo
Blutspuren oder andere Spuren eines Kampfes? Sind sonstige
Auffälligkeiten oder Tatwerkzeuge ersichtlich? Wie und wo Gegenstände
oder Körperflüssigkeiten gefunden werden, sollte in Protokollen, Skizzen
und nach Möglichkeit auf Fotografien für die spätere Beweisführung und
die Rekonstruktion festgehalten werden. Um nun die Leichenliegezeit
bestimmen zu können, gibt es unterschiedliche Verfahrensmöglichkeiten,
die im Folgenden aufgeführt werden.
Konventionelle Vorgehensweise der Leichenliegezeitbestimmung
Die Leichenschau
„Kriminalistik nennt die Methoden der Verbrechensverhütung und Strafverfolgung
mit Beweisfindung, Beweissicherung und Beweisführung. Sie bedient
sich der Natur- und Geisteswissenschaften. Um sie im Detail zu verstehen,
ist eine weitere Unterteilung in Teildisziplinen notwendig.“ Diese Teildisziplinen spalten sich in Kriminalstrategie (Gesamtes Konzept der
Prävention), die Kriminaltaktik (Einzelfallorientiertes Vorgehen), die Kriminaltechnik
(die Spurenkunde), die Kriminalmedizin (fachliche Untersuchung
des menschlichen Körpers, außen und innen), die Kriminalpsychologie
(profiling) und die Kriminaldienstkunde (erklärt Ablauf- und Aufbauorganisation
bei der Verbrechensbekämpfung). Im Weiteren wird sich mit
der Kriminalmedizin befasst, die die Untersuchung von Leichen, innerlich
und äußerlich beinhaltet, um einem möglichen Täter die Schuld nachweisen
zu können oder Zeugenaussagen auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen
zu können.
Die Leichenschau entwickelte sich aus der Angst unserer Vorfahren, lebendig
begraben zu werden. Es gab keine reglementierten Verfahren,
nach denen genau festgestellt werden konnte, ob eine Person verstorben
oder lediglich scheintot war. Auch der Zustand der Bewusstlosigkeit war
noch nicht bekannt, mit dem unter anderem eine kaum noch feststellbare
Atmung einhergeht. So wie die Weiterentwicklung der Rechtssysteme
stattfand, entwickelten sich ebenso die ärztlichen Möglichkeiten der Todesfeststellung
weiter. Es wurde seit jeher niemandem mehr vor seiner
Beerdigung ein Messer in das Herz gestochen, um wirklich sicher zu gehen,
dass er tot sei. Die Ärzte und Wissenschaftler forschten und entwickelten
Grundsatztheorien zur Bestimmung des Todes. So wurden Ärzte
nun immer häufiger zu Tatorten gerufen, um den Tod selbst und wenn
möglich auch die Todesursache festzustellen. Hieraus entwickelte sich
später die Pflicht der Leichenschau, die heute in jedem Bundesland in eigenen
Ländergesetzen geregelt ist. Der Oberbegriff ist hier das „Friedhofs-
und Bestattungsgesetz“. Die Beamten, die als erster einen Fundort betreten und eine leblose Person vorfinden, müssen Erstmaßnahmen vornehmen,
um zu entscheiden, ob noch Aussichten auf Rettung bestehen
oder ob es sich bereits um einen Todesfall handelt, denn die Abgrenzung
der möglichen Reanimierbarkeit mit der Feststellung des Todes ist
die wichtigste Funktion der Leichenschau. Ebenso gilt dies, wenn beispielsweise
ein Hausarzt als erster zu einem Toten gerufen wird. Vor Ort
muss konstatiert* werden, ob einerseits die Person wirklich verstorben ist
und andererseits, ob die Möglichkeit besteht, dass dies nicht unter natürlichen
Umständen geschehen sein könnte. Sobald die kleinste Eventualität
eines unnatürlichen Todes besteht, muss die Polizei informiert werden. In
der Situation wird der Amtsarzt hinzugezogen, der eine Legalinspektion,
eine gerichtliche Leichenschau, durchführt. Hier steht eine mögliche
rechtswidrige Tat im Fokus, die es aufzuklären gilt. Sollten weiterhin Zweifel
bestehen unter welchen Umständen die Person zu Tode gekommen
ist, folgt die rechtsmedizinische Untersuchung, die eine innere Leichenschau,
die Obduktion, beinhaltet.
Unsichere Todeszeichen
Generell kann zwischen sicheren und unsichere Todeszeichen unterschieden
werden. Zu den unsicheren gehört zum einen der Stillstand der
Atmung. Derartig kann bei kranken oder alten Menschen das Vorkommnis
eintreten, dass bei der ersten Überprüfung keine Atmung feststellbar ist,
obwohl sie dennoch sehr gering besteht. Damit geht einher, dass auch der
Puls oder der Herzschlag kaum noch ohne medizinische Hilfsmittel diagnostiziert
werden können. Die Haut nimmt unter Umständen eine gräuliche
Blässe an, wie sie sich auch bei verstorbenen Menschen hervorhebt und es kann sich eine komplette Lähmung aller Muskeln entwickeln. Ein weiteres
unsicheres Zeichen ist das Abkühlen der Person. Eine solche Temperaturveränderung
kann ebenso krankheits- wie altersbedingt sein. Sollte
die Person jedoch verstorben sein, kann das Abkühlen des Körpers teilweise
Rückschlüsse auf den Todeszeitpunkt geben. Einerseits hängt der
Fall der Körpertemperatur von der Umgebungstemperatur und der Kleidung
der Person ab, andererseits auch von dem Alter und dem körperlichen
Verfassung. Kinder und unterernährte Personen kühlen schneller ab,
normalgewichtige Menschen etwa 1°C pro Stunde, wenn die Umgebungstemperatur
18°C bis 20°C beträgt. Dieser Abfall findet etwa fünf bis acht
Stunden post mortem* statt. Prämisse ist, dass die Person vor ihrem Tod
eine normale Körpertemperatur besaß. Die Vorgehensweise ist, dass diese
Temperatur stets rektal gemessen sowie die Umgebungstemperatur
jede viertel Stunde neu abgemessen und protokolliert wird. Ein weiteres
unsicheres Todeszeichen stellt die Bewusstlosigkeit dar. Auch wenn es
noch so unwahrscheinlich scheint, dass die Person nach einem Sturz,
nach einer Verletzung oder nach dem Bergen aus dem Wasser noch lebt,
muss überprüft werden, ob sie möglicherweise dennoch nur bewusstlos
ist. Sind bei einer Auffindesituation an dem Körper lediglich die nicht sicheren
Todeszeichen vorhanden, müssen von den Beamten Maßnahmen
der ersten Hilfe eingeleitet werden, bis ein Arzt vor Ort ist. Weitere unsichere
Merkmale sind fehlende Reflexe und eine fehlende Pupillenreaktion
sowie Vertrocknungen an Schleimhäuten, Wunden oder weite Pupillen.
Sichere Todeszeichen
Als „Agone“ wird der fließende Übergang vom Leben zum Tod bezeichnet.
Es ist der Zeitraum kurz vor dem Versagen des Kreislaufs und der Atmung.
Die schweizerische Akademie der medizinischen Wissenschaft
veranlasste, dass „Richtlinien für die Definition und die Diagnose des Todes“ erstellt werden. Demnach wurden Bedingungen entwickelt, bei denen
eine oder beide zutreffen müssen, um die Person als tot zu betrachten.
Während eine der beiden den Herz-Kreislauftod darstellt, mit dem ein
„irreversibler Herzstillstand mit der dadurch unterbrochenen Blutzirkulation
im Organismus und damit auch im Gehirn“ einhergeht, kann als weitere
Bedingung der zerebrale Tod angeführt werden. Dies ist der „vollständige[…],
irreversible[…] zerebrale[…] Funktionsausfall oder Tod des Gehirns“.
Eine genauere Feststellung über den möglichen Todeseintritt lassen die
sicheren Todeszeichen zu. Hier ergibt sich eine weitere Unterteilung in
frühe und späte Leichenerscheinungen. Das früheste Merkmal sind die
Totenflecken, auch als Livores bezeichnet. Nach dem Eintritt des Todes
sinkt das Blut der Schwerkraft folgend ab. Die Körperteile, die dabei der
Erdoberfläche zugewandt sind, werden nun gefüllt.
Die Flecken nehmen meist eine blau-graue bis violette Färbung ein.Die Flecken nehmen meist eine blau-graue bis violette Färbung ein. Wenn sie sich anders färben, kann dies ein Indiz für eine Vergiftung sein.
Hellrote Flecken entstehen bei Kälte, einer Kohlenmonoxid- oder Blausäurevergiftung.
Eine blassrosa- Farbe oder das fast vollständige Fehlen bezeichnet
einen hohen Blutverlust, bräunliche eine mögliche Schlafmittelvergiftung.
Auch der Leichengeruch kann Anhaltspunkte für eine Vergiftung
liefern. Aus diesem Grund sollten an einem Tatort alle Sinne der Ärzte
und Ermittler sensibilisiert sein. Die Totenflecken treten etwa 20 bis 30
Minuten nach Todeseintritt in kleiner Form auf und fließen nach weiteren
Wenn sie sich anders färben, kann dies ein Indiz für eine Vergiftung sein.
Hellrote Flecken entstehen bei Kälte, einer Kohlenmonoxid- oder Blausäurevergiftung.
Eine blassrosa- Farbe oder das fast vollständige Fehlen bezeichnet
einen hohen Blutverlust, bräunliche eine mögliche Schlafmittelvergiftung.
Auch der Leichengeruch kann Anhaltspunkte für eine Vergiftung
liefern. Aus diesem Grund sollten an einem Tatort alle Sinne der Ärzte
und Ermittler sensibilisiert sein. Die Totenflecken treten etwa 20 bis 30
Minuten nach Todeseintritt in kleiner Form auf und fließen nach weiteren 30 Minuten zu einer großen Fläche zusammen. Die Flecken bilden sich
nicht dort, wo die Leiche direkt auf dem Boden liegt (Gesäß, Schulterblätter),
da die Gefäße dort abgedrückt werden. Innerhalb der ersten sechs
Stunden nach Todeseintritt, können sich die Livores bei Umlagerung des
Körpers vollständig zurück- und in der veränderten Position neu bilden, da
das Blut in dieser Zeitspanne noch verlagerbar ist. Nach etwa sechs bis
zwölf Stunden ist das Blut insoweit verdickt, dass die Totenflecken nur
noch teilweise umlagerbar sind und sie sowohl an der alten Lagerungsposition,
als auch an der neuen erkennbar sind. Bei vergangenen zwölf bis
14 Stunden nach Eintritt des Todes, ist die Umlagerbarkeit der Flecken
abhanden gekommen, da das Blut zu stark verdickt ist und festgesetzt hat. Bei Wegdrückbarkeit der Flecken (Anlage 1 Bildanhang, Abb. 2.1), kann
darauf geschlossen werden, dass die Person nicht länger als 20 bis 30
Stunden verstorben ist. Krankheiten können ebenso ein Auslöser für eine
solche Art von Flecken auf der Haut sein. Aus diesem Grund darf nach der
Feststellung des Vorhandenseins nicht direkt vom Tod der Person ausgegangen
werden. Aufgrund der Erkenntnisse über die Zeitangaben des Erscheinens
der Totenflecken und der Umlagerungsfähigkeit, ist dies eine
erste angemessene Methode, um die Leichenliegezeit berechnen zu können und zudem ein Hinweis für die Ermittler auf die Körperhaltung oder
die Verlagerung des Toten sowie der Untergrund des Aufliegens, falls dieser
sich als Muster am Körper widerspiegelt. Ein weiteres sicheres Todesmerkmal
ist die Totenstarre (Rigor mortis), die in etwa zwei bis drei
Stunden post mortem eintritt. Der Vorgang beginnt am Herzmuskel, ist
äußerlich jedoch erst nach etwa zwei bis drei Stunden am Kiefergelenk
erkennbar und breitet sich den Gliedmaßen entlang zu den Füßen hin aus.
Sie erfolgt dadurch, dass die Muskulatur primär erschlafft. Eine komplette
Ausbreitung erfolgt nach etwa sechs bis zwölf Stunden. Bei dem Versuch,
das Kiefergelenk, die Arme oder die Beine zu bewegen kann demnach
festgestellt werden, in wie weit die Starre vorangeschritten ist. 24 Stunden
bleibt die Starre in etwa gleicher Intensität vorhanden, danach bildet sie
sich in umgekehrter Reihenfolge zurück. Diese Rückbildung ist nach etwa
drei Tagen vollständig abgeschlossen. Bei der Leichenstarre ist vor allem die Außentemperatur und die Kleidung
der Person von enormer Wichtigkeit. So beschleunigt Wärme den Prozess,
wohingegen Kälte ihn verlangsamt. Aufgrund dieser großen Abhängigkeit
von der Temperatur, ist die Totenstarre kein exaktes Mittel zur Liegezeitbestimmung. Allerdings ist der Faktor zu berücksichtigen, dass sich
die Starre nach gewaltsamen Brechen nur wieder neu bildet, wenn dies in
den ersten acht Stunden nach dem Tod vorgenommen wird. Entsprechend
der Totenflecken, sind auch die Zeitangaben jeweils Normwerte,
die bei normaler Zimmertemperatur, normaler Kleidung und keinen extremen
Wetterverhältnissen angenommen werden. Aus diesem Grund sind
die Feststellungen der Temperatur, des Wetters, der Kleidung der Leiche
u.a.* wichtige zu notierende Aspekte für den Rechtsmediziner. Nur anhand
der genauen Zustände kann er auf den Todeszeitpunkt zurückrechnen.
Nachdem der Vorgang der frühen Todeszeichen abgeschlossen ist, beginnt
der Körper sich mehr und mehr zu zersetzen und es treten die späten
Leichenerscheinungen ein. Die erste ist die Autolyse, die Selbstauflösung.
Sie beinhaltet den Zellverfall des Körpers selbst. Hierbei sind noch
keine Bakterien oder Tiere beteiligt, sondern nur körpereigene Enzyme.
Die Lösung der Totenstarre ist ebenfalls involviert. Der anschließende
Prozess ist die Verwesung, die von den Bakterien im Darm erwächst. Sie
beginnt in der ersten Todeswoche am Bauch und bringt eine grünliche bis
grün-schwarze Verfärbung der Haut wie auch der von außen sichtbaren
Venen mit sich. Aufgrund von Gasbildung bläht sich der Bauch der Leiche
in der zweiten Woche nach dem Tod auf, bis hin zum Austritt von Flüssigkeiten
aus Mund und Nase und der Entleerung der Harnblase und des
Enddarms. Es entstehen Fäulnisblasen und Haare, Finger- sowie Zehennägel
beginnen sich zu lösen. Für die Leichenliegezeitberechnung ist die
1-2-8-Regel nach Casper zu beachten. Ein toter Körper verwest an der
Luft am schnellsten, benötigt doppelt so lange unter der Erde und acht Mal
so lange unter Wasser. Für die Fäulniserscheinungen sind die oben genannten
Zeitwerte wieder lediglich Normwerte. Bei sehr hoher Temperatur, wie im Hochsommer, kann der Prozess wesentlich früher, mitunter auch
schon nach einem Tag, beginnen. Die weiteren Stadien sind die Vertrocknung
und die Fettwachsbildung. Die Vertrocknung kann bei geöffneten
Augenlidern dort schon wenige Minuten nach dem Tod eintreten, bei ungeöffneten
dauert es bis zu einem Tag. Das Gewebe verengt sich und
wird hart. Wenn sich dieses Stadium über den Großteil des Körpers erstreckt
und er scheint, als besäße er eine ledrige braun-schwarze Haut,
wird dieser Zustand als Mumifizierung klassifiziert (Anlage 1 Bildanhang,
Abb. 2.2). Diese Form entspringt, wenn sich die Leiche an einem trockenen
Ort mit hoher Temperatur und viel Luftdurchzug befindet. Diese Voraussetzungen
benötigt der Prozess der Vertrocknung. Liegt die Leiche
hingegen an humiden* und wenig aeroben* Orten, begünstigt dies die
Zersetzung zu einer schmierigen grau-gelblichen Masse. Nach etwa drei
Monaten beginnt während dieses Prozesses die Fettwachsbildung, die
den Körper in ihrer Statur erhält und konserviert. Nachdem die zuvor
genannten Vorgänge erfolgt sind, wurde dadurch das Gewebe vom Körper
abgesondert und das Stadium der Skelettierung ist erreicht. Bis das Skelett
vollständig freigelegt ist, können Jahre vergehen. Der Prozess der
Verwesung wird durch Tierfraß und Insektenbefall beschleunigt. Wie sich
die Leichenliegezeit anhand dieser Geschöpfe feststellen lässt, wird im
Weiteren erläutert.
Tabellarische Übersicht zur Todeszeitberechnung
Folglich gibt es eine Zusammenfassung der wesentlichen Möglichkeiten
der Leichenliegezeitberechnung anhand der Zersetzungsstadien:
Ansicht der Tabelle nur im .pdf!
Zudem gibt es weitere Verfahren zur konventionellen Liegezeitbestimmung.
Zu diesen zählt das Abkühlen der Leiche, wie schon in auf Kapitel
2.1.2.2 unter dem Aspekt der unsicheren Todeszeichen erläutert. Ein weiteres
Verfahren ist das Erfassen des Verdauungszustandes, der bei der
Obduktion untersucht wird. Allerdings ist der Vorgang der Verdauung bei
jedem Menschen unterschiedlich, sodass es eher problematisch ist, in eine
Norm zu klassifizieren. Hier hängt zu viel von der Größe, dem Gewicht,
den Lebensumständen, Krankheiten und dem genauen Zeitpunkt der letzten
Nahrungsaufnahme der zu untersuchenden Person ab. Nur wenn alle
benötigten Informationen detailliert vorliegen, kann die Leichenliegezeit
berechnet werden. Dies ist schwer zu handhaben und aus diesem Grund
kein praktikables Mittel. Ein letztes bekanntes Verfahren ist die elektrische
Reizung der Muskulatur. Liegt die Umgebungstemperatur zwischen 10°C
und 25°C, kann anhand der elektrischen Leitfähigkeit der Muskeln auf den
erst kurzzeitig zurückliegenden Todeszeitpunkt zurückgerechnet werden.
Diese Maßnahme ist allerdings nicht weit verbreitet und kann auch nur
vonseiten eines Rechtsmediziners mit entsprechender Apparatur realisiert
werden.
Moderne Möglichkeit der Leichenliegezeitbestimmung
Um der gesamten Kriminalistik, die ein Fall fordert gerecht zu werden, dürfen
sich die Ermittlungen und rechtsmedizinischen Möglichkeiten für die
Todeszeitbestimmung nicht nur auf stereotype Methoden beschränken.
Eine Zusammenarbeit mit anderen Fachbereichen, beispielsweise der
Chemie oder Biologie, muss erfolgen, um eine ausgeprägte Sichtweise
auf die sich bietende Optionen der Fallbearbeitung sowie der Falllösung
zu erhalten. Eine in den letzten Jahren stets bekannter gewordene Anwendung
ist die forensische Entomologie, bei der die Möglichkeit besteht,
anhand von Insektenfunden auf, neben oder in der Leiche den relativ
exakten Todeszeitpunkt eines Menschen zu bestimmen. Das entsprechende
Lebensstadium eines Insekts sagt mittels der Art oder Größe etwas
über den Todeszeitpunkt und teilweise auch über die Todesursache
aus.
Wird in diesem Zusammenhang ein Gutachter oder Sachverständiger herangezogen
werden soll, sind einige formale und notwendige Elemente zu
beachten. Zunächst obliegt das Privileg der Einholung eines Gutachtens
nur dem zuständigen Sachbearbeiter des Fachkommissariats, wobei
ebenso eine Zustimmung der Staatsanwaltschaft erfolgen muss. Alle erteilten
Aufträge werden in Tabellen registriert, um den Überblick zu behalten.
Die Frage nach der „sachlichen Notwendigkeit“ ist infolge der gesamten
Ermittlungen abermals zu stellen und bei neuen Ermittlungsergebnissen
beizubehalten, zu verändern oder aufzuheben. Unter die Sachverständigen
fallen auch die Kriminalbiologen, die anhand von Insekten
die Leichenliegezeit bestimmen können. In den folgenden Punkten werden
ihre Arbeitsmethoden erläutert. Eine wissenswerte Bemerkung in diesem
Zusammenhang erlaubt die erklärende Unterscheidung zwischen Rechtsmedizinern, Pathologen und den amerikanischen forensic pathologists
(forensische Pathologen). Um sich einen Rechtsmediziner zu nennen,
bedarf es einer langjährigen und spezialisierten Ausbildung zum
Facharzt, wie es auch in dem Berufszweig des Pathologen der Fall ist. Der
Rechtsmediziner befasst sich dann „mit unnatürlichen Todesursachen und
Gewalteinwirkung wie Erhängen, Ertrinken, Erwürgen oder einer Überdosis
Drogen“56, der Pathologe hingegen nimmt die Unterscheidung eines
gutartigen von einem bösartigen Tumors vor, also der „krankhaften Veränderungen
von Zellen“. Die amerikanischen forensic pathologists dementgegen
genießen vorerst eine Ausbildung in der Erkennung eines bösund
eines gutartigen Tumors und angrenzend eine Weiterbildung in der
Beurteilungsfähigkeit, ob ein natürlicher oder unnatürlicher Tod vorliegt.
Durch die deutsche Übersetzung in forensische Pathologen kommt es in
diesem Punkt häufig zu Irritationen und Verwechslungen.
Geschichtliche Einführung in die forensische Entomologie
Seit über 100 Jahren wird die forensische Entomologie bereits angewandt,
die sich vor allem mit der Verbreitung von Insekten auf Leichen beschäftigt.
Da auch hier der Fortschritt keine Unterbrechung aufzeigt, ist diese
Wissenschaft heute so weit ausgeprägt, dass sich mittels der Untersuchungen
die Liegezeit von Leichen zuverlässig präzisieren lässt. Da Insekten
die größte Gruppe von Lebewesen auf der Erde sind, lässt die
Vermutung zu, dass Forscher schon vor einigen Jahrhunderten die „Freßlust“(
sic!) der kleinen Zersetzungshelfer erkannten. Es sind bereits Niederschriften aus dem 18. Jahrhundert bekannt, in denen aufgeführt ist, wie
Insekten Tierleichen befallen. Zudem wurden Grabplatten aus dem 16.
Jahrhundert gefunden, auf denen von Maden befallene Leichen abgebildet
sind.
Bis allerdings die ersten Wissenschaftler und Forscher auf die Idee kamen,
die Insekten als Helfer im Hinblick auf die Todeszeitpunkteingrenzung
zu nutzen, dauerte es noch bis Mitte des 19. Jahrhunderts. Hier trat
das Manifest in Erscheinung, eine anhand von Insekten untersuchte Babyleiche
aus Frankreich, sei länger verstorben als anfangs angenommen, da
die gefundenen Maden in einem Stadium waren, zudem sie mehrere Wochen
benötigen. Der erste Wissenschaftler, der die Bedeutung diese kleinen
Helfer in Bezug auf die Bearbeitung von Tötungsdelikten erkannte,
war Dr. Reinhard, ein Dresdener Arzt, in Zusammenarbeit mit dem Insektenkundler
Brauer. Nebenher begann der Franzose Mégnin die Besiedlungswellen
für Leichen zu einzuteilen. In dieser Auflistung zeigte er die
verschiedenen Gruppen von u.a.* Fliegen und Käfern auf, die unterschiedliche Zersetzungsstadien (Verwesung, Vertrocknung, u.a.) einer Leiche
bevorzugen. Diesen Anfängen in Deutschland und Frankreich folgten eine
Reihe weiterer Fallberichte, die anhand dieser Methode gelöst wurden.
Grundbausteine für die moderne Weise der forensischen Entomologie legten
dann aber die in der Einleitung bereits erwähnten Belgier Leclercq und
Lambert, die den Fall des Mordes im Reisfeld aus dem 13. Jahrhundert
neu untersuchten und konzedierten. Durch ihr Werk rückte die Arbeit der
forensischen Entomologen in den Fokus der Öffentlichkeit und mit dem
Aufblühen der Arbeit auf der Body Farm (Punkt 2.1.3.2) gab es mehr und
mehr Interessenten, die sich diesem Thema annahmen.
Die „Body Farm“
250 South Stadium Hall, University of Tennessee, Knoxville: hier liegt die
„Anthropological Research Facility“ (ARF), deren Umgangsname die „Body
Farm“ ist. Die Anthropologische Forschungseinrichtung einige Kilometer
südlich von Knoxville, im Bundesstaat Tennessee, wurde im Jahr
1971 von dem amerikanischen Anthropologen William M. Bass (*1928 in
Staunten, Virginia) gegründet. Das heutige Gebiet umfasst eine Größe
von ca. „12.000 qm“. Die Arbeit eines Anthropologen beschäftigt sich
mit der „Lehre vom Menschen in natur- und geisteswissenschaftlicher
Sicht in Geschichte und Gegenwart“. Anthropologische Untersuchungen
beziehen sich in weiter Form auf die unterschiedlichsten Nutzungsgebiete
des menschlichen Lebens, die für die Rechtspflege von Bedeutung sind,
unter denen die Völkerkunde, die Humanbiologie sowie ein Teil der Philosophie
fallen. Ein Teilgebiet der Anthropologie, die wiederum eine eigene Wissenschaft darstellt ist die Osteologie (Knochenkunde), mittels derer
eine Leiche durch bestimmte Merkmale im Knochenbau identifiziert werden
kann. Auch die forensische Entomologie, die sich mit der Insektenkunde
und der Leichenliegezeitbestimmung anhand dieser Tiere beschäftigt
ist eine Teildisziplin der Anthropologie.
William Bass bekam von der ansässigen Universität (University of Tennessee
- UT) den Auftrag, ein Forschungsareal für universitäre Knochenkunde
aufzubauen. Er sollte folglich eine Einrichtung konstruieren, mittels
derer die Knochenfunde einer dortig aufgespürten Indianersiedlung untersucht
werden konnten. Die Universität interessierte die Entwicklung des
menschlichen Skelettes von beispielsweise den damaligen Einwanderern
aus Europa mit den heutigen Amerikanern. Es gab natürlich auch schon
vor Bass‘ Untersuchungen jahrzehntelange universelle Vermessungen
von Schädeln, doch er baute das Gebiet weiter aus und erneuerte teilweise
veraltete Zahlen, da sich unter anderem die starken Veränderungen
des Menschen im Gegensatz zum 18. oder 19. Jahrhundert herausstellten.
Wir sind größer und korpulenter geworden, infolgedessen Aufzeichnungen
und Tabellen aus früherer Zeit somit eher unbrauchbar für heutige
Ermittlungen an Leichen sind. Ende der 1970er Jahre wuchs das Interesse
von Bass hin zu den Verwesungsprozessen des Menschen in freier
Natur. Sein Fokus fiel dabei auf die Möglichkeit der Leichenliegezeitbestimmung,
die durch die unterschiedlichen Verwesungsstadien erkannt
werden kann. Mittels der dann stattgefundenen Untersuchungen konnte
er zudem beispielsweise die Einwirkung von Krankheiten, dem Alter und
dem Geschlecht bei Personen nach dem Tod erforschen, um Merkmale
herauszuarbeiten, die bei einer Leiche Aufschluss auf beispielsweise einer
Diabetes zu Lebzeiten geben können. Die Methode bestand darin, die
Fäulnisstadien und die Skelettierung der Körper, bei unterschiedlicher Witterung
und in ihren Geschwindigkeiten zu untersuchen und Normalitäten sowie Besonderheiten herauszuarbeiten. (In der Anlage 1 Bildanhang,
geben die Abbildungen 3.1 bis 3.5 einen anschaulichen Eindruck der Body
Farm)
Bass war als Professor an der UT* stets darauf bedacht, seine StudentInnen
mit in seine Forschungen einzubeziehen. Als Arbeitsgebiet stand ihnen
vorerst ein abgelegener Bauernhof zur Verfügung, auf dem ihre Experimente
ungestört reifen/verwesen und beobachtet werden konnten. Ein
Hindernis bestand allerdings darin, dass der Hof und die UT* eine Wegstecke
von drei Stunden trennte, dass im Hinblick auf Unterfangen die
mehrmals täglich überprüft werden mussten, ein großes Problem darbot.
Bass stellte somit die Anforderung an seinen Dekan, dass er ein Gebiet
nahe der Universität benötigte, um sein Vorhaben der Wissenschaft gerecht
durchführen zu können. Dank des Verbotes Anfang der 1980er Jahre,
in den USA im Freien Müll zu verbrennen, wurde das Gelände, auf
dem zuvor der Universitätsmüll vernichtet wurde frei und Bass zur Verfügung
gestellt. Hier konnte er seine Studien nun effizienter entwickeln und
verwirklichen und dies war der Beginn der Body Farm. Die unterirdischen
Kellerräume des an die University of Tennessee angrenzenden
Footballstadiums dienten zu der Zeit sowie auch heute weiterhin als Arbeitsraum,
in dem sowohl Dokumente lagern, als auch Untersuchungen
durchgeführt werden, für die diese Räumlichkeiten von Nutzen sind. Innerhalb
der Footballsaison befinden sich an jedem Wochenende rund
100.000 Menschen in dem Stadion, unter dem zugleich Experimente mit
Leichen zelebriert werden.
Auch wenn sich die Gründung der ARF* sehr reibungslos anzuhören vermag,
gab es indes natürlich auch Probleme. Anwohner beschwerten sich
unter anderem, dass sie von Fliegenschwärmen angegriffen wurden und
es ist bewundernswert, wie sich Menschen von Unbekanntem, wie dem
Tod, anziehen lassen. Um eine Zerstörung der Arbeit auf dem Areal durch unbefugte Schaulustige oder wutentbrannte religiöse Eiferer zu verhindern,
ließ der damalige Dekan einen Zaun um die Farm ziehen. Somit war
ein unbefugtes Eindringen erschwert und durch weitere hinzugekommene
Vorkehrungsmaßnahmen so gut wie unmöglich. (Anlage 1 Bildanhang,
Abbildung 3.4)
Bass wurde mittlerweile von seinem Amt als Leiter der Body Farm von
seinem Nachfolger Dr. Murray Marks abgelöst. Aus heutiger Sicht, sind
die Erforschungen der Verwesungsprozesse und -stadien sowie Insektenbesiedlungen
für die Leichenliegezeit abgeschlossen, sodass annähernd
alle Verbrechensszenarien auf der Body Farm bereits nachgestellt und
untersucht wurden – ob eine Leiche in einem halben Meter oder in zwei
Metern vergraben wurde, ob sie in einem Kofferraum verweste, auf dem
Grund eines Sees lag oder unter einer Betonplatte im Wald zerdrückt und
von Tieren zerfressen. In den letzten Jahren lag das Hauptaugenmerk
somit verstärkt auf einer neuen Möglichkeit, die Liegezeit noch weiter zu
präzisieren. Hier stehen die „biochemischen Zerfallsprozesse der Organe“ im Vordergrund, anhand derer die inneren unterschiedlichen Konzentrationen
der Fäulnisgase eine noch genauere Feststellung in Stundenangaben
liefern sollen. Zudem besteht der Wunschgedanke Messgeräte
zu erfinden oder erfinden zu lassen, die diese Vorstellung umsetzen
werden.
Woher stammen die Leichen auf der Body Farm? Anfangs, als William
Bass sein Forschungsareal aufbaute, musste er sich eigens darum kümmern
Leichen zu organisieren. Er schrieb knapp 100 amtliche medizinische
Sachverständige und Bestattungshäuser an. So kam er zu seiner
ersten gespendeten Leiche aus dem Burris Funeral Home in Crossville, Tennessee, die die Nummer 1-81 erhielt. Heute sind die dortigen Körper
allesamt freiwillig von den Verstorbenen gespendet, entweder direkt an die
Body Farm oder aber zum Zwecke der Wissenschaft zur Verfügung gestellt.
Letztere lassen sich beispielsweise auch in der Ausstellung Körperwelten
(siehe hierzu www.koerperwelten.de) wiederfinden. Zudem können
Verstorbene ohne Angehörige, die aus der Pathologie nicht abgeholt werden
auf die Farm gelangen. Es besteht die Möglichkeit für einen Spender
sich vor seinem Entschluss das Territorial eigens anzuschauen und
sich einen Platz oder eine Art der Liegemöglichkeit (unter der Erde, entgegen
der Sonne) auszuwählen. Einmal jährlich wird eine so genannte
Clean up party vollzogen, bei der die Körper, die ihren Untersuchungszweck
erfüllt haben von der Farm geholt werden, um Platz für neue zu
schaffen. Doch auch das Gedenken an die Toten ist ein Bestandteil der
Arbeit dort. Sie werden zwar als Untersuchungsobjekte in Experimenten
eingesetzt, aber jeder der dort arbeitet und forscht, ob ausgebildeter Wissenschaftler
oder noch Student, ist sich bewusst, dass hinter dem toten
Körper einmal eine lebendige Persönlichkeit gehörte.
Was geschieht, nachdem eine Leiche platziert wurde? Das Gebiet der Body
Farm besitzt verschiedenartige Territorien. Ein Teil liegt an einem
Fluss, eines an einem Berg, eines in einer eher ariden Gegend und ein
letztes besteht aus einem Waldstück. Fast alle Leichen liegen hier auf
dem Bauch gedreht, da ein „Anthropologen-Aberglaube“ besagt, dass
sie so schneller verwesen und sich die Anthropologen eher für das Skelett
oder einzelne Knochen interessieren, als für die Gliedertierkunde an verwesendem
Gewebe. Ebenso erhält jede Leiche für den genauen Überblick wie oben bereits erwähnt eine Nummer und wird mit dieser in allen
Unterlagen registriert. Da die Sommermonate in Tennessee mit sehr
hohen Temperaturen bestückt sind, muss darauf geachtet werden, dass
die Leichen nicht direkt der Sonne ausgesetzt werden, außer es dient einer
Untersuchung, da sie sonst zu schnell vertrocknen und mumifizieren.
Aus diesem Grund liegen viele der Körper unter der Erde, im Wald oder
unter Betonplatten. Jedem, der befugten Zutritt zum Areal der ARF* besitzt,
ist auch der Zugang zu jeder sich dort befindlichen Leiche erlaubt. Er
kann sich tagelang zuseiten setzen, um verschiedenartige Lebewesen zu
beobachten, die in einer eingespielten Reihenfolge der Natur zu diesem
Schauplatz gelangen oder freigelegte Knochen sowie Zersetzungsstadien
bei jeglicher Witterung untersuchen.
„Wie lange liegt die Leiche schon dort?“ War stets die erste Frage, die
Bass gestellt bekam, wenn er an einem Leichenfundort auf einen Polizeibeamten
traf. Da Tennessee (ca. 6,1 Mio. Einwohner auf ca. 109.160km²
Fläche) dichter besiedelt ist, als beispielsweise Kansas (ca. 2,8 Mio. Einwohner
auf ca. 213.096 km² Fläche), wird eine verstorbene Person hier in
den meisten Fällen binnen kürzester Zeit gefunden. Bass‘ Untersuchungen
in Beziehung auf die Verwesungsstadien, waren dann eine gut zu
nutzende Quelle für die Ermittler, um die Leichenliegezeit im frühen Stadium
bestimmen zu können. In dieser Phase spielte der Student William
Rodriguez in den Anfängen der 1980er Jahre auf der ARF* eine wichtige
Rolle. Er begann die, sich auf den Leichen befindenden, Insekten zu erforschen.
Rodriguez entwickelte Versuche, in denen er beispielsweise
Leichen in Käfige und anschließend auf wenig erhöhte Pflöcke legte, um sie vor größeren Tieren zu schützen. Durch diese Maßnahme konnte er
nicht nur die Insekten auf den Leichen, sondern auch solche, die sich darunter
befanden aufspüren, untersuchen, analysieren und dokumentieren.
Diese Methode wird heute allerdings abgelehnt, da festgestellt wurde,
dass Maden nicht aufwärts klettern können und sie somit unnatürlicher
Weise auf der Leiche fehlten. Rodriguez war der Vorreiter, der die „Parade
der Insekten entschlüsselte[…], die in festgelegter Choreographie
zum Schauplatz eines Toten ziehen.“
Die Arbeit eines forensischen Entomologen
Die forensische Entomologie ist ein Instrument der Kriminalbiologie, die
sich eben in die Arbeit der „Biologen (aus den Fachrichtungen Entomologie,
Genetik und Morphologie), Chemiker[…] (Toxikologie) und Physiker[…]“ teilt. Was benötigt man, um Kriminalbiologe zu werden? Laut
dem Experten auf diesem Fachgebiet Mark Benecke (Punkt 3.2) sind
„Gleichmut gegen Widerstände und Verbissenheit in der Sache […] und
[…] viel Spaß an der Freud“ die Grundsätze. Ferner sollte sich ein Wissenschaftler
immer bewusst sein, dass seine Untersuchungsvorgänge
noch so plausibel erscheinen können, aber eventuell auf einer falschen
Ausgangsannahme beruhen könnten. Um diesem Umstand zu entgehen,
hat Mark Benecke in seinem Buch „Dem Täter auf der Spur. So arbeitet
die moderne Kriminalbiologie“ aus dem Jahr 2006 vier Leitsätze aufgestellt,
anhand derer ein solcher Fehlentschluss größtenteils vermieden
werden kann: „1. Vertraue niemandem, vor allem nicht deinen eigenen
Annahmen. 2. Versteht ein zehnjähriges Kind deine Annahme nicht, dann
ist sie vielleicht nicht richtig. 3. Führe Experimente durch, die deine Annahmen sinnvoll prüfen. 4. Nach Ausschluss aller sachlich falschen Möglichkeiten, muss diejenige Begründung stimmen, die übrig bleibt – egal,
wie unwahrscheinlich sie klingt.“ Die forensische Entomologie als Wissenschaft
birgt die Insektenkunde.
Es gibt zur jetzigen Zeit knapp eine Million beschriebene Insektenarten,
mit der allerdings eine Bilanz einhergeht, die eine Zahl zwischen einer und
80 Millionen bisher unbeschriebenen Arten misst. Von den erst genannten
einer Million Tiere, leben etwa 40.000 Arten im mitteleuropäischen Raum.
Da Insekten in ihrer Quantität bereits eine beträchtliche Zahl aufweisen, ist
es nicht überraschend, dass auch ihre äußere Erscheinung von einer solchen
Vielfalt geprägt ist – u.a. flügellos, mit Flügeln bestückt, auffällige
Farbenpracht, unauffälliges Farbschema oder weite Größenunterschiede.
Ein Insekt ist im Groben wie folgt aufgebaut:
- Kopf (Caput): Er ist eine Kapsel und trägt die Mundwerkzeuge, die
Antennen und die Augen mit sich. Innerlich lassen sich dann das Gehirn, das Unterschlundganglion*, der Schlund sowie essentielle Drüsen und Muskeln wiederfinden.
- Brust (Thorax): Zusammensetzung aus drei Teilstücken, der Vorderbrust
(Prothorax), der Mittelbrust (Mesothorax) und der Hinterbrust (Metathorax) genannt.
- Beine (Abbildung 3.7, im Bildanhang Seite 6): Die Bestandteile der
Beine sind die Hüfte (Coxa), der Schenkelring (Trochanter), der Schenkel (Femur), die Schiene (Tibia) und der Fuß (Tarsus).
- Hinterleib (Abdomen): Dieser besitzt einerseits an der Stelle die
Geschlechtsorgane und andererseits die Eigenschaft, hauptsächlich beinlos zu sein, in der Region eine Legeröhre zu besitzen oder aber einen Stachel zugegen entdecken zu lassen.
- Verdauungskanal: Er vollstreckt sich in einem Vorder-, Mittel- und
Hinterdarm.
- Nervensystem(Abbildung 3.8, im Bildanhang Seite 6): Deren Elemente
ziehen sich durch alle drei Körperabschnitte (Kopf, Rumpf und Beine) und dienen der Koordinierung der Funktionen. Dieses Schema organisiert sich in dem Gehirn, dem Bauchmark, dem peripheren* und dem vegetativen* Nervensystem.
- Blutkreislauf: Das Blut der Insekten fließt nicht wie bei größeren Lebewesen
bekannt durch Adern, sondern allein durch Gewebslücken und Höhlen im Körper.
- Atmungsorgane: Sie bilden sich aus so genannten Tracheen, die
vielsträngige Verzweigungen und Verästelungen aufzeigen. Sie finden
sich sowohl im Rumpfbereich, als auch in den Fühlern oder
Flügeln. Der Sauerstoff gelangt durch vorhandene Atemlöcher von
außen in das Tracheennetzwerk.
Jedes Lebewesen hat seinen bevorzugten Lebensraum, seine bevorzugte
Lebensweise, ein optimales Klima zum Leben oder Fortpflanzen oder aber
natürliche Feinde, aufgrund dessen sie nicht an jedem Ort anzutreffen
sind. Die Insekten begannen vor etwa 400 Millionen Jahren unseren Planeten zu besiedeln und beherrschen es hervorragend, sich Umweltbedingungen
und –veränderungen anzupassen. Aufgrund dessen überlebten
sie außergewöhnliche Zeiten, während derer andere Gruppen wie die Dinosaurier,
ausstarben.
Die Entomologen auf der ARF* sind dem Wissen der Artenvielfalt, Anpassungsfähigkeit
und aber auch der Witterungsabhängigkeit nach, auf Erkenntnisse
gestoßen, in welcher Form, wann, wo und wie eine bestimmte
Art von Insekt auf einer Leiche zu finden ist. Ein verstorbener Körper beginnt
direkt nach Todeseintritt mit der eigenen Zersetzung. Vorerst durch
eigene Enzyme, anschließend durch Bakterien und Tiere, wie zum Beispiel
Einzeller, mehrzellige Pilze und Insekten, die sich von dem verbliebenen
Zellmaterial ernähren. Die Elterngeneration eines Insektes ist verantwortlich
dafür, dass ihre Nachkommen direkt nach dem Schlüpfen eine
Nahrungsquelle zur Verfügung haben. Als Quelle dient hier der verstorbene
Mensch, nicht in seiner Gesamtheit, aber in seinen Einzelteilen. Einige
Tiere bevorzugen die Augen, andere eher die Haut oder Organe. Dazu ist
es unbedeutend, ob die Leiche im Wasser, im Wald oder in einer Wohnung
liegt. Es gibt immer Insektenarten, die sich diesem Umstand angepasst
haben und hier zu finden sind. Da sie allerdings nicht in der Lage
sind, ihre Körpertemperatur eigens zu regulieren, ist ihr Auftreten und ihr
Überleben hauptsächlich von für sie optimalen Umweltbedingungen abhängig.
Somit können einige der kleinen Helfer nicht bei zu hoher oder zu
niedriger Temperatur überleben, welcher Aspekt bei einer Todeszeitberechnung
einzubinden ist, falls eine bestimmte Fliegen- oder Käferart auf
dem Toten nicht anzutreffen ist, die jedoch vermutet wird. Dazu wurden
Versuche praktiziert, in denen ein Schweinekadaver vorab im Sommer
unter einem Draht abgelegt wurde (Vorrichtungen wie Drähte oder Käfige
dienen dazu, dass die Mensch- oder Tierleichen nicht von größerem Getier,
wie Füchsen gefressen werden, sondern lediglich die Arbeitsabläufe
der Insekten zu beobachten sind). Der Schweinekadaver wurde innerhalb
der ersten Stunde mit Eipaketen von Schmeißfliegen bestückt und nach zwei Wochen war das Skelett komplett abgefressen. Bei einem Versuch
hingegen, der im Winter stattfand, dauerte die Freilegung bis zu einem
Jahr. Es gibt eine Grenze, die bei etwa 10°C liegt, unterhalb derer viele
„mitteleuropäische Insekten“ sich nicht mehr fortpflanzen und nicht mehr
fliegen. Die Kälte hält die Fliegen am Boden. Befindet sich ein Tier dabei
noch in einem Entwicklungsstadium und tritt eine Kälte unter der oben genannten
Gradzahl ein, überwintert sie diese in dem jeweiligen Zustand.
Die Fliegenarten, die bereits erwachsen sind können vielerseits auch bei
diesen Temperaturen weiterleben. Unter diesen Umständen, kann der Fall
eintreten, dass eine Leiche bereits komplett vertrocknet und nicht ein einziger
Insektenfraß nachweisbar ist. Dadurch, dass solche Vorgänge aber
bekannt sind, wird dies in die Berechnung der Leichenliegezeitbestimmung
einbezogen und es kann trotzdem eine sehr genaue Benennung
erfolgen. Als die Bestimmung der Todeszeit anhand von Insekten noch
nicht erforscht und bekannt war, galt je stärker die Leiche zersetzt war,
umso schwieriger war ihre Todeszeitbestimmung, da alle Stadien, anhand
derer Stunden- oder Tagesangaben gemacht werden konnten (Totenflecken,
Fäulnisblasen) bereits vollendet waren. Heute lässt sich teilweise
auch nur anhand der Insekten die Feststellung treffen, ob es sich bei gefunden
Überresten um menschliche oder tierische handelt.
Die Insekten dienen nicht allein der Liegezeitbestimmung, denn in einer
Ermittlung soll der eine Beweis einen anderen wiederum untermalen. Hier
wird dann beispielsweise ein Täteralibi mit der untersuchten Liegezeitbestimmung
und weiteren erfolgten Ermittlungen verglichen und daraufhin
bestätigt oder widerlegt. Ebenso können sie in manchen Fällen Aufschluss über die Ursache des Todes geben, da einige von ihnen, nachdem sie an
einer vergifteten Leiche gefressen haben, diese Stoffe in ihrem Körper
speichern oder aber ein wichtiges Indiz für die essentielle Unterscheidung
des Tat- und des Fundortes sein (siehe Punkt 2.1.1.3). Denn falls an einem
toten Körper Insekten gefunden werden, die in der Region eigentlich
gar nicht vorkommen, kann dies ein Indiz dafür sein, dass die Leiche nach
ihrem Tod verlagert wurde und an einer anderen Stelle zu Tode gekommen
ist.
Hierzu gibt die Fallbeschreibung der Leiche in der Ostsee aus dem Buch
„Kriminalbiologie. Ausführungen zum besseren Verständnis. Anregungen
zum Nachdenken.“ von Mark Benecke einen guten Einblick. Die Leiche
wurde Anfang Juni dort bereits teilskelettiert und die Weichteile in Fettwachsbildung
übergegangen, aufgefunden. Im skelettierten Brustbereich
ließ sich die Seetangfliege Coelopa frigida (Anlage 1 Bildanhang, Abbildung
3.12) wiederfinden, die eine Länge von 10 bis 11 Millimetern aufwies.
Ihr Stadium zu der Zeit wurde auf etwa zwei Wochen berechnet. Da
die Fettwachsbildung bei einer Leiche allerdings wesentlich länger als
zwei Wochen benötigt, muss sich die Leiche woanders als in Küstennähe
zum vorherigen Zeitraum befunden haben. Die Seetangfliege bevorzugt
den Lebensraum in Strandnähe, fliegen allerdings nicht auf das offene
Meer hinaus. Wenn eine Person nun verstirbt, befinden sich eigentlich als
erstes jeweils die Schmeißfliegen auf dem Körper und bilden ihre Primärgeneration.
Die Schmeißfliegen sind zudem durchsetzungsstark genug,
dass sie beispielsweise die Coelopa frigida vertreiben würden. Da nun auf
der Leiche in der Ostsee keine Schmeißfliegen gefunden wurden, muss
ein Umstand geherrscht haben, der dies verhinderte. Der Faktor bildete
sich aus den Lebensumständen der Schmeißfliegen, die nur vom Frühjahr
bis Anfang Winter leben (Richtwerte, wenn es einen kalten Winter und einen
milden Frühling gibt). Somit muss der Tod der Person im vorigen Winter
oder im diesjährigen Frühjahr eingetreten sein. Die Zeitspanne passt
ebenfalls in die grobe Errechnung des Todeszeitpunktes anhand der Fettwachsbildung.
Weitere Ermittlungen ergaben dann, dass am 14. Januar ein Schiff gesunken sei und darauf folgende Ermittlungen ergaben, dass
der Tote ein Seemann dieses Schiffes war.
Es gibt die Unterscheidung der primären und der sekundären Leichenbesiedler.
Unter die primären fallen hauptsächlich Fliegen, die einen Körper
bereits wenige Minuten nach Todeseintritt aufspüren können und ihn als
Brut- und Nahrungsquelle nutzen. Die sekundären Besiedler sind die darauffolgend
eintreffenden Käfer und Spinnentiere, die sich von der Primärgeneration
ernähren. Diese unterschiedlichen Ansiedlungszeiträume
werden Besiedlungswellen (siehe Punkt 2.1.3.1) genannt. Nachfolgend
werden die am häufigsten anzutreffenden Insekten aufgeführt, ihre Eigenheiten
und Vorzüge begutachtet und in vielen Punkten an Beispielfällen
und –rechnungen verdeutlicht, wie anhand ihres Daseins die Leichenliegezeit
berechnet wird. Da es eine beträchtliche Anzahl von Insektenfamilien
mit Unterarten und dazu jeweils unterschiedliche Lebensweisen gibt,
wird in Punkt 2.1.4.3 eine ausführliche Darstellung über das Leben der
Schmeißfliegen dargeboten, um anhand dieses Musters einen möglichst
tiefgehenden Einblick in die Biologie zu erhalten. Die weiter aufgeführten
Insektenbeschreibungen beschränken sich daraufhin auf die thematisch
essentiellen Aspekte zur Liegezeitbestimmung, da die Eingrenzungen der
Seitenanzahlen keine weiteren Ausführungen zulassen.
Die Schmeißfliege (Calliphora vicina)
Diese Art der Fliege gehört zu der Familie der Zweiflügler (Diptera) und
ihre Gattung nennt sich Brachyptera (Fliege). Ihr Artenreichtum bildet sich
aus etwa 1000 bekannten und davon 45 in Deutschland lebenden Fliegengattungen.
104 Unter den Begriff der Schmeißfliege fallen jedoch zudem
die Familien der Fleischfliegen (Sarcophagidae) und die Hausfliegen (Muscidae). Schmeißfliege ein umgangssprachlicher Begriff für die Arten,
die sich von verwesender Gewebsmaterie ernähren. Das erwachsene
Tier umfasst eine Körperlänge von 9 bis 13 mm, wobei der mittige Körperabschnitt
dunkel erscheint, aber meistens mit einem blaugrünen und
manchmal auch dunkel-blauen Schimmer einher geht. Nicht nur der Körper
allein, sondern auch die Flügel sind mit Haaren umfasst. Die Weibchen
der Calliphora vicina erzeugen im Laufe ihres Lebens eine etwaige
Anzahl von 700 Eiern, wobei sie beim Ablegen derer keine einzelnen Larveneier
niederlegen, sondern dies stets in Paketen, die mit bis zu 150
Fragmenten gefüllt sind. Das schwangere Fliegenweibchen besitzt den
Instinkt, ihre Nachkommen an eine Örtlichkeit abzulegen, an der sie sofort
eine Nahrungsquelle vorfinden. Zu diesem Postament zählen die organischen
Stoffe, unter die auch menschliche Überreste fallen. Die aus den
Eiern lebendig geborenen Fliegenmaden können in ihrem derzeitigen Stadium
eine Länge von bis zu 18 mm erlangen. Ihre Hülle umgibt sich mit
einer elfenbeinartigen Farbe. Das schwarze Ende der Larve (Anlage 1
Bildanhang, Abbildung 1.8) zeigt die Mundwerkzeuge, mit denen die kleinen
Tierchen ihre Nahrung aufnehmen und den Speichel absondern, der
bei lebendigen Menschen mit entzündeten Wunden desinfizierend wirkt.
Das andere und dickere Ende ist das Hinterteil, an dem ihre Atemorgane
sitzen (Anlage 1 Bildanhang, Abb. 3.10). Durch diese Erscheinung besitzen
sie die Fähigkeit ununterbrochen mit ihren Mundwerkzeugen zu fressen
und nebenbei durch ihre Tracheen im hinteren Teil Luft zu schöpfen.
Eine Larve häutet sich während ihrer Verweildauer zwei Mal, bis sie sich
zu einer erwachsenen Fliege verwandelt (Metamorphose). Ihr Vorverpuppungsstadium
lässt sich daran erkennen, dass die Tiere in dieser Zeit relativ
groß sind und ihr Darm vollkommen entleert ist (Anlage 1 Bildanhang, Abbildung 3.15). Aus der Larve entwickeln sich Tönnchen oder Puppen,
wobei sich die Larve mit einem Kokon, einer Hülle, umgibt. Sobald die Metamorphose,
also die vollständige Verwandlung abgeschlossen ist, verlässt
das Tier seine Verkleidung und wird zur ausgewachsenen Fliege.
Der Lebenszyklus derer ist aus menschlicher Sicht betrachtet nicht sehr
lang, er beträgt nur Wochen oder Tage, wobei die Tiere die meiste Zeit als
Maden verbringen. Die Schmeißfliege lebt lediglich von Frühjahr bis
Winter, übersteht die Monate dazwischen allerdings im gerade erlangten
Entwicklungsstadium. Wie in Punkt 2.1.3.3 bereits erwähnt, fliegen diese
Tiere unterhalb von 10°C nicht mehr und überwintern die kalten Monate in
ihrem derzeitigen Stadium. Wenn eine Person somit in den Wintermonaten
verstirbt und sie in den darauffolgenden Sommermonaten gefunden
wird, lassen sich auf der Leiche kaum Puppenhüllen finden, da sie in dem
Anfangszeitraum eben nicht aktiv sind und im Frühjahr der Zerfallsprozess
der Leiche so weit vorangeschritten, sodass sie für die Schmeißfliegen
nicht mehr attraktiv als Nahrung dient (Anlage 1 Bildanhang, Abbildungen
3.13 und 3.14 zeigen hinzufügend, einerseits die Vorkommnisse von
erwachsenen Insekten auf Leichen und andererseits die der Larven).
Durch Versuche wurde herausgestellt, dass die Fliegen eine verletzte Leiche
einer unversehrten vorziehen, da sie eher von Blut als von bloßem
Fleisch angezogen werden. Das Anziehen erfolgt über Geruchssubstanzen,
die ein verwesender Körper durch den Eiweißabbau freisetzt. Da
der Körper direkt nach Todeseintritt mit diesem Abbau beginnt, lassen sich
schon nach kürzester Zeit Eipakete auf ihm finden, da die Fliegen ihn
durch ihre „Geruchssinnesorgane an den Antennen“ aufspüren konnten.
Der ausgestoßene Geruch ist allerdings nicht bei jedem Menschen (Krankheiten, Vergiftungen) identisch und auch die unterschiedlichen Zersetzungsstadien
haben ihr individuelles Odeur. Wie auch der Mensch
nicht stets den selbigen Geruch als annehmlich deklariert, haben auch die
verschiedenen Fliegenarten ihre bevorzugten Gerüche und jene, auf die
sie gar nicht reagieren. Dies ist eine entscheidende Erkenntnis zur Leichenliegezeitbestimmung
anhand dieser Tiere. Mittels dieser Grundannahme
hat der damalige Student William Rodriguez auf der Body Farm
begonnen, die verschiedensten Insektenarten zu erforschen, die sich auf
Leichen befinden und zu dokumentieren, welches Tier welches Stadium
bevorzugt. Ebenso gehörten zu seinen Aufzeichnungen die Erkenntnisse
über die Dauer bis zur Verpuppung bei unterschiedlichen Temperaturen
oder welche Art von einer anderen verdrängt wird, weil sie diese beispielsweise
auffrisst.
Die Merkmale der Schmeißfliege zur Bestimmung der Todeszeit sind somit
wie folgt:
Ein schwangeres Weibchen, kann bereits nach wenigen Stunden den verstorbenen
Körper riechen und fliegt ihn unverzüglich an, um ihre Eipakete
abzulegen. Die Leiche ist somit frisch und es lassen sich im Sommer innerhalb
des ersten Tages die primär geschlüpften Maden finden. Eine erwachsene
Fliege (Dauer bis dahin im Sommer etwa 12 - 21 Tage) ist
demnach auf einer Leiche zu finden, deren Zersetzungsprozess bereits
bis in das Fäulnisstadium und der Gasblähung übergegangen ist. Lassen
sich hingegen bereits Puppenhüllen und Maden wiederfinden, ist dies
ein Indiz, dass hier bereits die zweite Generation des Tieres lebt und die
Leiche sodann seit mehreren Wochen verstorben ist. Maden weichen vor
allem Licht, Wind, Kälte und Trockenheit aus, da sie als Larven schnell
vertrocknen und sich unterhalb der 10°C nicht mehr fortpflanzen können. Die Schmeißfliegen als Vorreiter der Insekten, in der ersten bis
zweiten Todeswoche, bevorzugen wie bereits erwähnt das Gesicht als
Nahrungs- und Brutstätte. Wird eine frische Leiche gefunden, bei der an
anderen Körperabschnitten ein ähnlich vielfältiger Fraß erkennbar ist, sollten
diese Gegend auf mögliche Stich- oder Schussverletzungen untersucht
werden, da davon ausgegangen werden kann, dass hier Blut entwichen
ist. Dieses ziehen die Tiere anderem Gewebe vor. Bei heißen
Temperaturen und vielen Regenfällen, sodann warm und feucht, finden
die Fliegen die Optimalbedingungen vor, um eine Leiche oder einen Kadaver
innerhalb von zwei Wochen komplett frei zu skelettieren. Wenn die
Made nun den Zustand erreicht hat, in dem sie sich verpuppt, bewegt sie
sich von der Leiche weg, um sich vor Widersachern zu verbergen. In dieser
Phase lassen sich neben der Leiche Kriechspuren finden, an denen
flüssige Leichensubstanz, die sie mit sich ziehen, vorfinden ist. Aus der
Puppe schlüpft wenig später eine erwachsene Fliege, die nach wiederum
wenigen Tagen fortpflanzungsfähig ist und auf Partnersuche geht. Hinsichtlich
dieses Vorganges beginnt nun die sekundäre Eiablage auf der
Leiche.
Eine Bemerkung sei zum Schluss noch erlaubt. Wenn Ermittler an einen
Tatort gelangen, an denen eine frische Leiche liegt, an der sich noch viele
Maden finden lassen, ist in der Stille ein rascheln zu vernehmen. Das liegt
daran, dass die Maden aus den Eipaketen, auf einem Haufen existieren,
denn sie können sowohl auf- als auch untereinander leben. Bei der ständigen
Bewegung der Tiere reiben sich ihre äußerlichen recht harten Hüllen
aneinander und der Madenteppich bildet ein Geräusch. Wenn man sich ganz nach an diesen Teppich heranwagt, ist ebenso die Wärme zu spüren,
die durch den Reibungseffekt erzeugt wird.
Die Käsefliege (Piophila casei)
Diese Fliegenart gehört zu der Familie der Piophilidae. Sie erwächst zu
einer Größe von etwa 5 mm heran und besitzt eine schwarz glänzende
Farbe. Sie erinnern an die Fruchtfliege, kommt jedoch eher spärlich im
Haushalt vor, da sie Molkereien und Käsereien bevorzugen. Ein Weibchen
legt Pakete mit bis zu 500 Eiern ab, deren anschließende Entwicklung
nach etwa drei Wochen vollendet ist. Das Leben einer erwachsenen Piophila
casei überdauert rund zwei Wochen. Die Besiedlung einer Leiche
erfolgt, wenn diese beginnt flüssig zu werden und sich somit in eine breiige
Substanz verwandelt. Dieser Zustand lässt sich bei Normalbedingungen
nach etwa drei Monaten vorfinden. In dieser Phase beginnt eine
menschliche Leiche stark zu riechen und der übliche käsige Geruch ist zu
vernehmen. Eben dieses käsige Aroma ist der Anziehungsgrund für die
Piophila casei. In der kalten Jahreszeit, im November, benötigen Käsefliegenmaden
etwa 11 bis 19 Tage, um erwachsen zu werden.
Ein Beispielfall verdeutlicht die Leichenliegezeitbestimmung mittels der
Käsefliege und anhand der vorgefundenen Verhältnisse am Fundort. Auf
einer Bahngleise wurde im November ein skelettierter Körper mit abgetrenntem
Kopf aufgefunden. Unter dem Haarschopf, der noch bedingt unbeschädigt
war, wurden Käfer und Fliegenpuppen gefunden. Die restliche
Gestalt war mit tausenden von springenden Käsefliegenmaden und einem
kompakten Teppich aus den Eiern sowie leeren Hüllen der Piophila casei
bestückt. Die Berechnung sah nun wie folgt aus:
1. Erste Besiedlung durch Käsefliegenmaden: etwa 90 Tage
2. Sekundärgeneration lebt auf der Leiche, da Fliegenmaden sowie bereits leere Hüllen vorgefunden wurden. Bei Temperaturen im November beträgt Entwicklungszeit 11-19 Tage. Bei zwei Generationen somit 22-38 Tage.
3. Ergebnis: Etwa 112 bis 128 Tage Leigezeit.
Die spätere Aufklärung des Falles bestätigte dies, da der Körper einer
jungen Frau gehörte, die seit vier Monaten als vermisst galt. Es soll jedoch
durch diese simpel erscheinende Rechnung, nicht der Eindruck entstehen,
es sei eine einfache Aufgabe, die Liegezeit zu berechnen. Es
herrschen keine reglementierten Leitsätze vor, wenn der forensische Entomologe
nicht eigens am Fundort gewesen ist oder keine detailgetreue
Darbietung durch Fotos und exakte Aufzeichnungen der Ermittler, erhält.
Denn nur mit genauer Beschreibung des Leichenfundortes, können Berechnungen
aufgestellt werden. Hier spielen zudem alle trainierten Sinne
des Biologen eine Rolle, genauso wie vielfältige subjektive Erfahrungen.
Weitere Fliegenarten
Ein weitere Gattung aus der der Familie der Schmeißfliegen ist die 5 bis
11 mm große Lucilia sericata, die Goldfliege (Abb. 3.11 Seite 8 im Bildanhang),
die ihren Namen aus ihrem äußeren Schimmer in metallischen
grün- und gelbtönen erhält. Die Eier werden auch auf verwesendes Gewebe
gelegt, welches nach dem Schlüpfen als Nahrungsquelle dient. Die
Made, die sich aus dem Ei entwickelt wird im Fachjargon als Pinky Made
bezeichnet, aufgrund ihrer häufigen derartigen Färbung. Sie besitzen einen
Rüssel, mit dem sie flüssige und breiige Substanzen aufsaugen können. Ihre Entwicklung verläuft ähnlich der oben genannten Schmeißfliege.
Aus den Eiern können bei guten Bedingungen schon innerhalb der ersten 24 Stunden die ersten Maden schlüpfen und nach weiteren fünf
Tagen suchen sie sich Verpuppungsplätze, an denen sie vor Feinen geschützt
sind. Bei wiederum guten Bedingungen sind die erwachsenen Tiere
nach weiteren vier bis sieben Tagen geschlüpft. Ihre Lebensdauer nach
dem Schlüpfen liegt bei rund drei Wochen, innerhalb der Monate von Mai
bis Oktober.
Die Fleischfliegen, Sarcophaga haemorrhoidalis (Abbildung, 3.18 im Bildanhang
Seite 11) gehören außerdem zu der Familie der Schmeißfliegen,
hier der Sarcophagiden und somit den Zweiflüglern an. Sie besitzen die
Eigenheit keine Eier abzulegen, sondern in sporadischer Form ihre Larven.
Äußerlich sind sie an ihrem karierten Abdomen* zu erkennen, wobei
es zudem Unterscheidungen zwischen den seltenen blauen und den in
Deutschland am meisten vorkommenden grauen Fliegen gibt. Die Entwicklung
vom Ei zur ausgewachsenen Fliege verläuft ebenfalls über die
Stadien der Larven und der Puppen. Weltweit sind etwa 2500 Arten bekannt.
Ihre Mundwerkzeuge sind so ausgerichtet, dass sie damit Nahrung
auflecken und ansaugen können. Somit sind diese Arten auf einer Leiche
zu finden, die bereits in eine breiige Masse übergeht.
Der gemeine Speckkäfer (Dermestes lardarius)
Bei den Käfern gibt es Unterscheidungen zwischen denen, die sich einer
Leiche nähern, um an ihrem Körper eine Brutstätte für ihre Nachkommen
zu finden (nekrophag) und derer, die dorthin gelangen, um sich von den
Fliegenmaden zu ernähren. Ihre Entwicklungsstadien bestreiten Käfer
ähnlich wie die Fliegen. Ein schwangeres Weibchen legt ihre Eier ab, aus
denen anschließend die Larven schlüpfen. Im Larvenstadium häutet sich
ein Käfer mehrmals, bevor er daraufhin das Verpuppungsstadium erreicht.
Die Larven sind nicht nur Aasfresser, sondern ernähren sich ebenso von
menschlichen Nahrungsmitteln oder auch Textilien. Da sich ihr Lebensraum hauptsächlich in morschem Holz oder im Erdreich befindet, ist dies
eine gute Möglichkeit, ungefährliche Plätze für ihr Puppenstadium zu entdecken.
In dieser Phase ruhen die Käfer und es findet keinerlei Bewegung
statt. Ihr Lebenszyklus im ausgewachsenen Stadium beträgt meistens
wenige Wochen. Anhand von Käfern lassen sich allerdings keine so
genauen Liegezeitbestimmungen ablesen, wie anhand der Fliegenmaden,
denn ihre Merkmale geben eher Aufschluss über die Höchst- und Mindestliegezeit.
Ihr Vorkommnis auf einer Leiche zeigen die Tabellen 3.13 und
3.14 in der Anlage 1 Bildanhang. Hier ist ersichtlich, dass sie eher die späten
Zerfallsstadien bevorzugen und somit nicht allzu früh auf einem toten
Körper zu finden sind. Maden kann man in diesem Zusammenhang als
„Sekundenzeiger der postmortalen Uhr“ und die Käfer als „Stundenzeiger“ deklarieren.
Am häufigsten anzutreffen ist von der Gattung der Speckkäfer, der Schädling
Dermestes lardarius, der Gemeine Speckkäfer. Er befällt vorzugsweise
Materialen aus unseren Häusern. Weitere Familien sind der Dornspeckkäfer
(Dermestes maculatus), der Dornlose Speckkäfer (Dermestes
frischi) und der Peruvianische Speckkäfer (Dermestes peruvianus). Das
Weibchen des Dermestes lardarius verbringt ihre Eier auf geeignete Nahrungsquellen,
an denen sie direkt nach dem Schlüpfen fressen können.
Ein Eipaket kann hier mit bis zu 500 Fragmenten gefüllt sein. Ihre Entwicklung
zum erwachsenen Tier dauert bei optimalen Bedingungen (20-23°C)
etwa zwei Monate, in der sie mehrmals die Phase des Häutens durchleben. Der ausgewachsene Käfer wird etwa 10 mm groß. An einer Leiche
lassen sich diese Dermestiden auf eingetrockneter Haut und den Haaren
lokalisieren.
Weitere Käferarten
Kurz zu erwähnen sind weitere häufig anzutreffende Käferarten auf Leichen.
Darunter fallen der Teppichkäfer (bevorzugen ähnlich dem Speckkäfer
eingetrocknete Haut und Haare), der Totengräberkäfer (graben
Kammern in eine Leiche, können hörbar fauchen und zirpen, erkennbar
an orangefarbenen Streifen auf ihren Flügeln) oder der Mistkäfer (auch
Pillendreher genannt, drehen abgesonderten Kot und Leichengewebe zu
runden Objekten oder „Pillen“).
Ein Beispielfall aus dem Rheinland beschreibt eine ungewöhnliche Auffindesituation
einer Leiche, die in einer alten Wohnung ohne anfänglich ersichtlichen
Grund mumifizierte. Der Mann bewohnte zwar diese Räume,
allerdings in keinem reinlichen Zustand. Nachbarn erklärten, dass schon
immer seltsame Gerüche von dort in den Hausflur strömten. Somit nahmen
sie den Leichengeruch nicht als diesen wahr. Auch der Vermieter zog
es nicht vor, die Miete durch einen abgestatteten Besuch einzufordern und
der Stromanbieter stellte ihm nach uneingegangenen Zahlungen diesen
ab. Er lebte allein und wurde sodann nicht vermisst. Die Frage, die sich
nun allerdings aufdrängt, ist die, warum sich kein Nachbar über sich umher
kriechenden Maden beschwerte hat? Oder gab es keine Maden? Bei
jeder normal verstorbenen Leiche, sind die Schmeißfliegen die ersten, die
dies riechen und sich auf dem toten Gewebe ansiedeln. Wie oben beschrieben
hält sich die Anzahl der abgelegten Eier dabei nicht bei einzelnen,
sondern bei hunderten. Wohnungsleichen werden im Regelfall nicht
aufgrund ihres Gestankes gefunden, sondern eben aufgrund der Maden
die unter Haustüren und manchmal auch durch Zimmerdecken hindurch
kriechen. Bei dieser Leiche fiel zudem auf, dass in den Bereichen, in denen feuchtes und weiches Gewebe zu finden ist, eben in den Mund- und
Augenpartien, Fressspuren von Käfern vorlagen. In den Augen- und der
Mundhöhle wurde deren Kot aufgefunden. Dieser Umstand ist äußerst
selten und eigentlich nur zu finden, wenn Maden keinen Zugang zu der
Leiche haben, entweder durch einen undurchdringlichen und luftdichten
Raum oder aber wenn die Temperatur unter 10°C fällt. Beides war im
Rheinland nicht zutreffend. Also blieb nur der Schluss übrig, dass die Leiche
so rasant vertrocknet sein musste, dass die Maden keine Möglichkeit
zum Überleben hatten, denn ihnen war das Gewebe der mumifizierten
Person zu hart. Durch polizeiliche Fotos, die in diesem Zusammenhang
gefertigt wurden, war neben dem Kopf der Leiche ein Heizstrahler aufgefallen.
Bei näherer Betrachtung war erkennbar, dass dieser eingeschaltet
war. Selbstredend nur bis zu dem Zeitpunkt, an dem der Strom für die
Wohnung abgestellt wurde. Der Heizstrahler hat den Körper rasant vertrocknen
lassen, dass er in diesem Zustand lediglich für Käferarten als
attraktive Nahrungsquelle und Brutstelle für ihre Nachkommen diente.
Dieser Fall soll aufzeigen, dass von allen Blickwinkeln her ein Fall begutachtet
werden muss, um alle erdenklichen Möglichkeiten und Variationen
zu überprüfen. Die polizeilichen Fotos, sind dem Kriminalbiologen Mark
Benecke, der an diesem Fall arbeitete, nur durch eine gute Ermittlerin zugeführt
worden. Während einiger Ermittlungszeit, arbeiteten die Biologen
mit ihren eigenen Aufzeichnungen und Detailfotografien von den Maden
und Fressstellen und die Polizei mit ihrem Bildmaterial des „Ersten Angriffs“(
Punkt 2.1.1.1), die unter anderem Übersichtsaufnahmen der Wohnung
enthielten. Die erwähnte Ermittlerin gab dem Herrn Benecke die polizeilichen
Bilder, da beiden Instanzen keine weiteren Ermittlungsansätze
anwandelten. Erst auf der Übersichtsaufnahme, ist dem Kriminalbiologen
der Heizstrahler und die Lösung des Problems in den Sinn gekommen.
Dies ist nur ein kleines Beispiel für interdisziplinäre Zusammenarbeit, die
zu einer Lösung des Falles beitrug. Wie sich allerdings vorstellbar ist, führen solche Kommunikationsvorgänge eher zu einer Lösung eines Todesfalles,
als zu dessen Kreuz auf dem Totenschein, an der Stelle: ungelöst.
Ein Bremer Fall
Um aus polizeilicher Sicht aufzuzeigen, wie ein solcher Fall in der Praxis
behandelt wird, ist in der Anlage 2 Textanhang ein Bremer Sachverhalt
aufgeführt, der anhand der forensischen Entomologie gelöst wurde. Es
werden die Berechnungen deutlich, die ermittelt wurden, um diese in die
Ermittlungen einfließen lassen zu können. Wie läuft so etwas ab? Wird ein
Kriminalbiologe oder ein anderer Sachverständige an einen Fund- oder
Tatort gerufen, hat er eigens vor Ort die Variabilität, geeignetes Beweisund
Untersuchungsmaterial in Form von Tieren, Puppenhüllen, Kot, Boden-
oder Gewebeproben einzusammeln und zu sichern. Kann aus irgendwelchen
Umständen kein Sachverständige an der Örtlichkeit erscheinen,
wird dies von den Ermittlern vorgenommen, vorausgesetzt sie besitzen
die Kenntnis über dieses Verfahren. Nachdem die Tiere nun gesichert
wurden, ist wie auch in dem Bremer Fall erfolgt, alle relevanten Begleitumstände
genauestens zu notieren. Jede viertel Stunde muss die Temperatur
gemessen und Informationen eingeholt werden wie u.a.*: Lag die
Person in freier Natur oder in einem Gebäude, hat es geregnet, schien die
Sonne, lag sie auf feuchter Erde oder einem trockenen Bett? Vor Ort kann
ein Anfangsverdacht eines Sachverständigen angedeutet werden, welcher
zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht gerichtsfest ist. Diese Form erhält
eine Aussage erst, wenn sie auf fundierten Beweisen beruht. Dazu
müssen, die am Fundort aufgesuchten Tiere, weiter gezüchtet werden.
Besagtes muss unter den Umständen, wie sie am Ort der Leiche geherrscht
haben, vollzogen werden. Die Auffindesituation wird anhand dessen
durch technisches Material in einem Labor nachgestellt. Je länger eine
Leiche bereits liegt, umso umfassender muss auch die Weiterzüchtung
erfolgen. Das Ergebnis zeigt schließlich auf, wie sich die Generation des
gefundenen Tieres, bei den örtlichen Bedingungen entwickelte und wie lange es dauerte, bis sie das Stadium erreichten, indem sie aufgefunden
wurde. Es werden zweifellos keine jahrelangen Züchtungen durchgeführt,
da ein verwester Körper gefunden wurde, der schätzungsweise bereits
über 12 Monate verstorben ist. Subjektive Erfahrungen, repräsentative
Erfahrungsberichte anderer Kollegen sowie wissenschaftliche Richtwerte
(eine Made der Gattung Calliphora vicina benötigt in der Regel im Sommer
eine Entwicklungszeit zur erwachsenen Fliege von 12 bis 21 Tagen)
setzen ein Gutachten schlussendlich zusammen. Eine derartige Berechnung
eines Sachverständigen der Kriminalbiologie, benötigt somit einige
Wochen. Somit sind kurzfristige Ergebnisse hier nicht erlangbar.
Ist es somit unproblematischer für den alltäglichen Dienst eines Kriminalbeamten
die Leichenliegezeit anhand der sicheren und unsicheren Todeszeichen
(Punkt 2.1.2.2 und 2 2.1.2.3) zu ermitteln oder sind die Insektenberechnungen
ein unabdingbares Hilfsmittel? Die folgenden Interviews
geben Aufschluss über die Meinung eines Kriminalbiologen und die Ansicht
eines Kriminalbeamten in dieser Hinsicht.
Interviews unter der Fragestellung der Relevanz dieser Thematik als Lerninhalt dem Studiengang des Polizeivollzugsdienstes Bremen
„Eine polizeiliche Organisationsform, wie die Mordkommission orientiert
sich an der jeweils geforderten Aufgabenstellung, die ihr zuteil wird. Das
Personal bilden die Sacharbeiter, das Team selber, die Ermittlungs- und
Arbeitsgruppen, die Sonderkommission und die Besondere Aufbauorganisation.“
In Bremen bezeichnet man diesen Arbeitsstrang als K3, der im
Allgemeinen für Gewaltdelikte zuständig ist und zudem aber eine Unterteilung
in K31 „Zentrale Dienste K3, Kriminaldauerdienst (KDD), Raub, Erpressung,
Auswertung/ Analyse K3“ und K32 „Sexualdelikte/ Pornographie“
und in K33 „Kapitaldelikte“ führt. Die weitere Aufteilung des Zweiges der Kapitaldelikte, eben der Mordkommission, besteht aus vier Blöcken.
Der erste unterhält in der Regel sieben Sachbearbeiter und einen
Teamleiter mit seinem Vertreter. Ihre Aufgaben liegen in der Leichensachbearbeitung
sowie den Bereichen der Schweren Körperverletzung*. Der
zweite Block teilt sich in lediglich zwei Sachbearbeitern und einem Teamleiter.
Ihre Pflicht setzt sich aus der Leichensachbearbeitung, der Einrichtung
einer Vermisstenstelle und die Bewältigung „Großer Schadensereignisse“*
zusammen. Der nächste Abschnitt bildet sich aus zwei Sachbearbeitern
und einem Teamleiter in den Aufträgen der Leichensachbearbeitung,
der Bearbeitung von Geisellagen, Produkterpressungen und der
qualifizierten Entführung*. Der letzte Block setzt sich aus sechs Sachbearbeitern
und einem Teamleiter zusammen, die in der Leichensachbearbeitung,
den Branddelikten, tödlichen Betriebsunfällen und Sprengstoffdelikten
eingreifen. Die verschiedenen Instanzen besitzen jeweils ihre eigenen
Aufgaben, allerdings ist es durchaus möglich, bei Ausfällen in einem
anderen Zweig auszuhelfen. Ihre Aufgabenbereiche erstrecken sich über
die Ermittlungen (es werden Aufträge verteilt und erarbeitet, in welche
Richtung weiterermittelt wird), nicht die Spurensuche. Dafür gibt es eine
eigene Abteilung, die Kriminaltechnische Untersuchung (KTU).
Für einige Fragen im Bezug auf die Arbeit der Mordkommission mit dem
Blick auf mögliche Überschneidungen mit der forensischen Entomologie,
und dessen Relevanz in seiner täglichen Arbeit, hat sich der Leiter der
Mordkommission Bremen Helmut Mojen zu einem Interview bereit erklärt.
Interview mit dem Sachgebietsleiter der Bremer Mordkommission Helmut Mojen
(Das vollständige Interview befindet sich in Anlage 2 Textanhang)
Helmut Mojen ist der Sachgebietsleiter der Bremer Mordkommission,
nachdem er zuvor einige Jahre in dem Bereich der Branddelikte tätig war.
Er wirkte bereits an unzähligen Fällen mit und erlangte aufgrund dessen einen tiefgreifenden Einblick in die Arbeit und Zusammenarbeit verschiedener
Instanzen. In dem Interview erläutert Herr Mojen, dass es für ein
Gutachten der Biologie externe Gutachter für das Land Bremen gäbe, derer
sich bedient werden kann. Es gäbe keinen Sachverständigen, der explizit
nur für Bremen zuständig sei, sondern fortdauernd in der gesamten
Bundesrepublik beauftragt werden könne. Die Ermittler geben nach Eintreffen
des Sachverständigen am Fundort die Anordnung, welche Substanzen
oder Gegenstände begutachtet und untersucht werden sollen,
wodurch das Fachkommissariat den Auftraggeber darstelle. Ein Sachverständigen-
Gutachten für daktyloskopische* Erhebungen gäbe es zu Hauf,
jedoch für die forensische Entomologie bestehe dies nur etwa alle drei
Jahre. Es werde in der alltäglichen Arbeit bei Leichensachen auf herkömmliche
Feststellungsverfahren der Liegezeitbestimmung zurückgegriffen
(u.a. die Totenstarre oder die Gasbildung bei Leichen). Das Verfahren
anhand der Insekten, sei eine ideale Methode, allerdings für eine schnelle
Aufklärung eher schwer nutzbar, da die Züchtungen im Labor viel Zeit in
Anspruch nehmen.
Aus diesen Erhebungen zog Herr Mojen während unseres Gespräches
ebenso den Schluss, dass es anhand der wenigen Fallzahlen keinen Sinn
ergeben würde, direkt für das Bundesland oder auch das Land Bremen
einen eigenen forensischen Entomologen zu beschäftigen. Es sei obligat,
dass diese Fachrichtung und die Möglichkeit bestehen, innerhalb Deutschlands
auf diese zurückgreifen zu können, doch für eine zu große Anzahl
von Kriminalbiologen reichen die Fallzahlen eindeutig nicht aus. Ebenso
bestätigte er die Anfrage, ob in dem Zweig des K3 die Wissenschaft der
forensischen Entomologie weitestgehend bekannt sei, sodass bei einem
Fall, der dies fordert davon ausgegangen werden kann, dass die Kriminalbiologen
auch beauftragt werden. Anders wären die kriminalistischen und
kriminaltechnischen Möglichkeiten begrenzt und der Fall würde als ungelöst
deklariert werden. Sodann ist es essentiell, dass verschiedene Verfahrensweisen
und -möglichkeiten bekannt sind und von den Ermittlern angefordert
und genutzt werden.
Interview mit dem Kriminalbiologen Mark Benecke
Dr. Mark Benecke (Anlage 1 Bildanhang, Abbildung 3.20) ist ein Mann,
der aufgrund seines hierzulande außergewöhnlichen Berufszweiges als
forensischer Entomologe vielerlei Länder durchquert. Er ist beispielsweise
als Gastdozent und -professor an Lehranstalten in „England, auf den Philippinen,
in China, Vietnam, den USA und Kolumbien sowie Ausbilder an
Polizeiakademien und Gast u.a. an der FBI-Akademie und der Body
Farm.“ Sein kriminalbiologisches Know-how lässt sich weiterhin in Fernsehserien
wie Medical Detectives* wiederfinden, in denen er als wissenschaftlicher
Berater fungiert oder in deutschen Zeitschriften wie Die Zeit
oder die Süddeutsche Zeitung. Bevor er diese umfangreiche Aufgabe
jedoch annahm, durchlief Mark Benecke das Biologiestudium, mit den
Teilbereichen der Zoologie und der Psychologie, an der Universität Köln
und bildete sich anschließend in den Bereichen der Rechtsmedizin in den
USA weiter. In dem Interview (Anlage 2 Textanhang) wurde vorerst der
Fragestellung nachgegangen, wie er mit dieser Arbeit umgeht, mit den
Tieren, den Leichen, all den Dingen, die nicht zum alltäglichen Dasein eines
normalen Menschen gehören und sich somit auf den ersten Blick in
Kuriositäten und Merkwürdigkeiten erstrecken. Abschließend verfolgten
meine Erkundungen das Ziel, zu erforschen, wie seine Einschätzung, im
Hinblick auf die Relevanz der Thematik, der forensischen Entomologie, in
den Kriminalpolizeien der Länder und den Studiengängen für angehende
Polizeibeamte ist. Seine Äußerungen enthielten einerseits die Argumentation,
es könne nie genug forensische Entomologen oder Kriminalbiologen
geben, denn je mehr es aus diesem Fach gäbe, umso größer sei auch das
Wissen und mögliche Ansätze die zur Falllösung beitragen könnten. Weiterhin
relativierte er die Nachfrage, ob ein Studiengang, der den Beruf des forensischen Entomologen zum Ziel hat, in Deutschland eingeführt werden
sollte. Seiner Ansicht nach, könne sich jegliche Person derartig nennen,
wenn sie Begeisterung an der Materie besitzt.
„ … denn man kann es ja auch ohne Studiengang einfach machen. Wer
sich für was begeistert (egal ob Oboe spielen oder forensische Entomologie)
kriegt das schon hin. Man verdient halt nichts und alle finden einen
komisch, das ist aber beides nicht unbedingt das Schlechteste, was einem
passieren kann.“
Um die bereits mehrfach genannte interdisziplinäre Zusammenarbeit wiederum
aufzugreifen, ist auch Dr. Beneckes Ansichtspunkt der, dass die
differierenden Instanzen die Arbeit ihrer Kollegen besser verstehen sollten.
Bei der Bearbeitung eines Todesfalles, solle es kein Konkurrenzdenken
geben, welches zur Folge, die fehlende Kommunikation und somit das
mangelnde Verständnis der Arbeitsmöglichkeiten anderer Wissenschaftler,
habe. Es solle vielmehr ein reger Austausch von Ideen und Eventualitäten
stattfinden. Ein Beamter der Kriminalpolizei solle Beneckes Auffassung
nach versuchen, einen besseren Einblick in das Handwerk anderer
zu erlangen,
wie die anderen arbeiten und denken, also die SpurenkundlerInnen, die
JuristInnen, die PsychologInnen, die NaturwissenschaftlerInnen usw. --
Mehr Reden ist immer gut und hilft immer.“
Fazit
In den vorausgegangenen Kapiteln wurde eindringlich das Thema der Leichenliegezeitbestimmung
anhand konventioneller und moderner Methoden insoweit vertieft, in dem Umfang, wie es eine begrenzte Seitenanzahl
hergibt. Allein die Tatsache, dass Herr Dr. Benecke, um sich forensischer
Entomologe nennen zu können, mehrere Studiengänge, Ausbildungen
und Weiterbildungen absolviert hat, lässt den Schluss zu, dass es sich
hier um eine Wissenschaft handelt, die nicht lediglich auf einer stets anwendbaren
Formel beruht, sondern sich aus weitreichenden Komponenten
erschließt. Diese können alleinig erfasst werden, wenn diesem Thema
jahrelange Begeisterung geschenkt wird. Aus dem Interview mit Herrn Mojen
ging indes hervor, dass die Arbeit der forensischen Entomologen bei
den Ermittlern der Kriminalpolizei durchaus bekannt sei. Eine Fallbearbeitung
sei keine Einzelleistung, sondern eine Teamarbeit der Kriminalbeamten.
Aus diesem Grund werden zahlreiche Besprechungen im K33 abgehalten,
in denen Ideen und Erkenntnisse zusammengetragen werden. Hier
entstehe dementsprechend die Konzeption, in welcher Weise an einen
Fall herangegangen wird. Wurde an einer Leiche die Feststellung getroffen,
die Liegezeit beträgt einen solch erheblich langen Zeitraum, der anhand
konventioneller Todeszeitbestimmungsmaßnahmen nicht mehr getroffen
werden kann, liege es an den Ermittlern, die Idee hervorzubringen,
einen Insektenkundler heranzuziehen. Das weitere Interview mit Herrn
Mojen zeigt gleichwohl, dass die Kriminalbeamten die Möglichkeit besitzen,
mittels zu besuchender Seminare, einen Einblick in diese Forschung
zu erlangen. Er verdeutlicht allerdings ebenso, dass ein tief greifendes
Eintauchen nicht von Nöten sei, da die Ermittler lediglich die Auftraggeber
für weitere Untersuchung seien und dies nicht eigens hervorbringen müssten.
Desweiteren werde die konventionelle Methode der Liegezeitbestimmung
beibehalten, soweit ein toter Körper dies erlaubt, da das moderne
Verfahren mittels der Insekten zwar ein vortreffliches sei, die Zeitspanne,
die es jedoch in Anspruch nehme, eine zu immense darstelle. Eine Anschauung
dessen, sollten zudem die Polizeihochschüler erhalten, damit
sie zumindest bei ihrem abgeschlossenen Studiengang, über den Begriff
der Leicheninsekten in ihren Hinterköpfen verfügen. Es wurde unter diesem
Gesichtspunkt ferner die Seltenheit der Anforderung eines forensischen Entomologen in Bremen dargestellt. Dies lässt den Schluss zu,
dass keine Notwendigkeit besteht, dieses Fach als Unterrichtseinheit mit
in den Modulplan einzubauen. Lediglich in einer zwei- bis dreistündigen
Seminarform, wäre es in meinen Augen ein zu überdenkender und interessanter
Faktor.
Ob es sich bei dem Themenaspekt der forensischen Entomologie in ihrer
Aktualität derzeit um eine Modeerscheinung handelt, bleibt abzuwarten.
Allerdings konnte ich während meiner Recherchen einen Verlauf entdecken,
der den Inhalt einer Modeerscheinung möglicherweise widerlegt. Die
Geschichte der forensischen Entomologie findet ihren Anfang bereits in
den letzten Jahrhunderten, allerdings ohne die Option der Leichenliegezeitbestimmung.
Diese keimte erst Mitte des 19. Jahrhunderts in unterschiedlichen
Bereichen Europas sowie Nordamerikas auf. Anhand erster
Untersuchungen wurden die Möglichkeiten eröffnet, mittels an Leichen
gefundener Insekten, eine annähernde Todeszeit bestimmen zu können.
Die Gelegenheit, diese Erkenntnisse in eine Forschung umzuwandeln und
an menschlichen Leichen zu untersuchen, bot sich daraufhin erst mithilfe
der Body Farm und William Bass. Er richtete ein Territorial ein, auf dem
sich nicht nur wissenschaftliche Forschungen vollzogen, sondern ebenso
Lehr- oder Studiengänge abgehalten werden konnten. Diese Phase entwickelte
sich Ende der 1980er Jahre. Da William Bass der erste forensische
Anthropologe des Bundesstaates Tennessee war, ist es nachvollziehbar,
dass einige Zeit verstrich, bis sich eine große Anzahl von Studenten hier
einfanden und die Wissenschaft dadurch an Popularität gewann. Durch
die Veröffentlichungen der Aufzeichnungen des William Rodriguez, erhielten
dieser Forschungszweig und einige zurückliegende cold cases* neue
Aufklärungsmöglichkeiten. Dieser Umstand wurde in der 1996 anlaufenden
amerikanischen Serie Forensic Files* aufgegriffen und brachte die
Leicheninsekten zu dem Zeitpunkt dort und später durch Medical Detectives*
in unsere Fernsehgeräte. Wieder gewann dieser Forschungszweig
neue Interessenten. Durch die Serien und deren Wiederholungen, die
auch heute noch auf unseren Bildschirmen anzuschauen sind, kann täglich die Aufmerksamkeit neuer Personen geweckt werden, die sich diesen
Berufszweig daraufhin annehmen wollen. Da auf der Body Farm aus heutiger
Sicht die Insektenkunde als abgeschlossen gilt, keimt hier der Verdacht,
damit vermindere sich die Beachtung wiederum. Retrospektiv liegt
dennoch eine immense Aufgabe vor denjenigen, die versuchen werden,
die Millionen unbekannter Insektenarten aufzuspüren und zu beschreiben.
Dadurch können jederzeit neue Erkenntnisse über eine Art entstehen, die
einen weiteren entscheidenden Faktor in der Leichenliegezeitbestimmung
innehaben. Ebenso bestehen auf der Body Farm momentan Untersuchungen,
im Hinblick auf die Hilfe biochemischer Stoffe, bei der Todeszeitbestimmung.
Auf diese Weise verweilt die Farm weiterhin im Fokus der
Öffentlichkeit und es könnte auf ihr in den nächsten Jahrzehnten möglicherweise
weitere revolutionäre Dinge geschehen werden. Anhand dieser
Zusammenschlüsse denke ich nicht, dass die Body Farm sowie die Leicheninsekten
in nächstgelegener Zeit aus dem Augenmerk der Bevölkerung
verschwinden werden, da eine zahlreiche mediale Aufrechterhaltung
dessen momentan besteht (Internet, Fernsehen, Zeitschriften, Bücher).
Ob es sich bewahrheitet muss abgewartet werden.
Die Entwicklung meiner Thematik fand über die Tatortarbeit bei einem
Leichenfund, hin zu den sicheren und unsicheren Todeszeichen und anschließend
zu der konventionellen Methode der Leichenliegezeitbestimmung,
statt. Hier ließen sich vergleichsweise genaue Angaben herausarbeiten,
bei welchen Faktoren von einer bestimmten Leichenliegezeit ausgegangen
werden kann und dies in einer eigens erstellten Tabelle, unter
dem Punkt 2.1.2.4, niederlegen. Die konventionelle Methode ist schon seit
vielen Jahren bekannt und in unzähligen Fachbüchern und -zeitschriften
aufgeführt. Es existieren keine Formeln oder Normwerte, mittels derer
stets ein einwandfreies Ergebnis berechnet werden kann, da jeder neue
Tat- oder Fundort neue Begebenheit umfasst und somit kein Fall einem
anderen gleicht. Wie bei der konventionellen Methode, ist dieser Umstand
auch in der modernen Variation nicht vorzufinden. Eine Überlegung muss
ebenso beinhalten, ob sich die vorgefundenen Insekten in ihrer richtigen „Choreographie“140 befinden und dadurch das Zusammenspiel mit den
anderen vorgefundenen Gattungen passt (Beispielfall unter Punkt 2.1.3.7
Eigentlich Maden zu erwarten, stattdessen lassen sich Käfergattungen
vorfinden).
Ich habe mit meiner Arbeit den Entschluss verfolgt, möglichst viele Facetten
der Thematik der Leichenliegezeitbestimmung aufzeigen zu können –
u.a. die herkömmliche mit der modernen Vorgehensweise verglichen, die
Arbeit in Europa und die in Nordamerika angerissen und den Blickwinkel
eines Kriminalbeamten, dem eines Kriminalbiologen entgegengestellt. Anhand
dieser Ausgangerläuterungen, wären weitere Seiten mit den Thematiken
der Osteologie (Knochenkunde), der Daktyloskopie (Fingerabdruckverfahren)
und der Blutspritzeranalyse (Zur Rekonstruktion eines Tatherganges)
zu füllen, die weitere Aufgabenfelder der Kriminalbiologie darstellen.
Ein positiver Ausblick, auf die forensische Entomologie in den folgenden
Jahrzehnten, hängt von hoffentlich zahlreich folgenden Studenten und
Interessenten ab, die diesen Berufszweig hoffentlich einschlagen werden.
Zweifellos ist ebenso aussichtsreich, auf die zukünftigen Bemühungen im
Bereich der biochemischen Stoffe zu spähen, die in einem Körper gemessen
werden und anhand derer eine weitaus präzisere Todeszeiteingrenzung
erfolgen soll, als mittels der Insekten möglich ist. Wie sich dieses
Verfahren entwickeln wird, bleibt eine zukünftig zu verfolgende und spannende
Angelegenheit.
Aus dem Anhang genommenes und vollständiges Interview mit Mark Benecke
1. Wie lautet deine vollständige Berufsbezeichnung?
Mark Benecke, M.Sc., Ph.D., Certified & Sworn In Forensic Biologist, Dipl.-Biol. Dr. rer. medic. Mark Benecke, Öffentl. bestellter u. vereid. Sachverständiger für kriminaltechnische Sicherung, Untersuchung u. Auswertung von biolog. Spuren (IHK Köln)
2. Wie lange braucht man, um sich forensischer Entomologe nennen zu können und was sollte man an Voraussetzungen für diesen Zweig mitbringen?
Jeder kann sich praktisch so nennen, der Interesse an der Materie
hat. Die Voraussetzungen dafür kann ich nicht nennen, den jeder
Mensch hat andere Gründe, warum er einen Berufszweig wählt und
andere Charakterzüge, die ihn zu einem guten oder schlechte
Mitarbeiter machen. Ich bin es beispielsweise so geworden: http://wiki.benecke.com/index.php?title=1999-01-
15_Sience_Nextwave:_How_to_become_a_Forensic_Entomologist. Es gibt aber auch andere Leute, die aus den Forstwissenschaften
kommen oder der Taxonomie oder so. Man sollte sehr kleine Dinge,
Biologie, systematische Variationen (Experimente) und kritische
Einzelfallbetrachtungen sehr gerne machen.
3. Was genau gehört zu deinen Arbeitsfeldern?
Die kriminaltechnische Sicherung, Untersuchung u. Auswertung
von biologischen Spuren. Beispiele dazu liefern:
http://wiki.benecke.com/index.php?title=DNA
http://wiki.benecke.com/index.php?title=Forensic_Entomology
http://wiki.benecke.com/index.php?title=Blood
4. Als du dich entschieden hast mit dem Biologiestudium anzufangen, was war dein Ziel? Hat dich die Biologie im Ganzen gelockt oder wolltest du schon immer Todesfälle anhand von Insekten lösen?br>
Nein, ich wollte erst einmal verstehen, was LEBEN ist -- Ergebnis hier:
http://wiki.benecke.com/index.php?title=Der_Traum_vom_Ewigen_Leben
Danach hab ich mit Tintenfischen gearbeitet, siehe hier:
http://www.peta.de/markbenecke
Und dann bin ich in dieses Gebiet hineingerutscht. Meine Großeltern
erzählten allerdings neulich, dass ich schon als Kind aus dem Plastik-
Plantschbecken zum Aufblasen im Garten die kleinen Fliegen
rausgesucht und sortiert habe anstatt zu plantschen…
5. Bist du der einzige deutsche forensische Entomologe?
Nein, beispielsweise Saskia Reibe (Uni Bonn, hat ihre Doktorarbeit
gerade abgegeben) und Kristina Baumjohann (Uni Köln, arbeitet an
der Doktorarbeit) und eine Arbeitsgruppe in Frankfurt und einige
rechtsmedizinische KollegInnen wie Heike Klotzbach, Christian
Reiter, Martin Grassberger usw. sind auch dabei, außerdem alle
Kooperateure.
6. Da die Arbeit eines forensischen Entomologen in Deutschland sehr unbekannt ist, wie bist du dazu gekommen, hier als ein solcher angesehen und eingesetzt zu werden?
Wenn ich das wüsste. Am Anfang verfasste ich einen Artikel für
eine Illustrierte und anschließend war ich in den USA in der
Rechtsmedizin in Manhattan angestellt und bekam den deutschen
(!) Fall anhand dessen ich eine Frauenleiche auf ihre
Leichenliegezeit hin untersuchen sollte. Ausführlich unter:
http://wiki.benecke.com/index.php?title=Forensische_Entomologie_am_Beispiel_eines_Tötungsdeliktes
Dieser Fall bekam daraufhin unheimlich viel Aufmerksamkeit und es
entstand eine Art „Hype“ durch die Fernsehserien wie u.a. ‚medical
detectives„ und ,Autopsie„. Im Fach selber lief das immer gleich
ruhig ab, Kongresse, Veröffentlichungen, Fälle, alles ganz
entspannt und normal und ohne „Hype“...
7. Was war die spektakulärste Entdeckung/ Aufklärung, die dir mithilfe der Insekten gelungen ist?
Keine, ich mag die kleinen Racker aber von Tag zu Tag lieber, die
sind sowas von cool programmiert...Wenn ich doch auch nur so gut
programmieren könnte wie die Evolution...das wär was...
8. Glaubst du, dass es das perfekte Verbrechen gibt?
Klar, jedes, das nicht entdeckt wird, oder?
9. Ekelst du dich vor manchen Leichen oder vor dem, was von ihnen übrig geblieben ist?
Antworten hier:
http://wiki.benecke.com/index.php?title=2005-04-16_Wilhelmshavener_Zeitung:_Leichen_sind_gar_nicht_ekelig
http://wiki.benecke.com/index.php?title=Kriminalbiologie_(Book)
http://wiki.benecke.com/index.php?title=2004-12-03_Berliner_Zeitung:_Auf_den_Tod_folgt_Leben_-_das_krabbelt_auf_der_Leiche
http://wiki.benecke.com/index.php?title=2004_QVEST:_In_manchen_Morden_steckt_der_Wurm
10. Hast du Angst vor einer Art von Tier?
Manchmal vor Hermine, dem Farbzwerg (Kaninchen), wenn sie
nicht unterm Sofa raus kommen will...
Mit schlecht gelaunten Leoparden, Schwarzbären, Schlangen usw.
würde ich auch nur ungern in Berührung kommen.
11. Hattest du schon einmal das Gefühl mit dem Beruf aufhören zu wollen, um etwas anderes zu machen?
Ja, gestern. Da hat mir eine Kollegin einen Fall aus Kolumbien gezeigt, wo Drogendealer einen Kollegen von Geiern auffressen
ließen. Mir ist immer noch schlecht -- ernst gemeint. Und bei einer
Schulung in New York, wo wir gelernt haben, Opfer von
Sexualdelikten zu überzeugen, dass wir Abstriche nehmen müssen,
um die objektiven Beweise zu erhalten.
12. Interessierst du dich für den Ausgang deiner bearbeiteten Fälle vor Gericht?
Nein, das ist unprofessionell. Wir sind für Spuren zuständig, nicht
für Schicksale oder Gerechtigkeit, gibt es beides sowieso nicht!
13. Wer darf auf der Body Farm arbeiten, bzw. wer bekommt Zugang dorthin?
Meistens Bachelor-Studentinnen oder Masters-Studentinnen.
Männer finden es in der Regel zu ekelig.
14. Wann warst du das erste Mal dort und was waren deine Eindrücke? Sollte es solch eine Forschungseinrichtung ebenfalls in der Größe in Deutschland geben?
Antworten hier:
http://wiki.benecke.com/index.php?title=2002_SeroNews:_Ein_Besuch_auf_der_%22Body_Farm%22
http://wiki.benecke.com/index.php?title=2003-03-17_FBI_Training:_Human_Remains_Recovery_School
http://wiki.benecke.com/index.php?title=2008-07_Peter_Moosleitners_Magazin:_Wer_hier_liegt,_hilft_dem_FBI
15. Würdest du sagen, dass es deine Arbeit erleichtern würde, bzw. die Aufklärung von Mordfällen, wenn es in Deutschland vermehrt forensische Entomologen gäbe?
Es kann nicht genug geben! Es würde mich sehr freuen.
16. Würdest du es bejahen, dass jedes Bundesland/ jede Mordkommission einen forensischen Entomologen beschäftigen sollte?
Es würde schon reichen, wenn die KollegInnen einmal
grundsätzlich auf der FH zwei, drei Veranstaltungen zu dem Thema
hören dürften. Das würde schon reichen. Den Rest können auch
die Spurensucher der Polizei machen, die das dann ggf. an einen
externen Experten weiter geben. Hat so bisher immer gut geklappt.
Leider lernen die jungen PolizistInnen vor allem Gesetze und wie
man sich benimmt. Das ist super, aber bisschen Kriminalistik wäre
auch nicht schlecht...
17. Gibt es deiner Meinung nach grundlegende/essentielle Dinge, die ein Kripobeamter bei der Mordkommission wissen sollte?
Wie die anderen arbeiten und denken, also die
SpurenkundlerInnen, die JuristInnen, die PsychologInnen, die
NaturwissenschaftlerInnen usw. -- Mehr Reden ist immer gut und
hilft immer.
Früher war es alles viel lockerer und vertrauter und auch in der
Sache viel besser ("zielführender" im Beamtendeutsch). Jetzt
kommen die ganzen bescheuerten Juristen, die keine Ahnung von
der Spurenarbeit haben, und verbieten eine Sache nach der
anderen, da sie unerwünscht seien.
18. Würdest du es bejahen, dass ein Studiengang in Deutschland eingeführt würde, der den Beruf des forensischen Entomologen und somit die Aufklärung von Todesfällen zum Ziel hat?
Das ist mir egal, denn man kann es ja auch ohne Studiengang
einfach machen. Wer sich für was begeistert (egal ob Oboe spielen
oder forensische Entomologie) kriegt das schon hin. Man verdient
halt nichts und alle finden einen komisch, das ist aber beides nicht
unbedingt das Schlechteste, was einem passieren kann.
19. Woran arbeitest du gerade?
Sehr viele Fälle, sehr viele talks, siehe http://benecke.com/
DIE GANZE FACHARBEIT MIT SUPERVIELEN FOTOS UND TABELLEN UND EINEM GUTACHTEN GIBT ES HIER!!!
Lesetipps
- Reise zur Body-Farm in Tennessee (Osthessen Zeitung)