2012-10 ZDFneo The Body Farm: Ich suche nach Lösungen wie Sherlock Holmes
Quelle: ZDFneo, The Body Farm
Ich suche nach Lösungen wie Sherlock Holmes
Interview mit dem Kriminalbiologen Mark Benecke
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VON FLORIAN WEBER UND SEBASTIAN LÜCKEL
Wie erklären Sie sich die anhaltende Faszination am Thema Forensik im TV?
MB: Ich glaube, die Zuschauer rätseln sehr gerne, und je realistischer ein
Krimi, desto unerwarteter, aber auch glaubwürdiger kann die Auflösung
sein.
Wie arbeitet die moderne Forensik und wie sieht Ihre Arbeit genau aus?
MB: Ich untersuche Blutspuren, schaue mir die DNA an und natürlich untersuche
ich die Insekten auf den Leichen. Moderne Methoden können
entweder neue Geräte sein oder Strukturverbesserungen. Da hilft es auch
mal, einen Kaffee mit anderen ForscherInnen und PolizistInnen zu trinken,
um Gedanken auszutauschen. Bei uns verderben viele gute Köche
nicht den Brei, sondern nur so wird ein Fünf-Sterne-Menü daraus.
Inwieweit hat die Forensik die Verbrechensaufklärung beeinflusst und verändert?
MB: Forensik bedeutet, dass man sich Tatorte sehr genau ansieht und
ermittelt, welche Spuren sich dort befinden. Ich denke, diese objektive
Betrachtung von anfassbaren Dingen hilft dabei, die Taten aufzuklären
und zu checken, ob Aussagen von Zeugen oder Annahmen der Ermittler
stimmen oder nicht. Forensik stellt nicht die (ebenfalls wichtigen) Fragen:
Wer kannte wen? Wer hasste wen? Wer profitiert? Diese bearbeiten Andere.
Was hat Sie an dem Beruf gereizt?
MB: Ich tüftle gerne, suche nach Lösungen wie Sherlock Holmes. Das ist mir
aufgefallen, weil ich gerade die Gesamtausgabe der Romane durcharbeite
und sehr angetan bin. Eine große Ausnahme, weil ich sonst nur
Sachbücher lese. Dabei habe ich zu meinem Erstaunen und Vergnügen
festgestellt, dass Holmes und Dr. Watson wirklich haargenau dieselben
kriminalistischen Prinzipien anwenden wie ich heute. Mein Beruf ist also
erfunden worden von Autoren wie Edgar Allen Poe und Arthur Conan
Doyle. Das ist natürlich irgendwie befremdlich.
Es zeigt aber auch, dass objektive Fall-Betrachtungen trotz Karohemd,
dicker Brille und Sandalen (ich früher) oder komischem Hut (Sherlock) und Mangel an Emotionen nicht nur sinnvoll, sondern nicht erst seit C.S.I. spannend sind.
Kriminalbiologe: Beruf, Berufung oder Obsession?
MB: In meinem Fall mein Leben.
Sehen Sie in einem Fall ausschließlich die fachliche Komponente oder beschäftigt Sie auch das persönliche Schicksal dahinter?
MB: Ich helfe den Trauernden, Traumatisierten und manchmal auch der
Gerechtigkeit durch objektive Betrachtung eines Falls. Das ist eigentlich
eine Schwäche, dass ich manchmal nicht so sehr an den Emotionen
interessiert bin. Aber ich habe sie hoffentlich in die Stärke verwandelt, mir
sehr genau kleine, scheinbar langweilige und nebensächliche Dinge lange
und in Ruhe und vergrößert anzusehen, die auch die Täter meist
vergessen.
Glaubt man noch an ein gewaltloses Miteinander, wenn man so viel mit Kriminalfällen zu tun hat wie Sie?
MB: Absolut.
Gibt es ihn aus der Sicht eines Kriminalbiologen, den "perfekten Mord"?
MB: Klar, jeder, den wir nicht entdecken, ist ein perfekter Mord.
Haben Sie der echten "Body Farm" in Tennessee schon einen Besuch abgestattet? Wenn ja, was war das Besondere daran?
MB: Ja, ich war schon ein paar Mal auch als Trainer zu Besuch an der
"Anthropological Research Facility". Sie ist weltweit absolut einzigartig
und ein echtes Traumziel aller an Verwesung und Fäulnis Interessierter.
Sie gibt nicht nur Anthropologen und Forensikern die Möglichkeit, den
Verwesungsprozess echter Leichen besser zu studieren. Auch FBI-BeamtInnen
belegen dort Kurse. Beispielsweise lernen sie dort das behutsame
Ausheben von Gräbern, ohne kleinste Spuren zu zerstören. Auf der
Farm liegen im Durchschnitt 35 Leichen an den verschiedensten Plätzen,
was für den Besucher dann natürlich wie ein Zersetzungs-Crash-Kurs
vom Feinsten ist. Trotzdem ist es für die Betreiber wichtig, die Spender
respektvoll zu behandeln, weshalb die Köper manchmal sogar haargenau
so verwendet werden, wie es sich die Spender vorher gewünscht haben.
(Beispielsweise: "Fäulnis im Angesicht der Sonne"). Manchen meiner KollegInnen vor Ort ist der Ausdruck "Body Farm" unangenehm, für sie
steht der Name eher für ein Krimi als für ihre Arbeit.
Was ist Ihnen am Feierabend lieber? Krimi oder Komödie?
MB: Ich lehne die Idee von "Feierabend" ab. Ich mache ja etwas, was mir Spaß macht und ich mir selbst ausgesucht habe.
Gibt es überhaupt noch etwas, wovor Sie sich ekeln oder fürchten?
MB: Davor, wovor sich alle fürchten sollten: Überheblichkeit, Dummheit, Krieg, Intrigen, Intoleranz, Engstirnigkeit, Kleinkariertheit, fehlende Liebe und Milde.
Mit großem Dank an Florian Weber, Sebastian Lückel und die Redaktion für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.
Lesetipps
- Body Farm (Bachelorarbeit, 2018)