2013 08 Perfect Ink: Interview mit Dr. Mark Benecke
Quelle: Perfect Ink, Heft 1, August 2013, Seite 111
Interview mit Dr. Mark Benecke
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Dies ist die (lange) Roh-Version des Interviews, die im Heft gekürzt erschien!
Perfect Ink: Wie sind Sie als Wissenschaftler der Forensik in die Tattoo-Szene gekommen?
MB: gar nicht, ich bin -- in den worten unseres vorbildes herbert hoffmann -- als “fan” dazu gekommen. in koeln-muelheim bei “elektrische taetowierungen” schlich ich solange vor dem megaoldschooligen fenster rum, bis ich endlich rein bin und mir eine echse aus einem bestimmungsbuch fuer reptilien hab stechen lassen. das war vor ueber zwanzig jahren. ich fuehle mich nicht als teil einer szene, sondern ich bin einfach gerne mit spannenden menschen zusammen, die eier / eierstoecke in der hose haben. viele davon sind taetowiert.
Perfect Ink: Welche Ziele haben Sie mit Pro Tattoo?
MB: nur eins: wir bringen leute in sachen tattoos zusammen, die sich entweder nicht kennen oder normalerweise nicht miteinander sprechen und klaeren dann -- grundsaetzlich immer gemeinsam -- tatsachen:
was ist mit tattoo-farben: sind die jetzt schaedlich oder nicht oder beides oder nichts? welche? wann? wie? wer finanziert ne brauchbare studie? was ist eine brauchbare studie? ist ein tattoo sowas aehnliches wie eine plastische operation? unter welchen bedingungen schliessen sich verbaende zusammen, um was genau warum genau zu bewegen? stimmt es eigentlich, dass politiker und behoerden alle fies und taetowierer alle cool sind? wer kennt jemanden, der...
Perfect Ink: Gibt es „Standard-Farben“ – im Sinne von Fabrikaten – die bevorzugt verwendet werden? Sprich: Ist in der Branche eine bestimmte Marke „state of the art“ und das Mittel der Wahl? Wenn ja, welche?
MB: nein. taetowierer sind sehr eigenverantwortliche und oft auch dickschaedlige menschen, die sich nicht reinreden lassen und ihre kauf- und kunst-entscheidungen so treffen, wie sie wollen. es gibt daher keine vereinheitlichung und keine standards. das ist auch gut so.
jeder taetowiert ja auch was anderes: es gibt kuenstler, die die irrsten farbverlaeufe verwenden und so ne art gemaelde erschaffen und es gibt oldschoolder, die eh nur vier farben (und vier sorten schwarz) brauchen und es gibt alles dazwischen.
Perfect Ink: Sind Farben von Wefa, die laut eigenen Angaben im Einklang mit der Ueta entwickelt werden, das beste Mittel der Wahl?
MB: kann man so nicht sagen. es kommt auf den einzelfall an = welche/r taetowierer/in macht warum was wann wie wo: groesse des tattoos? wie lange soll der effekt (z.b. bei farbverlaeufen) ueberhaupt sichtbar sein (es ist klar, dass ein oldschool-tattoo mit fetten schwarzen outlines auch nach 80 jahren noch erkennnbar ist, ein pschedelischer farbverlauf aber eher schon nach 30 jahren nicht mehr)? ist es ein mini-symbol (drei punkte, eine traene) oder ein ausgefeiltes portrait des lieblingswuffis? hat alles seine berechtigung, kann aber alles mit verschiedenen farb-arten/-typen gemacht werden.
Perfect Ink: Sind in Deutschland gefertigte Farben generell unbedenklich? Wenn ja, warum?
MB: sie sind oft gut kontrolliert, was beispielsweise die hygiene angeht: wenn das deutsche gesundheitsamt in deutschland farb-proben nimmt, kann man ggf. hinterher auch den deutschen hersteller ansprechen -- was schwieriger sein kann, wenn der hersteller in neuseeland sitzt. dass aber auch deutsche farb-hersteller in anderen laendern hergestellte bestandteile verarbeiten, ist auch klar. es geht ja jetzt nicht um milch oder butter von deutschen almwiesen.
grundsaetzlich kommts nicht aufs hersteller-land an, sondern darauf, ob der farbenhersteller erreichbar ist und zuhoert. wie oft habe ich von taetowierern schon gehoert: “ich moechte einfach wen beim hersteller ans telefon kriegen, der mir offen sagt, dass dieses und jenes klar geht -- etwa “keine allergie bei nem kunden, der oft allergisch ist” oder “warum in der zeitung stand, dass die farbe angeblich scheisse ist, obwohl ich sie seit zehn jahren gerne und mit besten ergebnissen verwende? raff ich nicht.
Perfect Ink: Wie so oft ist die Angst schnell groß, wenn jemand über mögliche Gefahren und Nebenwirkungen berichtet. Aus Ihrer Erfahrung heraus: Gab es überhaupt schon einmal Kunden, die gesundheitliche Probleme aufgrund der Tätowierfarben und deren Inhaltstoffe bekommen haben? Wie groß ist diese Chance?
MB: am aller-aller-allerhaeufigsten gehen die frisch taetowierten leutz, obwohl mans ihnen zehn mal mit tiefem blick in die augen gesagt hat, auf die sonnenbank oder ins meer oder schwimmbad, und dann gibts manchmal theater mit entzuendungen. das ist der haeufigste grund fuer probleme, hat aber nix mit den farben zu tun.
mit riesen-abstand dazu gab es frueher schon mal raetselhafte probleme mit hautreizungen. wenn man die leute aber wirklich ernst befragt, haben sie doch scheisse gebaut, z.b. klamotten ueber das frische tattoo schubbern lassen usw.
nachgewisenese faelle, dass die inhaltsstoffe der tattoos an sich problematisch waren, kenne ich nur von allergien (das kann aber auch mit nuessen, soja, aspirin, birkenpollen oder sonstwas passieren und hat also nix mit tattoos zu tun) . ein aktueller fall ist in meiner kolumne im TAETOWIERMAGAZIN in der aktuellen ausgabe; haenge ich an diese mail an. das ist eine absolute ausnahme, sogar die einzige, von der ich jemals gehoert habe.
wir (pro tattoo und andere) foerdern schon immer intensiv beweisbare, gute forschung zu diesem thema und sind gespannt auf die ergebnisse. tenor dabei: es lassen sich ja immer mehr leute taetowieren, da sollte man also bisschen mehr wissen als vorher, wos noch weniger waren. ist ne rein statistisch-naturwissenschaftliche sicht.
moechte auch was aus eigenener erfahrung sagen: ich bin schon in den verranztesten und coolsten studios taetowiert worden, von medellin (kein witz), new york bis muenchen und im “hinterhof”, und ich hatte noch nie irgendein gesundheitliches problem. tattoos sind letztlich hautkratzer...
Perfect Ink: Wird bei der Diskussion um Inhaltstoffe „heißer Wind“ gemacht? Schließlich hat auch angebranntes Grillfleisch eine gewisse gesundheitliche Brisanz. Wie bewerten Sie aus wissenschaftlicher Sicht die kritischen Inhaltstoffe von manchen Tätowierfarben?
MB: ich finde es uebertrieben, weil essen, trinken, einkaufen usw. eben nie hundert prozent sicher sind. wer ein tattoo als was rein kosmetisches sieht und totale sicherheit haben will, sollte es einfach lassen. er/sie sollte aber auch bitte auf keinen fall jemals wieder tiefkuehlgerichte essen oder gar auto fahren. das meine ich todernst. tattoos sind fuer erwachsene.
Perfect Ink: Sorgen Sie sich um die Inhaltsstoffe Ihrer Tätowierungen?
MB: nein. meine tattoos sind bestandteil meiner seele und meines koerpers. alles, was in meiner seele giftig oder schoen, traurig oder aetzend, liebevoll oder gluecksbaerchig ist, gehoert dazu. ich habe mich entschieden, meinen weg zu gehen und mich taetowieren zu lassen, nicht meine taetowierer, nicht mutti, nicht der liebe gott, sondern ich.
es ist sehr gut, dass hygienische, “deutsche” standards gelten, es ist gut, dass die farbenhersteller aufpassen, ihre kunden nicht durch borniertes scheissegaltum verlieren wollen, aber das isses dann auch. man muss das jetzt nicht mit einer million boegen militaerisch durchgliedern.
hinweis: ich sende bei ebay-verkaeufen meine sachen auch schon los, bevor der andere bezahlt hat...meine entscheidung. man koennte es auch “informiertes vertrauen” nennen.
Perfect Ink: Gab es in der Tätowierer-Branche in der Wahl sowie in den Anforderungen an Qualität von Tätowierfarbe in den letzten Jahren eine Veränderung? Wenn ja: Welche und wie kam es dazu?
MB: ja, massiv. auch brummige, oldschoolige taetowierer wollen ihre kunden happy machen. da immer mehr stil-richtungen entstanden sind und auch viele kuenstlerisch und graphisch orientierte taetowierer nun mitmischen, wurde die frage nach der guete der farben bei deutlich groesserer farbpalette auf einmal viel wichtiger als vorher -- frueher galt schon der einsatz von weiss als supercrazy shit aus dem osten. ein neueres beispiel sind zombie-tattoos: es gibt da ganze farbsaetze, unter anderem mit gruen-toenen, um schoen fiese zombie-haut hinzukriegen. aeh, falls zombies technisch gesehen “haut” haben ;)
Perfect Ink: Wir haben stichprobenartig neun Farben testen lassen. Von diesen sind die Farben Atomic Sicily Yellow (Aerobes mesophilic sporulating bacteria), Intenze Basic Lemmon Yellow (o-Anisidine, Barium), Intenze Bob Tyrell Dark Tone (Acenaphtythlene, Pyrene), und Intenze Basic Bright Red (o-Anisidine) aufgrund hoher Anteile der jeweiligen Inhaltsstoffe laut des Chemical Technological Laboratory aus Bielefeld durchgefallen. Wie bewerten Sie diese Stoffe in den Farben?
MB: das mit den aeroben bakterien ist vermeidbar. das kann der hersteller sofort aendern, indem er im labor besser aufpasst und die arbeits-ablaeufe ein bisschen verbessert. den rest, also die “chemikalien”-grenzwerte, muesste man sich mal genauer ansehen: wer verwendet wann wieviel wann bei wem davon? kann man das durch den austausch von bestandteilen der farbe aendern, ohne, dass ein anderer farbton dabei rauskommt? bisher waren die probleme loesbar; in sehr wenigen faellen wurden auch schon farben vom markt genommen. die selbstreinigung des marktes funktioniert also gut. die serioesen hersteller sind zwar oft genug wilde voegel (so wie die kundInnen), aber dafuer stehen sie auch gerade, wenn sie scheisse bauen.
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