2012 ich TU WAS: Die Stundenzeiger der Totenuhr: Difference between revisions
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Revision as of 16:02, 4 March 2013
Quelle: ich TU WAS!, September 2012
Die Stundenzeiger der Totenuhr
Mord aufklären – mit Maden
[Weitere Interviews mit MB] [Hier gibt es den Artikel als .pdf]
Vorwort
Ich helfe bei der Aufklärung
von Kriminalfällen auf ganz
besondere Weise mit – ich
bin nämlich Fachmann für
biologische Spuren. Mein
Spezialgebiet ist die „ forensische
Entomologie“, das
macht in Deutschland außer
mir kaum jemand. „Forensik“
nennt man die Aufklärung
eines Kriminalfalls durch
Polizei und Rechtsmedizin,
„ Entomologie“ heißt die
Insektenkunde. Als Insektenforscher
untersuche ich
Fliegen, Käfer und ihre
Larven auf Leichen. Daraus
ziehe ich dann Schlüsse
über Tatzeit, Tatort und Tat -
hergang. Auf der Seite
12/13 verrate ich dir dazu noch mehr.
Meist habe ich kniffelige Einzelfälle zu lösen.
Da muss ich herumtüfteln und winzigen Spuren
nachgehen: Wie lag der Tote da? Wie lange ist
er schon tot? Ist der Fundort auch der Tatort?
Tüfteln habe ich schon als Kind gemocht. Schon
damals war ich der Einzige in meiner Schul -
klasse, der Chemie super fand. Während die
anderen draußen Fußball spielten, habe ich
lieber mit meinem Chemiebaukasten experimentiert.
Später habe ich Biologie studiert – in die
Kriminalbiologie bin ich später durch Zufall
„ reingerutscht“.
Ob ein Fall später gelöst wird, erfahre ich oft
gar nicht, und es interessiert mich auch nicht so.
Ich bin ja keiner, der Verbrecher jagt. Ich jage
höchstens die Insekten auf einer Leiche. Tote und
Leichengeruch finde ich zwar nicht gerade
toll, aber beides gehört einfach dazu. Kriminalbiologe ist zwar ein seltener Beruf, aber reich
wird man trotzdem nicht damit. Neben den Gutachten
fürs Gericht gebe ich daher zusätzlich
Lehrgänge im In- und Ausland, halte Vorträge
auf Kongressen, schreibe Artikel und Fach -
bücher – und berichte sogar in Schulklassen
über meine Arbeit!
In diesem ich TU WAS!-Heft geht es neben
ungelösten Kriminalfällen auch darum, wie die
Natur alles „ tote“ Material wieder in Rohstoffe
verwandelt. Wir Menschen sollten uns für unsere
Abfälle ein Beispiel daran nehmen.
Eine spannende Lektüre wünscht dir
Dr. Mark Benecke,
Kriminalbiologe, Köln
Interview
Das gelingt Dr. Mark
Benecke, Kriminalbiologe
aus Köln. Wegen seiner
„tierischen Gehilfen“
wird er oft „Herr der
Maden“ genannt. Mit
welchen biologischen
Tricks er Verbrechen aufklärt,
verrät er in unserem
Interview.
Herr Dr. Benecke, was genau
macht ein Kriminalbiologe?
Ich ergründe nicht die Todesursache, also ob ein Opfer erdrosselt oder vergiftet worden ist – das ist Aufgabe der Rechtsmediziner. Ich analysiere Spuren, die auf den Zeitpunkt der Tat und den Hergang hindeuten können, also zum Beispiel: Wie haben sich Blutspuren am Tatort verteilt? Was verraten Faser- oder Hautreste? Ich untersuche auch Insekten, ihre Eier, Larven und Puppen auf einem Leichenfund, um die Tatzeit bestimmen zu können – das kann unter Umständen einen Mörder überführen.
Können Sie mal ein Beispiel geben?
In der Nähe von
Braunschweig wurde 1997 die
Frau eines Pastors ermordet.
Ihre Leiche fand man in einem
Wald auf. Ihr Mann bestritt,
jemals am Tatort gewesen
zu sein. Mithilfe von drei
Schmeißfliegenlarven konnte
ich damals genau bestimmen,
seit wann die Leiche der Frau
im Freien lag. Für diesen Zeitpunkt
hatte der Pastor kein
Alibi. Und schwarze Holzameisen an seinem Stiefel
bewiesen, dass er in dem
Waldgrundstück gewesen
sein musste, wo man seine
tote Frau gefunden hatte. Diese
insektenkundlichen Gutachten
sah der Richter als einen von
weiteren Beweisen dafür an,
dass der Pastor der Täter war.
Was hatten die Fliegen mit der Tatzeit zu tun?
Ihre Larven sind Aasfresser. Dabei hat
jede Art eine ganz bestimmte
Entwicklungszeit vom Ei bis
zur fertigen Fliege. Aus dem
Alter und der Art der vorgefundenen
Maden kann ich
errechnen, wie lange ein toter
Körper dort schon gelegen
haben muss. Die Leiche ist
sozusagen die „ Totenuhr“,
die Larven darin sind wie
Stunden- und Minutenzeiger.
Die verschiedenen Arten geben
je nach dem Zustand der
Leiche die Stunden an, die
Größe der Larven die Minuten.
Um ihre Art im Labor zu bestimmen,
muss ich entweder
die arttypischen Mundwerkzeuge
präparieren oder die
Maden großziehen. Nach der
Verwandlung zur erwachsenen
Schmeiß-, Fleisch- oder Goldfliege
ist es am einfachsten,
die genaue Art der Fliegen
festzustellen.
Und die verrät dann die Liegezeit des Toten ...
Ja, die Arten geben aber oft auch Hinweise,
ob die Leiche immer
am selben Ort gelegen hat. In
geschlossenen Räumen kommen
nämlich andere Fliegenarten
vor als im Freien. Sogar die
Todesursache können sie
manchmal aufklären: Dann
nämlich, wenn sie Gifte oder
Drogen aufgenommen haben,
die im toten Körper längst
nicht mehr nachweisbar sind.
Woher wissen Sie, in welchem Leichenstadium welche Maden leben?
Das wurde über Jahrhunderte
von vielen Damen
und Herren, die meine Vorgänger
waren, erforscht.
Auch ich bin schon seit
20 Jahren damit beschäftigt.
Jeden Sommer checken wir
weltweit mit Studenten, ob
sich an den gewonnenen
Erkenntnissen etwas geändert
hat – das kommt wegen
des Klimawandels schon mal
vor ...
Haben Sie unter all den „Aasfressern“ ein Lieblingstier?
Ich
mag den blaumetallischen
Brummer, der toll glitzert, den
rotbeinigen Schinkenkäfer,
der aussieht, als ob er Socken
anhätte, und die Käsefliege,
die so schön schwarz ist.
Mit welcher Methode ermitteln Sie sonst noch?
Mit
dem „ genetischen Fingerabdruck“. Da untersucht man
in Körperzellen wie Haaren,
Haut, Speichel oder Blut die
DNA, also die Erbsubstanz.
Der „ Fingerabdruck“ der
DNA ist für jeden Menschen
einzigartig. Die Methode
nützt besonders bei der Identifizierung
des Täters, wenn
man Vergleichsproben von
Verdächtigen hat. Man kann
sogar aus blutsaugenden
Stechmücken am Tatort
die DNA eines Täters
ermitteln. Richtig durchgeführt,
ist der „ genetische Fingerabdruck“ die
sicherste Methode überhaupt.
Für die Weiterentwicklung der DNA-Methode wurden Sie sogar ausgezeichnet ...
Ja,
vom Bund der Deutschen
Kriminalbeamten mit einer
Ehrennadel.
Letzte Frage: Sehen Sie als Kriminalbiologe gerne gruselige Krimis?
Nein, gar nicht, ich
habe gar keinen Fernseher –
das Leben ist eh schon verrückt
genug.
Mit herzlichem Dank an Oliver Dauberschmidt und die Redaktion für die Freigabe und die Genehmigung zur Veröffentlichung.