Benecke Einseitiges Auftreten von Maden im Gesicht einer Leiche

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Quelle: Archiv für Kriminologie, Band 208, Seiten 182-185 (2001)
Source: Archiv für Kriminologie (Archives for Criminology, indexed in Medline) 208:182-185 (2001)

Rein einseitiges Auftreten von Schmeißfliegenmaden im Gesicht einer Faulleiche

Purely unilateral occurrence of blowfly maggots in the face of a decomposing body

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VON / BY MARK BENECKE

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Summary

The corpse of a 41-year-old medical doctor was found in his bed. The body was part-iaily dried out; parts of the hip region were skeletonized due to maggot activity. In the fa-cial region of the corpse, blowfly maggots (Lucilia (Phaenicia) sericata [Meigen]) were found exclusively in one eye socket. This is an unusual occurrence since on that side, a bed-light (40 W light bulb) had been burning during the seven week post mortem interval. All other lights in the apartment were switched off, and no direct sunlight could enter the space where the body was found (only a TV set had been running all the time, ca. 2 m away from the head at the foot end of the bed). Obviously, the maggots who usually flee light had used up the one eye that was further away from the bedlight as a feeding source. Since the con-tinuing mummification of the corpse led to a substantial restriction of feeding material, the maggots finally switched to the eye that the light was shining on.


l. Fundsituation

In der ersten Etage eines innerstädtischen Wohnhauses im stärker begrünten Süden Kölns wurde am l. August 2001 in der Wohnung eines 41-jährigen, alleine lebenden Krankenhausarztes dessen teilmumifizierte Leiche im Bett liegend angetroffen (Abb. l). Die Oberhaut war fetzig abgelöst und vertrocknet, Teile des Haarschopfes lagen abgelöst auf dem Boden am Kopfende des Bettes. Die Augenhöhlen (nicht aber die Lider) waren deutlich sichtbar von Maden ausgefressen, die Lippen waren durch zahlreiche Madendurchtrittsstellen vollständig löchrig aufgelöst (Abb. 2). Im linken Hüftbereich, der unter einer Bettdecke gelegen hatte, fanden sich madenbedingte Gewebsdefekte, die bis auf den Hüftknochen reichten; Arme und Beine waren ausgetrocknet und nicht von Maden besiedelt. Neben dem Bett fand sich eine Schüssel, die als "Brech-Eimer" interpretiert wurde, mit sehr dichtem Besatz toter Schmeißfliegenlarven.


Der Fernseher am Fußende des Bettes war in Betrieb. Es gab keine Deckenbeleuchtung; direktes Sonnenlicht konnte den Körper nie erreichen, da die Leiche hinter einem regalartigen Zimmerteiler lag. Die einzige Fensterfront wies zudem nach Nordost (der Sonne abgewandt). An der rechten Kopfseite des Bettes war eine Bettlampe mit 40 Watt-Glühbirne angeschaltet, die von der Leiche in stumpfem Winkel fortwies (Abb. l). Es herrschte insgesamt sommerliche Raumtemperatur; ein großes Terrassenfenster stand beim Eintreffen des Berichterstatters in Kippstellung. Der Wohnungsschlüssel steckte von innen, so dass das Schloss von der Feuerwehr mit einem Schlossöffner von außen entfernt werden musste. Die Feuerwehr betrat den Raum mit Atemschutzgeräten; die danach eingetroffene Schutzpolizei weigerte sich wegen angeblicher Gesundheitsgefahr einzutreten. Die Wohnungstür stand bis zum Eintreffen der Kriminalpolizei/des zugezogenen Kriminalbiologen etwa eine halbe Stunde lang offen, so dass erwachsene lebende Fliegen entweichen konnten.


Datierte Zeitungen und Briefe wiesen darauf hin, dass der Bewohner seit Anfang Juni die Wohnung nicht mehr verlassen hatte. Dementsprechend fand sich zuoberst auf Papierstapeln ein Kongressheft einer ärztlichen Fortbildung in Mallorca, die am 3. Juni 2001 geendet hatte. Studentische Flur-Nachbarn berichteten damit übereinstimmend, dass sie seit etwa sieben Wochen ohne Unterbrechung Geräusche ein und desselben Fernsehsenders aus der Wohnung des Toten vernommen hätten (Musik-Video-Kanal). Die Untersuchung der Fliegenbesiedlung erbrachte keine dieser ersten Zeitschätzung widersprechenden Ergebnisse.


Am Fuß des gekippten Nordost-Fensters wurden Dutzende toter erwachsener Schmeißfliegen der Gattung Lucilia (Lucilia (Phaenicia) sericata (Meigen)) angetroffen; lebende Maden und Puppen waren im Umkreis von etwa zwei Metern um das Bett unter verstreut herumliegenden Buchstapeln, Aktenordnern, Teppichteilen und Schachteln zu finden. Die Küche enthielt praktisch keine Lebensmittel; es fanden sich auch sonst im Wohnbereich oder im kombinierten Badezimmer/Toilettenraum keinerlei organische Abfälle oder andere Reste, die als Flie-genhabitat hätten dienen können.


2. Diskussion der Befunde

Die angetroffene Maden-, Puppen- und Fliegenpopulation stammte von der Besiedlung der Leiche.


Maden fliehen im Gegensatz zu erwachsenen Tieren das Licht. Die im vorliegenden Fall somit paradoxe Situation, dass gerade nur die beleuchtete Seite des Gesichtes der Leiche von Maden besiedelt war, erklärt sich vermutlich wie folgt:


Die normalerweise lichtfliehenden Tiere hatten zunächst die andere, dem indirekt über die Wand einfallenden Licht abgewandte, linke Augenhöhle besiedelt, konnten aber angesichts der zunehmenden Austrocknung der Leiche zuletzt nur noch die rechte Augenhöhle als Nahrungsgrundlage nutzen. Eine Brückenbildung über den Arm (vgl. Abb. l) von der Schüssel auf dem Boden hin zur Augenhöhle ist nicht möglich, da Maden nicht aufwärts kriechen können.1


Zu diskutieren wäre eine mögliche Bevorzugung der beleuchteten Kopfseite durch Maden, weil dort eine durch die Wärmeabgabe der Lampe minimal erhöhte Temperatur herrschte, die von den wechselwarmen Larven in der Regel bevorzugt wird. Angesichts der ohnehin sommerlichen Temperaturen, der bereits erfolgten Ausfressung des anderen Auges, vor allem aber auch wegen der durch die Wärme der Lampe begünstigten, rascheren Austrocknung des Leichengewebes auf der scheinbar bevorzugten Seite erscheint das aber weniger plausibel.


Ein vergleichbarer Fall rein einseitiger Madenbesiedlung der Augenhöhlen wurde nach unserer Kenntnis bisher noch nicht berichtet und hätte bei einer isolierten Betrachtung der Leiche, beispielsweise bei einer äußeren Leichenschau abseits des Fundortes, trotz umfangreicher Kenntnis der Lebensgewohnheiten leichenbesiedelnder Gliedertiere (1-7) mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer Fehlinterpretation der Besiedlungsfolge des Gesichtes sowie ggf. vorhandener Madenfraßspuren in Abgrenzung zu potentiellen Verletzungsspuren (vgl. dazu [6]) geführt. Insbesondere hätte eine primäre Verletzung des nun von Maden verlassenen Auges, beispielsweise durch einen Stich, mit daran anschließender bevorzugter Besiedlung dieses Auges fälschlicherweise vermutet werden können.


Der Autor dankt dem Kriminalkommissariat 11 der Kölner Polizei für die gute Zusammenarbeit; im vorliegenden Fall wurden die Ermittlungen von KOK Christian Kuhlemann gefuhrt.


Zusammenfassung

Bericht über die ungewöhnliche Besiedlung nur einer - dem Licht (40 W-Glühbirne einer Bettlampe) zugewandten rechten - Augenhöhle einer teilmumifizierten Leiche mit Larven der Schmeißfliege Lucilia [Phaenicia] sericata (Meigen). Die postmortale Liegezeit betrug etwa 7 Wochen. Vermutlich hatten die normalerweise lichtfliehenden Maden zunächst die andere, dem Licht abgewandte, linke Augenhöhle besiedelt, konnten aber angesichts der zunehmenden Austrocknung der Leiche zuletzt nur noch die rechte Augenhöhle als Nahrungsgrundlage nutzen. Ein vergleichbarer Fall wurde noch nicht berichtet und hätte bei einer retrospektiven Betrachtung der Leiche abseits des Fundortes mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer Fehlinterpretation der Besiedlungsfolge geführt.


(1 gilt nur, wenn sie trocken sind. 29. Okt. 2004, MB)


Literatur


(1) Benecke, M. (Ed.): Special Issue: Forensic Entomology. Forensic Sei. Int. 120: 1-160 (2001)

(2) Byrd, J. H., Castner, J. L. (Eds.): Entomological Evidence. Utility of Arthropods in Legal Investigations. CRC Press (Boca Raton), 2000

(3) Catts, P. E., Haskell, N. H. (Eds.): Entomology and Death, A Procedural Guide. Joyce's Print Shop (Clemson), 1990

(4) Goff, M. L.: A Fly for the Prosecution. How insect evidence helps to solve crimes. Har-vard University Press (Cambridge [MAj/London), 2000

(5) Nuorteva.P.: Sacrophagous Insects as Forensic Indicators. In: Tedeschi, C. G., Eckert, W. G., Tedeschi, L. G. (Eds.): Forensic Medicine. A study in trauma and environmental hazards. Vol. II, Saunders (Philadelphia), pp. 1072-1095 (1977)

(6) Pollak, S., Reiter, C.: Vortäuschung von Schussverletzungen durch postmortalen Madenfraß. Arch. Kriminol. 181: 146-154 (1988)

(7) Smith, K. G. V.: A Manual of Forensic Entomology. The Trustees of the British Museum (Natural History) (London), 1986


Anschrift des Verfassers:

Dr. rer. medic. Dipl.-Biol. Mark Benecke, Int. Forensic Research & Consulting, Postfach 250411, D-50520 Köln

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Dr. rer. medic. Mark Benecke · Diplombiologe (verliehen in Deutschland) · Öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für kriminaltechnische Sicherung, Untersuchung u. Auswertung von biologischen Spuren (IHK Köln) · Landsberg-Str. 16, 50678 Köln, Deutschland, E-Mail: forensic@benecke.com · www.benecke.com · Umsatzsteueridentifikationsnummer: ID: DE212749258 · Aufsichtsbehörde: Industrie- und Handelskammer zu Köln, Unter Sachsenhausen 10-26, 50667 Köln, Deutschland · Fallbearbeitung und Termine nur auf echtem Papier. Absprachen per E-mail sind nur vorläufige Gedanken und nicht bindend. 🗺 Dr. Mark Benecke, M. Sc., Ph.D. · Certified & Sworn In Forensic Biologist · International Forensic Research & Consulting · Postfach 250411 · 50520 Cologne · Germany · Text SMS in criminalistic emergencies (never call me): +49.171.177.1273 · Anonymous calls & suppressed numbers will never be answered. · Dies ist eine Notfall-Nummer für SMS in aktuellen, kriminalistischen Notfällen). · Rufen Sie niemals an. · If it is not an actual emergency, send an e-mail. · If it is an actual emergency, send a text message (SMS) · Never call. · Facebook Fan Site · Benecke Homepage · Instagram Fan Page · Datenschutz-Erklärung · Impressum · Archive Page · Kein Kontakt über soziale Netzwerke. · Never contact me via social networks since I never read messages & comments there.