2017 03 Tatort Muenster: Auf dem Pruefstand
Tatort Münster: Auf dem Prüfstand
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VON CHRISTIAN VOCK
„Tatort: Fangschuss“: Thiel und Boerne – ein rein fiktives Pärchen
Kommissar Thiel und Professor Boerne sind sicher eines der schillerndsten Ermittler-Duos im „Tatort“. Hier der exaltierte Professor und dort der grummelige Kommissar. Kriminalbiologe Mark Benecke erklärt, warum ein solches Pärchen in der Realität nicht zusammenarbeiten würde: Weil es das gar nicht müsste.
Professor Boerne und Kommissar Thiel arbeiten nicht nur zusammen, sie wohnen auch noch gegenüber. Das bietet im „Tatort“ reichlich Raum für die endlosen Kabbeleien zwischen dem Rechtsmediziner und dem Kommissar. Wir haben den bekannten Kriminalbiologen Dr. Mark Benecke gebeten, sich das skurrile „Tatort“-Pärchen in ihrem neuesten Fall einmal anzusehen.
Herr Dr. Benecke, Sie haben versucht, sich den „Tatort“ anzusehen, haben aber nicht durchgehalten. Woran ist es denn gescheitert?
Mark Benecke: „Ach, ich habe ausgeschaltet, weil das alles nichts mit dem zu tun hat, was in unserer Welt von Belang ist. Für uns ist eine Spurensituation etwas Ernstes und Unemotionales, bei dem zwischenmenschliche Beziehungen stören. Es würde bei uns niemand auf die Idee kommen, laufend Witze oder Anmerkungen über den anderen zu machen. Diese ganze Geschichte handelt aber vorwiegend von zwischenmenschlichem Kram.“
Also alles zu unrealistisch und emotional?
Benecke: „Ja, in der Spurenwelt zählt alles außer Emotionen. Selbst zeitlich-räumliche Aspekte sind uns egal, das macht die Polizei. Nur mal ein Beispiel aus der Praxis: Wenn wir im Magen eines Verstorbenen Schwarzbrot finden und den Käse im Schlund, dann ist klar, dass er zuerst das Schwarzbrot gegessen hat. Damit endet dann aber auch schon das Zeitlich-Räumliche für uns. Wir können nur sagen, dass die Spuren da sind – bewerten tun es die anderen.“
Diese ständige und enge Zusammenarbeit zwischen einem Gerichtsmediziner und einem Kommissar gäbe es so in der Realität also gar nicht?
Benecke: „Früher war es so, dass erfahrene Kripoleute auch immer mit den gleichen Rechtsmedizinern zu tun hatten. Seit ungefähr zehn Jahren ist es aber so, dass Polizisten tendenziell möglichst breite Verwendung erfahren. Das heißt, es kann passieren, dass sie in andere Abteilungen gehen. Ein Bekannter zum Beispiel war lange bei den Todesermittlern, dann ging er zur Polizei-Aufbauarbeit in ein kriegszerstörtes Land und danach landete er bei der Abteilung für Fahrraddiebstähle. Das ist unvorstellbar, führt aber mitunter dazu, dass diese langen Berufs-Beziehungen nicht mehr so oft entstehen.
Dass man sich gegenseitig so lange kennt und damit auch die Marotten des anderen, spielt anders als im „Tatort“ bei der Arbeit kaum eine Rolle. Die menschlichen Marotten sind auf einer persönlichen Ebene völlig egal, solange sie in der fachlichen Zusammenarbeit nicht stören.“
„Tatort: Fangschuss“: Was Rechtsmedizin mit Harry Potter zu tun hat
Gestatten, Boerne: Rechtsmediziner und Professor für forensische Pathologie. So stellt sich Mediziner Boerne auch im „Tatort: Fangschuss“ wieder vor. Aber was genau ist das? Kriminalbiologe Dr. Mark Benecke bringt für uns Licht ins Begriffswirrwarr und erklärt, was Rechtsmedizin mit Harry Potter zu tun hat.
In Krimis geraten viele Begriffe durcheinander: Gerichtsmediziner, Pathologe, forensischer Pathologe oder auch Kriminalbiologe. Professor Boerne zum Beispiel stellt sich als Rechtsmediziner und Professor für forensische Pathologie vor. Aber wo ist der Unterschied zwischen den ganzen Berufsbezeichnungen? Dr. Benecke ist selbst Kriminalbiologe und erklärt die Besonderheiten.
Herr Dr. Benecke, Boerne ist „Rechtsmediziner und Professor für forensische Pathologie.“ Was bedeutet das?
Benecke: „Es gibt in ganz Deutschland keinen einzigen forensischen Pathologen – außer im „Tatort“ und übersetzten Krimis aus den USA. Eine Pathologin oder ein Pathologe kennt sich auch in Deutschland mit krankhaften Gewebe-Veränderungen aus, aber nicht mit Gewalteinwirkungen. In den USA können Pathologen und Pathologinnen als Zusatzausbildung daher forensische Pathologie machen, also alles mit einem kriminalistisch interessanten Hintergrund.
In Deutschland ist der Facharzt zur Rechtsmedizin eine eigene fünfjährige Zusatzausbildung nachdem man schon Arzt ist. Dann ist man aber kein Pathologe, sondern Rechtsmediziner. Beide sind Fachärzte, aber für ziemlich verschiedene Wissensgebiete. Ich hingegen bin Biologe, es gibt aber auch zum Beispiel Kriminalchemiker.“
Professor Boerne ist als sehr exaltierte Figur angelegt. Gibt es einen bestimmten Menschentyp des Rechtsmediziners?
Benecke: „Nein, überhaupt nicht. Ich habe bei jüngeren Ärzten gehört, dass es zwei Gründe geben soll, warum man als Rechtsmediziner oder auch als Kriminalbiologe arbeitet. Zum einen, weil man selbst zu nahe an den Tod gekommen ist, zum Beispiel durch den Tod eines Bekannten oder Verwandten. So wie bei Harry Potter. Da gibt es dieses eine Mädchen, Luna Lovegood, die ihre Mutter hat sterben sehen. Solche Menschen, die schon einmal eine solche Erfahrung hatten, können nicht nur im Film bestimmte Dinge klarer sehen.
Oder man hat sogar am eigenen Leib traumatische Erfahrung mit dem Tod oder Missbrauch gemacht. Ein Kollege von mir war beispielsweise mal entführt worden … nicht schön. Das will aber natürlich niemand öffentlich sagen. Zum anderen glaube ich, dass manche Ärzte auch nicht mit lebenden Patienten zu tun haben wollen.“
Und was ist mit der Überheblichkeit eines Professor Boerne, kennen Sie die aus der Praxis?
Benecke: „Dass Menschen wie Boerne oder auch schon Sherlock Holmes als arrogant wahrgenommen oder dargestellt werden, ist, glaube ich, eine Fehlinterpretation. Wenn jemand von außen betrachtet relativ emotionslos mit Themen umgeht, die bei anderen aber sehr starke Emotionen auslösen, dann wirkt das halt manchmal seltsam.
Ähnliches gilt auch für sehr schüchterne Menschen. Die werden auch oft für arrogant gehalten, weil sie sich eben so zurückhalten. Die sind aber das genaue Gegenteil von arrogant. Ansonsten findet man meiner Erfahrung nach bei Gerichtsmedizinern das gesamte Panoptikum menschlicher Charaktere.“
Mit großem Dank an Christian Vock für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.
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