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Quelle: Mitteilungen aus dem Naturwissenschaftlichen Verein in Hamburg "Natur und Wissen", Ausgabe 2015(11), Heft 12, Seiten 25 bis 26
Spuren an und um Leichen
[Weitere Artikel von MB] [Artikel über MB]
VON MATTHIAS BURBA
Im November 2014 hat Herr Dr. Benecke in Hamburg im Rahmen der Vorlesungsreihe über Forensik einen Vortrag zum Thema "Spuren an und um Leichen" gehalten, der sehr gut besucht war.
Matthias Burba: Ihre Berufsbezeichnung
ist Forensiker oder forensischer
Entomologe. Wie wird man das und was
macht man da?
Dr. Benecke: Ich habe Biologie studiert
und bin dann in das Fach reingerutscht,
weil ich in der Rechtsmedizin
in Köln ein Praktikum (über genetische
Fingerabdrücke) gemacht habe. Ich habe
diese Technik dann in die Zoologie in
Köln transportiert (Typisierung von Fadenwürmern)
und umgekehrt zoologische
Techniken in die Rechtsmedizin gebracht
(Insekten aufLeichen) . Da die Polizistlnnen
das auch interessant fanden,
hat sich der Rest dann ergeben. Irgendwann
sagte der Chef des Kölner Amtsgerichtes,
ich solle mich doch mal öffentlich
bestellen und vereidigen lassen -- auch das hat dann gut geklappt. Da es nur
wenige Menschen gibt, die sehr schlecht
bezahlte Fälle bearbeiten, die außerdem
auch noch schräg und oft traurig sind, bin
ich jetzt Sachverständiger für biologische
Spuren und schräge Fälle.
Matthias Burba: Hat da ihr familiäres
Umfeld bei der Berufswahl eine Rolle gespielt?
Dr. Benecke: Ja, meine Mutter ist ein
ausgesprochenes Organisationstalent (sie
hat lange in einer Anwaltskanzleien die
Team-Orga gemacht) und mein Vater ist
Ingenieur, der mit meinem Bruder und
mir gerne am Küchentisch alles mögliche
auf Platinen gelötet hat - passt.
Matthias Burba: Wie reagiert eigentlich
Ihre Umgebung auf diese Aufgabenbeschreibung?
Dr. Benecke: Gar nicht. Meine FreundInnen
wissen, was ich mache und wir reden
über irgendwas anderes ("welche Frittensauce?",
"wie geht es Dir gerade?",
"kannst Du mal die Einkaufstasche kurz
halten?"). Die übrigen Menschen fragen
mich nicht, da man ja niemandemnsieht,
welchen Beruf er oder sie hat. Beweis:
Die Bundespolizei filzt mich regelmäßig
und unnachgiebig.
Im Ernstfall sage ich einfach, dass ich
Biologe bin - das ist offenbar das Langweiligste,
was es auf der Welt gibt, so dass danach
noch nie (wirklich noch nie) jemand
weiter gefragt hat.
Matthias Burba: Was finden Sie an Ihrem
Beruf spannend, was langweilt Sie?
Dr. Benecke: Das beste und wirklich
unbezahlbare ist, dass ich nie weiß, was in fünf Minuten an Anfragen kommt. Da
mir - wie übrigens auch Sherlock Holmes,
was ich vor ein paar Jahren für einen Artikel
über die Arbeitsmethoden der Romanfigur
feststellen musste - schnell langweilig
ist, ist das also perfekt für mich und
meine Mitarbeiterin Tina, die genauso gestrickt
ist.
Langweilig ist es immer sofort, wenn die
Menschen lügen oder tricksen. Da habe
ich null Ehrgeiz, lange Gespräche zu führen
oder Spuren anzuschauen, sondern
wende mich einfach ab und mach was anderes.
Bei uns geht's um Wahrheit, nicht
um Vorteile, Macht oder Gelaber.
Matthias Burba: Wann sollte man Ihre
Expertise in Anspruch nehmen, Was kann
man von Ihnen erwarten?
Dr. Benecke: Ich nehme jeden Fall an,
der Sinn ergibt, von Silberfischchen oder
Schmeißfliegen, die unerklärlicherweise
auftauchen bis hin zu mumifizierten Katzen
auf dem Speicher oder getöteten Kindern.
Für mich sind alle Fälle gleich, solange
es Spuren gibt. Wenn es keine Spuren
gibt, kann ich nichts tun.
Matthias Burba: Welche Fehler werden
aus Ihrer Sicht in der Forensik am häufigsten
gemacht, wie versuchen Sie diese zu
vermeiden?
Dr. Benecke: Die üblichen: Faulheit,
Überheblichkeit, Voreingenommenheit,
wie in allen Lebensbereichen.
Wir vermeiden sie hoffentlich dadurch,
dass wir niemals irgendetwas als gegeben
annehmen, absolut gar nichts. Wir prüfen
alles, egal, wie nebensächlich oder langweilig
es scheint und geben es dann noch
KollegInnen, die ihre objektive Sicht dazu
äußern.
Ich höre mir auch sehr gerne und täglich
die Meinung fachfremder Laien an. Die
haben oft einen sehr unverstellten Blick
und keinen Respekt vor dem Fall, dem
Tod oder mir, sondern wissen etwas aus
ihrer Lebenserfahrung, was ich nicht weiß:
Ein Tätowierer, der etwas über den Stil des
Tattoos auf dem verfaulten Arm der Leiche
weiß, ein Fliesenleger, der etwas über
die Fliesen in der Tasche, in der der Arm
lag, weiß usw.
Matthias Burba: Ihre Website und auch
eine Google - Recherche fördern weitere,
vielfältige Tätigkeiten zu Tage, die sie außerdem
noch ausüben.
Welche haben am meisten, welche am
wenigsten mit Forensik zu tun?
Dr. Benecke: Forensik ist für mich, das
total irre und unlogische Leben anhand
von Spuren zu beschreiben. Da alles Spuren hinterlässt, ist für mich jede Handlung
auch potentiell "forensisch" - es ist
gut, wenn ich weiß, was BDSMlerlnnen,
Gruftis, SurferInnen, HiphopperInnen,
Pfeifenraucherlnnen, alte Leute, Kids,
Hacker und sonst wer machten. Sonst
übersehe ich, wenn's dann mal ein echter
Tatort ist, die entscheidenden Spuren, weil
ich nicht weiß, wozu mensch Gleitcreme,
Hoodies, extralange Streichhölzer, Schlaftabletten,
einen Zusatz-Schalter im Rechner,
eine Knoblauchzehe oder sonst was
brauchen könnte, nehme es dann als "nebensächlich"
wahr und untersuche es daher
nicht.
Matthias Burba: Welche Beziehungen
sehen Sie zwischen Ihren übrigen Aktivitäten
und der entomologischen Forensik?
Dr. Benecke: Keine. Insekten auf Leichen
sind ein extrem kauziges Spezialgebiet,
bei dem man komplett in die Lebenswelt
der Tiere eintauchen muss. Das hat
mit Menschen nur noch sehr, sehr wenig
zu tun.
Matthias Burba: Wie schafft man das
ganze Programm eigentlich rein zeitlich?
Dr. Benecke: Mehr arbeiten. 7 x 12
Stunden = 84 Stunden. Das ist besser als
37,5 Stunden und Rumgetrödel in nutzlosen
Sitzungen nebst Braten in der Sonne.
Wie Gunter von Hagens, bei dem ich
mal gearbeitet habe, sagte: "Wer doppelt
so lange arbeitet, schafft doppelt so viel."
Zack, sehr einfach.
Matthias Burba: Sie haben u.a. ein umfangreiches
Buch über den zwischenzeitlich
verstorbenen, ehemaligen Leiter der
Rechtsmedizin der Charite, Prof. Prokop.
geschrieben. Bei Recherchen findet man
sehr unterschiedliche Bewertungen über
ihn. Ihr Buch ist mit sehr viel Engagement,
aber auch spürbarer Faszination für
Prof Prokop verfasst. Was hat Sie veranlasst,
das Buch zu schreiben?
Dr. Benecke: Weil es sonst keiner machen
wollte. Die MfS-Leute nerven bis
heute extrem und haben erkennbar jeden
Menschen unter Druck gesetzt, der sich da
ran wagen wollte. Ich habe noch nie im
Leben soviel Feigheit erlebt, wie bei der
Recherche für dieses Buch.
Ich empfand es als Schande, dass die wissenschaftlichen
Leistungen dieses quer
denkenden, gut organisierten, anregenden
und naturwissenschaftlich brillant arbeitenden
Kollegen wegen der Weicheirigkeit
und - nochmal - grenzenlosen Feigheit
seiner MitarbeiterInnen einfach vergessen
werden sollte.
Matthias Burba: Wie hat die Familie
von Prof. Prokop auf die Veröffentlichung
reagiert?
Dr. Benecke: Kein Kommentar - das habe
ich einigen Menschen versprochen. Es
hat aber einen (erfreulichen und schönen)
Grund, dass ausgerechnet ich das in Ostberlin
stadtbekannte, originale EmailleSchild
von Prokops Instituts-Eingang besitze.
Matthias Burba: Als Leser des Buches
wird einern deutlich, wie vielschichtig
Prof. Prokop als Persönlichkeit war. Gibt
es Eigenschaften, die Sie besonders beeindruckt
haben, vielleicht sogar für sich anstreben?
Dr. Benecke: Prokop hat Dinge experimentell
geprüft, bei denen immer irgendwer
gesagt hat "das ist doch eh logisch"
oder "das kann ich durch Denken lösen"
(Halszuschnürung) oder "das ist doch totaler
Schmarrn, wozu soll das gut sein"
(Blutgruppen bei Pflanzen und Schnecken).
Erstaunlicherweise karn bei den Experimenten
aber immer etwas anderes heraus,
als das, was die anderen durch Denken
"gelöst" hatten oder - häufiger - etwas
ganz Neues, an das niemand, auch Prokop
selbst, nicht gedacht hatte.
Er war ein guter Experimentator und
ließ sich beispielsweise von seinem Freund
im Westen, Prof. Uhlenbruck, auch auf
die richtige Spur zurückführen, wenn seinem
kindlichen Forschungsdrang zusätzliche
Ideen gut taten.
Matthias Burba: Gibt es etwas, was sie
gerne können würden, aber bisher noch
nicht geschafft haben?
Dr. Benecke: Ich bin von Herzen Kölner,
und es steht sogar auf meiner Gürtelschnalle:
"Et is wie et is." Daher: Nein, ich
mache das, was gerade anfällt und fertig.
Matthias Burba: Ein herzliches Dankeschön
für dieses Gespräch.
Dr. Benecke: Ich habe zu danken.
Mit großem Dank an Matthias Burba und die Redaktion für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.
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