2012 10 Jean Hatzfeld: Zeit der Macheten: Difference between revisions

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==<font color=orange>Rezension von Dr. Mark Benecke</font>==
==<font color=orange>Rezension von Dr. Mark Benecke</font>==


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'''VON MARK BENECKE'''<br>
'''VON MARK BENECKE'''<br>




xxx<br>
[[File:Zeit der macheten cover.jpg|thumb|300px|left]]Dies ist das informativste und entlarvendste, weil direkteste Buch über Täterverhalten und -denken, das es gibt, und zwar im Allgemeinen, wenngleich verdeutlicht an einem einzelnen Beispiel, dem Genozid in Ruanda.<br>


[[File:Zeit der macheten cover.jpg|thumb|300px|left]]Wenns aber gleichzeitig sexuell wird, gibts gerne Blitzeis. So zieht beispielsweise Richard Kern seine Modelle erstens ins Licht und zweitens deren Beine auseinander. Vor allem die Körper und Gesichter der Darstellerinnen müssen dann die nicht mehr sonderlich verdeckten Fantasie-Inhalte tragen. Selbst extrem abgebrühte Nudisten wie Petter Hegre verfallen hin und wieder schlichtweg ihrer Ehefrau und füllen einen ganzen Bildband mit äußerst schnuckeligen Nacktbildern derselben. So geht das nicht, und Martin Black macht es auch darum völlig anders. Bei ihm fl ießen die vielen Bildhintergründe mit seinen ebenso zahlreichen Models – allesamt sehr einprägsame Figuren – zu einer ganz sauberen, dichten, eleganten Nummer zusammen, die schon fast an Werbefotos erinnert. Das ist angesichts der Inhalte natürlich vollkommen bizarr, aber das sind sind seine Darstellerinnen ja auch: Steampunkerinnen, Elfen, schwarze Bräute, furchterregende Cybergoths und, more than anything, Martin Blacks typisch kreischende Damen in Lack und Latex.<br>


Die Models sind dabei alles, bloß nicht niedlich. Es sind gestandene Frauen, die garantiert keine Hilfe beim Korsettschnüren benötigen – außer, es würde ihnen gerade aus ganz anderen Gründen gefallen. Selbst verschüchterte oder niedergeschlagene Darstellerinnen fi nden sich nicht, beziehungsweise wenn ausnahmsweise doch, dann erstehen sie kurz darauf als verschmuddelte Satans-Zombies oder Aliens wieder auf. Das ist nicht gruselig, sondern ebenso schick wie die Tatsache, dass es nie um die sonst dicht mit den schwarzen Szenen verwobenen Body Modifications, Tätowierungen oder Narbenmuster geht. Martin Blacks Welt ist die des anregend und durchaus auch wütend Fetischistischen.<br>
Die interviewten Männer, die ihre NachbarInnen, Fussball-Kameraden, Freunde und Dorfmitbewohner mit Macheten täglich von 9:30 bis 16 Uhr verfolgten, folterten und töteten, schildern ohne politisches Blabla und vergeistigte Annahmen, wie sie einen der schnellsten und gründlichsten Genozide durchzogen, den es in der Neuzeit gab. Anders als im Holocaust fehlte die “Konzentration” (das Zusammenführen) der Opfer in Ghettos und die Anonymität der zu Vernichtenden: Die Täter kannten ihre Opfer allesamt persönlich. Nur so konnten sie überhaupt wissen, dass es Tutsi waren, die sie da abschlachteten.<br>


Darin ist es dann egal, ob die Cosplayerin im Bild wirklich eine ist, oder ob der göttliche Lichtstrahl in den Mund der Steampunkerin wirklich dort hinfährt oder nicht vielleicht doch eher als teuflicher Odem aus ihr nach oben zischt. Die Fotos kämpfen hier eher um das, was bei allem Körpereinsatz
der Models und angesichts der fetten Materialschlachten im Kopf der Betrachter ohnehin schon umhergeisterte: um tiefe Schichten, Fantasien und Wünsche, eben das Fetischistische.<br>


In welcher Bandbreite Martin Black dieses Motiv durchhält und dabei niemals so verengt ist, wie man es angesichts des aufgeladenen Sujets leicht werden kann, ist schon erstaunlich. Deutlich erkennbar hat Martin Black Respekt vor dem Bild und seinen Darstellern. Dicke Mädchen heulen bei ihm nicht,
Ob die Naivität der Täter-Aussagen vorgeschoben ist oder echtes Empfinden widerspiegelt (“Wie sehr man die Opfer leiden ließ, war jedem selbst überlassen. Ich muss sagen, dass es sehr vernachlässigt wurde, die Verletzten ganz zu erledigen. Auch wenn das nicht aus bösen Willen geschah, so war es doch auch nicht besonders freundlich [weil die Opfer einfach schwer verletzt liegenblieben und langsam und qualvoll starben].”), ist dabei egal:<br>
sondern hauen dem Betrachter leicht eins auf die Glocke, wenn er nicht rechtzeitig abtaucht. Zugleich aber ist ein Mund, der anderswo tatsächlich zugenäht wäre, hier nur angedeutet zugepinnt. So gerät das Werk burlesk wie eine gute Feuer-Show in einer alten Lagerhalle am Stadtrand. Martin Blacks Bilder sind gutmütige, unzersetzende und kraftvolle Fotos aus einer Welt, die er nur deshalb einfangen kann, weil er wirklich sehr genau hinschaut, aber auch, weil er weiß, was er tut. Einige in der Szene bekannte Darstellerinnen wie Madeleine Le Roy und Fräulein Venus tummeln sich übrigens auch im Buch – ein untrügliches Zeichen dafür, dass Bilderglanz und Glanzbilderhaftigkeit hier kein Zufall sind. Aber das würde ohnehin niemand denken, der
die schönen Fotos betrachtet. Oder woran dachten Sie gerade?<br>


Mark Benecke (http://benecke.com) arbeitet weltweit als Kriminalbiologe. Seit seiner Arbeit in New York (1997-1999), wo er im East Village im St. Marks Place lebte und dort sehr gerne von allem, was seltsam ist, umspült wurde, hat er ein Auge für Freaks und Fantasien.<br>


==Preface==
Ich verstehe nun endlich, was die auch im Buch zitierte Hannah Arendt mit der “Allgegenwärtigen Normalheit des Bösen” (banality of evil) gemeint hat und wie durch zunächst unterschwellige und wirtschaftliche Vorurteile und Neid, die nur zur rechten Zeit gebündelt und mit den Tätern als solche erscheinenden “kleinen Vorteilen” (O-Ton der Täter -- gemeint sind Plünderungen. Vergewaltigungen, Landraub, Folterungen) verknüpft werden, zu nur scheinbar unmenschlichen, in Wahrheit aber leider allzu menschlichen Mördern machen können.<br>


'''BY MARK BENECKE'''<BR>


Only a few of those who photograph peripheral beauty possess a style which optically hits the viewer right in the face, as well as providing other photographers with both inspiration and a benchmark for quality. Martin Black has. Often pictures taken by his colleagues, plumbing the depths of
Autor Jean Hatzfeld schaltet zwischen seine ruhig geführten Interviews mit den untereinander seit Jahren befreundeten Tätern einige Erläuterungen. Darin erklärt er unter anderem, warum er -- nachdem er zunächst mit den Opfern der Mordwelle in Ruanda gesprochen hatte -- nun auch das Denken der Täter ergründet. Wertungen, Übertreibungen, Stilblüten, Sensationsgier und Gutmenschentum finden sich im Buch nicht. Schon dafür verdient Hatzfeld eine kriminalistisch-forensisches Lob erster Güte.<br>
darkness, are gloomy above all. This is just for beginners. Others squirt blood and tears around, are romantic, show a predilection for fairies, or simply omit the background, in order to project their objects all the more deeply into the viewer‘s brain. This is already much more cool.<br>


But when things also become sexual, it often leads to black ice. Richard Kern, for example, fi rst drags his models into the light and then pulls their legs apart. It is then the faces and, above all, the bodies of the protagonists which contain fantasies no longer particularly concealed. And even extremely hard-bitten nudists such as Petter Hegre simply turn to their wives now and again, fi lling an entire coffeetable book with utterly cute naked
pictures of her. This is missing the point and therefore Martin Black does it completely differently. His many image backgrounds and equally
numerous models – all of them very memorable characters – converge into a very ordered, dense, elegant art form, almost reminiscent of promotional photographs. In the light of the content, this is of course absolutely bizarre, but then so are his protagonists: steampunkers, elves, black brides, awesome cybergoths and, more than anything, Martin Black‘s typical, shrieking ladies in lacquer and latex. The models are everything but cute here. They are full-grown women who defi nitely need no help lacing up their bodies - unless it would please them at that precise moment... for completely different reasons. Self-reserved or despondent protagonists are nowhere to be found, and if this does seem to be the case, then they rise again shortly afterwards as bejeweled satanic zombies or aliens. That isn‘t creepy, it‘s chic. Just like the fact that it is never about the body modifi cations, tattoos or scar specimens within which the „dark scene“ is usually tightly woven. Martin Black‘s world is a domain of exhilarating and indeed
also enraged fetishists. <br>


In this world it doesn‘t matter if the Cosplayer in the picture is genuine, or if the heavenly ray of light is really cascading into the steampunker‘s mouth or, perhaps, whizzing up out of her mouth like demonic breath. The photos here tend to be fi ghting it out for that which is already spooking around in the head of the viewer anyway – due to the models‘ physical movements and bearing in mind the awesome attrition warfare: profound depths, fantasies and desires, indeed things which are fetishist. It is astounding to observe the range in which Martin Black sustains this theme, never
Seine Neugier, die harte Arbeit vor Ort im Gefängnis sowie an den hügeligen und sumpfigen Tatorten, aber auch die makellose Übersetzung verdienen es, von jedem, der mit schwersten Verbrechen arbeitet, gelesen zu werden. Die Verteidigungslinie der befragten Hutu ähnelt -- ohne sonstige kulturelle Gleichheit -- der von Nazis nach dem Krieg: Verantwortungsdiffusion, angeblicher Befehlsgehorsam, Schweigen, Verdrehungen, Märchen, aber -- allerdings nur, wenn es dem eigenen Vorteil nützt -- auch mal ein paar Funken Wahrheit.<br>
constricting it – something that could easily occur in the light of this loaded subject.<br>


Martin Black has respect for the image and his models. His chubby maidens don‘t bawl, but tend to bash the viewer one on the head, if he doesn‘t get out of the way in time. Likewise a mouth, which would be genuinely sewn up someplace else, receives only the hint of being pinned up here. His work takes on a burlesque character, like a good pyrotechnic show in an old warehouse on the edge of town. Martin Black‘s images are good-natured, non-subversive and powerful photos from a world which he can only capture because he looks really very closely. And because he understands what he is doing. Incidentally some well-known protagonists in the scene, such as Madeleine Le Roy and Fräulein Venus, also romp around in the book – an unmistakable sign that a glossy image and glossy prints are no coincidence here. But no one who looked at the gorgeous photos would think that anyway. Or what were you just thinking about?<br>


Mark Benecke (http://benecke.com) works all over the world as a forensic biologist. During his work in New York (1997-1999), when he lived in St Mark‘s Place in the East Village, and seriously enjoyed being engulfed by everything that is weird, he developed an eye for freaks and fantasies.<br>
Es geht dabei wohlgemerkt nicht um Verbrecher-Biografien, wie wir sie aus der täglichen kriminalistischen Arbeit kennen: Gebrochene, missbrauchte Menschen, die das wieder ausleben, was sie selbst erfahren haben. In die “Zeit der Macheten” werden im Gegenteil -- eben wie im dritten Reich -- praktisch alle Menschen einer Region zu Tätern, darunter auch Christen, Dorf-Lehrer, friedliche, fanatische, schlaue, doofe, mutige, feige, grosse und kleine Menschen -- unterschiedslos.<br>
 
 
“Ich bin getauft und überzeugter Katholik”, sagt Alphonse, einer der befragten Täter beispielsweise. “Ich hatte das Gefühl, dass es besser wäre, während des Tötens nicht wie üblich zu beten. Was diese Drecksarbeit anging, konnte man von Gott nichts dafür erbitten.”<br>
 
 
Die “Drecksarbeit”, noch einmal, ging täglich von 9:30 bis 16 Uhr -- danach wurde gefeiert. Ein anderer erzählt: “Es war ein Strafe, den ganzen Tag in den Papyrusstauden herumzuwühlen [und die dort versteckten anderen Dorfbewohner mit der Machete zu erschlagen], ohne zum Mittagessen nach Hause zurückzukehren. Der Magen mochte knurren, die Waden schmerzten, weil sie den ganzen Tag im Schlamm steckten. Immerhin aßen wir morgens reichlich Fleisch und tranken abends jede [Bier]. Das war ein äußerst angemessener Ausgleich. Die Plünderungen brachten uns mehr ein als die Ernte.”<br>
 
 
Das Buch -- in dem sich übrigens auch wesentlich drastischere Schilderungen der Tötungen (stets im Original-Wortlaut der Täter, ganz ohne Juristendeutsch) finden -- zeigt, dass das “Böse” eben nicht nur durch vermurxte Kindheit, Armut oder Gene entstehen kann, sondern in weit größerem Ausmaß durch Vorurteile und Gier. Und die gibt es leider überall.<br>
 
Mark Benecke, Kriminalbiologe<br>
 
 
 
N.B.: Für PsychologInnen: Hatzfeld berichtet im Buch, warum die Hutu, obwohl sie auf den ersten Blick als Täter (!) posttraumisch belastet wirken, doch in einer grundsätzlich anderen Situation sind als beispielsweise Soldaten, die mit solch einer Störung aus dem Krieg kommen: Den Hutu fehlte jede Lebensgefahr, da sie in massiver Überzahl waren und es schon nach kurzer Zeit keine Gegenwehr der Tutsi mehr gab. Erst, als die Hutu nach dem Genozid das Land in die Flüchtlingslager im Kongo verließen, wurde ihnen mulmig.<br>
 
 
P.S.: Wen weitere Schilderungen von Tätern, Mitmachern, Kollaborateuren oder aus dem direkten Umfeld von Tätern interessieren, dem empfehle ich Höß: Meine Psyche (Kommandant in Auschwitz: Autobiographische Aufzeichnungen des Rudolf Höß), Miklos Nyiszli: Rechtsmediziner in Auschwitz (bei www.amazon.com: Auschwitz, A Doctor'ss Eyewitness Account), (Erich Honecker Aus meinem Leben, Biografie), Markus Wolf: Spionagechef im geheimen Krieg, Ferdinand Sauerbrauch: Das war mein Leben -- unabhängig vom politischen System, von der Art der ausgeübten Unterdrückung oder des Mitlaufens oder Vorteilnehmens und vor allem auch unabhängig von der frühkindlichen Biografie: Überall dieselben Verdrängungen, Ausreden, Auslassungen, Rechtmäßigmachungen und Schönfärbereien. Das "Böse" ist oft genug bloß ein Teil der menschlichen Freiheit -- nicht mehr, aber auch nicht weniger. Der Vergleich der Täter, zu dem Hatzfeld beiträgt, zeigt das mit großer Klarheit.<br><br>





Revision as of 16:16, 13 October 2013

Titel: Jean Hatzfeld: Zeit der Macheten: Gespräche mit den Tätern des Völkermordes in Ruanda
Autor: Jean Hatzfeld, Rezension: Dr. Mark Benecke
Verlag: Psychosozial-Verlag
314 Seiten
Broschiert, 3. Auflage
ISBN: 3837922456
€ 24,90 (D)

Genozid: Das Böse als Teil der menschlichen Freiheit

Rezension von Dr. Mark Benecke

[MBs Publikationen] [Artikel über MB] [MB's Vorworte]

VON MARK BENECKE


Zeit der macheten cover.jpg

Dies ist das informativste und entlarvendste, weil direkteste Buch über Täterverhalten und -denken, das es gibt, und zwar im Allgemeinen, wenngleich verdeutlicht an einem einzelnen Beispiel, dem Genozid in Ruanda.


Die interviewten Männer, die ihre NachbarInnen, Fussball-Kameraden, Freunde und Dorfmitbewohner mit Macheten täglich von 9:30 bis 16 Uhr verfolgten, folterten und töteten, schildern ohne politisches Blabla und vergeistigte Annahmen, wie sie einen der schnellsten und gründlichsten Genozide durchzogen, den es in der Neuzeit gab. Anders als im Holocaust fehlte die “Konzentration” (das Zusammenführen) der Opfer in Ghettos und die Anonymität der zu Vernichtenden: Die Täter kannten ihre Opfer allesamt persönlich. Nur so konnten sie überhaupt wissen, dass es Tutsi waren, die sie da abschlachteten.


Ob die Naivität der Täter-Aussagen vorgeschoben ist oder echtes Empfinden widerspiegelt (“Wie sehr man die Opfer leiden ließ, war jedem selbst überlassen. Ich muss sagen, dass es sehr vernachlässigt wurde, die Verletzten ganz zu erledigen. Auch wenn das nicht aus bösen Willen geschah, so war es doch auch nicht besonders freundlich [weil die Opfer einfach schwer verletzt liegenblieben und langsam und qualvoll starben].”), ist dabei egal:


Ich verstehe nun endlich, was die auch im Buch zitierte Hannah Arendt mit der “Allgegenwärtigen Normalheit des Bösen” (banality of evil) gemeint hat und wie durch zunächst unterschwellige und wirtschaftliche Vorurteile und Neid, die nur zur rechten Zeit gebündelt und mit den Tätern als solche erscheinenden “kleinen Vorteilen” (O-Ton der Täter -- gemeint sind Plünderungen. Vergewaltigungen, Landraub, Folterungen) verknüpft werden, zu nur scheinbar unmenschlichen, in Wahrheit aber leider allzu menschlichen Mördern machen können.


Autor Jean Hatzfeld schaltet zwischen seine ruhig geführten Interviews mit den untereinander seit Jahren befreundeten Tätern einige Erläuterungen. Darin erklärt er unter anderem, warum er -- nachdem er zunächst mit den Opfern der Mordwelle in Ruanda gesprochen hatte -- nun auch das Denken der Täter ergründet. Wertungen, Übertreibungen, Stilblüten, Sensationsgier und Gutmenschentum finden sich im Buch nicht. Schon dafür verdient Hatzfeld eine kriminalistisch-forensisches Lob erster Güte.


Seine Neugier, die harte Arbeit vor Ort im Gefängnis sowie an den hügeligen und sumpfigen Tatorten, aber auch die makellose Übersetzung verdienen es, von jedem, der mit schwersten Verbrechen arbeitet, gelesen zu werden. Die Verteidigungslinie der befragten Hutu ähnelt -- ohne sonstige kulturelle Gleichheit -- der von Nazis nach dem Krieg: Verantwortungsdiffusion, angeblicher Befehlsgehorsam, Schweigen, Verdrehungen, Märchen, aber -- allerdings nur, wenn es dem eigenen Vorteil nützt -- auch mal ein paar Funken Wahrheit.


Es geht dabei wohlgemerkt nicht um Verbrecher-Biografien, wie wir sie aus der täglichen kriminalistischen Arbeit kennen: Gebrochene, missbrauchte Menschen, die das wieder ausleben, was sie selbst erfahren haben. In die “Zeit der Macheten” werden im Gegenteil -- eben wie im dritten Reich -- praktisch alle Menschen einer Region zu Tätern, darunter auch Christen, Dorf-Lehrer, friedliche, fanatische, schlaue, doofe, mutige, feige, grosse und kleine Menschen -- unterschiedslos.


“Ich bin getauft und überzeugter Katholik”, sagt Alphonse, einer der befragten Täter beispielsweise. “Ich hatte das Gefühl, dass es besser wäre, während des Tötens nicht wie üblich zu beten. Was diese Drecksarbeit anging, konnte man von Gott nichts dafür erbitten.”


Die “Drecksarbeit”, noch einmal, ging täglich von 9:30 bis 16 Uhr -- danach wurde gefeiert. Ein anderer erzählt: “Es war ein Strafe, den ganzen Tag in den Papyrusstauden herumzuwühlen [und die dort versteckten anderen Dorfbewohner mit der Machete zu erschlagen], ohne zum Mittagessen nach Hause zurückzukehren. Der Magen mochte knurren, die Waden schmerzten, weil sie den ganzen Tag im Schlamm steckten. Immerhin aßen wir morgens reichlich Fleisch und tranken abends jede [Bier]. Das war ein äußerst angemessener Ausgleich. Die Plünderungen brachten uns mehr ein als die Ernte.”


Das Buch -- in dem sich übrigens auch wesentlich drastischere Schilderungen der Tötungen (stets im Original-Wortlaut der Täter, ganz ohne Juristendeutsch) finden -- zeigt, dass das “Böse” eben nicht nur durch vermurxte Kindheit, Armut oder Gene entstehen kann, sondern in weit größerem Ausmaß durch Vorurteile und Gier. Und die gibt es leider überall.

Mark Benecke, Kriminalbiologe


N.B.: Für PsychologInnen: Hatzfeld berichtet im Buch, warum die Hutu, obwohl sie auf den ersten Blick als Täter (!) posttraumisch belastet wirken, doch in einer grundsätzlich anderen Situation sind als beispielsweise Soldaten, die mit solch einer Störung aus dem Krieg kommen: Den Hutu fehlte jede Lebensgefahr, da sie in massiver Überzahl waren und es schon nach kurzer Zeit keine Gegenwehr der Tutsi mehr gab. Erst, als die Hutu nach dem Genozid das Land in die Flüchtlingslager im Kongo verließen, wurde ihnen mulmig.


P.S.: Wen weitere Schilderungen von Tätern, Mitmachern, Kollaborateuren oder aus dem direkten Umfeld von Tätern interessieren, dem empfehle ich Höß: Meine Psyche (Kommandant in Auschwitz: Autobiographische Aufzeichnungen des Rudolf Höß), Miklos Nyiszli: Rechtsmediziner in Auschwitz (bei www.amazon.com: Auschwitz, A Doctor'ss Eyewitness Account), (Erich Honecker Aus meinem Leben, Biografie), Markus Wolf: Spionagechef im geheimen Krieg, Ferdinand Sauerbrauch: Das war mein Leben -- unabhängig vom politischen System, von der Art der ausgeübten Unterdrückung oder des Mitlaufens oder Vorteilnehmens und vor allem auch unabhängig von der frühkindlichen Biografie: Überall dieselben Verdrängungen, Ausreden, Auslassungen, Rechtmäßigmachungen und Schönfärbereien. Das "Böse" ist oft genug bloß ein Teil der menschlichen Freiheit -- nicht mehr, aber auch nicht weniger. Der Vergleich der Täter, zu dem Hatzfeld beiträgt, zeigt das mit großer Klarheit.



Dr. rer. medic. Mark Benecke · Diplombiologe (verliehen in Deutschland) · Öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für kriminaltechnische Sicherung, Untersuchung u. Auswertung von biologischen Spuren (IHK Köln) · Landsberg-Str. 16, 50678 Köln, Deutschland, E-Mail: forensic@benecke.com · www.benecke.com · Umsatzsteueridentifikationsnummer: ID: DE212749258 · Aufsichtsbehörde: Industrie- und Handelskammer zu Köln, Unter Sachsenhausen 10-26, 50667 Köln, Deutschland · Fallbearbeitung und Termine nur auf echtem Papier. Absprachen per E-mail sind nur vorläufige Gedanken und nicht bindend. 🗺 Dr. Mark Benecke, M. Sc., Ph.D. · Certified & Sworn In Forensic Biologist · International Forensic Research & Consulting · Postfach 250411 · 50520 Cologne · Germany · Text SMS in criminalistic emergencies (never call me): +49.171.177.1273 · Anonymous calls & suppressed numbers will never be answered. · Dies ist eine Notfall-Nummer für SMS in aktuellen, kriminalistischen Notfällen). · Rufen Sie niemals an. · If it is not an actual emergency, send an e-mail. · If it is an actual emergency, send a text message (SMS) · Never call. · Facebook Fan Site · Benecke Homepage · Instagram Fan Page · Datenschutz-Erklärung · Impressum · Archive Page · Kein Kontakt über soziale Netzwerke. · Never contact me via social networks since I never read messages & comments there.