2012 03 Kriminalistik: Silikon als Abformmittel in Extremsituationen
Quelle: Kriminalistik, 66. Jahrgang, Seiten 162 bis 164
Silikon als Abformmittel in Extremsituationen
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VON MARK BENECKE und KRISTINA BAUMJOHANN
Eine viel zu selten in der Kriminaltechnik, Kriminalbiologie und Rechtsmedizin eingesetzte Methode der Spurenabformung ist die anhand von Poly(organo/vinyl)siloxanen (Silikon). Dabei kann buchstäblich jede Art von Oberfläche bis hin zu Hautleistenabdrücken und sogar gedruckte Schrift abgeformt werden. Die Zweikomponentenanwendung des Silikons (bspw. mit Mikrosil) erfordert normalweise etwas Übung, da das Silikon sehr schnell abbindet und daher aus zwei Tuben stets neu angemischt werden muss. Wir testeten ein neues Produkt (vermarktet bspw. als Reprocast und Accutrans), bei dem das Mischen entfällt, da die Komponenten automatisch, im richtigen Verhältnis und ziel gerichtet anhand von Einweg-Spitzen, auf die Spur gelangen. Zudem ist das Produkt in mehreren Farben erhältlich, so dass beispielsweise verschiedene Farben von Latentspurenpulver (weiss, silber, gelb usw.) kontraststark abgebildet werden können.
In einer Versuchsreihe prüften wir die Eigenschaften eines Silikongemisches auf seine Qualität, Robustheit und besonders seine Anwenderfreundlichkeit im kriminaltechnischen Laborumfeld. Bei Raumtemperatur fertigten wir Abdrücke von verschiedenen Oberflächen, darunter auch gekrümmte Oberflächen und mehrfarbig tätowierte Haut, deren Feinstruktur auf Fotografien nicht abgebildet werden kann. Hier ist besonders an Bisspuren, Narben, heilende Wunden, Kratzer und ähnliches auch im Bereich der rechtsmedizinischen Dokumentation zu denken. Zum Abformen verwendeten wir beispielhaft:
• Hammer (Typenbezeichnung, Schlagfläche; Abb. 1)
• Ausweis mit eingedruckter Schrift und Prägepunkten (Abb. 2)
• tätowiertes Handgelenk mit Knöchel (krumme Fläche, Hautstruktur wegen der dunklen Farbverläufe nicht fotografierbar; Abb. 3)
• Fingerabdruck auf gekrümmtem Boden einer Sprühdose (Abb. 4). Als Trocknungszeit wählten wir fünf Minuten. Die Hersteller geben für 20°C vier Minuten, für 10°C acht Minuten an.
Ergebnis
In allen Fällen konnte die Oberfläche verlustfrei und vollständig dargestellt werden. Auch bei Vergrößerung mit einem Leica Mz 12.5-Binokular waren alle Merkmale, beispielsweise des Fingerabdruckes, bis ins Details sichtbar und konnten zudem problemlos in eine gerade Fläche gebogen werden (Abb. 4). Die Abformung von der Schlagfläche des Hammers erfolgte ohne dass die daran haftende biologische Spur mit abgezogen wurde (Abb. 1). Die Trocknungszeit genügte für dünne Schichten unter 1 mm, etwa auf Papier, Abb. 2) ebenso wie für dicke Schichten des Silikons (bis 5 mm, beispielsweise bei Typenbezeichnung des Hammers; Abb. 1b). Eine Mindestdicke von über 1 mm empfiehlt sich aber, um ein mögliches Zerreißen bei größeren Flächen (Ausweis) zu verhindern.
Einzig wichtig ist, dass das Silikon sofort verstrichen wird, und zwar aus einer einzigen Auftragung heraus (Abb. 2), nicht aus spiral- oder bahnförmig aufgebrachtem Silikon. Dabei können sehr kleine Luftblasen entstehen, die hinterher blinde Stellen erzeugen. Einige Hersteller des Silikons bieten mittlerweile Aufsätze an, die das sofortige Verstreichen direkt mit einer verbreiterten Spritzenspitze oder zum Auftupfen für Fingerkuppen ermöglicht, so das Anwendungsfehler selbst für ungeübte Personen aus anderen Dienststellen unmöglich sind.
Versuche von Kollegen zeigen, dass auch problemlos Früchte, Blutspuren, Patronen, Münzen usw. abgeformt werden können (Frost, 2005), ebenso wie die Fingerkuppen einer Eisleiche mit Liegezeit von sechzig Jahren, die zum Zeitpunkt des Fundes praktisch keine erkennbaren Hautleisten mehr aufwies (Loreille et al. 2010). Die Unempfindlichkeit des Silikons gegen extrem verschiedene Oberflächen können wir bestätigen. Uns gelang es beispielsweise problemlos, auch die Oberfläche einer Schmeissfliegenmade abzuformen. Die Made blieb dabei, also auch beim Abziehen des Silikons, unbeschädigt.
Die Vorteile der Methode, auch gegenüber der Fotografie, sind diese:
Die Spritzpistole ist leicht, aus stabilem, dickem Plastik gänzlich ohne zerbrechliche Teile gefertigt. Mit und ohne eingelegte Silikon-Patronen ist das System sehr platzsparend und auch in beengten Tatortfahrzeugen gut lagerbar; die Spitzen sind ebenfalls bruchfest (Abb. 5). Ein gesonderter Koffer ist zur Lagerung und Mitnahme nicht notwendig. Es handelt sich hier um ein ausgereiftes Produkt, das uneingeschränkt für den Routinebetrieb, besonders auch in Hinblick auf die Präsentation vor Gericht, zu empfehlen ist.
Literatur
• Frost, D. J. (2005) Clearly Superior Recovery. Evidence Technology Magazine 11/12 2005, S. 32-35.
• Loreille, 0., Parr, R. L., McGregor, K. A., Fitzpatrick. C. M., Lyon, c., Yang, D. J., Speiler, C. F., Grimm, M. R., Grimm, M. J., Irwin, J. A., Robinson, E. M. (2010) Integrated DNA and Fingerprint Analyses in the Identification of 60-YearOld Mummified Human Remains Discovered in an Alaskan Glacier. Journal of Forensic Sciences, Vol. 55, S. 813-818.
Mit großem Dank an die Redaktion für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.
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