2008-11-13 Zoomer.de: Wie aus einer Kokosnuss ein Kinderschädel wurde: Difference between revisions

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Quelle: Zoomer.de, 13. Nov. 2008

Wie aus einer Kokosnuss ein Kinderschädel wurde

Kinderheim auf Jersey

[Weitere Artikel von MB] [Artikel über MB]


Es war ein schwarzer Tag für die englische Kriminalistik: Am Mittwoch stellten sich die groß aufgeblasenen Mord-Indizien in einem ehemaligen Kinderheim auf Jersey als absolute Nullnummern heraus. zoomer.de sprach mit einem Experten für Forensik über Spurensuche am Tatort, den Unterschied zwischen Realität und Fiktion und darüber, was man aus Sherlock Holmes lernen kann.


Herr Benecke, die Ermittlungen auf Jersey stellen sich im Nachhinein als absolutes Desaster dar, was ist da schief gelaufen? Haben die Forensiker versagt?

Es ist ja gar nicht gesagt, dass es ein Fachmann war, der die Funde so hochgespielt hat. Eigentlich kann ich mir kaum vorstellen, dass irgendein seriöser Forensiker von Kinderschädeln spricht, bevor er eine genaue Auswertung der Daten vorgenommen hat. Nach meiner Erfahrung sind Falschaussagen oder voreilige Schlüsse bei Fällen, die in den Medien sehr hoch gehandelt werden, auf den enormen Druck zurückzuführen, der auf die Ermittler ausgeübt wird. Gerade Boulevard-Medien tendieren dazu, Fragen zu stellen wie: Können Sie ausschließen, dass das ein Kinderschädel ist? Und wenn das zu dem Moment nicht ausgeschlossen werden kann, dann wird es vielleicht schon die Schlagzeile. Für mich ist die Sache klar: Vor dem Hintergrund des großen öffentlichen Interesses hat man die Funde zu hoch gehandelt und direkt das Schlimmste befürchtet. Gute Ermittlungen brauchen einfach ihre Zeit.


Wie müsste eine forensische Untersuchung denn idealerweise aufgezogen werden?

Mark Benecke ist Experte auf dem Gebiet der Kriminalbiologie und der forensischen Entomologie. Er ist in Deutschland, den USA, Kolumbien, England und den Philippinen als Ausbilder und Dozent tätig und hat an den Ermittlungen bei mehreren Aufsehen erregenden Kriminalfällen teilgenommen. Einem breiteren Publikum wurde er durch zahlreiche Sachbücher zur Forensik, seinen Beiträge zu aktuellen wissenschaftlichen Themen (Radio eins, rbb) und seinen Auftritten als Gerichtsmediziner in den Sendungen Medical Detectives und Niedrig und Kuhnt bekannt. Die Ermittler sollten zunächst einmal überhaupt nichts machen. Gar nichts. Und sich dann genau überlegen, was eigentlich alles getan werden sollte und in welcher Reihenfolge. Und dann sollte extrem arbeitsteilig vorgegangen werden: Ein Geologe guckt sich die Steinchen und die Erde an, ein Botaniker wird sich um die Pflanzenteile kümmern, um daraus bestimme Rückschlüsse zu ziehen, der Insektenkundler guckt auf die Insekten und der Polizist sucht nach klassischen Spuren, verlorenen Knöpfe, Blutspuren, Fingerabdrücken und ähnlichem. Der Druck, der von den Medien oftmals ausgeübt wird, ist jedenfalls kontraproduktiv. Zur genauen Auswertung der Spuren braucht man jede Menge Ruhe - die man in den allermeisten Fällen allerdings nicht hat.


Der Zeitdruck ist ein Problem. Gibt es noch andere?

Natürlich. Es fehlt an Geld und oft auch an Know How. Um es mal pointiert auszudrücken: Statt früher 20 kommen heute nur noch zwei Polizisten regelmäßig zu den Fortbildungen. Seit etwa zehn Jahren wird gerade auf diesem Gebiet massiv gespart. Ich habe gestern zwei Mitarbeiter des Landeskriminalamtes gesprochen. Ihr Eindruck war, dass früher die Beamten jedes Jahr in die neuesten Methoden eingewiesen oder zumindest auf eine Dienstreise zu einem Geräte-Hersteller geschickt wurden. Heute wird das alles aus Budgetgründen gestrichen, weil gesagt wird: Die Dienstreisen sind zu teuer und die Arbeitstage gehen verloren usw. Aber es ist doch so: Wenn dann mal der Fall X eintritt, ein veränderter Sprengstoff, eine veränderte Droge, veränderte Knochenmuster auftauchen, dann weiß einfach keiner, wen man fragen kann, weil am Geld für die Fortbildungen gespart wurde.

Aber es geht da auch um strukturelle Veränderungen, die nötig wären: Es wäre es sinnvoll, wieder dahin zurückzugehen, wo man auch schon mal war, nämlich dass es kriminalpolizeiliche Spezialeinheiten gibt, die ihre jeweilige Spezialität auch perfekt beherrschen und sich ausreichend fortbilden können. Genau diese Voraussetzungen sind aber seit etwa zehn Jahren nicht mehr gegeben, weil jeder Polizist alles können soll.


Haben sich die Analysemethoden in den letzten Jahren denn auffällig verbessert?

Ja sehr. Zum Beispiel ist die Isotopen-Analyse erst in letzter Zeit brauchbar geworden, mit der man feststellen kann, wo die Person gelebt hat, in welchen Regionen der Welt sie unterwegs war. Das ist wohl die interessanteste Neuerung. Auch schön ist aber zum Beispiel die Möglichkeit der Pollen-Analyse: Die Höhlen in aufgefundenen Knochenstücken - wie etwa die Nebenhöhlen eines Schädels - werden ausgewaschen, das Spülwasser wird aufgefangen und analysiert. Die Analyse erlaubt dann Rückschlüsse auf die Jahreszeit und das Klima, aus dem der Fund stammt.

Es sind zahlreiche neue Methoden entwickelt worden, aber man kann wirklich sagen: In 99,9 Prozent der Fälle kommen die wirklich schönen, tollen Methoden nicht zur Anwendung, weil sie keiner kennt oder sich in der konkreten Situation niemand daran erinnert. Oft wissen die Polizisten einfach nicht, welche naturwissenschaftlichen Methoden am besten anzuwenden sind.


Mal was anderes: In den letzten Jahren gab es ja einen enormen Forensik-Hype in der Populärkultur. Man kann an Fernsehserien wie "CSI:Miami", "Dexter" oder "Bones" denken, oder an Bestseller-Autoren wie Simon Beckett ("Die Chemie des Todes"). Ist was dran an diesen Fiktionen?

Nein, das ist in den allermeisten Fällen Quatsch und hat mit der Realität nichts zu tun. Wenn man "Bambi" oder "Findet Nemo" guckt, erwartet ja auch niemand einen Dokumentarfilm über Tiere zu sehen und warum bei "CSI" die Leute glauben, sie erfahren etwas Ernstzunehmendes über die Arbeit der Forensiker, ist mir vollkommen schleierhaft. Es gibt allerdings Ausnahmen. Eine Krimiautorin haben wir sogar mal in ein hohes Amt in der "American Academy of Forensic Sciences" gewählt, Kathy Reichs. Die hat allerdings auch wirklich Ahnung von forensischer Anthropologie.

Aber ganz allgemein gesprochen, ist die Sache doch die: Fiktionen wie CSI haben zur Folge, dass unsere neuen Studenten mit völlig übersteigerten Erwartungen antreten und denken, dass es wer weiß wie sexy wäre, Forensiker zu werden und dem entspricht die Wirklichkeit natürlich überhaupt nicht. Es gibt in der Regel kein Mittagessen am Tatort, kein soziales Prestige, man wird nicht reich und stinkt trotzdem nach der Arbeit. Fiktion ist Fiktion und Realität Realität.


Aber haben Sie nicht trotzdem einen heimlichen Helden - ich habe mir etwa sagen lassen, dass so mancher Archäologe Indiana Jones ganz fantastisch findet?

Arthur Conan Doyle! Der hat die naturwissenschaftliche Kriminalistik erfunden, bevor sie wirklich praktiziert wurde. Das ist schon extrem beeindruckend. Er hat auch eines der meiner Meinung nach wichtigsten Prinzipien gefunden, nach dem heute immer noch gearbeitet wird. Es gibt ja eine Reihe ganz grundlegender Prinzipien, zum Beispiel das sogenannte Locard-Prinzip, das besagt, dass jeder Kontakt zu einer Spurenübertragung führt. Oder das Prinzip von Alphonse Bertillon, nach dem man Dinge nur dann wahrnehmen - statt einfach nur sehen - kann, wenn man vorher schon einmal darüber nachgedacht hat.

Arthur Conan Doyle hat den beiden ein drittes, wichtiges Prinzip hinzugefügt: Um die Ursache eines Verbrechens auf die Spur zu kommen, kann auch zuerst alles ausgeschlossen werden, was definitv nicht möglich ist - und was überbleibt stimmt, egal wie unwahrscheinlich es auch ist. Das wurde seiner fiktionalen Figur in den Mund gelegt und insofern: Von Sherlock Holmes kann man tatsächlich etwas lernen.


Mit großem Dank an die Redaktion für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.


Lesetipps


Dr. rer. medic. Mark Benecke · Diplombiologe (verliehen in Deutschland) · Öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für kriminaltechnische Sicherung, Untersuchung u. Auswertung von biologischen Spuren (IHK Köln) · Landsberg-Str. 16, 50678 Köln, Deutschland, E-Mail: forensic@benecke.com · www.benecke.com · Umsatzsteueridentifikationsnummer: ID: DE212749258 · Aufsichtsbehörde: Industrie- und Handelskammer zu Köln, Unter Sachsenhausen 10-26, 50667 Köln, Deutschland · Fallbearbeitung und Termine nur auf echtem Papier. Absprachen per E-mail sind nur vorläufige Gedanken und nicht bindend. 🗺 Dr. Mark Benecke, M. Sc., Ph.D. · Certified & Sworn In Forensic Biologist · International Forensic Research & Consulting · Postfach 250411 · 50520 Cologne · Germany · Text SMS in criminalistic emergencies (never call me): +49.171.177.1273 · Anonymous calls & suppressed numbers will never be answered. · Dies ist eine Notfall-Nummer für SMS in aktuellen, kriminalistischen Notfällen). · Rufen Sie niemals an. · If it is not an actual emergency, send an e-mail. · If it is an actual emergency, send a text message (SMS) · Never call. · Facebook Fan Site · Benecke Homepage · Instagram Fan Page · Datenschutz-Erklärung · Impressum · Archive Page · Kein Kontakt über soziale Netzwerke. · Never contact me via social networks since I never read messages & comments there.