Difference between revisions of "2003 Nachweis der Dauer von Pflege-Vernachlaessigungen mittels Insekten - Fall-Berichte und Untersuchungs-Probleme"
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Mit zunehmendem Lebens-Alter von Menschen häufen sich schwere Pflege- Vernachlässigungen. Drei Fälle aus dem Jahr 2002 stellen exemplarisch dar, welchen Beitrag insektenkundliche Untersuchungen bei der Klärung der Frage nach mangelnder Fürsorge bieten. <br> | Mit zunehmendem Lebens-Alter von Menschen häufen sich schwere Pflege- Vernachlässigungen. Drei Fälle aus dem Jahr 2002 stellen exemplarisch dar, welchen Beitrag insektenkundliche Untersuchungen bei der Klärung der Frage nach mangelnder Fürsorge bieten. <br> | ||
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'''Fall 1:''' Leiche einer alten Frau, aufgefunden im Oktober in einer Mietwohnung im 3. Stock eines Hauses in großstädtischer Umgebung im Rhein-Gebiet. Wohnung auffallend ordentlich und sauber, nur in der Badewanne stand Wasch-Wasser. Auf dem Boden und auf einem Fenster-Sims innen auf der Nordwest-Seite zahlreiche, allesamt tote Stall-Fliegen Muscina stabulans FALLÉN, jedoch keine echten Schmeiß-Fliegen. Augen der Leiche intakt. Liegezeit-Bestimmung: mindestens drei Wochen; dies stand im Gegensatz zur Aussage (und den Aufgaben) der Pflegerin, die wöchentlich Dienst hatte. <br> | '''Fall 1:''' Leiche einer alten Frau, aufgefunden im Oktober in einer Mietwohnung im 3. Stock eines Hauses in großstädtischer Umgebung im Rhein-Gebiet. Wohnung auffallend ordentlich und sauber, nur in der Badewanne stand Wasch-Wasser. Auf dem Boden und auf einem Fenster-Sims innen auf der Nordwest-Seite zahlreiche, allesamt tote Stall-Fliegen Muscina stabulans FALLÉN, jedoch keine echten Schmeiß-Fliegen. Augen der Leiche intakt. Liegezeit-Bestimmung: mindestens drei Wochen; dies stand im Gegensatz zur Aussage (und den Aufgaben) der Pflegerin, die wöchentlich Dienst hatte. <br> | ||
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'''Fall 2:''' September, Leiche einer alten Frau, großstädtische Wohnung im Ruhr-Gebiet. Räume sehr unordentlich und teils verschmutzt; das Bade-Zimmer/Toilette sollte wegen vermieterseits dokumentierter Verfalls-Erscheinungen renoviert werden. In einer um den Fuß gewickelten Plastik-Tüte zahlreiche Lucilia sericata-Larven. Massivste Ausfressungen des Gewebes an Fuß und Unter-Schenkel, die nicht in Einklang mit der (kürzeren) Leichen-Liegezeit standen. Pflegerin räumte zuletzt ein, den Maden-Befall der lebenden Pflegebedürftigen zu Lebzeiten -- angeblich "einige Tage lang" -- toleriert zu haben. <br> | '''Fall 2:''' September, Leiche einer alten Frau, großstädtische Wohnung im Ruhr-Gebiet. Räume sehr unordentlich und teils verschmutzt; das Bade-Zimmer/Toilette sollte wegen vermieterseits dokumentierter Verfalls-Erscheinungen renoviert werden. In einer um den Fuß gewickelten Plastik-Tüte zahlreiche Lucilia sericata-Larven. Massivste Ausfressungen des Gewebes an Fuß und Unter-Schenkel, die nicht in Einklang mit der (kürzeren) Leichen-Liegezeit standen. Pflegerin räumte zuletzt ein, den Maden-Befall der lebenden Pflegebedürftigen zu Lebzeiten -- angeblich "einige Tage lang" -- toleriert zu haben. <br> | ||
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'''Fall 3:''' Leichenfund alter Frau im März, Ruhr-Gebiet. Wohnung eher unordentlich, aber bewohnbar. An der Leiche larvale Fannia canicularis und Muscina stabulans (Maden) sowie adulte Dermestes lardarius (Speck-Käfer). Fannia als Kot- und Urin-Besiedlerin bekannt; diese Lebens-Weise im vorliegenden Fall zusätzlich erhärtet durch Lokalisation der Tiere. Verurteilung des erwachsenen Sohnes wegen PflegeVernachlässigung. <br> | '''Fall 3:''' Leichenfund alter Frau im März, Ruhr-Gebiet. Wohnung eher unordentlich, aber bewohnbar. An der Leiche larvale Fannia canicularis und Muscina stabulans (Maden) sowie adulte Dermestes lardarius (Speck-Käfer). Fannia als Kot- und Urin-Besiedlerin bekannt; diese Lebens-Weise im vorliegenden Fall zusätzlich erhärtet durch Lokalisation der Tiere. Verurteilung des erwachsenen Sohnes wegen PflegeVernachlässigung. <br> | ||
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'''Schlussfolgerung:''' In allen Fällen konnte nachgewiesen werden, dass die Personen schon vor ihrem Tode von Insekten entweder an unbehandelten Wunden oder in nicht beseitigtem Kot und Urin wurden. Haupt-Problem war das häufige übersehen von Puppen(hüllen) bei der Asservierung, was eine Unterschätzung der Besiedlungs-Zeit bewirken kann. <br><br> | '''Schlussfolgerung:''' In allen Fällen konnte nachgewiesen werden, dass die Personen schon vor ihrem Tode von Insekten entweder an unbehandelten Wunden oder in nicht beseitigtem Kot und Urin wurden. Haupt-Problem war das häufige übersehen von Puppen(hüllen) bei der Asservierung, was eine Unterschätzung der Besiedlungs-Zeit bewirken kann. <br><br> |
Revision as of 15:44, 5 February 2018
Quelle: Vortrag auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin, Münster, 2003, V-44 (Abstract)
Nachweis der Dauer von Pflege-Vernachlässigungen mittels Insekten
Fall-Berichte und Untersuchungs-Probleme
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VON MARK BENECKE
Mit zunehmendem Lebens-Alter von Menschen häufen sich schwere Pflege- Vernachlässigungen. Drei Fälle aus dem Jahr 2002 stellen exemplarisch dar, welchen Beitrag insektenkundliche Untersuchungen bei der Klärung der Frage nach mangelnder Fürsorge bieten.
Fall 1: Leiche einer alten Frau, aufgefunden im Oktober in einer Mietwohnung im 3. Stock eines Hauses in großstädtischer Umgebung im Rhein-Gebiet. Wohnung auffallend ordentlich und sauber, nur in der Badewanne stand Wasch-Wasser. Auf dem Boden und auf einem Fenster-Sims innen auf der Nordwest-Seite zahlreiche, allesamt tote Stall-Fliegen Muscina stabulans FALLÉN, jedoch keine echten Schmeiß-Fliegen. Augen der Leiche intakt. Liegezeit-Bestimmung: mindestens drei Wochen; dies stand im Gegensatz zur Aussage (und den Aufgaben) der Pflegerin, die wöchentlich Dienst hatte.
Fall 2: September, Leiche einer alten Frau, großstädtische Wohnung im Ruhr-Gebiet. Räume sehr unordentlich und teils verschmutzt; das Bade-Zimmer/Toilette sollte wegen vermieterseits dokumentierter Verfalls-Erscheinungen renoviert werden. In einer um den Fuß gewickelten Plastik-Tüte zahlreiche Lucilia sericata-Larven. Massivste Ausfressungen des Gewebes an Fuß und Unter-Schenkel, die nicht in Einklang mit der (kürzeren) Leichen-Liegezeit standen. Pflegerin räumte zuletzt ein, den Maden-Befall der lebenden Pflegebedürftigen zu Lebzeiten -- angeblich "einige Tage lang" -- toleriert zu haben.
Fall 3: Leichenfund alter Frau im März, Ruhr-Gebiet. Wohnung eher unordentlich, aber bewohnbar. An der Leiche larvale Fannia canicularis und Muscina stabulans (Maden) sowie adulte Dermestes lardarius (Speck-Käfer). Fannia als Kot- und Urin-Besiedlerin bekannt; diese Lebens-Weise im vorliegenden Fall zusätzlich erhärtet durch Lokalisation der Tiere. Verurteilung des erwachsenen Sohnes wegen PflegeVernachlässigung.
Schlussfolgerung: In allen Fällen konnte nachgewiesen werden, dass die Personen schon vor ihrem Tode von Insekten entweder an unbehandelten Wunden oder in nicht beseitigtem Kot und Urin wurden. Haupt-Problem war das häufige übersehen von Puppen(hüllen) bei der Asservierung, was eine Unterschätzung der Besiedlungs-Zeit bewirken kann.
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