2002 Sero News: Zeitzeuge Tod: Difference between revisions
No edit summary |
No edit summary |
||
(3 intermediate revisions by 2 users not shown) | |||
Line 1: | Line 1: | ||
[[File:Sero news logo.jpg|150px|thumb]] | |||
Quelle: Sero News 7: 41<br> | |||
Quelle: Sero News 7: 41< | |||
=<font color="orange">Gunther Geserick, Klaus Vendura, Ingo Wirth: Zeitzeuge Tod. Mark Benecke in: Sero News, Juni 2002)</font>= | =<font color="orange">Gunther Geserick, Klaus Vendura, Ingo Wirth: Zeitzeuge Tod. Mark Benecke in: Sero News, Juni 2002)</font>= | ||
[Alle [[All SeroNews|SeroNews-Artikel]]] | [Alle [[All SeroNews|SeroNews-Artikel]]] [MBs [[All Mark Benecke Publications|Publikationen]]] | ||
Gunther Geserick, Klaus Vendura, Ingo Wirth: Zeitzeuge Tod. Spektakuläre Fälle der Berliner Gerichtsmedizin. 229 Seiten, Militzke Verlag, Leipzig, 2001, ISBN 3-86189-231-6, 19,-- EUR (Hardcover)<br> | Gunther Geserick, Klaus Vendura, Ingo Wirth: Zeitzeuge Tod. Spektakuläre Fälle der Berliner Gerichtsmedizin. 229 Seiten, Militzke Verlag, Leipzig, 2001, ISBN 3-86189-231-6, 19,-- EUR (Hardcover)<br> | ||
Line 17: | Line 16: | ||
Der historische Streifzug des Buches führt auch in den Schau-Trakt des Berliner Leichenschau-Hauses, in dem zu Beginn des Jahrhunderts hinter Glas-Scheiben gekühlte Tote zur allgemein zugänglichen Identifizierung aufgebahrt waren. Das führte zu einem riesigen Anstrom von Neugierigen, so dass man 1930 froh war, neue Labor-Methoden zur Identifizierung anwenden und dem Trubel ein Ende bereiten zu können. Man trifft im Buch auch „Volks-Schädlinge“, den Serienmörder Großmann und liest unter anderem über die Fälle Liebknecht/Luxemburg (beide ermordet 1919) und das Attentat auf Walther Rathenau (ermordet 1921). Auch die Nacht der langen Messer und der angebliche Fenster-Sturz des jüdischen Schauspielers Hans Otto (1933) werden geschildert. Dass bei einem ein Jahrhundert überspannenden Bogen keine kontinuierliche Zeitgeschichte, sondern eher eine Reihe interessanter Schlaglichter entsteht, versteht sich da von selbst.<br> | Der historische Streifzug des Buches führt auch in den Schau-Trakt des Berliner Leichenschau-Hauses, in dem zu Beginn des Jahrhunderts hinter Glas-Scheiben gekühlte Tote zur allgemein zugänglichen Identifizierung aufgebahrt waren. Das führte zu einem riesigen Anstrom von Neugierigen, so dass man 1930 froh war, neue Labor-Methoden zur Identifizierung anwenden und dem Trubel ein Ende bereiten zu können. Man trifft im Buch auch „Volks-Schädlinge“, den Serienmörder Großmann und liest unter anderem über die Fälle Liebknecht/Luxemburg (beide ermordet 1919) und das Attentat auf Walther Rathenau (ermordet 1921). Auch die Nacht der langen Messer und der angebliche Fenster-Sturz des jüdischen Schauspielers Hans Otto (1933) werden geschildert. Dass bei einem ein Jahrhundert überspannenden Bogen keine kontinuierliche Zeitgeschichte, sondern eher eine Reihe interessanter Schlaglichter entsteht, versteht sich da von selbst.<br> | ||
Obwohl das Buch den Serien-Tätern insgesamt viel Platz einräumt, was an einen journalistischen Schwerpunkt der 1990er Jahre anschließt, unterscheidet sich Zeitzeuge Tod doch von praktisch allen anderen Fall-Sammlungen dadurch, dass es zugleich und sehr offensichtlich ein kleines rechtmedizinisches Lehrbüchlein darstellt. In kursiv abgehobenen Passagen gehen die Autoren an passender Stelle beispielsweise auf die Stichworte <i>defensive Leichenzerstückelung, Sturz aus der Höhe, Druck-Geschwüre, Hals-Schnitt, Leichenveränderungen</i>, aber auch auf <i>Mord-Merkmale, Schuldfähigkeit</i> usw. ein. So gesehen handelt es sich hier erstmals um einen Pitaval, der weniger erzählerisch als aufzählerisch und dabei erklärend ist. Auch kommende Krimi-Autoren werden diese seltene Hilfe gewiss dankend annehmen. | Obwohl das Buch den Serien-Tätern insgesamt viel Platz einräumt, was an einen journalistischen Schwerpunkt der 1990er Jahre anschließt, unterscheidet sich Zeitzeuge Tod doch von praktisch allen anderen Fall-Sammlungen dadurch, dass es zugleich und sehr offensichtlich ein kleines rechtmedizinisches Lehrbüchlein darstellt. In kursiv abgehobenen Passagen gehen die Autoren an passender Stelle beispielsweise auf die Stichworte <i>defensive Leichenzerstückelung, Sturz aus der Höhe, Druck-Geschwüre, Hals-Schnitt, Leichenveränderungen</i>, aber auch auf <i>Mord-Merkmale, Schuldfähigkeit</i> usw. ein. So gesehen handelt es sich hier erstmals um einen Pitaval, der weniger erzählerisch als aufzählerisch und dabei erklärend ist. Auch kommende Krimi-Autoren werden diese seltene Hilfe gewiss dankend annehmen.<br> | ||
<br> | |||
Im übrigen ist das Buch fehlerfrei, angemessen schwarz-weiß bebildert und reiht sich pflichtweise in die Regale aller Kriminalfall-SammlerInnen.<br> | Im übrigen ist das Buch fehlerfrei, angemessen schwarz-weiß bebildert und reiht sich pflichtweise in die Regale aller Kriminalfall-SammlerInnen.<br> | ||
Mark Benecke arbeitet international als Sachverständiger für biologische Spuren. <br> | Mark Benecke arbeitet international als Sachverständiger für biologische Spuren. <br><br> | ||
===<font color=orange>Lesetipps</font>=== | |||
<i> | |||
* [[2020 Sebastian Fitzek befragt Mark Benecke|Sebastian Fitzek befragt Mark Benecke]] | |||
* [[2017 03 Tatort Muenster: Auf dem Pruefstand|Auf dem Prüfstand]] | |||
* [[2013 09 14 BKA: Tag der offenen Tuer|Tag der offenen Tür]] | |||
* [[2003 SeroNews: Patricia Cornwell: Wer war Jack the Ripper?|Patricia Cornwell: Wer war Jack the Ripper?]] | |||
* [[2012 09 19: Der Sherlock Holmes der Neuzeit|Der Sherlock Holmes der Neuzeit]] | |||
* [[2015-03-11 Nordbayerischer Kurier: Wie ist das wenn man verwest|Wie ist das, wenn man verwest?]] | |||
<br><br> | |||
</i> | |||
{{Addressfooter}} | {{Addressfooter}} | ||
__NOTOC__ | |||
__NOEDITSECTION__ |
Latest revision as of 14:56, 15 June 2020
Quelle: Sero News 7: 41
Gunther Geserick, Klaus Vendura, Ingo Wirth: Zeitzeuge Tod. Mark Benecke in: Sero News, Juni 2002)
[Alle SeroNews-Artikel] [MBs Publikationen]
Gunther Geserick, Klaus Vendura, Ingo Wirth: Zeitzeuge Tod. Spektakuläre Fälle der Berliner Gerichtsmedizin. 229 Seiten, Militzke Verlag, Leipzig, 2001, ISBN 3-86189-231-6, 19,-- EUR (Hardcover)
Die hier versammelten Fälle sollen den Lauf des zwanzigsten Jahrhunderts aus Sicht von Kriminal-Geschichten beschreiben. Das tun sie in erstaunlicher Form, nämlich -- in den Worten der Autoren -- „etwas protokollarisch“ oder anders gesagt, ohne jedes Geschrei. Sero-News-LeserInnen (denen ich die Autoren auch nicht näher vorstellen muss) finden das erfreulich; der allgemeinen Leserschaft wird die recht emotionsfreie Art härter lesbar erscheinen.
Unterteilt sind die Fälle in die Abteilungen Serien-, politischer und Selbst-Mord. Bei den Selbst-Morden horcht der Wessi natürlich auf, da es ja zumindest in der DDR-Zeit angeblich keine Suizide in Ost-Berlin gegeben haben soll. Und wirklich: „In den Archiv-Büchern des gerichtsmedizischen der Humboldt-Universität sind einige der prominenten Namen [von Suizidenten] nicht zu finden“, stimmt auch das Buch teils zu. „Meist wurde der Mantel des Schweigens darüber gedeckt, was in einem System umfassender Zensur der Medien kein Problem darstellte.“
Das Schweigen galt aber weder für alle Suizide noch für alle unbequem Verstorbenen -- und es galt vor allem auch nicht für die Mauer-Toten. Der damalige, parteilose Institutsdirektor Professor Prokop (der im Buch nur kurz und unerkennbar als „Prof. P.” auftaucht) und seine Mitarbeiter waren aber wohl tatsächlich nicht in der richtigen Position, um in politischen Fällen anderes zu tun als leichenzuschauen. Politisch ging es beispielsweise auch zu, als sich der U.S.-Künstler Dean Reed 1986 in der DDR umbrachte: Von der SED wurde es als Unfall hingestellt. Welche anderen spannenden Fälle sich abgesehen von diesem unter den gut sechzigtausend Sektionen von Professor Prokop und Mitarbeitern noch verbergen mögen, bleibt vorläufig weitgehend unberichtet.
Der historische Streifzug des Buches führt auch in den Schau-Trakt des Berliner Leichenschau-Hauses, in dem zu Beginn des Jahrhunderts hinter Glas-Scheiben gekühlte Tote zur allgemein zugänglichen Identifizierung aufgebahrt waren. Das führte zu einem riesigen Anstrom von Neugierigen, so dass man 1930 froh war, neue Labor-Methoden zur Identifizierung anwenden und dem Trubel ein Ende bereiten zu können. Man trifft im Buch auch „Volks-Schädlinge“, den Serienmörder Großmann und liest unter anderem über die Fälle Liebknecht/Luxemburg (beide ermordet 1919) und das Attentat auf Walther Rathenau (ermordet 1921). Auch die Nacht der langen Messer und der angebliche Fenster-Sturz des jüdischen Schauspielers Hans Otto (1933) werden geschildert. Dass bei einem ein Jahrhundert überspannenden Bogen keine kontinuierliche Zeitgeschichte, sondern eher eine Reihe interessanter Schlaglichter entsteht, versteht sich da von selbst.
Obwohl das Buch den Serien-Tätern insgesamt viel Platz einräumt, was an einen journalistischen Schwerpunkt der 1990er Jahre anschließt, unterscheidet sich Zeitzeuge Tod doch von praktisch allen anderen Fall-Sammlungen dadurch, dass es zugleich und sehr offensichtlich ein kleines rechtmedizinisches Lehrbüchlein darstellt. In kursiv abgehobenen Passagen gehen die Autoren an passender Stelle beispielsweise auf die Stichworte defensive Leichenzerstückelung, Sturz aus der Höhe, Druck-Geschwüre, Hals-Schnitt, Leichenveränderungen, aber auch auf Mord-Merkmale, Schuldfähigkeit usw. ein. So gesehen handelt es sich hier erstmals um einen Pitaval, der weniger erzählerisch als aufzählerisch und dabei erklärend ist. Auch kommende Krimi-Autoren werden diese seltene Hilfe gewiss dankend annehmen.
Im übrigen ist das Buch fehlerfrei, angemessen schwarz-weiß bebildert und reiht sich pflichtweise in die Regale aller Kriminalfall-SammlerInnen.
Mark Benecke arbeitet international als Sachverständiger für biologische Spuren.
Lesetipps
- Sebastian Fitzek befragt Mark Benecke
- Auf dem Prüfstand
- Tag der offenen Tür
- Patricia Cornwell: Wer war Jack the Ripper?
- Der Sherlock Holmes der Neuzeit
- Wie ist das, wenn man verwest?