1997 Kriminalistik 51: Techno. Zur Phänomenologie einer Zeitströmung. (Techno. Phenomenology of a prevailing trend.)

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Quelle: Kriminalistik 51 (1997), S. 475-479

Techno. Zur Phänomenologie einer Zeitströmung.

Von Mark Benecke

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Gegenüber den Jugendsubkulturen, die unter dem Begriff Techno (auch Tekkno) zusammengefaßt werden, besteht allgemein eine ängstliche Voreingenommenheit. Drogen, sexuelle Ausschweifung und schrille Clubs sind die Zutaten des Bildes, das sich Erwachsene von der Partywelt der "Tekkno-Kids" machen. Auf eigener Anschauung beruht dieses Szenario meist nicht: Zu jung, zu "abgespaced", zu weit entfernt kommen vielen Eltern ihre feierfreudigen Nachkommen vor - der Blick hinter die Kulissen der neuen Partykultur bleibt jenen daher meist verwehrt.

Ausgehend von einer halbqantitativen Untersuchungsmethode (vgl. dazu Lautermann 1994), die der Autor dieses Artikels anhand mehrstündiger Gruppengespräche mit Ravern (Tekknopartygängern) im Frühjahr 1996 sowie eigener Partybesuche im Jahr 1997 durchführte, sollen in der folgenden, kurzen Momentaufnahme schlaglichtartig einige aus eigener Anschauung gewonnene Facetten der noch relativ neuen jugendkulturellen Strömung beleuchtet werden.

Die hier vorgestellte Skizze kann durch weiterführende Informationen zum Thema "Tekkno und Drogen" in einer detaillierten, systematisch-quantitativen Studie bei Schuster & Wittchen (1996) sowie einer Übersicht über Designerdrogen bei Forstenhäusler (1993) vertieft werden. Psychodynamische Aspekte des Ecstasygebrauchs beleuchtet Kuntz (1997), Insider- bzw. Detailinformationen enthalten die Broschüren des akzept e.V. (1996) und des Büros für Suchtpävention (1995). Ein aktuelles Projekt zum Status des Ecstasykonsums wird zur Zeit vom Arbeitskreis Ecstasy (Ansprechpartner: Dr. Hildegard Grass, Institut für Rechtsmedizin der Universität zu Köln) vorbereitet.

Die im folgenden kursiv gesetzten Zitate ohne Quellenagabe stammen aus Interwiews, die der Autor mit drei langjährigen Raverinnen bzw. Ravern aus Köln geführt hat (Benecke 1996) - Köln ist neben Frankfurt und Berlin eine der drei Tekkno-Hauptstädte Deutschlands. Alle in den Gesprächsprotokollen in eckige Klammern gesetzten Worte sind Ergänzungen des Autors.

Das Lebensgefühl: Vereinigung von Wirklichkeitssplittern

Die unter dem Sammelbegriff "Techno" seit Ende der achtziger Jahre zusammengefaßten Szenen verstehen sich selbst als lebendig, friedlich und spaßorientiert. Im Gegensatz zu früheren Jugendsubkulturen (z.B. Rocker, Punks) pointieren Tekkno-Anhänger (Raver) Lebensgrundeinstellungen, die sich sehr stark mit einigen in Deutschland allgemein anerkannten oder geforderten gesellschaftlichen Grundsätzen bzw. Realitäten decken: Leistungsprinzip, Selbstbewußtsein, Schnellebigkeit, Jetztbezogenheit, Desinteresse an Tagespolitik, dafür jedoch an politischer correctness.

Jürgen Laarmann, der Herausgeber der führenden Szene-Zeitschrift frontpage, schreibt: "Das Leben in der Raving Society war immer auch ein Leben in der wirklichen Gesellschaft. Der Alltag zwingt einen, die gesellschaftlichen Realitäten anzuerkennen. (...) Dabei gilt natürlich die Regel: Finde den kleinstmöglichen Kompromiß. Sei Dir bewußt was das Real Thing ist und was Du willst. Finde raus, wie man den Kompromiß so klein wie möglich halten kann." Und zur szeneeigenen Schnellebigkeit meint der Chikagoer Tekkno-Diskjockey DJ Rush: "Es passiert so viel in der Welt, vielleicht bin ich morgen tot, also warte ich lieber nicht, bis ich 50 bin, denn schließlich geht's vor allem um die Dinge, die jetzt passieren."

Als besonderes Merkmal der "Raving Society" sticht deren Wunsch nach liebevoller Zuwendung hervor. Dieser Wunsch kann als Antwort auf die familiäre Vereinzelung vieler Jugendlicher aufgefaßt werden. Es ist kein Zufall, daß die größten Tekknoversammlungen, die hunderttausende feiernd auf die Straße bringen, "Love Parades" genannt werden. Die Parallelen zu anderen Jugendkulturen, z.B. zur 10-14 jährigen Fangemeinde der vielköpfigen Musikerfamilie Kelly Familiy, deren Popularität ebenfalls auf dem Wunsch nach einer Geborgenheit bietenden Gemeinschaft verstanden wird, sind unübersehbar und zum Teil fließend. Dieser Aspekt wird auch von Kuntz (1997) treffend beleuchtet. Daß beim Tekkno neben der durch Drogen geförderten "Öffnung des Herzens" auch eine "narzistische Lust am eigenen Körper" (Kuntz) besteht und gefördert wird, entzieht sich jedoch der Einsicht der Raverinnen und Raver. Entsprechend selbstbewußt lautet eine der Maximen des Tekkno: "Zustände schaffen, die der eigenen Vision am nächsten kommen" (frontpage-Macher Laarmann).

Das Element des Fließens und Sich-Wandelns spiegelt sich übrigens nicht nur in der eigenen Biografie und dem Lebensstil der Tekknogänger wider, sondern öfters auch in grafischen Elementen auf CD-Covern und Flugblättern mit Partyterminen (Flyern) in Form von Strudeln, Tropfen, Blasen und dergleichen. Auch "fließende" Partykarrieren, in deren Verlauf die Tekknoszenen nur gestreift werden, gibt es häufiger.

Die Sub-Subkulturen

Im Verständnis der Raver existiert eine einheitliche Tekknoszene nicht. Dies ist für viele Erwachsene nicht nachzuvollziehen, wie zum Beispiel die folgende Äußerung einer Raverin zeigt.

Ich mein', ich brauch' doch nur die Läden in Köln anzugucken, [da] könnt' ich heulen. Und dann wird sowas im Fernsehn gezeigt, und dann denkt meine Oma, daß ich auch so bin. Ich kann ja schlecht jedem erklären, wo der Unterschied zwischen House, Acid und Gabba ist. Und dann sag' ich einfach Tekkno.

Die Auftrennung der Tekknoszene in Unterkulturen spiegelt sich in der Bevorzugung gewisser Musikrichtungen (Drum&Bass, Elektro, Trance, Goa, Gabba, Cybertechno, Slammin House, Oldschool, Minimal Techno, Electro Freestyle usw.), bestimmter Drogen (hier ist die Auswahl jedoch weniger differenziert und zudem vom Angbot bestimmt) und zum Teil auch der Kleidung wieder. Dabei dient die Kleidungswahl, wie in anderen Jugendkulturen, vor allem der Abgrenzung gegenüber den Erwachsenen und weniger gegen andere Teile der Tekknoszene. An der Kleidung zeigt sich gleichzeitig, daß die Vorstellungen "draußen" mit der Lebenswirklichkeit der Partygänger nur selten übereinstimmen. So fällt beim Besuch einer Tekknoparty beispielsweise sofort auf, daß dort praktisch keinen einheitlicher Modestil (Outfit) erkennbar ist. Bei kleineren Veranstaltungen - wozu der Autor auch sogenannte 72-Stunden-Raves in kleineren Konzerträumen in Gegensatz zu "Megaraves" mit vielen hundert bis zu tausenden von Teilnehmern zählt - sind viele Besucher mit Jeans, T-Shirts, ins Elegante spielenden Mänteln usw. bekleidet: Insgesamt gewöhnliche Großstadt-"Ausgehmontur". Miniberockte "Girlies", Ziegenbartträgern mit Wollmützen sowie in Silberuniformen gehüllten Jugendlichen mit einem auf den Rücken geschnallten Staubsauger haben wir fast nie angetroffen. Einzelne Kleidungsstücke wie "Sneaker" (Schuhe), "Dickiehosen" oder "GDEH-Sweater" können zwar zeiteise einen modischen Trend darstellen, eine sichtbare modische Uniformierung ist aber weder in Richtung einheitlicher Kleidung noch in Richtung eines betont überindividuellen Outfits erkennbar.

Frage: Ziehst Du Dich auch so szenemäßig an? Du siehst ja eher aus wie 'n Ök[o].
Corinna: Aufgerissene Hose und so, das steht für Gabba [Tekkno-Musikrichtung], und [ich habe] immer [eine] Adidas-Jacke oder Kappe an. Und so Sportanzüge, das gehört ja irgendwie zu Hardcore. Ja, und Sportschuhe.
Frage: Und den Wollpulli?
Corinna: Nee, quatsch, mit dem Pullover würd' ich niemals irgendwo reingehen. Es ist nur so, ich muß nur gleich nochmal weg, deshalb der Pullover.

Gelegentlich werden kleinere stilistische Anleihen an die Mode der frühen siebziger Jahre (z.B. kleine Plastiktaschen für Flugzeughandgepäck) sowie an die vierziger und fünfziger Jahre gemacht. Diese Tendenz der Rückbesinnung tritt aber zur Zeit in vielen verschiedenen Großstadtjugendszenen auf.

Selten wird bei Raves auch die unter vielen Jugendlichen ausgeprägte Fixierung auf Produktmarken modisch einbezogen, etwa als überdimensional auf T-Shirts aufgedruckte Originalschriftzüge von niederpreisigen Erzeugnissen bzw. deren Herstellern (Bärenmarke, Jägermeister, Afri-Cola; früher auch Aldi, Meister Propper). Nur in seltenen Einzelfällen können jugendliche Tekkno-Anhänger wie viele andere Menschen auch extreme Verhaltensweisen bezüglich ihrer Bekleidung entwicklen. Beispielsweise wurden einer Interviewpartnerin schon 1000 DM für eine zwanzig Jahre alte, blau schimmernde Jacke eines Adidas-Trainingsanzuges geboten.

In diesem Zusammenhang noch ein Wort zur Musik: Im Gegensatz zur Volksmeinung empfinden viele Außenstehende Tekkno als immerhin "tanzbar" - so formulierte es eine Ärztin bei einem unserer Partybesuche.


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