Juli 2020 Geleitwort Toxisch: Difference between revisions
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[[File:Toxisch titel.jpg|thumb|300px|left]] [[File:Toxisch mb.jpg|thumb|300px|right|Zeichnung: Timo Würz]] Medizin-Studierende lernen auf Speed, in [[World Sword Swallowers Day (Berlin)|Berlin]] sind die Nächte schneeweiß, in Dresden und Regensburg geistert Crystal durch die Partys, und ganz im Westen gibt’s noch Shore und Gras. Der (gute) Rapper Finch Asozial macht so selbstverständlich Witze über Pillen in der Bauchtasche, dass Oma und Opa, wenn sie denn Rap hörten, vielleicht nachdenklich würden. Ich selbst habe schon 1997 für die Zeitschrift ''Kriminalistik'' [[1997 Kriminalistik 51: Techno. Zur Phänomenologie einer Zeitströmung. (Techno. Phenomenology of a prevailing trend.)|MDMA-Kids befragt]], die freiwillig ihr Ecstasy weggetan haben, weil sie keinen Bock mehr auf kuschelige Freundinnen und Freunde hatten, an die sie sich später nicht mehr erinnern konnten.<br> | |||
[[ | In den [[2017 08 25 Deutschlandfunk Nova: Todesdrama in Arkansas|USA]] sterben zehntausende von Menschen (derzeit täglich 130) an künstlich hergestellten Beruhigungsmitteln. Als ich auf der größten [[(Voodoo)-Jahrestagung der American Academy of Forensic Sciences (AAFS), New Orleans|forensischen Tagung]] – bei der American Academy of Forensic Sciences – direkt neben dem Leiter des wohl größten Gift-Untersuchungslabors der Welt stand, hatte er Tränen in den Augen. „Die meisten dieser Menschen“, sagte er zu mir, „sind ganz normale Leute, die von Medikamenten abhängig geworden sind.“<br> | ||
Und jetzt? Leider nichts „und jetzt“. El Mencho aus [[Congreso Mundial De Investigacion Forense|Mexiko]], auf dessen Kopf im Moment (2019) zehn Millionen Dollar ausgesetzt sind, verdient mit Koks so viel Geld, dass er im Jahr 2012 neun seiner Gegner – vier Frauen und fünf Männer – [[Vom Haengen und Wuergen|erhängt]] von einer Straßenbrücke baumeln ließ. Er kann machen, was er will, und genau das tut er auch. Falls Sie sich fragen, wie viel Geld er wohl verdient: Je nach Schätzung werden weltweit zwischen dreihundert (Interpol) und fünfhundert (Staatsanwaltschaft Halle) Milliarden Dollar mit illegalen Drogen umgesetzt — ohne Alkohol, versteht sich. Denn der ist ja in den meisten Ländern legal.<br> | |||
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|Bundeskriminalamt]] und der [[2018-11 Der Kriminalist: Der "Herr der Maden" beim Direktionsverband Braunschweig|Bund Deutscher Kriminalbeamter]] besprachen schon im Jahr 2014 offiziell, dass Drogenverbote nichts bringen, da der „Kampf“ – Zitat von der Titelseite der Fachzeitschrift ''der kriminalist'' – „aussichtlos“ ist. Kurz zuvor hatten 123 Strafrechtsprofessorinnen und -professoren, auch mit Verweis auf eine Untersuchung der Vereinten Nationen von 2008, eine Erklärung des Schildower Kreises unterschrieben. Sie stellt fest, dass Drogenverbote zwar verhindern, dass Menschen über die Eigenschaften von Substanzen aufgeklärt werden, sonst aber keinen Nutzen haben. O-Ton: „Die Prohibition fördert die organisierte Kriminalität und den Schwarzmarkt, behindert eine angemessene medizinische Versorgung, und es erodieren staat- liche Grundstrukturen.“ Das wusste man zwar schon seit der Alkohol-Prohibition in den USA in den 1920er-Jahren, aber hey. Ist ja schon was her.<br> | |||
[[File:Kriminalist toxisch.jpg|thumb|300px|right]] Neuerdings stellt sich in den USA heraus, dass der legale Verkauf von Cannabisprodukten – nicht von Cannabisfaser-Ökoprodukten, sondern solchen mit dem Wirkstoff THC – mehr Steuereinnahmen bringt als der Verkauf von Alkohol. Im Jahr 2018 nahmen die Staaten Washington, Kalifornien, Oregon und Colorado zusammen eine Milliarde Dollar an Steuern aus legalen Marihuana-Verkäufen ein. Dieses Geld wird unter anderem zur Erneuerung von Schulen und für Drogenaufklärungsprogramme eingesetzt. Zack!<br> | [[File:Kriminalist toxisch.jpg|thumb|300px|right]] Neuerdings stellt sich in den USA heraus, dass der legale Verkauf von Cannabisprodukten – nicht von Cannabisfaser-Ökoprodukten, sondern solchen mit dem Wirkstoff THC – mehr Steuereinnahmen bringt als der Verkauf von Alkohol. Im Jahr 2018 nahmen die Staaten Washington, Kalifornien, Oregon und Colorado zusammen eine Milliarde Dollar an Steuern aus legalen Marihuana-Verkäufen ein. Dieses Geld wird unter anderem zur Erneuerung von Schulen und für Drogenaufklärungsprogramme eingesetzt. Zack!<br> | ||
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Traue ich nach vielen Jahren kriminalistischer Arbeit Menschen zu, offen und vernünftig mit sich selbst und mit Drogen umzugehen? Nicht immer. Glaube ich, dass Demokratie die beste Staatsform ist? Es ist die beste, die wir kennen. Denke ich, dass Cannabis nach all den Jahren auch in Europa legalisiert werden wird? Vermutlich. Es gibt schließlich keinen Grund, es nicht zu tun. Siehe oben.<br> | Traue ich nach vielen Jahren kriminalistischer Arbeit Menschen zu, offen und vernünftig mit sich selbst und mit Drogen umzugehen? Nicht immer. Glaube ich, dass Demokratie die beste Staatsform ist? Es ist die beste, die wir kennen. Denke ich, dass Cannabis nach all den Jahren auch in Europa legalisiert werden wird? Vermutlich. Es gibt schließlich keinen Grund, es nicht zu tun. Siehe oben.<br> | ||
Ich weiß, dass die Wirklichkeit ohne Drogen – auch ohne Alkohol – auf Dauer bunter, verrückter, liebenswerter und spannender ist als jeder Roman, Film oder Rausch. Drogennotstände wie heute in den USA sind Auswuchs und nicht die Ursache dessen, was in einer überdrehten Welt auf die Menschen herniederprasselt.<br> | Ich weiß, dass die Wirklichkeit ohne Drogen – auch ohne Alkohol – auf Dauer bunter, verrückter, liebenswerter und spannender ist als jeder Roman, [[2012 08: Universum Film - Interview: Das echte CSI|Film]] oder Rausch. Drogennotstände wie heute in den USA sind Auswuchs und nicht die Ursache dessen, was in einer überdrehten Welt auf die Menschen herniederprasselt.<br> | ||
Lesen Sie daher gerne den folgenden, persönlich gehaltenen Bericht, der einen strubbeligen, wilden Strauß an Daten und Aussagen liefert. Das Buch dient der Aufklärung – und die müssen Sie nun mal selbst besorgen.<br> | Lesen Sie daher gerne den folgenden, persönlich gehaltenen Bericht, der einen strubbeligen, wilden Strauß an Daten und Aussagen liefert. Das Buch dient der Aufklärung – und die müssen Sie nun mal selbst besorgen.<br> |
Revision as of 09:26, 24 June 2020
Rainer Biesinger & Max Klute: Toxisch
1. Aufl.: 13. Juli 2020, Sachbuch Medizin und Gesundheit. Springer / Nature, Heidelberg & Berlin, XXV, 270 S., 38 Abb., mit Online-Extras, Druck-Ausgabe ISBN 978-3-662-60677-3, S. VII—IX.
Ein Vorwort von Geleitwort von Kriminalbiologe Dr. Mark Benecke
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Medizin-Studierende lernen auf Speed, in Berlin sind die Nächte schneeweiß, in Dresden und Regensburg geistert Crystal durch die Partys, und ganz im Westen gibt’s noch Shore und Gras. Der (gute) Rapper Finch Asozial macht so selbstverständlich Witze über Pillen in der Bauchtasche, dass Oma und Opa, wenn sie denn Rap hörten, vielleicht nachdenklich würden. Ich selbst habe schon 1997 für die Zeitschrift Kriminalistik MDMA-Kids befragt, die freiwillig ihr Ecstasy weggetan haben, weil sie keinen Bock mehr auf kuschelige Freundinnen und Freunde hatten, an die sie sich später nicht mehr erinnern konnten.
In den USA sterben zehntausende von Menschen (derzeit täglich 130) an künstlich hergestellten Beruhigungsmitteln. Als ich auf der größten forensischen Tagung – bei der American Academy of Forensic Sciences – direkt neben dem Leiter des wohl größten Gift-Untersuchungslabors der Welt stand, hatte er Tränen in den Augen. „Die meisten dieser Menschen“, sagte er zu mir, „sind ganz normale Leute, die von Medikamenten abhängig geworden sind.“
Und jetzt? Leider nichts „und jetzt“. El Mencho aus Mexiko, auf dessen Kopf im Moment (2019) zehn Millionen Dollar ausgesetzt sind, verdient mit Koks so viel Geld, dass er im Jahr 2012 neun seiner Gegner – vier Frauen und fünf Männer – erhängt von einer Straßenbrücke baumeln ließ. Er kann machen, was er will, und genau das tut er auch. Falls Sie sich fragen, wie viel Geld er wohl verdient: Je nach Schätzung werden weltweit zwischen dreihundert (Interpol) und fünfhundert (Staatsanwaltschaft Halle) Milliarden Dollar mit illegalen Drogen umgesetzt — ohne Alkohol, versteht sich. Denn der ist ja in den meisten Ländern legal.
Das [[2013 09 14 BKA: Tag der offenen Tuer
|Bundeskriminalamt]] und der Bund Deutscher Kriminalbeamter besprachen schon im Jahr 2014 offiziell, dass Drogenverbote nichts bringen, da der „Kampf“ – Zitat von der Titelseite der Fachzeitschrift der kriminalist – „aussichtlos“ ist. Kurz zuvor hatten 123 Strafrechtsprofessorinnen und -professoren, auch mit Verweis auf eine Untersuchung der Vereinten Nationen von 2008, eine Erklärung des Schildower Kreises unterschrieben. Sie stellt fest, dass Drogenverbote zwar verhindern, dass Menschen über die Eigenschaften von Substanzen aufgeklärt werden, sonst aber keinen Nutzen haben. O-Ton: „Die Prohibition fördert die organisierte Kriminalität und den Schwarzmarkt, behindert eine angemessene medizinische Versorgung, und es erodieren staat- liche Grundstrukturen.“ Das wusste man zwar schon seit der Alkohol-Prohibition in den USA in den 1920er-Jahren, aber hey. Ist ja schon was her.
Neuerdings stellt sich in den USA heraus, dass der legale Verkauf von Cannabisprodukten – nicht von Cannabisfaser-Ökoprodukten, sondern solchen mit dem Wirkstoff THC – mehr Steuereinnahmen bringt als der Verkauf von Alkohol. Im Jahr 2018 nahmen die Staaten Washington, Kalifornien, Oregon und Colorado zusammen eine Milliarde Dollar an Steuern aus legalen Marihuana-Verkäufen ein. Dieses Geld wird unter anderem zur Erneuerung von Schulen und für Drogenaufklärungsprogramme eingesetzt. Zack!
Traue ich nach vielen Jahren kriminalistischer Arbeit Menschen zu, offen und vernünftig mit sich selbst und mit Drogen umzugehen? Nicht immer. Glaube ich, dass Demokratie die beste Staatsform ist? Es ist die beste, die wir kennen. Denke ich, dass Cannabis nach all den Jahren auch in Europa legalisiert werden wird? Vermutlich. Es gibt schließlich keinen Grund, es nicht zu tun. Siehe oben.
Ich weiß, dass die Wirklichkeit ohne Drogen – auch ohne Alkohol – auf Dauer bunter, verrückter, liebenswerter und spannender ist als jeder Roman, Film oder Rausch. Drogennotstände wie heute in den USA sind Auswuchs und nicht die Ursache dessen, was in einer überdrehten Welt auf die Menschen herniederprasselt.
Lesen Sie daher gerne den folgenden, persönlich gehaltenen Bericht, der einen strubbeligen, wilden Strauß an Daten und Aussagen liefert. Das Buch dient der Aufklärung – und die müssen Sie nun mal selbst besorgen.
Mark Benecke
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