Facharbeit Kuehne 2002

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Name: Holger Kühne
Fachhochschule für Polizei Sachsen, Leipzig
Fachbereich Kriminalistik und Kriminologie
Ltd. Kriminaldirektor Ulrich Borrmann
Leipzig, im Januar 2002


Forensische Entomologie und ihre Bedeutung für die polizeiliche Praxis

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Einleitung

1.1. Begriffsbestimmung

Unter forensische Entomologie versteht man eine der Aufklärung von Rechtsfällen dienende Insektenkunde. Im Mittelpunkt des Interesses stehen dabei grundsätzlich solche Insekten, welche das Material toter Körper für sich als Nahrungsquelle nutzen.

1.2. Zielsetzung

Im Gegensatz zu anderen Ländern wie Frankreich, den USA oder Kanada ist in Deutschland zu beobachten, dass in noch zu wenigen Fällen, bei denen es sich um mit Insekten besiedelte Leichen handelt, auf das Hinzuziehen eines Entomologen zurückgegriffen wird. Dass die forensische Entomologie in Deutschland noch nicht den Rang wie in anderen Ländern erreicht hat mag daran liegen, dass es hier nur relativ wenige Wissenschaftler gibt, welche sich mit dieser Problematik beschäftigen und als kompetente Ansprechpartner dienen können. Eine wesentlich wichtigere Ursache ist aber sicherlich, dass sich Kriminalisten, Staatsanwälte und auch Rechtsmediziner noch nicht umfassend mit der forensischen Entomologie befasst haben und somit noch zu wenig ihre Bedeutung kennen. Ihnen ist zwar bekannt, dass es auch die Möglichkeiten gibt, mit Hilfe von Leicheninsekten Untersuchungen vorzunehmen. Eine praktische Anwendung bleibt jedoch die Ausnahme. Mit dieser Arbeit soll das Wissen über die forensische Entomologie erweitert und ein Beitrag zur Vervollkommnung der kriminaltechnischen Arbeit an der Leiche und am Fundort geleistet werden.

2. Die Bedeutung der forensischen Entomologie

Die Bedeutung der forensischen Entomologie liegt vorrangig in der Bestimmung der Leichenliegezeit und somit der Ermittlung der Todeszeit, beziehungsweise deren Eingrenzung. Weiterhin können mit ihrer Hilfe Nachweise von postmortalen Verlagerungen der Leiche und Aufenthalte von Täter oder Opfer an bestimmten Orten, als auch die Feststellung von Intoxikationen und Opferidentifizierungen durchgeführt werden.

2.1. Leichenliegezeitbestimmungen

Mit den klassischen Methoden der Ermittlung der Todeszeit, wozu die Messung der Körpertemperatur und die Begutachtung von Leichenstarre und Leichenflecken gehören, können nur dann befriedigende Ergebnisse erzielt werden, wenn der Todeseintritt nicht länger als zwei Tage zurückliegt.

Da die Körpertemperatur in der Regel etwa 1 °C pro Stunde abnimmt, hat die menschliche Leiche schon nach relativ kurzer Zeit die Umgebungstemperatur angenommen. Aufgrund der verhältnismäßig raschen Ausprägung der Totenflecken ist es nur innerhalb der ersten 20 Stunden nach dem Todeseintritt möglich, entsprechende Rückschlüsse auf den Todeszeitpunkt zu ziehen. Die Totenstarre prägt sich allmählicher aus. Sie hat sich aber nach etwa 36 Stunden wieder vollständig gelöst, und kann dann auch keine Todeszeitinformationen mehr liefern.

Somit gibt es bei Leichen, welche erst spät entdeckt werden, kaum noch Möglichkeiten die Todeszeit exakt zu bestimmen. Man muss sich auf eventuell existierende Personalbeweise stützen oder man zieht andere Umstände, welche zum Beispiel mit dem Verschwinden einer Person im Zusammenhang stehen, heran.

Es ist aber auch möglich, die Hilfe von nekrophagen Insekten in Anspruch zu nehmen. Die besten Ergebnisse mit dieser Methode können erzielt werden, wenn die Leiche in einem Zeitraum von zwei bis drei Wochen nach dem Todeseintritt entdeckt wird. Es ist dann durchaus noch möglich, den Todeszeitpunkt bis fast auf den Tag genau einzugrenzen.

Kadaver, und somit auch menschliche Leichen, werden von verschiedenen Insektenarten besiedelt. Insbesondere legen bestimmte Fliegenarten bei entsprechenden Gelegenheiten schon unmittelbar nach dem Tod ihre Eier auf den Körpern ab. Diese dienen den schlüpfenden Maden als Nahrung.

Dadurch kommt es zu einer frühzeitigen Zerstörung wichtiger Weichteilgebiete, welche die Ermittlung der Todesursache und die Identifizierung der Leiche erheblich erschwert. Auch können solche Zerstörungen irrtümlich als Spuren von vitalen Einwirkungen angesehen werden.

Jede der bekannten Fliegenarten benötigt für ihre Entwicklung einen bestimmten Zeitraum, welcher insbesondere von den herrschenden Temperaturen abhängig ist. Unter der Voraussetzung sach- und fachgerechter Suche und Sicherung der Tiere und genauer Ermittlung der meteorologischen Gegebenheiten am Leichenfundort innerhalb der angenommenen Leichenliegezeit ist es möglich, Rückrechnungen auf die Todeszeit zu machen.

Aufgrund der Größe der Made einer bestimmten Fliegenart in Verbindung mit der vorgeherrschten Durchschnittstemperatur kann deren Alter ermittelt werden. Unter Einbeziehung der Temperatur zum Schlupfzeitpunkt erhält man die Dauer des Eistadiums. Rechnet man vom Tag der Sicherung der Made diese beiden Zeiträume zurück, so erhält man den Tag der Eiablage und somit den wahrscheinlichen Todestag, beziehungsweise den Tag, an dem das Opfer mit Sicherheit schon tot war.

In die Berechnungen und Überlegungen sind aber auch solche Gegebenheiten wie Luftfeuchtigkeit und Erreichbarkeit der Leiche durch die Fliegen einzubeziehen. Dementsprechend ist es schon ein Unterschied, ob die Leiche im Freien lag und ein ungehindertes Anfliegen erfolgen konnte oder ob sie sich in einer Wohnung mit verschlossenen Türen und Fenstern befand oder andere Umstände, wie zum Beispiel die Abdeckung der Leiche mit einer Plastikplane, die Eiablage behinderten.

Obwohl bei uns in Mitteleuropa annähernd 8000 Fliegenarten leben, sind es im wesentlichen etwa 25 forensisch bedeutsame Arten aus den Familien der Schmeißfliegen (Calliphoridae), Stubenfliegen (Muscidae) und Fleischfliegen (Sarcophagidae), auf welche sich in der Hauptsache die Untersuchungen konzentrieren. Aber auch Vertreter anderer Fliegenfamilien wie die der Buckelfliegen (Phoridae), Käsefliegen (Piophilidae) oder Dungfliegen (Sphaeroceridae), welche ebenso menschliche Leichen aufsuchen und als Brutmedium benutzen, können eine Rolle spielen.

Zu erwähnen sind auch die vielen Käferarten, welche ganz bestimmte Zersetzungsstadien der Leiche, die ausschlaggebend für den Beginn ihrer Besiedlung sind, bevorzugen. Ihre Anwesenheit kann ebenso Hinweise auf die Leichenliegezeit geben.

„Mit den übelriechenden Überresten eines Menschen verbinden sich oft die Schicksale anderer, lebender Personen. Wenn es gelingt den Todeszeitpunkt eines Mordopfers wissenschaftlich fundiert einzugrenzen, können sich entlastende Alibis bestätigen - oder es zieht sich die Schlinge um den Hals des Tatverdächtigen zu.”

2.2. Postmortale Verlagerungen

Insekten genießen auf der Welt eine enorme Verbreitung. Sie stellen allein 75 % aller Tierarten und können auch unter extremen Bedingungen leben, so dass sie fast überall in großer Anzahl vorkommen. Die verschiedenen Lebensräume werden von ganz bestimmten Arten bevorzugt.

Die auf einer Leiche siedelnden Insekten, seien es nun Fliegen oder aber auch bestimmte Käferarten, können die Eigenart haben, dass diese nur in einem eng begrenzten Biotop vorkommen. Findet man Exemplare von einer für diesen Lebensraum am Fundort untypischen Art, so können solche Rückschlüsse gezogen werden, dass es zu einer postmortalen Verlagerung der Leiche gekommen sein muss.

Die Kriminalisten können auf die Beweiskraft der Kleinlebewesen vertrauen und unter Umständen aufgrund von mitgeschleppten, ortsfremden Organismen den Tathergang dahingehend erhellen, dass es sich bei dem Leichenfundort nicht gleichzeitig um den Tatort handelt.

2.3. Aufenthaltsnachweise

Auch andersartige tierische und insbesondere pflanzliche Biospuren an Täter oder Opfer lassen die Schlussfolgerung zu, dass diese Personen sich am Tatort befunden haben müssen.

Fall 01:

Es ist ein Fall aus den USA bekannt, in welchem ein am Fundort beschäftigter Polizeibeamter nach zwei Tagen über schmerzhafte Insektenstiche klagte. Diese waren auch an der Leiche und an einer tatverdächtigen Person nachzuweisen. Sie stammten von der Milbe Eutrombiculina belkine, welche nur in einem eng begrenzten Gebiet um den Leichenfundort vorkam und die dort lebenden Wirbeltiere befallen hatte.

Von den pflanzlichen Spuren haben die Kieselalgen eine besondere Bedeutung. Diese können sich zum Beispiel in Bodenanhaftungen der Schuhe befinden und aufgrund ihres qualitativen und quantitativ-statistischen Auftretens an einem bestimmten Ort wertvolle Aussagen liefern. Auch der Nachweis von Kiesel- oder Grünalgen in der Lunge, im Blut, in der Leber und im Knochenmark von vermeintlich Ertrunkenen kann Informationen darüber liefern, wo und ob jemand ertrunken ist, oder ob er schon tot ins Wasser gelegt wurde. Dabei ist allerdings eine gewisse Vorsicht geboten, da sich auch in den Organen Nichtertrunkener eine geringe Anzahl von mit der Luft und der Nahrung aufgenommener Kieselalgen befindet.

2.4. Intoxikationen

Wenn das zerfallene Leichengewebe nicht mehr zu einer toxikologischen Untersuchung taugt, so können neben den eventuell noch vorhandenen Haaren auch ohne Probleme Insekten, welche sich von dem Gewebe ernährt haben, zur Untersuchung herangezogen werden. Diese haben die vermeintlichen Schadstoffe in sich aufgenommen, und es kann somit unter anderem nachgewiesen werden, ob die Person vor ihrem Tod Rauschmittel zu sich genommen hat.

Es wurde festgestellt, dass sich Fliegenmaden der Fleischfliege Boettcherisca peregrina sogar auf kokain- und heroinbelastetem Material schneller entwickelten und heranwuchsen, als auf unbelastetem Gewebe. Manche andere Fliegenarten meiden hingegen solches Material.

Darüber hinaus sind auch andere Schadstoffe wie Quecksilber, Kupfer, Kalzium sowie das Gift aus Schlafmittelpräparaten nachweisbar.

2.5. Opferidentifizierungen

Denkbar ist die Möglichkeit, dass man einen Mord klärt, ohne eine Leiche zu haben. Dies wäre zum Beispiel dann der Fall, wenn man im Kofferraum des Autos vom Tatverdächtigen eine Fliegenmade sichert, in deren Darminhalt sich Erbgut eines potentiellen Mordopfers befindet.

3. Natürliche, postmortale Veränderungen

Die Natur hat es so eingerichtet, dass jedes Lebewesen sterben muss. Damit wird sichergestellt, dass sich die Nachkommen durch die Neuzusammenstellung von Erbmaterial weiterentwickeln können und ihnen der erforderliche Lebensraum zur Verfügung gestellt wird. Dafür ist es wichtig, dass „das Körpermaterial der Verstorbenen in den Kreislauf des Lebendigen zurückkehrt”.

Aus diesem Grund ist es erforderlich, dass das tote, biologische Körpermaterial durch Zersetzungs- und Zerstörungsvorgänge zerlegt wird. Diese Vorgänge beginnen schon kurz nach dem Tod und können, bei für diese günstige Umgebungsvoraussetzungen wie Wärme und Sauerstoff, sehr rasch voranschreiten.

Es wird unterschieden zwischen den Zersetzungsvorgängen Autolyse, Fäulnis und Verwesung. Sonderformen der Leichenveränderungen sind Mumifikation, Fettwachsbildung, sonstige Konservierungen und die Zerstörungen durch Tierfraß. Diese im weiteren beschriebenen Erscheinungen können nicht grundsätzlich voneinander getrennt werden, da sie ineinander übergehen und zeitweise auch nebeneinander bestehen.

Die Geschwindigkeit der Leichenzersetzung ist von vielen unterschiedlichen Faktoren abhängig wie den klimatischen Verhältnissen, Lagerort der Leiche, Todesursache, Bekleidung, körperliche Konstitution oder Bodenbeschaffenheit bei vergrabenen Leichen. Generell ist aber anzumerken, dass die „rasche Fäulnis [...] von Neugeborenen und Kindern, von fetten und blutreichen Personen [...] gegenüber [dem] viel langsameren Abbau des Leichnams bei erwachsenen, mageren und abgezehrten Menschen [steht]”.

3.1. Autolyse

Die Mechanismen des menschlichen Körperhaushalts, welche nach bestimmten Regeln ablaufen, brechen nach dessen Tod zusammen. Die körpereigenen Enzyme, welche diese Steuerungsfunktionen bisher wahrgenommen hatten, entfalten nun eine ungehemmte Wirkung auf das eigene Gewebe und zerstören dieses.

Es kommt, vorrangig durch den Zusammenbruch der Membranpotentiale, zu einem postmor- talen Eiweißabbau. Die Zellmembranen werden durchlässig und es findet ein Elektrolytausgleich zwischen den unterschiedlichen Geweben statt. Die Enzyme sind bei einer Temperatur zwischen 34 und 40 °C am aktivsten. Es kommt frühzeitig zu einer allgemeinen Gewebeerweichung der inneren Organe, beginnend in den Nebennieren, der Bauchspeicheldrüse, dem Gehirn als auch zu einem postmortalen Andauen der Magenwand durch den Magensaft mit seinen Verdauungsenzymen. Markant sind die Auflösung der Blutkörperchen mit dem Austritt des Hämoglobins in das umgebende Gewebe oder auch die Gallendiffusion mit Verfärbung der angrenzenden Bindegewebsstrukturen.

3.2. Fäulnis

Parallel zu den Autolysevorgängen verläuft die Fäulnis, wobei es dabei zu einem Abbau von Körperbausteinen kommt, welcher durch Bakterien bewerkstelligt wird. Diese befinden sich in einer ungeheuren Menge in den Eingeweiden.

Die Fäulnis ist gekennzeichnet von komplizierten chemischen Prozessen, welche noch nicht in allen Teilen erforscht sind. Eiweiße werden durch körpereigene Enzyme in Aminosäuren zersetzt, welche auch für die Autolyse verantwortlich sind. Enzyme, welche von den Bakterien stammen, spalten dann die Aminosäuren weiter in Ammoniak und Kohlendioxid. Am Ende der Leichenzersetzung liegen noch weitere einfach strukturierte Grundstoffe wie Schwefelwasserstoffe, Essig- und Phosphorsäure als auch Wasserstoff vor. Es handelt sich um Reduktionsvorgänge, durch welche die organische Materie abgebaut wird.

Im Rahmen dieser Reaktionen kommt es zu einer Bildung von Fäulnisgasen, welche das Gewebe durchsetzen und die Haut auftreiben. In relativ warmer Umgebung kann es gar zu einem drastischen Auftreiben des gesamten Körpers kommen verbunden mit schwersten Entstellungen. Die von der ebenfalls entstehenden Feuchtigkeit aufgequollene Haut wird durch die darunterliegenden Gasblasen abgehoben. Da sich die Gasbildung auch auf die Organe und die Körperhöhlen erstreckt, werden Wasserleichen, welche sich zuvor auf dem Grunde von Fluss oder See befanden, aufgetrieben und beginnen zu schwimmen.

Die Ursache des unangenehmen Geruchs von Faulleichen liegt darin, dass die Gase vorrangig aus Schwefelwasserstoff und Methan bestehen. Durch den Gasdruck kann Fäulnisflüssigkeit aus Mund und Nase ausgetrieben und als blutähnliche Abrinnspur sichtbar werden, welche sich unter dem Kopf der Leiche sammelt und somit den Eindruck von einem gewaltsamen Tod entstehen lässt.

An den Fäulnisvorgängen sind viele unterschiedliche Bakterienarten beteiligt, welche vom Bauchraum aus beginnend entlang der Blutgefäße wachsen und sich so stark vermehren, dass es durch die dadurch enorm beschleunigte Fäulnis zu einem Wiederansteigen der Körpertemperatur kommen kann.

Rückschlüsse auf die Todeszeit aufgrund des Fäulnisgrades sind schlecht möglich, da die Fäulnis sehr individuell abläuft. Neben den Umweltbedingungen sind auch Verhältnisse in der Leiche von Bedeutung. Beispielsweise können Infektionen den Ablauf erheblich beeinflussen.

3.3. Verwesung

Mit der Beendigung der stinkenden ammonikalischen Fäulnis beginnt eine starke Pilzentwicklung. Im Gewebe kommt es zu einer Flüssigkeitsverarmung. Der zundrige Zerfall der letzten, weitgehend ausgetrockneten Weichteilreste wird als die eigentliche Verwesung bezeichnet. Es handelt sich im Gegensatz zur Fäulnis um eine oxidative Form des Gewebeabbaus, da jetzt mehr Sauerstoff als Wasser vorhanden ist.

Das Verwesungsstadium mit seinem typischen modrigen Geruch kann aber auch schon frühzeitig eintreten und die Fäulnis verdrängen. Dies ist besonders bei kühleren Temperaturen und Trockenheit, wie sie in einem Erdgrab mit trockenem Boden vorherrschen, der Fall.

Zu einem Schimmelpilzbewuchs kann es auch bei Austrocknung der Hautoberfläche in Oberflächenlagerung kommen. Es ist möglich, dass Schleimhäute mit Schimmelrasen überzogen werden. Die Schimmelpilze bilden sich nach 2-3 Jahren zurück, ihr abgestorbener Rasen bleibt als schwärzliche Flecke sichtbar.

3.4. Konservierungen

Lagert die Leiche in feuchter Umgebung, kann es aufgrund von Sauerstoffmangel und einem Überangebot an Wasser zu einer Umwandlung des Unterhautfettgewebes in eine graue, körnige Masse mit wachsähnlicher Konsistenz kommen, welche durch eine nachfolgende Austrocknung in eine feste, kalkartige Beschaffenheit übergeht. Dieser Vorgang wird als Fettwachsbildung bezeichnet.

Eine sehr trockene und luftige Umgebung mit schnellem Wasserverlust lässt nur ein begrenztes Bakterienwachstum zu. Die Fäulnis findet sehr spärlich statt, wobei eine beschleunigte Verwesung zu verzeichnen ist. Die Haut kann die Beschaffenheit von Pergament erreichen. Sie legt sich fest um das Skelett und die Organe, welche wie zusammengesintert sind. Die Leiche ist mumifiziert.

Daneben gibt es noch einige Sonderformen, bei denen die Leiche ebenso nicht zerstört, sondern in einem veränderten Zustand lange erhalten bleiben kann.

3.5. Tierfraß

Die Zerstörung von besonders jener Leichen, welche im Freien liegen, kann durch Tierfraß um ein vielfaches schneller erfolgen, als dieses die Bakterien der Fäulnis allein bewirken würden. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn es sich um eine insektenaktive Jahreszeit handelt. Eine herausragende Bedeutung haben in dieser Hinsicht die Fliegen, dessen Maden die organische Substanz des Leichenkörpers als Nahrung auf dem Weg zur Entwicklung einer neuen Fliegengeneration dient.

Aber auch viele Käferarten gibt es, welche sich als Leichenverwerter betätigen und zur ernsten Konkurrenz werden können. Es ist möglich, dass bestimmte Käferlarven dabei auch die weichen und wenig widerstandsfähigen Fliegenmaden fressen. Ein Ausbringen von bestimmten Enzymen aus dem Mitteldarm der Käferlarven ist geeignet, weitere Fliegenmaden von der Leiche fernzuhalten.

Fall 02:

Im Sommer wurde in einem Roggenfeld die Leiche eines 16jährigen Mädchens gefunden, welche bei mäßig warmer, zum Teil regnerischer Witterung dort etwa 4 Wochen gelegen hatte. Die zuvor auf der Leiche anwesenden Fliegenmaden waren, bis auf wenige Reste, verschwunden. Untersuchungen zeigten, dass diese von den sehr zahlreich vorhandenen, 1 bis 5 cm großen, braunschwarzen Aaskäferlarven (Familien Sylphidae, Gattung Necrophorus humator) verzehrt wurden.

Als Nahrungskonkurrenten für die Fliegenmaden können auch Ameisen und Ohrwürmer auftreten. Neben den Insekten sind Ratten, Mäuse, bestimmte Vögel wie Krähen oder Möwen und auch wesentlich größere Tiere wie Wildschweine, Dachse und besonders Füchse an der Leichenzerstörung beteiligt. Durch diese kann es auch zur Verschleppung von Leichenteilen kommen.

Bei extremem Nahrungsmangel kam es auch schon vor, dass Haustiere wie Hunde oder Katzen die Leiche ihres ehemaligen Besitzers angefressen hatten.

Wasserleichen können von Wasserratten, Krebsen und Fischen angefressen werden. Aber auch in diesem Medium gibt es Insektenlarven, welche sich von Leichensubstrat ernähren können. Es sind solche der Köcherfliegen.

Fall 03:

Am 14. April 1937 wurde aus dem Inn bei Innsbruck die Leiche eines 28jährigen Mädchens geborgen, welches man seit genau einem Monat vermisste. Die Leiche hatte nicht sehr weit getrieben, es fehlten auch die entsprechenden Treibverletzungen. Sie war gut erhalten, es fehlte allerdings die Haut der Oberschenkel. Auch das Untergewebe zeigte tiefe Buchten und Lücken. Die von Kleidung bedeckte Körperregion war unversehrt, doch auch am Kopf fanden sich rundliche Lücken und die Ohren waren an den Rändern angefressen. Fliegenmaden gab es zu dieser Jahreszeit noch keine. Auf der Kleidung der Leiche und den zerfressenen Körperstellen wurden Larven der Köcherfliege gefunden. Um die Arbeit der Köcherlarven nachzuweisen unternahm man anschließend Versuche, zunächst mit der Leiche einer Frühgeburt. Der Kopf und die Beine dieser Leiche hatten nach 24 Stunden Löcher, welche bis auf die Knochen herabreichten. Ein weiterer Versuch wurde mit einer neugeborenen, nackten Ratte gemacht. Die Larven gingen sofort an die Ratte. Nach 20 Minuten hingen sie senkrecht an ihrem Opfer, „ wie Eisenspäne [am] Pol des Magneten”. Innerhalb von 14 Stunden war von der Ratte nichts mehr zu sehen. Ein weiterer Versuch fand mit einem Meerschweinchen statt, welchem man vorher eine Stelle im Fell rasiert und verletzt hatte. Diese Stelle wurde natürlich wie erwartet besonders stark von den Larven befallen. Die Untersuchungen erbrachten die Erkenntnis, dass der Fraß der Köcherfliegenlarven sofort beginnt, auch schon an frischen Leichen. Sie sind zu einer Zeit aktiv, wenn es noch keine Fliegenlarven gibt. Die Köcherfliegenlarven bevorzugen kaltes, fließendes Wasser. Im stehenden, warmen Wasser leben sie hingegen nicht. Im Laborversuch wurde weiterhin festgestellt, dass sie in der Zeit des zeitigen Frühjahrs sehr aktiv sind und ungeheuer, nahezu unaufhörlich fressen. Im Spätfrühling lassen sie von ihren Ködern ab, kommt der Sommer, so sterben sie.

Besonders die Wunden von wirbellosen Tieren hinterlassen manchmal Verletzungen, welche die Frage nach Fremdeinwirkung aufkommen lassen.

Fall 04:

In der Literatur wurde eine Leiche beschrieben, an welcher sich hellbräunliche, derb-lederartig anzufühlende Hautstellen befanden, die den Eindruck von Abschürfungen, Verbrühungen, Verbrennungen oder Verätzungen vermittelten und den Verdacht erregten, dass dort fremde Hand mit im Spiele gewesen sein könnte, obwohl solche Anhaltspunkte nicht vorlagen. Man konnte sich die Erscheinungen zunächst nicht erklären, bis man beim Auseinanderfalten von der leinenen Umhüllung einer anderen Leiche auf Ohrenkriecher stieß. Diese Leiche hatte die gleichen wie zuvor beschriebenen Merkmale und in der Leichenhalle waren sehr viele der Ohrenkriecher zu finden.

Fall05:

In einem Beitrag von 1902 wurde beschrieben, dass man auf dem Boden einer Küche die Leiche eines Kindes fand. Es war mit Küchenschaben zum Zeitpunkt des Fundes bedeckt und zeigte Hautabschürfungen im Bereich des Halses, so dass auf einen gewaltsamen Tod getippt wurde. Zur Untersuchung wurde in ein Gefäß ein Stück Leichenhaut zusammen mit lebenden Küchenschaben gebracht, welche sich sofort darauf stürzten. Nach dem Herausnehmen zeigte sich die Haut zunächst unverändert. Als sie aber ausgetrocknet war, hatte sie die gleichen Veränderungen, wie bei der Leiche in der Küche.

Fall 06:

In einem Artikel aus dem Jahr 1881 wird über einen zu 8 Jahren Zuchthaus verurteilten Angeklagten berichtet, welcher seinem Opfer Schwefelsäureverätzungen beigebracht haben soll. Diese Verletzungen stellten sich aber später als Fraßstellen, verursacht durch Ameisen, heraus.

„Bei postmortalen Verletzungen durch Seesterne und Blutegel kann es [auch] durch die Saugwirkung zu Blutungen in der Umgebung der Bissstelle kommen [...] [welche] vitale Verletzungen vortäuschen.”

Benagungen von Ratten oder Mäusen am Schädel können Hiebverletzungen, Katzenbisse solche von Stichwunden fingieren.

Die Kriminalbeamten sollten einen gewissen Einblick in die Vielfältigkeit der Leichenkonsumenten haben. Die von diesen Tieren an der Leiche vorgenommenen Veränderungen können sehr leicht mit vitalen Verletzungen verwechselt werden und somit irreführende Hinweise auf ein Verbrechen liefern. Es ist wichtig, am Fundort auf dort vorkommende Tiere zu achten. Dabei ist in die Überlegungen einzubeziehen, dass einige nur nachtaktiv sind oder sich in geraumer Entfernung von der Leiche aufhalten.

4. Einige frühere rechtsmedizinisch-insektenkundliche Beobachtungen und Untersuchungen zur Zerstörungsgeschwindigkeit und Zerstörungsgewalt von Leichen durch Fliegenmaden

Der Vortrag des Dresdner Rechtsmediziners REINHARD auf der Jahreskonferenz 1881 der zoologisch-botanischen Gesellschaft in Wien war einer der ersten Momente, in welchem die Anwendung der Insektenkunde durch die Rechtsmedizin dargelegt wurde. Er hatte im Zusammenhang mit einer Neubearbeitung des Bestattungsgesetzes in Sachsen gemeinsam mit dem Wiener Insektenkundler BRAUER Untersuchungen über die Buckelfliegen (Phoridae) angestellt.

Die Todeszeitbestimmung von länger liegenden Leichen war in der damaligen Zeit, insbesondere auch durch die Forschungen des französischen Rechtsmediziners MÉGNIN, „in großer Mode, [...]”.

Viele Rechtsmediziner hatten sich auch umfassend mit dem Phänomen der schnellen Zerstörung von Leichen durch die Einwirkung von Fliegenmaden beschäftigt.

Die Zerstörungen können in so einem enorm schnellen Tempo erfolgen, dass man annehmen kann, dass seit dem Eintritt des Todes schon eine sehr große Zeit vergangen sein muss, obwohl dem gar nicht so ist. Handelt es sich um eine skelettierte Leiche, so geht man leicht von einer Todeszeit von mehreren Monaten aus, wobei diese tatsächlich nur bei einigen Wochen oder gar noch weniger liegen kann.

Fall 07:

Der Rechtsmediziner LIMAN sah am 11.06.1866 im Berliner Leichenschauhaus die Leiche eines mit Fliegenmaden befallenen Neugeborenen. Zwei Tage später, als die Leiche obduziert werden sollte, waren nur noch die Knochen vorhanden und man konnte lediglich durch die Messung dieser das ungefähre Alter des Kindes bestimmen.

Fall 08:

In einem anderen Fall ergab sich bei einem angeblich tot geborenen Kind nach 6 Tagen der Verdacht, dass es durch die Mutter umgebracht wurde. Die Leiche war seit einem 30. Juli in einer einfachen Holzkiste begraben. Sie wurde nun exhumiert. Von der Kinderleiche konnten, trotz der kurzen Liegezeit, nur noch die Knochen ausgegraben werden. In der Kiste wimmelte es nur so von Fliegenmaden. Die Oberschenkelknochen waren grau und machten den Eindruck, als ob sie schon jahrelang dort gelegen hätten.

Handelt es sich bei der Leiche um eine solche mit sehr weicher und durch Feuchtigkeit aufgeweichter Haut, so kommt es zu einer besonders schnellen Zerstörung, da diese Haut sehr leicht von den Maden durchbohrt werden kann. Trockene und derbe Haut wird hingegen eher selten von außen her zerstört. Ganz besonders leicht gelingt das Eindringen den Maden an Wunden. Demnach kann die Geschwindigkeit und die Schwere der Zerstörung von Leichen enorm davon abhängig sein, inwieweit diese Verletzungen aufweisen.

Derartige Beobachtungen wurden insbesondere im ersten Weltkrieg gemacht, als die mit Wunden übersäten Leichen Gefallener, unter Bedingungen wie der Lagerung im Freien mit zerrissener Bekleidung und warmen Wetter, sehr schnell von Maden zerstört und „so die stinkende Fäulnis wesentlich abgekürzt wurde”.

Fall 09:

Im Juli 1919 brachte ein geistig verwirrter Sohn fast zeitgleich seine Eltern um. Die Mutter durch einen Schuss in das Herz und den Vater durch erhebliche Verletzungen mit einem großen Messer. Die Leichen wurden nebeneinanderliegend in der Wohnung drei Wochen später gefunden. Sie waren also in dieser Zeit genau den gleichen Bedingungen ausgesetzt. Die relativ korpulente Leiche der Mutter war in mit starker Gasauftreibung und Ablösung der Oberhaut verbundener Fäulnis übergegangen. Maden waren lediglich durch die Augen in das Gehirn vorgedrungen und auch durch den Mund in die Speiseröhre. Ansonsten wurde die Leiche von diesen verschont. Anders bei der Leiche des eher hageren Vaters. Die Muskulatur der Gliedmaßen war von sehr vielen Maden durchsetzt und größtenteils verzehrt. Auch von den inneren Organen war so gut wie nichts mehr vorhanden. Zwischen der mumifizierten Oberhaut und der Kleidung wurden schwarze Puppen als auch leere Puppentönnchen gefunden. Der Herzschuss mit innerer Verblutung konnte als Sektionsergebnis der Leiche der Mutter sehr gut ermittelt werden. Bei der Leiche des Vaters brachte die Sektion hinsichtlich der Todesursache aufgrund der hochgradigen Zerstörung kein befriedigendes Ergebnis.

Auch wenn bei einer Leiche eine Zerstörung von widerstandsfähigen Materialien wie Bänder, Sehnen und festem Muskelgewebe vorliegt, sollte man bei der Schätzung der Todeszeit vorsichtig sein. Dies gilt vor allem dann, wenn sich Fliegenmaden an der Leiche befinden.

Fall 10:

Es wurde die Leiche einer Frau am 24. Juli 1935, vom alten Laub des Vorjahres noch bedeckt, in einem Stadtgrundstück gefunden. Der Kopf, die Arme sowie Ober- und Unterkörper waren skelettiert. Die Brustorgane und Bauchorgane fehlten, aber auch so starkes Gewebe wie die Gebärmutter war nicht mehr vorhanden. Dafür um so mehr Fliegenmaden, Käfer und Puppen. Man ging zunächst von einer monatelangen Liegezeit aus. Diese Annahme stand aber im Widerspruch zu den mit Wollstrümpfen bedeckten Beinen, welche sehr gut erhalten waren. Sie hatten sogar noch Oberhaut und nur mäßige Fäulniserscheinungen, welches somit auf eine kurze Liegezeit hindeutete. Ermittlungen ergaben, dass es sich um eine Landstreicherin handelte, welche am 14. Juli von Zeugen noch gesehen wurde. Sie war somit erst höchstens 10 Tage tot.

Fall 11:

In einem anderen Fall wird von der Leiche eines jungen, nach Zeugenaussagen im 3. Monat schwangeren Mädchens berichtet, welche von ihrem Geliebten umgebracht wurde und die man im Juni 1917 fand. Der Oberkörper der Leiche lag im Wasser eines kleinen Teiches, der unbekleidete Unterkörper am Ufer. Es herrschte sehr heißes Wetter und die Leiche war schon sehr weit, obwohl erst seit 6 Tagen tot, in Fäulnis übergegangen. Das Phänomen bestand nun darin, dass der Leiche die Gebärmutter mit ihren Anhängen fehlte, die übrigen Beckenorgane aber noch erhalten waren. Den Rechtsmedizinern stellte sich nun die Frage, ob diese Organe durch den Täter, trotz fehlender entsprechender Spuren, postmortal entfernt oder durch Fliegenmaden zerstört wurden. Maden fanden sich an der Leiche insbesondere im Scheideneingang, sie hatten auch schon die äußeren Geschlechtsorgane fast vollständig zerstört. Eine Zerstörung des Uterus allein durch Fäulnis war ausgeschlossen. Um diese Frage zu beantworten, wurde durch die Rechtsmediziner eine Versuchsreihe gestartet. Von zur Sektion gekommenen weiblichen Leichen präparierte man die Beckenorgane heraus und beschickte sie mit Eiern bzw. Maden der Lucilia caesar. Die Organe wurden so in entsprechende Kisten gelegt, wie sie der Lage der Leiche entsprachen. Die Versuche ergaben, dass die Maden tatsächlich in der Lage sind, innerhalb der kurzen Zeit von nur 6 Tagen die gesamte Gebärmutter zu vertilgen. Allerdings wurden, anders als bei der aufgefundenen Leiche, gleichzeitig auch die übrigen Beckenorgane zerstört. Der Befund an der Leiche war zwar in der Tat recht ungewöhnlich, aber die Rechtsmediziner kamen letztendlich zu dem Ergebnis, dass das Fehlen der Gebärmutter, bedingt durch besondere und nicht bis ins Detail nachvollziehbare Umstände, allein auf Madenfraß zurückzuführen war.

Die damaligen Rechtsmediziner erkannten wie wichtig es ist, anhand von solchen Beispielen aufzuzeigen, mit welcher Geschwindigkeit und Gewalt Fliegenmaden in der Lage sind, Leichengewebe zu zerstören. Diese Erkenntnisse sollten insbesondere dazu dienen, Kriminalisten vor „peinlichen Trugschlüssen” in ihren Ermittlungen zu bewahren.

5. Die Entwicklungsabschnitte der Fliegen

5.1. Eiablage

Fliegen haben nicht sehr viel Zeit für ihre Fortpflanzung, da ihre Lebenserwartung auf 1 bis 2 Monate begrenzt ist. Die Männchen sind schon kurz nach dem Schlüpfen aus der Puppe geschlechtsreif, wohingegen die Weibchen noch ein bis zwei Wochen für die Entwicklung ihrer Eierstöcke benötigen. Sie produzieren darin in der Folge mehrere hundert Eier und lassen sich wahllos von verschiedenen Männchen begatten, dessen Sperma sie allerdings zunächst in einem Depot sammeln. Findet die Fliege einen geeigneten Ablageplatz, so rutschen die Eier aus den Eierstöcken, werden in der Regel erst dann mit dem Sperma befruchtet und abgelegt.

Mangelt es über einen längeren Zeitraum an einem geeigneten Ablageort, so halten die Weibchen ihre Eier, welche in der Zwischenzeit auch schon im Körper befruchtet sein können, zurück. Somit verkürzt sich dann die Eiperiode nach der Ablage oder es kann vorkommen, dass lebende Maden abgesetzt werden.

Das ist bei den Fleischfliegen, wie zum Beispiel der Sarcophaga carnaria, generell der Fall. Ihre Maden schlüpfen im Moment der Eiablage. Sie ist somit praktisch lebendgebärend.

Wirbeltierleichen, somit auch menschliche Leichen, stellen einen guten Platz für die Eiablage dar, da sie den Fliegen eine fett- und eiweißreiche Nahrung für die erfolgreiche Entwicklung ihres Nachwuchses bieten.

Fall 12:

Im folgenden Fall verfolgten schwangere Fliegenweibchen aus der Familie der Muscidae aber zunächst andere Interessen. In Leipzig wurde am 10.07.2000 im Rahmen einer Zwangsvollstreckung in einer verschlossenen und verwahrlosten Wohnung die Leiche eines zweijährigen Kindes gefunden, welches infolge Flüssigkeits- und Nahrungsmangels in seinem Bett gestorben war. Die Leichenliegezeit wurde aufgrund der Leichenerscheinungen auf 7-10 Tage geschätzt. Da von der festgenommenen, drogenabhängigen Mutter nicht zu erfahren war, wann sie ihr Kind zuletzt versorgt hatte, sollte der Todeszeitraum mit Hilfe eines entomologischen Gutachtens eingegrenzt werden. Wegen der kurzen Liegezeit, der verschlossenen Wohnung und der kühlen Witterung befanden sich relativ wenig Fliegenmaden an der Leiche. Aus dem Gesichtsbereich wurden Schmeißfliegenmaden gesichert. Die Untersuchung ergab, dass es sich um Calliphora vomitoria handelte. Diese Maden des zweiten Larvenstadiums waren 8 mm lang und stammten aus Fliegeneiern, welche vor 6,5-7,2 Tagen auf der Leiche abgesetzt wurden. Im Genitalbereich konnten 9 mm große Maden des dritten Larvenstadiums von Muscina stabulans gesichert werden. Weiterhin fanden sich dort 8 mm lange Maden des zweiten Larvenstadiums von Fannia canicularis, welche bereits ein Alter von etwa 15 Tagen hatten. Die beiden letztgenannten Arten besiedeln Leichen eigentlich erst relativ spät. Sie wurden aber von der urin- und kotverschmutzten Windel angezogen. Dort legten die Fliegenweibchen, noch zu Lebzeiten des allerdings schon stark geschwächten Kindes, etwa zwei Wochen vor dem Auffinden der Leiche, ihre Eier ab. Es kann davon ausgegangen werden, dass das Kind zumindest seit dieser Zeit nicht mehr versorgt wurde. Aufgrund der Maden von Calliphora vomitoria konnte die Aussage getroffen werden, dass das Kind zwischen dem 03.und 04.07.2000 verstarb.

Die Eier, welche oval, gelblich-weiß und etwa 2 mm lang sind, werden in Ballen bis zu 200 Stück, bevorzugt in oder an feuchte und sonnengeschützte Körperöffnungen deponiert. Die Eier könnten sonst vertrocknen, würden sie auf die ungeschützte Oberhaut abgelegt. Andererseits wird aber auch eine zu große Feuchtigkeit gemieden.

Solche primären Ablagestellen sind insbesondere die Augenwinkel, Mund und Nase, After, Scheidenöffnung oder Wunden. Dort befindet sich feines Gewebe, in welches sich die jungen Maden mit ihren anfänglich noch schwachen Fresswerkzeugen hineinarbeiten können. Aber auch Hautfalten werden aufgrund der dort herrschenden Feuchtigkeit mitunter als Ablagestelle ausgewählt. Es wird aber nie vorkommen, dass Fliegen unter die Kleidung kriechen und dort ihre Gelege deponieren.

Die eiablagebereiten Weibchen haben sechs Typen von sensiblen Sinnzellen, welche auf den Leichengeruch auch aus großer Entfernung reagieren und dabei in der Lage sind, zwischen verschiedenen Zersetzungszuständen zu unterscheiden. Die „Fliegen riechen den Tod” und finden auch bei geschlossenen Fenstern und Türen den Weg zur Leiche. Sie zwängen sich unter Türspalten hindurch oder krabbeln durch Ritzen und Schlüssellöcher.

Fall 13:

Am 21.05.2001 wurde in Leipzig die Leiche eines alleinstehenden, zu Lebzeiten lungenkranken, 53jährigen Mannes gefunden. Die sehr hagere Leiche war massiv mit Maden befallen, dadurch lag eine Teilskelettierung im Kopf-, Hals- und Schulterbereich sowie im Bereich des knöchernen Beckens vor. Weiterhin wurde ein nahezu vollständiger Verlust aller inneren Organe und des Gehirns festgestellt. Todesart und Todesursache konnten wegen der erheblichen Zerstörungen nicht mehr ermittelt werden, ein Straftatverdacht bestand nicht. Aufgrund eines letzten Notarzteinsatzes und der Post im Briefkasten wurde als Todeszeitraum der 12. bis 14.02.2001 eingegrenzt. Der vor Ort anwesende Kriminalbeamte berichtete, dass die Heizung der Wohnung abgedreht und sämtliche Fenster und Türen so fest geschlossen waren, dass auch die Mitbewohner des Hauses keinen Verwesungsgeruch, des immerhin seit gut drei Monaten dort liegenden Toten, wahrgenommen hatten. Trotzdem fanden Fliegen, allerdings wegen der kühlen Witterung im zeitigen Frühjahr relativ spät, einen Weg zu der Leiche, um ihre Eier darauf abzulegen. Leider wurden keine entomologischen Untersuchungen vorgenommen, so dass zu den beteiligten Fliegenarten keine Informationen vorliegen.

Es gibt auch Fliegenarten, welche selbst den Fäulnisgeruch von vergrabenen Leichen riechen. So dringt die Sargfliege sogar durch einen Meter Erdreich in geschlossene Särge ein, um dort ihre Eier abzulegen. Die Buckelfliege legt ihre Eier auf das Erdreich über verscharrte Leichen, die geschlüpften Maden dringen dann bis zu einem halben Meter in die Erde, um an die Eiweißquellen zu gelangen.

Fall 14:

Im Winter wurde im Wald die steinhart gefrorenen Leiche eines 34jährigen Mannes gefunden, welche man umgehend in diesem Zustand einsargte und begrub. Im Rahmen einer viereinhalb Jahre späteren Exhumierung fand man im Sarg unzählige kleine, flinke Fliegen und Puppen der Gattung Phoridae. Diese hatten sich in vielen Generationen im Sarg entwickelt und konnten auch erst dort an die Leiche gekommen sein.

Trotzdem sind die an exhumierten Leichen aufgefundenen Maden, Puppen oder Puppenhüllen in der Regel von solchen Arten, welche ihre Eiablage schon vor der Beerdigung vollzogen hatten. Durch die Identifizierung dieser kann festgestellt werden, in welchem Fäulniszustand sich die Leiche befunden hat. Die verschiedenen Fliegenarten bevorzugen einen bestimmten Zersetzungszustand, wobei durch die Beerdigung eine weitere Besiedlung verhindert wird.

Fall 15:

An dem Skelett eines in einer Höhle in Österreich vergrabenen Mannes wurden im Dezember Puppentönnchen der Latrinenfliege Fannia scalaris gefunden. Sie legt ihre Eier an Leichen ab, welche sich im fortgeschrittenen Zersetzungszustand befinden, ohne diese aber erst in der Erde aufsuchen zu können. Somit befand sich die Leiche schon in Fäulnis, als diese vergraben wurde.

Bei Temperaturen unter 15 °C werden die Fliegenweibchen in der Regel lustlos und wollen keine Eier mehr legen.

5.2. Maden

Etwa 10 bis 24 Stunden nach der Ablage kriechen aus den Eiern die Maden. Allerdings schlüpfen aus den Eiern eines Ballens die Maden nicht zeitgleich. Es kommt darauf an, an welcher Stelle das jeweilige Ei liegt und welches Mikroklima dort herrscht. Somit kann es innerhalb eines Geleges, infolge des mangelnden Kontaktes der obersten Schichten mit dem feuchten Brutmedium und den Temperaturdifferenzen, zu unterschiedlichen Schlupfzeiten kommen.

Die Jungmaden, welche aus einem Eiballen ausschlüpfen, können eine Fressgemeinschaft bilden und sich nebeneinander, also "spargelbündelartig” entlang der Gewebsstrukturen vorarbeiten und das Brutmedium aufschließen. Sind die Maden dann größer, dringen sie auch als Einzelindividuen in die Tiefe vor. Das Fressen beginnt dort, wo die Maden ausschlüpfen. Körperteile, welche durch Aufliegen oder andere Umstände weniger leicht zugänglich sind, kommen erst später dran und können inzwischen vertrocknen.

Der aus Chitin aufgebaute Kieferapparat ist bei den Jungmaden noch sehr zart, somit eine mechanische Zerkleinerung des Materials zunächst nur begrenzt möglich. Die Maden besitzen jedoch sehr große Speicheldrüsen und mit Hilfe des dort gebildeten proteolytischen Ferments wird das aufzuschließende Gewebe in einen resorbierbaren Futtersaft verwandelt, welcher leicht aufgenommen werden kann.

Im Rahmen der Untersuchungen von verwundeten Soldaten im I. Weltkrieg, bei welchen Eiablagen in die Wunden und sich dort entwickelte Maden festgestellt wurden, konnte beobachtet werden, dass es zu keinem Vordringen der Schmeißfliegenmaden in die Tiefen der Wunden kam. Das Ferment der Maden, welches diese produzieren, wirkt nur gegenüber absterbenden oder abgestorbenen Gewebe.

Die Maden hinterlassen als Exkremente Harnstoff und Allantoin, welche einen eigenartigen Geruch und aufgrund ihrer bakterienabtötenden Wirkung eine geringere mikrobielle Zersetzung der Leiche zur Folge haben.

Aufgrund der Tatsachen, dass Schmeißfliegenmaden nur schwärendes Fleisch angreifen und keimtötende Ausscheidungen produzieren, werden diese Tiere heutzutage in der Medizin eingesetzt bei der Heilung von kompliziert infizierten Wunden.

Hautstellen, welche zwar von Maden bedeckt aber von denen nicht angegriffen wurden, sind schmutzig-dunkelgrau verfärbt und feucht, es handelt sich dabei um die Absonderungen des Verdauungssaftes. Verschwinden dann die Maden, so können die Hautstellen vertrocknen und Ätzspuren vortäuschen.

Durch vereintes und konzentriertes Arbeiten mehrerer Maden an ein und derselben Stelle ist es in Einzelfällen sogar möglich, dass auch solche festen Materialien wie Knochenplatten zerstört werden.

Fall 16:

Im August 1984 fand man die Leiche eines Mannes im Gelände. Im linken Augenhöhlendach befanden sich zwei Löcher, welche das Aussehen von Schusslöchern hatten. Es konnte an dieser dünnwandigen Stelle des Schädels aber kein Bleiabrieb festgestellt werden. Ebenso befand sich kein Geschoss im Kopf und eine Waffe fand man auch nicht. Die Leiche war reichlich besiedelt mit Maden der Protophormia terraenovae. Es waren auch noch nicht geschlüpfte Puppen vorhanden. Durch eine Weiterzucht dieser bei 27 °C kam es nach zwei Tagen zum Schlüpfen der neuen Fliegen. Die Temperatur am Fundort der Leiche lag in den letzten zwei Wochen immer zwischen 25-30 °C. Eine Rückrechnung ergab, dass die Eiablage vor 13 Tagen stattgefunden hatte und der Mann mindestens seit dieser Zeit tot war. Zu dem gleichen Ergebnis kam man zusätzlich durch die Untersuchung der ebenfalls auf der Leiche vorgefundenen, 15 mm langen Maden der Lucilia sericata. Weitere Untersuchungen brachten das Ergebnis, dass es sich um Selbstmord handelte, da man Wein und Schlafmittel bei der Leiche fand. Der Mann war seit zwei Wochen abgängig und hatte den Suizid angekündigt. Die Löcher im Schädel waren auf Madenfraß zurückzuführen, da sie sich an der dünnsten Stelle der Knochentafel befanden, zackige Begrenzungen aufwiesen und keine Begleitverletzungen zu erkennen waren. Bei einer Schussverletzungen hätte man typische Nahschusszeichen sowie den Abstreifring des Projektils feststellen müssen.

Die Fliegenmaden durchlaufen drei Entwicklungsstadien. Diese unterscheiden sich voneinander in der Größe und den Körperstrukturen. Dabei häuten sie sich zweimal und verbleiben in der Regel auf der Leiche, denn „zufriedenen Maden verlassen ihr Brutmedium nicht”.

Nach dem Erreichen der Maximallänge stellt die Made ihre Nahrungsaufnahme ein, der Darmtrakt wird entleert, und die Made nimmt an Länge, offenbar wegen Flüssigkeitsverlust, ab.

Im Rahmen der Altersbestimmung von Fliegenmaden muss neben der Ermittlung ihrer Größe auch der Füllungszustand des Darmes kontrolliert werden. Es ist wichtig zu wissen, ob es sich um ein Exemplar handelt, welches das Erreichen der Maximallänge und die Darmentleerung noch vor sich oder bereits hinter sich hat.

Ein Anhaltspunkt dafür kann neben der Darmfüllung der Maden auch ihr unterschiedliches Verhalten sein. Maden haben vor dem Wachstumsgipfel eine träge Lebensweise. Sie neigen zum Verweilen am Fressmedium und bohren sich bei Berührung fluchtartig in präexistente Fressgänge. Diejenigen Maden, welche ihre Maximalgröße bereits erreicht haben und keine Nahrung mehr aufnehmen, wandern unruhig umher und ziehen sich bei Berührung tönnchen- förmig zusammen.

Das Madenstadium der Schmeißfliege Calliphora vicina dauert bei einer Temperatur von 22- 23 °C etwa 7 Tage. Liegt diese bei 18-19 °C, so verlängert es sich auf 9 Tage. Danach kommt es zur Verpuppung.

5.3. Puppen

Die Verpuppung der Fliegenmaden findet überwiegend in der Umgebung des Nahrungssubstrats statt, nachdem diese von dort abgewandert sind.

Sie können sich 20-30 Zentimeter tief in das Erdreich eingraben. Besteht der Untergrund aus Beton, wandern sie so lange, bis sie Erde finden. In Wohnungen nehmen sie auch mit einem Teppich oder mit Kleidungsstücken vorlieb, in oder unter welche sie kriechen. Während dieser Abwanderung leben die Maden von ihren Fettreserven.

Es kann aber auch unter Umständen in oder auf der Leiche zur Verpuppung kommen.

Die farblose und biegsame Madenhaut wandelt sich durch hormonelle Einflüsse in eine braune, starre und spröde Substanz. Sie bildet sich zu einem Puppentönnchen um. Darin findet dann die Wandlung zur eigentlichen Fliege statt.

Die Zeit der Puppenruhe beträgt für die Schmeißfliegengattungen Calliphora und Lucilia, bei einer Temperatur von etwa 23 °C, je nach Art zwischen 6-8 Tagen.

Die Entwicklung der Fliege in der Puppe ist relativ störungsunempfindlich gegenüber äußeren Einflüssen, ausgenommen mechanische Einwirkungen.

Aufgrund von zu niedrigen Temperaturen kann es auch nicht mehr zu einer Verpuppung kommen und die Maden treten in eine Ruhephase der Überwinterung. Auch dann wird vor- her der Darm entleert, da der mit Keimen kontaminierte Inhalt ein Überleben gefährden würde. Außerdem sind so die Maden bei Zunahme der Temperatur im Frühjahr bereits für die Verpuppung hinreichend vorbereitet.

5.4. Fertige Fliegen

Am Ende des Entwicklungsprozesses in der Puppe kommt es zu einem Absprengen des Puppenvorderendes mit Hilfe einer pulsierenden Stirnblase. Die schlüpfenden Fliegen ähneln zu Anfang mit ihren noch nicht entfalteten Flügeln eher einem Wurm, welcher sich durch die Erde, sofern dort die Puppenruhe stattgefunden hatte, nach oben arbeitet. Die Fliegen sind zunächst silbrig-grau bis weiß und weich. Über das Tracheensystem werden das Exoskelett und die Flügel mit Luft aufgepumpt, so dass es zu einer Verhärtung der Chitinkutikula kommt. Die Tiere erlangen ihr eigentliches Aussehen und sind flugfähig.

Da die Weibchen schon nach zwei Wochen wieder fortpflanzungsfähig sind, können in unserem Klima in der Zeit von Mai bis Oktober unter Umständen 5-10 Generationen aufeinanderfolgen.

Geschah die Eiablage vor der Beerdigung der Leiche, so findet der Madenfraß und die weitere Entwicklung in der Erde statt, die Puppenhülle verbleibt am Leichnam und die fertige Fliege dringt, wenn möglich, an das Tageslicht empor. Amerikanische Forscher stellten fest, dass sich Fliegen der Gattungen Ophyra und Musca durch 1 bis 2 Meter dicke Sandschichten hindurchgearbeitet hatten.

Leider ist bei uns in Mitteleuropa die fliegenaktive Zeit relativ kurz. Somit gibt es, wenn es sich um einen Leichenfundort im Freien handelt, nur eine reduzierte Zeit der forensischen Untersuchungen.

6. Die Entwicklungszeit der Fliegen

Da die Fliegen wie alle Insekten zu den wechselwarmen Tieren gehören, werden ihre Entwicklungszeiten sehr stark von der herrschenden Umgebungstemperatur beeinflusst. Bei abnehmender Temperatur verlängert sich die Dauer des Eistadiums und der Puppenruhe, das Madenwachstum ist geringer.

Die Maden entwickeln sich um so schneller, je höher die Temperatur ist, wobei aber der Durchschnittswert ihrer Größe wiederum bei recht hohen Temperaturen abnimmt. Liegt diese bei der Calliphora vicina konstant über 30 °C, so können sich Kümmerformen entwickeln, welche sich nicht verpuppen. Ab einer Temperatur von 35 °C ist das generell der Fall.

In Laborversuchen konnte mit Maden der Calliphora vicina festgestellt werden, dass es bei diesen nach dem Erreichen des Wachstumsgipfels zu einer Hemmung der Verpuppungsbereitschaft kommt, wenn die Temperatur konstant unter 16 °C liegt. Dieser stationäre Ruhezustand kann bis zu mehrere Wochen andauern und wird erst bei steigenden Temperaturen beendet. Es kommt in der Folge zu einer ganz normalen Weiterentwicklung von der Made bis hin zur fertigen Fliege.

Neben dem wichtigsten Faktor Temperatur können auch Luftfeuchtigkeit, Tageslänge und Intoxikation des Leichengewebes die Entwicklungszeit beeinflussen.

Weitere diesbezügliche und noch von den Entomologen weiter zu erforschende Umstände sind die zur Verfügung stehende Nahrungsmenge als auch die Konkurrenzen zwischen und innerhalb der verschiedenen Fliegenarten.

Die Zeit der Entwicklung vom Ei bis zur fertigen Fliege ist bei jeder Art individuell unterschiedlich lang. Namhafte Insektenforscher haben in langjährigen Versuchsreihen die Entwicklungsstände in den einzelnen Entwicklungsstufen der verschiedenen Fliegenarten bei unterschiedlichen Temperaturbedingungen ermittelt und in tabellarischer Form zusammengefasst. Sie erstellten Wachstumskurven der Tiere unter Einbeziehung der bereits statistisch erfassten Abweichungen. Diese Arbeiten wurden von anderen Wissenschaftlern immer weiter entwickelt und vervollkommnet. Auf der Grundlage dieser Tabellen ist es möglich, eine Rückrechnung auf die Todeszeit mit Hilfe von Fliegenmaden vorzunehmen.

Da die Größe und das Gewicht einer im Wachstum befindlichen Made in direktem Zusammenhang mit ihrem Alter steht, werden diese genau vermessen und gewogen. Für Maden, welche kurz vor der Verpuppung stehen und nicht mehr fressen oder für die Puppen selber, ist diese Methode der Altersbestimmung aber nicht mehr anwendbar.

Das Alter einer lebenden Puppe kann nur allgemein anhand des Farbwechsels festgestellt werden. Somit sind von mehreren gleichartigen Puppen die dunkelsten am ältesten.

Wenn möglich werden Puppen unter kontrollierten Bedingungen weitergezüchtet und der Schlupfzeitpunkt der Fliegen dient als Ausgangspunkt für die Todeszeitberechnung.

7. Wichtige Fliegenarten und ihr Lebensraum

Um eine erfolgreiche Eingrenzung der Todeszeit mit Hilfe von leichenbesiedelnden Fliegen durchführen zu können, bedarf es hinreichender Kenntnisse über die Lebensweisen und Entwicklungsabläufe jener Arten, welche vorrangig für derartige Untersuchungen in Frage kommen.

Ebenso wie für viele andere Lebewesen existiert auch für die forensisch bedeutsamen Fliegen ein Einteilungsschema.

Die beiden Rechtsmediziner REITER und WOLLENEK vom Institut für gerichtliche Medizin der Universität Wien veröffentlichten 1981 innerhalb einer Studie Erkenntnisse zur quantitativen Verteilung der drei wichtigsten, leichenbesiedelnden Fliegenfamilien im mitteleuropäischen Raum innerhalb der fliegenaktiven Zeit. Dabei ergibt sich, lässt man die Vertreter anderer Familien außer acht, dass eine Leiche in etwa im Durchschnitt von

  • 80 % Individuen der Familie Calliphoridae (Schmeißfliegen)
  • 15 % Individuen der Familie Sarcophagidae (Fleischfliegen)
  • 5 % Individuen der Familie Muscidae (Stubenfliegen)

besiedelt werden kann.

Aus diesen genannten Familien ragen einige Arten heraus, welche aufgrund ihres häufigen Vorkommens eine besondere forensische Bedeutung genießen:

Calliphoridae, Calliphora vicina
Es handelt sich um eine metallisch blau glänzende Schmeißfliege mit geräuschvollem und aufdringlichem Verhalten. Sie lebt mit Vorliebe in der Nähe von menschlichen Siedlungen und scheut auch einen längeren Aufenthalt im Inneren der Wohnung nicht. Sie lebt von Faulstoffen und ist ein wichtiger Regler des Gleichgewichts innerhalb der Lebensgemeinschaften. Sie hat einen besonders feinen Geruchsinn und die Weibchen legen ihre Eier bereits auf frische Leichen, sie gehört somit zu den Erstbesiedlern. Sie haben einen besonderen Drang zum Absetzen der Eier bei Sonnenschein, wobei dieses aber an schattigen Plätzen oder in geschlossenen Räumen erfolgt. Im Unterschied zu anderen Arten legt sie auch nachts Eier ab, in diesen Fällen wurde die Leiche aber schon in der Dämmerung angeflogen.

Calliphoridae, Lucilia sericata
Hierbei handelt es sich um eine weitere wichtige Vertreterin der Schmeißfliegen, welche allerdings auffällig goldgrün gefärbt ist. Sie legt ebenso bevorzugt ihre Eier auf tierisches Aas ab, wobei dieses ausschließlich am Tage erfolgt. Die Maden aller Arten dieser Gattung sind behaart.

Sarcophagidae, Sarcophaga carnaria
Hinter diesem Namen verbirgt sich die große Fleischfliege, welche einen 10-16 mm langen, schlanken Körper besitzt. Die hellgraue Brust hat drei Längsstreifen und der Hinterleib ist schachbrettartig hell und dunkel gefärbt. Die Fliege erscheint oft silbrig glänzend und hat auffallend große Augen. Sie kommt besonders in trockenen, sandigen und stark besonnten Biotopen vor. Aus den auf Kadavern gelegten Eiern schlüpfen sofort, im Moment der Ablage, die Maden aus.

Muscidae, Fannia scalaris
Es handelt sich um eine 4-7 mm große, unscheinbare Vertreterin der Latrinenfliegen. Sie ist schlank und braungrau mit braunen Längsstreifen gefärbt. Die Beine sind schwarz und ihre Augenränder stoßen in der Mitte zusammen. Sie lebt in Mitteleuropa in der Gefolgschaft des Menschen im Siedlungsraum, aber außerhalb der Unterkünfte. Sie bevorzugt das milde Klima des Früh- oder Spätsommers. Ihre Eiablage erfolgt an Substrat, welches sich schon im Zustand fortgeschrittener Fäulnis befindet.

8. Möglichkeiten der Fliegenartbestimmung

Die Artbestimmung kann bei lebenden Exemplaren über die Weiterzucht der Maden oder Puppen bis zur fertigen Fliege erfolgen, was jedoch einen nicht unerheblichen zeitlichen Aufwand erfordert. Es ist auch möglich eine Bestimmung mit Hilfe von abgetöteten oder toten Maden, entweder aufgrund von ganz bestimmten Merkmalen oder mit DNA-analytischen Methoden, vorzunehmen.

Darüber hinaus sind unter bestimmten Voraussetzungen auch Identifizierungen anhand von Insektenfragmenten oder leeren Puppenhüllen möglich.

8.1. Artbestimmung anhand von Maden

Es finden sich in der Regel auf einer Leiche die Maden von verschiedenen Fliegenfamilien, welche sich in ihrer Größe trotz gleichen Alters unterscheiden. Weiterhin gibt es innerhalb dieser Familien, ganz besonders bei den häufig vorkommenden Schmeißfliegen, wiederum verschiedene Gattungen und Arten, welche hinsichtlich der Entwicklungszeit ihrer Maden wesentlich voneinander abweichen.

Aus diesem Grund ist es erforderlich, eine genaue Artbestimmung vorzunehmen, um eine bestmögliche Aussage hinsichtlich der Leichenliegezeit treffen zu können. Die Maden bis zur fertigen Fliegen weiterzuzüchten ist nicht möglich, wenn

  • die Maden bereits geschädigt sind,
  • die notwendigen Bedingungen für die störanfällige Weiterzucht nicht geschaffen werden können oder
  • aus zeitlichen Gründen eine sofortige Bestimmung erforderlich erscheint.

Dann kann die Fliegenartbestimmung auch anhand von drei markanten morphologischen Merkmalen der Maden vorgenommen werden.

Dabei handelt es sich zum einen um das 12. und letzte Madensegment, in welchem sich die unterschiedlich aussehenden hinteren Atemöffnungen befinden. Weiterhin können die vorderen Atemöffnungen untersucht werden, diese Organe sind an beiden Seiten des zweiten Madensegments angeordnet. Ebenfalls unterscheiden sich die verschiedenen Arten in der Form und dem Aussehen ihres Kieferapparates.

Die Maden werden bei diesen Untersuchungen unter dem Rasterelektronenmikroskop betrachtet. Von dem Kieferapparat sind lediglich die zwei kleinen Mundhaken, mit welchen die Maden das Leichengewebe alternierend und parallel zueinander abschaben, sichtbar. Somit ist es für eine erfolgreiche Identifizierung erforderlich, die gesamten Mundwerkzeuge freizupräparieren. Handelt es sich um sehr junge Exemplare des 1. Larvenstadiums, so ist diese Arbeit aufgrund der geringen Größe besonders kompliziert.

Die Artbestimmung durch einen erfahrenen Entomologen wird kaum von dem erwarteten Erfolg gekrönt sein, wenn dieser sich dabei lediglich auf eines der genannten Merkmale stützen würde. Alle drei Besonderheiten müssen im Zusammenhang betrachtet werden. Um zu einem optimalen Ergebnis zu gelangen, kann man sich eines Bestimmungsschlüssels bedienen.

Zahlreiche Arten sind, vor allem in einem sehr frühen Larvenstadium, nur extrem schwer voneinander zu unterscheiden. Aufgrund neuester Forschungen werden in dieser Richtung aber zunehmende Fortschritte erzielt. „[Mit] [..]DNS-analytische[n] Methoden [..][wird] nach artspezifischen Basensequenzen ausgewählter Gene [gesucht]. Die DNS kann aus Maden, Puppen oder erwachsenen Tieren isoliert werden. Für die Untersuchung ist so wenig Material nötig, dass auch Körperteile der Tiere [..] ausreichen können.“

8.2. Artbestimmung anhand von Puppen

Die Artbestimmung bei lebenden Puppen wird in der Regel durch eine Weiterzucht bis zur fertigen Fliege erfolgen. Das ist nicht möglich, wenn

  • nur noch leere Puppen nach dem Schlüpfen der Imagines vorliegen,
  • der Puppeninhalt geschädigt ist oder
  • eine rasche Bestimmung erforderlich erscheint und auf das Ergebnis der Weiterzucht nicht gewartet werden kann.

Wie sich die verschiedenen Fliegenarten in ihrem Aussehen und ihren Eigenschaften unterscheiden, so bilden sie auch in Länge und Durchmesser unterschiedliche Puppen aus. Der erfahrene Entomologe kann, wenn er eine Puppentonne oder zumindest wichtige Teile davon vor sich hat bestimmen, welche Spezies sich darin entwickelt hat.

Vor dem Schlüpfen besteht die Puppe aus 12 Segmenten, danach geht durch das Absprengen der Polkappe das 1.-4. Segment verloren.

Anlässlich der Ausbildung des Fliegenkopfes kommt es in der Puppe zu einem Abstoßen des Kieferapparates. Dieser kann, soweit er sich noch in der Hülle befindet, analog wie bei den Maden zur Artbestimmung herangezogen werden.

Ebenso hat auch hier das 12. Puppensegment ganz bestimmte Merkmale, aufgrund dessen die Möglichkeit besteht, unter dem Mikroskop zu differenzieren.

Die sehr widerstandsfähigen Puppenhülsen bestehen aus Chitin und Sklerotin, sie sind druck- und reißfest, wasser- und gasdurchlässig sowie beständig gegenüber Säuren und Laugen. Sie bleiben Jahrzehnte unversehrt, da sie Einwirkungen von Mikroorganismen und Klimaschwankungen aushalten. So wurden selbst auf 2700 Jahre alten Skelettfunden noch Puppenhüllen nachgewiesen. Sie sind allerdings sehr spröde und somit leicht mechanisch zerstörbar.

Fall 17:

1983 wurde ein vergrabenes Skelett gefunden. Es handelte sich um einen gefallenen sowjetischen Soldaten, welcher nach Aussagen der in dem Gebiet noch lebender Zeugen am 13. April 1945 von seinen Kameraden oberflächlich vergraben worden war. In den Knochenkanälen konnten Puppenhülsen der Ophyra leucostoma gefunden werden. Diese legt ihre Eier auf beginnend faulende Leichen ab. Sie lebt in der Nähe menschlicher Siedlungen als auch im Ackerland, in Gärten und Mischwäldern. Sie mag sonnige, aber nicht zu heiße Lebensbedingungen. Am Todestag des Soldaten herrschte nach den Angaben des meteorologischen Dienstes eine kühle Witterung am Leichenfundort. Erst ab dem 19. April trat eine deutliche Besserung ein und es wurde wesentlich wärmer. Die Leiche wurde offensichtlich von aasfressenden Tiere teilweise freigelegt, wobei dadurch dann ideale Bedingungen für die Besiedlung durch die sonnenliebenden Spezies geschaffen wurden.

Fall 18:

Im Februar 1984 fand man die Leiche einer skelettierten Frau in einem Waldgebiet am Stadtrand. Am Fundort wurden Fliegenpuppenhülsen der Ophyra leucostoma und der Fannia scalaris (besiedeln beginnende faulige Substanz und sind sehr sonnenliebend) aber auch solche der Phormia regina und Prothophormia terraenovae (besiedeln frische Leichen und mögen auch kühles Klima) festgestellt und untersucht. Die genannten Spezies leben in menschlichen Siedlungen, in Gärten und Agrarland. Die Todeszeit lag demnach in der fliegenaktiven Zeit des Vorjahres. Es kann aber nicht im Herbst gewesen sein, da es bei der zunehmend kühlen Witterung nicht mehr zu einer völligen Skelettierung gekommen wäre. Der Tod war demzufolge wahrscheinlich im Frühjahr eingetreten. Weitere Ermittlungen ergaben, dass es sich um eine Person handelte, welche seit Ende März 1983 abgängig war und Suizid verübte.

9. Besiedlungswellen

Von der Vielfalt an Insekten, welche Leichen besiedeln können, bevorzugen alle Arten ein bestimmtes Stadium des körperlichen Verfalls. Sie kommen in unterschiedlichen Zeitabständen an den toten Körper heran und verlassen ihn auch wieder.

Die Besiedlung von Leicheninsekten hatte erstmalig umfassend der französische Forscher MÉGNIN in seinem 1894 erschienenen Buch „Le faune des cadavres” beschrieben. Er unterschied zwischen acht Besiedlungswellen für freiliegende Körper, welche er an die fortschreitenden Leichenzersetzungszustände koppelte.

Dieses Buch wurde zur Grundlage von Arbeiten vieler anderer Wissenschaftler genommen, welche diese Forschungen und Untersuchungen überprüften, verfeinerten und auf die lokalen Faunen abstimmten, so unter anderen von dem Engländer SMITH, welcher im Jahr 1986 sein Werk „A manual of forensic entomology” veröffentlichte.

Beobachtungen zeigten, dass Leichen zunächst von den stahlblauen Schmeißfliegen und dann von den Goldfliegen besiedelt werden. Die Latrinenfliegen und auch die Stubenfliegen bevorzugen Körper mit fortgeschrittener Fäulnis. Die Käsefliegen legen erst dann ihre Eier ab, wenn sich die Leiche schon fast aufgelöst hat.

Wenn man auf einer Leiche nur Spuren von Fliegenmaden späterer Besiedlungswellen findet, so kann daraus geschlussfolgert werden, dass diese zunächst an einer für Fliegen unzugänglichen Stelle gelagert und erst später an den Ablageort verbracht wurde.

Liegt eine Leiche in einer ökologisch relativ isolierten Lage, wie zum Beispiel einer Großstadtwohnung, so kann sich unter Umständen auch die Besiedlung auf die erstbesuchenden Schmeißfliegen beschränken und es nicht zu einem Auftreten weiterer Besiedlungswellen kommen.

Mittellange Leichenliegezeiten lassen sich mit Hilfe der Kenntnisse über die genau definierten Entwicklungszeiträume bestimmter Fliegenarten bestimmen. Das wird bei einer Leiche, welche schon sehr lange liegt, immer schlechter möglich. Dann kann unter Umständen die Mindestliegezeit auch aufgrund des Vorhandenseins von bestimmten Käferarten geschätzt werden, da auch sie einen erheblichen Anteil an der Leichenfauna haben.

Von den Käfern bevorzugen manche frische Leichen, die meisten Arten kommen aber erst an schon zersetzte Körper. Der Befall ist hier besonders von den ökologischen Gegebenheiten abhängig, worunter das Käfervorkommen an einem bestimmten Ort zu verstehen ist.

Die häufigste Käferfamilie, welche man an Leichen finden kann, ist die der Staphylinidae. Es sind Kurzflügler. Sie werden oft übersehen, da sie winzig klein sind und aufgrund der verkürzten Flügeldecken eher für Würmer gehalten werden. Sie sind nekrophil und laufen sehr aktiv auf der Leiche umher. Manche sind räuberisch und fangen Fliegenmaden, andere fressen auch Pflanzen.

Weiterhin kann man Käfer der Familie Silphidae vorfinden. Das sind nekrophage Aaskäfer, von denen manche auch den Fliegenmaden nachstellen. Zu dieser Familie gehört der bekannte Totengräber (Gattung: Necrophorus Art: z.B. Vespilloides). Kleine Tierkadaver werden von diesem in die Erde eingegraben. Sie kommen in sandigen Gegenden aber auch in feuchten Laubwäldern vor und können sowohl tag- als auch nachtaktiv sein. Die Weibchen legen die Eier in der Nähe ab und locken ihre Larven durch Zirpen heran, um diese mit dem verflüssigten Material des Kadavers zu füttern.

Die Buntkäfer, welche an fortgeschritten zersetzten und auch mumifizierten Leichen gefunden werden und dort anderen Insekten nachstellen oder sich von fetthaltigem Material ernähren, gehören zur Familie der Cleridae.

Eine noch zu erwähnende Käferfamilie ist die der Dermestidae. Es handelt sich um die Speckkäfer, welche gefürchtete Schädlinge in bezug auf Materialien mit tierischer Herkunft wie Wolle, Federn, Felle, Leder sind. Sie kann man finden auf mumifizierten und weitgehend skelettierten Leichen, an welchen sie und ihre Larven fressen.

Die Bestimmung der Leichenliegezeit allein mit Hilfe von Insekten, welche sich nur aufgrund eines momentanen Zersetzungszustandes gerade auf dem Körper befinden, ist zu ungenau. Fäulnis und Verwesung sind bekanntlich in Ausdehnung und Geschwindigkeit stark abhängig von klimatischen Einflüssen, innerkörperlichen Faktoren oder auch der Art des Fundortes. Somit ist der zeitliche Auftritt dieser späten Leichenerscheinungen schwer bestimmbar und mit ihnen das Erscheinen bestimmter Insektenarten. Aufgrund dieser Besiedlungen können lediglich Grobschätzungen vorgenommen werden.

10. Suche und Sicherung von Insekten am Leichenfundort

Wie bereits dargelegt, ist die genaue Artbestimmung der Leicheninsekten besonders wichtig, da diese unterschiedliche Wachstumsraten und ökologische Umfelder repräsentieren. Die Voraussetzung dafür ist, dass die Tiere möglichst direkt am Fundort, und nicht erst in der Rechtsmedizin im Rahmen der Obduktion, fachgerecht gesucht und gesichert werden. „[Die] kriminalistische Insektenkunde [ist] auf eine adäquate Insektenasservierung [...] angewiesen [...].”

Auch wenn es eigentlich Sache der Rechtsmediziner ist die Leichenliegezeit zu bestimmen, so kann nicht einfach auch die Aufgabe der Asservierung von Leicheninsekten nach dort übertragen werden. Diese Arbeit liegt vorrangig in der Zuständigkeit der Polizeibeamten, da diese auch das Material zur insektenkundlichen Untersuchung einem Entomologen übergeben und den entsprechenden Auftrag bei der zuständigen Staatsanwaltschaft beantragen müssen.

In den seltensten Fällen wird es möglich sein, dass ein Entomologe am Leichenfundort anwesend sein kann. Somit haben die Polizeibeamten, neben den anderen kriminalistisch relevanten Spuren, auch die Leicheninsekten fachgerecht zu sichern. In dieser Hinsicht mangelt es aber zum Teil noch an den notwendigen, klaren und einheitlichen Handlungsanweisungen.

Die Suche und Sicherung von Leicheninsekten schon am Fundort ist aus mehreren Gründen wichtig. Die Tiere können von dort schnell einem Entomologen zur Begutachtung übergeben werden. Dadurch wird eine Entwicklungsbeeinflussung der Insekten durch die kühle Lagerung der Leiche in der Rechtsmedizin oder den Sauerstoffmangel im Kunststoffsack, welches zu einer Verfälschung des Untersuchungsergebnisses führen könnte, vermieden. Weiterhin ist auch unbedingt die Umgebung der Leiche in die Untersuchungen einzubeziehen. Nur so können eventuell vorhandene ältere, abgewanderte Exemplare auch erfasst werden.

Es sind nach Möglichkeit lebende und sofort abgetötete Tiere aller vorhandenen Entwicklungsstadien zu asservieren. „Prinzipiell gilt besser zuviel als zuwenig. Als Richtwert können ca. 60 Individuen pro Maden- bzw. Puppensammlung gelten, von denen die eine Hälfte abgetötet und die andere Hälfte lebend aufgehoben wird.”

Mit Hilfe von Fotos, Skizzen und Beschreibungen ist genau zu dokumentieren, an welchen Stellen die Tiere gefunden wurden, damit sich der Entomologe ein Bild machen kann vom Zustand der Leiche und dem Ausmaß des Insektenbefalls.

Aufgrund der besonderen Bedeutung für die Entwicklungszeit der Tiere sind genaueste Temperaturmessungen der Umgebung der Leiche erforderlich. Von der nächstgelegenen Wetterstation müssen die Temperaturdaten des vermuteten Liegezeitraumes eingeholt werden. Um zu erfahren, ob diese Temperaturangaben auch mit denen des Fundortes vergleichbar sind ist es notwendig, weitere Messungen bis zu fünf Tage nach dem Auffinden der Leiche vor Ort durchzuführen und mit denen der Wetterstation zu vergleichen.

Wichtig ist auch die Temperatur der Leiche an verschiedenen Stellen, insbesondere innerhalb der Madenansammlungen, zu messen. Diese kann von der Umgebungstemperatur unter Umständen bis zu 20 °C abweichen. Die Maden produzieren durch ihren Stoffwechsel Abwärme, welche die Entwicklungszeit der Insekten beschleunigt.

10.1. Sicherung des Momentanzustandes der Tiere

Die vorgefundenen Tiere, welche sich als Eiballen, Maden, Puppen oder vollentwickelte Exemplare darstellen, werden in verschraubbare kleine Gläser oder Kunststoffdosen mit 70%igem Alkohol gegeben und darin abgetötet. Der Alkohol verhindert eine Zerstörung durch Bakterien oder Pilze. Außerdem hält er die Glieder der Insekten, sofern es sich um ent- wickelte Exemplare handelt, geschmeidig. Dies ist wichtig, da die Artbestimmung durch den erfahrenen Entomologen manchmal nur anhand von winzigen Borsten erfolgt. Um diese erkennen zu können, ist deren Beweglichkeit von großer Bedeutung.

Fliegenmaden sollten nicht in Formalin eingelegt werden, da die Tiere darin schrumpfen. Die Aussage zu ihrer wahren Größe und ihrem Alter würde verfälscht. Außerdem verwesen die Tiere bei längerer Lagerung von innen.

10.2. Sicherung von Tieren zur Weiterzucht

Neben den getöteten Maden im Alkohol sind auch lebende Exemplare sicherzustellen, um diese später zu erwachsenen Tieren heranzuzüchten. Aufgrund der Entwicklungszeit und der Spezies selbst kann dann eine zweifelsfreie Artbestimmung durchgeführt werden. Manchmal ist auch schon nur eine Weiterzucht der Maden bis zu einem älteren Entwicklungsstadium hilfreich, da wichtige Merkmale weiter ausgebildet sind und die Artbestimmung um so erfolgversprechender wird.

Fall 19:

Im Rahmen eines Indizienprozesses gegen einen evangelischen Pfarrer, welcher im Sommer 1997 in Niedersachsen seine Ehefrau erschlagen haben soll, stand auch die Frage, ob anhand der Madenbesiedlung der Leiche eine Aussage hinsichtlich der Leichenliegezeit getroffen werden kann. Innerhalb der Obduktion der Leiche wurden drei Maden entnommen und in Formalin gelegt. Vom Entomologen konnten durch Mazeration der Maden in Natronlauge die Mundwerkzeuge und die hinteren Atemöffnungen präpariert und unter dem Mikroskop als solche der Gattung Calliphora bestimmt werden. Eine genaue Artbestimmung (wahrscheinlich vicina oder vomitoria) konnte nicht erfolgen, da es sich um sehr junge Maden im 2. Larvenstadium handelte, welche eine Größe von 7 mm hatten. Somit war es sehr schwierig, eine exakte Aussage hinsichtlich des Tatzeitraums zu machen, da die beiden in Frage kommenden Schmeißfliegenarten unterschiedliche Zeiten für ihre Entwicklung beanspruchen. Zur Verurteilung des Tatverdächtigen trug dann aber in erster Linie das myrmecologische Gutachten bei, in welchem nachgewiesen wurde, dass die im Stiefelschmutz des Tatverdächtigen eingetretene Ameise ihren Artgenossen vom Leichenfundort zweifelsfrei zugeordnet werden kann.

Dieser Fall wurde sehr spektakulär in den Medien veröffentlicht, obwohl er eigentlich ein Beispiel für die Fehler lieferte, welche bei der Suche und Sicherung von Leicheninsekten nicht gemacht werden sollten. Es wäre eine weitaus genauere Todeszeitraumberechnung im Gutachten möglich gewesen,

  • hätte man die im Mund der Toten aufgefundenen, etwa 8 mm langen und somit älteren Maden, auch gesichert;
  • hätte man die Maden nicht in Formalin gelagert, wo sie schrumpfen konnten und somit eine verkürzte Entwicklungszeit vortäuschten;
  • wenn eine Überführung von Maden zur Weiterzucht erfolgt wäre, um älteren Stadien mit besser ausgeprägten Körpermerkmalen zur genaueren Artbestimmung zu gewinnen;
  • durch das Sichern von wesentlich mehr als nur drei Maden, um statistisch abgesicherte Werte zu erhalten.

Das Sammelgefäß für die lebenden Maden sollte Feuchtigkeit in Form von leicht genässtem Zellstoff oder Erde enthalten. Weiterhin ist unbedingt Sauerstoff notwendig, aus diesem Grund Deckel mit Atemöffnungen verwenden. Fehlen diese, so ersticken die Tiere und verschimmeln. Als Nahrung kann den Maden Hackfleisch oder alter Käse gereicht werden.

Sehr große Maden mit entleertem Darm stehen kurz vor der Verpuppung und benötigen keine Nahrung mehr. Diese werden in ein sauberes Gefäß mit Zellstoff zum Verkriechen zur Verpuppung gegeben. In ein solches sind auch die zur Weiterzucht bestimmten Puppen einzusammeln. Sollten aus den Puppen bereits Tiere schlüpfen, so diesen etwas Zuckerwasser als erste Nahrung anbieten. Sie benötigen noch einige Zeit zum Entfalten der Flügel und zur Härtung des Chitingehäuses.

Die Insekten müssen so schnell wie möglich zur Untersuchungsstelle gelangen, da ihr Überleben in den Sammelbehältern zeitlich nur begrenzt möglich ist.

10.3. Suche und Sicherung von Maden

Die Madensuche sollte vornehmlich an den feuchten Körperöffnungen wie Ohren, Nase und Mund begonnen werden, wobei insbesondere auch vorhandene Wunden zu beachten sind. Dort findet man in der Regel die ältesten Exemplare.

Es wäre zu einfach, würde man von einer Leiche nur die größten Maden absammeln, um von diesen, da es sich offensichtlich um die ältesten Exemplare handelt, eine entsprechende Rückrechnung vorzunehmen. Die besten Erfolge werden erzielt, wenn die Exemplare von mehreren Spezies gesichert werden können. Der Entomologe kann dann in seinem Gutachten von mehreren Einzelergebnissen zu einem Gesamtergebnis kommen.

Wenn es augenscheinlich zu erkennen ist, dass es sich um Maden verschiedener Arten und verschiedener Größen handelt, so sind diese getrennt zu entnehmen. Es können sich auch inmitten einer Madenansammlung leicht zu unterscheidende Tiere einer anderen Art befinden. Dabei handelt es sich mitunter um Fleischfliegenmaden, welche erst 3-5 Tage später auf die Leiche gekommen sind und sich räuberisch von den anderen Maden ernähren.

Die Besiedlung einer Leiche kann an den verschiedenen Körperregionen, abhängig von den jeweiligen Zugänglichkeiten, unterschiedlich schnell erfolgen. Diese tritt manchmal fleckenartig entsprechend der abgelegten Eiballen auf. Die Maden der einzelnen Flecken sollten getrennt asserviert werden, da diese jeweils von einem Muttertier stammen können.

Maden versuchen sich zu verkriechen bei plötzlicher Einwirkung von Licht und Vibrationen. Sie haben die Eigenart, nie nach oben zu klettern, sie lassen sich gegebenenfalls beim Verlassen der Leiche nach unten fallen. Aus diesem Grund sind auf dem Boden unterhalb einer hängenden Leiche, insbesondere innerhalb herabgetropfter Fäulnisflüssigkeit, oft Fliegenmaden zu finden.

Die Aufnahme der Maden erfolgt zweckmäßigerweise mit Gummihandschuh und Pinzette.

10.4. Suche und Sicherung von Puppen

Wie schon erwähnt, ist für die Ermittlung der Leichenliegezeit die Feststellung des ältesten Fliegenentwicklungsstadiums von großer Bedeutung. Zu dem Zeitpunkt, als die Tiere in Form von Eiern abgelegt wurden, war die Person grundsätzlich schon tot.

Generell sollte man bei der Suche nach Leicheninsekten immer davon ausgehen, dass es noch ältere Exemplare geben könnte, welche nicht sofort zu finden sind. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der Zerstörungsgrad der Leiche sehr hoch ist, sich in diesem Zustand aber auffallend wenig Insekten an der Leiche befinden. Dann sind mit Sicherheit weiterentwickelte Tiere bereits wieder abgewandert. Eine genaue Untersuchung der Umgebung des Leichenfundortes kann zum Auffinden dieser späteren Entwicklungsstadien, welche sich als Puppen oder leere Puppentönnchen darstellen, führen. Ein Nichtbeachten dieser würde zu einem falschen Ermittlungsergebnis führen.

Unter der Leiche und aus der Umgebung sollte der Erdboden bis in eine Tiefe von 30 cm untersucht werden. Auch wenn nicht sofort Puppen gefunden beziehungsweise als solche erkannt werden, sind im Zweifelsfall Bodenproben zu entnehmen und für eine spätere Untersuchung zu asservieren. Solche Proben zweckmäßigerweise im Kühlschrank lagern, da sich die darin enthaltenen Puppen bei Temperaturen um 4 °C grundsätzlich nicht weiterentwickeln und somit deren Entwicklungsmomentanzustand zum Auffindezeitpunkt festgehalten wird.

Die Maden können zur Verpuppung bis zu sechs Meter von der Leiche abgewandert sein. In Wohnungen ist darauf zu achten, dass sich die Puppen unter Umständen unter Teppichen, in Betonspalten oder Fußleisten befinden können.

10.5. Sicherung von Fliegen

Das Einfangen von lebenden Fliegen aus der unmittelbaren Nähe der Leiche ist sicherlich schwierig, kann aber versucht werden. Auch tote Tiere sollten eingesammelt werden. Dabei muss darauf geachtet werden, dass von diesen aufgrund der Vertrocknung nicht wichtige Körperanhänge abbrechen. Unter Umständen können aber auch Bruchstücke zur Artbestimmung hilfreich sein. Aus diesem Grund alles sammeln, was diesbezüglich auffindbar ist.

Die Bestimmung der einzelnen Spezies durch den Entomologen erfolgt unter anderen nach solchen Merkmalen wie Größe, Farbe, Borsten, Antennen oder Flügel. Da immer wieder natürliche Variationen zu beobachten sind, sollten stets mehrere Tiere derselben Art gesichert werden.

10.6. Sicherung von Käfern

Neben den Fliegen können wie erwähnt auch Käfer Anhaltspunkte auf die Leichenliegezeit geben und somit zur Tataufklärung beitragen. Dafür müssen sie ebenfalls zunächst gesammelt und einem für diese bestimmte Tiergruppe spezialisierten Entomologen zur Begutachtung und Artbestimmung vorgelegt werden. Möglichst viele der sichtbaren Käfer mit einer weichen Pinzette oder einem angefeuchteten Pinsel absammeln. Kleidungsstücke kann man über einen Trichter halten und abklopfen, so dass die Käfer in ein Sammelgefäß fallen. Laub und Erde mit Hilfe eines Siebes von den Tieren trennen. Das Abtöten kann recht zweckmäßig in einem Deckelglas erfolgen, in welchem sich ein Stück in Essigsäure getränktes Papier befindet.

11. Forensische Entomologie heute

„Lückenhafte Kenntnisse über die Biologie und Ökologie der Insekten und eine mangelnde Kooperation zwischen Entomologen und Rechtsmedizin führte [...] dazu, dass nach der anfänglichen Euphorie um die Jahrhundertwende die forensische Entomologie vielerorts in Ver- gessenheit geriet und kaum weiterentwickelt wurde.“

Das hat sich in den letzten Jahren spürbar geändert und es kann festgestellt werden, wie mehrere Veröffentlichungen in einschlägigen Fachzeitschriften beweisen, dass diese Forschungen nun auch bei uns im deutschsprachigen Raum an Bedeutung gewinnen.

In Wien arbeitet am dortigen gerichtsmedizinischen Institut der Rechtsmediziner Prof. Dr. Christian REITER, welcher in jahrelanger Forschungsarbeit die Maden verschiedener Arten, jeweils zwischen fünf- bis zehntausend Stück, im Labor unter unterschiedlichen Bedingungen gezüchtet, in allen Entwicklungsstadien gemessen und die Daten in Tabellen und Diagrammen protokolliert hat.

Der Kriminalbiologe Dr. Mark BENECKE leitet Fachkongresse, schreibt Gutachten und gibt wissenschaftliche Publikationen als auch Bücher heraus. Er ist Molekularbiologe und Wirbellosenkundler, dessen Hauptarbeitsrichtungen in den Bereichen Leicheninsekten und DNA-Typisierung liegen. 1997 promovierte er mit einem Thema über genetische Fingerabdrücke. Er ist Gastdozent an Universitäten in den USA und Ausbilder beim FBI, Autor von mehreren bedeutenden Abhandlungen zur forensischen Entomologie, Mitglied internationaler Forschungsakademien und wissenschaftlicher Berater. Jetzt ist er in Köln als selbständiger Kriminalbiologe für Polizei und Staatsanwaltschaft tätig.

Mark BENECKE äußerte in einem Interview: „Wenn man eine zersetzte oder verweste Leiche sieht, dann versuchen viele, da noch etwas Menschliches drin zu sehen. Das ist eine unpassende Sichtweise. Eigentlich ist eine Leiche nicht mehr und nicht weniger als ein faszinierendes Biotop.”

Zwei weitere bekannte Forscher sind Jens AMENDT und Roman KRETTEK vom Frankfurter Senckenberg-Institut. Sie gründeten 1997 das Projekt „Forensische Entomologie”, welches den Schwerpunkt auf die Analyse der Leichenfauna unterschiedlicher Habitate setzt. Für die in Deutschland relevanten Insektenarten werden durch sie bislang noch fehlende Daten zur Entwicklungsdauer erhoben. Weiterhin wird an einer Methode gearbeitet zur molekularbiologischen Bestimmung der Fliegenmaden. Mit diesem genetischen Fingerabdruck soll die recht aufwendige und komplizierte Identifikation der Fliegenmaden erleichtert werden. In der jüngsten Zeit wird an einer Isolierung menschlicher DNA aus Fliegenmaden gearbeitet, um so eine Opferidentifizierung zu ermöglichen.

Sie entwickelten einen Spezialkoffer für die Kriminalpolizei, welcher nummerierte Gefäße zum Abtöten von Insekten und zur lebenden Aufbewahrung, Plastikbeutel für Erdproben als auch Protokollblätter für die Funddaten enthält.

12. Mögliche Fehlerquellen im entomologischen Gutachten

Sicherlich wird es in der Praxis eher selten der Fall sein, dass ein Angeklagter allein aufgrund eines entomologischen Gutachtens verurteilt wird. Es kann aber zumindest ein wichtiges Indiz und Mosaiksteinchen sein und helfen, die Frage nach Schuld oder Unschuld zu klären.

Die Besiedlung einer Leiche mit Insekten erfolgt nicht immer sofort und kontinuierlich, son- dern es gibt viele Faktoren, welche diesen Prozess beeinflussen können.

Bei einem Leichenfund kann es sich als unklar darstellen, ob legebereite Weibchen überhaupt die Möglichkeit hatten, an die Leiche heranzukommen oder ob diese zum Beispiel in einem fest verschlossenen Raum gelegen hatte, zu welchem erst später eine Tür oder Fenster geöffnet wurde. Diese Überlegungen sind besonders dann anzustellen, wenn der Grad der Fäulnis und Verwesung im Widerspruch zu der Leichenbesiedlung mit ausnahmslos noch sehr jungen Maden steht. Dann kann nur noch aufgrund der ältesten Exemplare eine Aussage hinsichtlich der Mindestliegezeit getroffen werden, welche unter Umständen von der tatsächlichen Zeit stark abweicht.

Die Madenentwicklung kann durch etwaige Giftstoffe, welche mit dem Leichensubstrat aufgenommen wurden, sehr stark von der Normalität abweichen. Dieser Umstand ist jedoch durch eine toxikologische Gewebeuntersuchung feststellbar.

In Bezug auf die Entwicklungszeitberechnungen der einzelnen Fliegenarten können aber auch andere Abweichungen auftreten, welche gegebenenfalls das Gesamtergebnis verfälschen:

  • Fliegenweibchen halten ihre Eier bei Mangel an einem geeigneten Ablageort zurück, so dass sich die eigentliche und für die Berechnung bedeutungsvolle Eiperiode erheblich verkürzen kann. Diese vollzog sich im Körper des Weibchens und nicht, wie eigentlich anzunehmen, auf dem Brutmedium.
  • Fliegenweibchen legen ihre Eier, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nur am Tage ab, da sie auch nur bei Licht unterwegs sind. In der Dunkelheit können sie die Leiche zwar riechen, aber nicht anfliegen. Somit bleibt innerhalb der Rückrechnung immer eine unklare Zeit zwischen Abend und Morgen.
  • Die Maden eines Ballens können aufgrund der mikroklimatischen Unterschiede ihrer Lage, hinsichtlich Feuchtigkeit und Temperatur, zu verschiedenen Zeitpunkten schlüpfen. Somit kann man in der Untersuchung zu der Annahme gelangen, dass die unterschiedlich großen Maden verschieden alt sind, obwohl sie alle aus dem gleichen Geschmeiß stammen.

So wie in fast jedem Gutachten, kann es auch in dem eines Entomologen Unwägbarkeiten geben, welche man nicht außer acht lassen darf. Generell ist aber die kriminalistische Insektenkunde sehr gut geeignet, wichtige Fragen zu klären, ganz besonders dann, wenn mit anderen Mitteln und Methoden keine Lösung gefunden werden kann.

13. Schlussbetrachtung

In der Regel wird die Todeszeitbestimmung von länger liegenden Leichen vorrangig über den Fäulnis- und Verwesungsgrad geschätzt oder man bedient sich anderer Ermittlungsmöglichkeiten. Das wäre zum Beispiel der mit Hilfe von Personalbeweisen festgestellte Zeitpunkt des Verschwindens derjenigen Person, deren Leiche es zu untersuchen gilt.

Da die Todeszeitermittlung vorrangig in den Aufgabenbereich der Rechtsmedizin fällt, wird oft die Leiche möglichst schnell im Sack dorthin gebracht. Eine kriminalistische Spurensuche und Spurensicherung nach Leicheninsekten am Fundort findet selten statt, wodurch schon hier wertvolles Beweismaterial verloren gehen kann.

In der Rechtsmedizin ist dann zu beobachten, dass „selbst hartgesottene Autopsiegehilfen [...] zum Wasserschlauch [greifen], wenn ihnen aus einem geöffneten Leichensack Insektenmaden entgegenkriechen. Eine verständliche Reaktion. Aus professioneller Sicht jedoch ein Patzer. Denn manchmal [...] [werden] wichtige Indizienbeweis[e] in den Ausguss [gespült]”.

Häufig geben die Staatsanwaltschaften ein insektenkundliches Spezialgutachten erst dann in Auftrag, wenn die rechtsmedizinischen Untersuchungen nicht das gewünschte Ergebnis gebracht haben. Zu diesem Zeitpunkt ist es jedoch sehr schwer, die Insektenbesiedlung zu rekonstruieren und für ein brauchbares Gutachten zu spät. Dabei könnte die mit Hilfe der forensischen Entomologie ermittelte Todeszeit manches Alibi zu Fall bringen oder aber auch bestätigen.

Unbestritten handelt es sich um eine recht unappetitliche Angelegenheit, die Suche und Sicherung von Maden an einer Leiche vorzunehmen.

Ungeachtet dessen müssen die Kriminalbeamten die mögliche Bedeutung entomologischer Untersuchungen kennen und sich nicht scheuen, die dafür notwendigen Beweissicherungen vorzunehmen. Zur Standartausrüstung jedes Kriminaltechnikers sollten einige, mit Alkohol oder Brennspiritus gefüllte, verschließbare Gläschen gehören, in welche prinzipiell bei jeder Leiche, auch wenn zunächst kein Straftatverdacht vorliegt, vorhandene Leicheninsekten gesichert werden.

Beim Verdacht eines Verbrechens und dem Vorhandensein von Leicheninsekten ist in jedem Fall, schon im ersten Gespräch mit dem zuständigen Staatsanwalt, auch die Möglichkeit eines insektenkundlichen Gutachtens anzusprechen. Dabei reicht es in der Regel aus, wenn der entsprechende Untersuchungsauftrag zunächst mündlich erteilt wird. Von einem Entomologen kann man sich telefonisch, hinsichtlich der fachgerechten Suche und Sicherung, beraten lassen.

„Die Kosten einer insektenkundlichen Begutachtung unterschreiten [...] meist die Erwartungen der Auftraggeber.“

Innerhalb der Hauptverhandlung gegen den Pfarrer, welchem man die Ermordung seiner Ehefrau zur Last legte, wurde 1998 erstmals wieder nach dem Krieg in der deutschen Rechtsgeschichte ein entomologisches Gutachten in einen Strafprozess eingebracht. Es gelang in diesem Indizienprozess, dass es zu einer Verurteilung des Angeklagten kommen konnte.

Es darf vermutet werden, dass man auch in vielen anderen Kriminalfällen zu einem genaueren Ermittlungsergebnis gekommen wäre, hätte man sich der Erkenntnisse der forensischen Entomologie bedient. Die Untersuchungen an einer Leiche betreffen das höchste Rechtsgut Leib und Leben. Hier müssen unbedingt alle sich bietenden Möglichkeiten umfassend ausgeschöpft werden, um ein optimales Ergebnis der Ermittlungen zu erhalten.

Es bleibt zu hoffen, dass sich die kriminalistische Insektenkunde hierzulande weiterentwickelt und sie verstärkt von den Ermittlungsbehörden als objektives Beweismittel bei der Aufklärung von Rechtsfällen genutzt wird.


DIE KOMPLETTE FACHARBEIT MIT FOTOS, TABELLEN UND UMFANGREICHEM LITERATURVERZEICHNIS GIBT ES [1]



Dr. rer. medic. Mark Benecke · Diplombiologe (verliehen in Deutschland) · Öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für kriminaltechnische Sicherung, Untersuchung u. Auswertung von biologischen Spuren (IHK Köln) · Landsberg-Str. 16, 50678 Köln, Deutschland, E-Mail: forensic@benecke.com · www.benecke.com · Umsatzsteueridentifikationsnummer: ID: DE212749258 · Aufsichtsbehörde: Industrie- und Handelskammer zu Köln, Unter Sachsenhausen 10-26, 50667 Köln, Deutschland · Fallbearbeitung und Termine nur auf echtem Papier. Absprachen per E-mail sind nur vorläufige Gedanken und nicht bindend. 🗺 Dr. Mark Benecke, M. Sc., Ph.D. · Certified & Sworn In Forensic Biologist · International Forensic Research & Consulting · Postfach 250411 · 50520 Cologne · Germany · Text SMS in criminalistic emergencies (never call me): +49.171.177.1273 · Anonymous calls & suppressed numbers will never be answered. · Dies ist eine Notfall-Nummer für SMS in aktuellen, kriminalistischen Notfällen). · Rufen Sie niemals an. · If it is not an actual emergency, send an e-mail. · If it is an actual emergency, send a text message (SMS) · Never call. · Facebook Fan Site · Benecke Homepage · Instagram Fan Page · Datenschutz-Erklärung · Impressum · Archive Page · Kein Kontakt über soziale Netzwerke. · Never contact me via social networks since I never read messages & comments there.