Benecke Interview Galore Hitler klinischer Vampirismus Kriminalbiologe

From Mark Benecke Forensic Wiki
Jump to navigation Jump to search
The printable version is no longer supported and may have rendering errors. Please update your browser bookmarks and please use the default browser print function instead.

Galore, Interview MB, 2006
Quelle: Galore, Nov. 2006, 23:65-72

Er untersuchte Hitlers Schädel, erforscht die Insekten auf Leichen und beschäftigt sich mit klinischem Vampirismus: Galore besuchte Mark Benecke, Deutschlands bekanntesten Kriminalbiologen

Von Ingo Neumayer


[Weitere Berichte] [Infos, Interviews & Presse]

1.9.2006, Köln: Auf Mark Beneckes Küchentisch steht ein Terrarium mit fingerlangen Fauchschaben, im Wohnzimmer riecht es nach Büchern: So stellt man sich das Zuhause eines Kriminalbiologen vor.

Galore: Herr Benecke, dort in Ihrem Regal steht Mein Kampf.

Mark Benecke: Das ist von Opa.

Galore: Haben Sie es gelesen?

MB: Ja, klar. Das ist ein Buch, das man lesen sollte. Allein schon, weil es interessant ist zu sehen, wie Hitler seine Meinung ändert. Am Anfang sagt er: Schlechte Verhältnisse erzeugen Säufer und dysfunktionale Kinder, deshalb wäre es besser, wenn die Leute eine Arbeit hätten. Das klingt sehr menschlich und stammt offenbar aus eigener Anschauung. Dann hat er im Knast das Genetik-Buch "Menschliche Erblichkeitslehre / Rassenhygiene" in die Hände bekommen (Details dazu in diesem Buch] (klick)), und ab diesem Zeitpunkt schrieb er über diese Themen. Von denen war vorher nie die Rede. Man merkt allerdings, dass er die zwei Bände nicht ganz verstanden hat. Er macht viele Laienfehler.

Galore: Sie haben Hitlers Schädel untersucht. Warum?

MB: Um die Todesumstände zu klären. Stalin hatte die Doktrin ausgegeben, dass sich Hitler vergiftet habe "wie ein Weib", um ihn in Misskredit zu bringen. Dabei wusste er ganz genau, dass Hitler sich erschossen hatte. Ich habe persönlich mit dem Übersetzer geredet, der persönlich mit Stalins Sekretär gesprochen hat -- näher kommt man heute nicht mehr ran. Im Moskauer Staatsarchiv lagert das Schädelstück mit der Ausschussöffnung, und beim FSB, dem früheren KGB, liegen die Zähne. Ich war aus mir unbekannten Gründen der einzige, der Zugang zu beidem gleichzeitig hatte.

Galore: Wie sind die Überreste nach Moskau gekommen?

MB: Als die russische zwölfte Armee Berlin einnahm, wurden die Überreste vom Smersch, dem militärischen Geheimdienst eingesammelt. Er wurde dann in Magdeburg begraben, und der KGB brachte zwei Teile nach Moskau mit, die ihn eindeutig identifizieren: das Schädelstück und das Gebiss.

Galore: Liegt Hitler immer noch in Magdeburg?

MB: Nein. Der spätere Staatschef Andropow, der damals beim KGB war, hat 1970 ein Team nach Magdeburg geschickt. Was von Hitler noch übrig war, wurde verbrannt. Und die Asche wurde in einen Fluss gekippt.

Galore: Wieso wurden Sie mit der Untersuchung beauftragt? Und wieso fand diese nicht schon früher statt?

MB: Vorher war es für deutsche Forscher wohl schwierig wegen der diplomatischen Verwicklungen im Kalten Krieg und seinen Folgen. Und in Russland war man zu einer solchen erneuten Untersuchung politisch einfach nicht bereit. Schauen Sie mal hier, diese Fotos aus der KGB-Zentrale: Da lacht man sich doch halbtot, das ist wie in einem schlechten James Bond-Film.

Galore: War es ein seltsames Gefühl, Hitlers Schädel in Händen zu halten?

MB: Nein. Das ist für mich ein Schädel wie alle anderen auch.

Galore: Immerhin hat er das 20. Jahrhundert bestimmt wie kein anderer.

MB: Das stimmt nicht, das hat er doch gar nicht.

Galore: Wer war denn wichtiger?

MB: Keiner. Es gibt keinen wichtigsten Menschen. Das ist eine kulturelle Fiktion. Hitler war ein Gebilde seiner Zeit, nicht mehr. Er war eine Witzfigur, ein Postkartenmaler.

Galore: Der aber sehr viel ausgelöst hat.

MB: Hitler hat nichts ausgelöst, er war ein reines Produkt. Nichts, was ihm zugeschrieben wird, ist auf seinem Mist gewachsen. Die NSDAP-Führung war ein Gespann aus Bekloppten: der kleinwüchsige, fußverkrüppelte Goebbels, der fette, ordensgeile Göring, der fanatische und überzeugende Hitler. In anderen Zeiten hätten die es nie im Leben so weit gebracht. Den Fetten hätte man in den Arsch getreten, den mit dem Klumpfuß zum Sachbearbeiter im Finanzamt gemacht, und Hitler wäre vielleicht Galeriebesitzer geworden, der den Leuten gefälschte Gemälde verkauft. Man überschätzt komplett den Einfluss, den diese Idioten hatten. Ohne die dumme, schafsblökende Masse wären die gar nichts geworden. Die haben keine Menschen verführt, es war andersrum: Die Menschen wollten verführt werden. Jeder hat Schuld, der den drei Trotteln nicht den Blumentopf auf den Kopf geworfen hat.

Galore: Glauben Sie, so etwas könnte sich wiederholen?

MB: Jederzeit. Der Fehler ist nicht, dass ein verrückter Einpeitscher die Leute verführt hat, sondern dass Leute, die es besser wussten -- darunter auch Kriminalbiologen -- ihrer Gemütlichkeit zuliebe den Schwanz eingekniffen haben. Dass niemand aufgestanden ist und sich gewehrt hat.

Galore: Das ist leicht gesagt.

MB: Man hat es immer in der Hand. Jeder einzelne kleine Fucker hat es in der Hand. Auf den Philippinen wurde der letzte Präsident durch eine SMS-Kette gestürzt. Die Menschen haben sich per Telefon zu einer Demonstration verabredet und ihn vom Balkon geschrieen. Einfach so. Daraufhin trat er zurück. Die Menschen, die Hitler als Verführer darstellen und die ganze Schuld auf ihn und seine Riege schieben, wollen sich damit selbst entschuldigen.

Galore: Sie sind Mitglied in der Gesellschaft zur Wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften. Geht es Ihnen darum, den Leuten zu sagen: Glaubt nicht alles, was euch erzählt wird?

MB: Das ist mir egal. Jeder hat das Recht, sich beliebig verarschen zu lassen. Wenn jemand Verantwortung übernimmt und sagt: Mir ist egal, wie die Welt funktioniert, ich möchte daran glauben, dass es UFOs gibt - bitte schön. Demjenigen halte ich keinen Vortrag. Über Glauben rede ich nicht. Aber wenn jemand behauptet, das sei kein Glaube, und er könne es beweisen, dann wird es interessant. Das Coole an den Skeptikern ist, dass sie mit ganz verschiedenen methodischen Herangehensweisen arbeiten. Man kann von allen anderen lernen, von Physikern, Psychologen, Ingenieuren. Ich will nicht aufklärerisch oder klugscheißerisch erscheinen, sondern selbst etwas lernen.

Galore: Warum glauben die Menschen an Übersinnliches?

MB: Die Frage muss lauten: Warum glauben die Menschen an Laientheorien? Ganz einfach: Weil man sonst nicht leben kann, das ist evolutiv so einprogrammiert. Man könnte ja im täglichen Leben keine Entscheidungen mehr treffen, wenn man alles prüfen würde. Etwa beim Überqueren der Straße: Ist dieses Auto wirklich da oder bilde ich es mir nur ein? Wenn man so anfängt, verliert man den Verstand. Man arrangiert seine Umgebung, damit man sie begreift: Papier ist Papier, ein Staubsauger ist ein Staubsauger und ein Auto ein Auto. Und UFOs sind für manche Menschen eben UFOs. Davon haben sie schließlich ein Foto gesehen! Warum sollte jemand ein solches Foto fälschen?

Galore: Lassen Sie uns ein paar Kriminalklischees abklopfen. Stirbt man eigentlich, wenn man Luft in die Adern gespritzt bekommt?

MB: Nur wenn es viel ist. Eine kleine Spritze reicht nicht aus.

Galore: Was ist mit der Frau aus "Goldfinger", die komplett mit Gold überzogen wird und stirbt, weil keine Stelle am Rücken zum Atmen freigelassen wird?

MB: Das ist völliger Quatsch, aber eine super Story. Bei mir rufen öfters Drehbuchautoren an. Was die Welt am Feierabend braucht, sind schöne Geschichten, keine drögen Wahrheiten.

Galore: Viele Menschen vermischen solche Geschichten mit der Wahrheit.

MB: Wer einen James Bond-Film ernst nimmt, hat nicht mehr alle Tassen im Schrank. In meinem Job ist es genau andersrum: Da ist nur die Wahrheit interessant, und die Unterhaltung spielt absolut keine Rolle.

Galore: Wachsen die Nägel nach dem Tod weiter?

MB: Nein. Das sieht nur so aus, weil die Haut darunter vertrocknet. Das gilt auch für Haare, die wachsen auch nicht weiter. Und wenn wir schon dabei sind: Man kann auch nicht über Nacht grau werden, das ist unmöglich.*

Galore: Was ist die größte Fehleinschätzung, die man über Tote hat?

MB: Viele Menschen glauben, dass Leichen giftig sind. Aber das stimmt nicht, sonst dürfte man auch kein Schnitzel mehr essen. Natürlich soll man sich nichts, was sich zersetzt, ins Auge, in Wunden oder ins Essen reiben. Aber direkt giftig sind Tote nicht.

Galore: Gibt es für alles eine wissenschaftliche Erklärung?

MB: Ja. Wobei sich natürlich die Frage stellt, was man als Wissenschaft definiert. Es gibt ja Naturwissenschaftler, die sagen, dass nur Naturwissenschaft Wissenschaft ist. So kommt man natürlich nicht weiter. Aber wenn man Wissenschaft als alles definiert, was einer gemeinsamen Methode folgt, kann man alles durch experimentelle Bestätigung oder Falsifizierung erklären.

Galore: Es gibt für Sie also nichts Unerklärbares?

MB: Doch, das gibt es immer. Aber die Frage ist: Kann ich das Unerklärbare mit Wissenschaft bearbeiten? In den letzten 200 Jahren hat es noch keinen Fall gegeben, in dem eine mit wissenschaftlichen Methoden durchgeführte Untersuchung nicht zu einem Ziel geführt hat.

Galore: Sie amüsieren sich bestimmt, wenn Sie Serien wie "CSI" sehen.

MB: Ich habe einmal eine Folge gesehen, das fand ich wirklich ziemlich beknackt. Ich kenne keinen einzigen Gerichtsmediziner, Kriminalbiologen oder Polizisten, der diese Serien gut findet. Es geht uns vielleicht so: Wir sind echt -- warum sollen wir da Filmfiguren zusehen.

Galore: Weil es interessant ist, wie Hollywood Ihren Job darstellt?

MB: Es ist interessant, mit den Drehbuchautoren zu reden. Das Endprodukt ist oft langweilig. Es gibt nur wenige Ausnahmen: Sieben ist ein Superfilm, weil die Leichen so echt aussehen; Das Schweigen der Lämmer fand ich auch gut. Auf dem Pfad, den Jodie Foster am Anfang entlang joggt, habe ich übrigens schon Schweine für die Special Agents aufgehängt.

Galore: Warum Schweine?

MB: Meine Kollegen und ich haben den Agenten Vorschläge gemacht, worauf man achten muss, wenn man Insekten auf Leichen einsammelt. Schweine sind wie Menschen, da gibt es keinen Unterschied.

Galore: Besteht der größte Teil Ihrer Arbeit darin, Insekten auf Leichen zu untersuchen?

MB: Ich mache zwei Sachen. Entweder ich bin als Spurenkundler tätig und gucke nur die Insekten an. Dann kann ich manchmal beispielsweise sagen, dass ein Insekt fünf Tage auf der Leiche gelebt hat, oder dass eine Leiche mit Sicherheit längere Zeit in einem Haus gelegen hat und nicht an der Stelle, wo sie gefunden wurde. Der Rest des Falles ist mir dabei vollkommen egal. Wenn es aber um Tatortrekonstruktionen geht, hole ich mir alle möglichen Infos heran und rede mit jedem, der irgendetwas wissen könnte.

Galore: Wie gehen Sie dabei vor?

MB: Erst einmal registriere ich alles, schreibe auf, fotografiere, notiere, beschrifte, katalogisiere, kartiere. Und wenn es dann um die Einordnung geht, was das alles für denn Fall bedeutet, lautet die Regel: Ich glaube erst einmal gar nichts. Ich glaube auch nicht mir selbst. Schlechte Sachverständige denken, dass es eine Person auf der Welt gibt, auf die sie sich verlassen können: sie selbst. Aber das stimmt nicht. Erfahrungsgemäß macht man viele Denkfehler und steht sich selbst im Weg.

Galore: Warum ekeln sich die Menschen vor Insekten?

MB: Weil Insekten etwas Unbekanntes sind. Die meisten Menschen reagieren so: Da krabbelt etwas, das bringe ich um, oder ich jage es weg. Dabei leben wir ja in einer Welt der Insekten.

Galore: Wie würden Sie Ihr Verhältnis zu Insekten beschreiben?

MB: Sie sind meine Kollegen.

Galore: Nach dem großen Atomknall überleben nur die Kakerlaken und Cher -- stimmt das?

MB: Cher auf jeden Fall. Und die Gliederfüßer als unangefochtene Herrscher der Erde auch. Sie haben zwei große Vorteile gegenüber den Wirbeltieren: Viel schnellere Reproduktionsraten, und es gibt viel mehr Arten. Wenn 99 Prozent der Insekten aussterben, bleiben immer noch Hunderttausende von Arten übrig. Wenn 99 Prozent der Menschen sterben, wird es schwierig.

Galore: Würden Sie wissen wollen, wie und wann Sie sterben?

MB: Ich würde nicht von mir aus die Anfrage an die Lebensaltersbestimmungssstelle im Himmel stellen. Aber wenn von denen ein Brief kommen würde, wo das drinsteht, würde ich ihn aufmachen.

Galore: Was machen Sie zur Entspannung?

MB: Nichts. Mich verspannen meine Fälle nicht, also muss ich auch nicht davon entspannen. Bei mir gibt es keine Trennung zwischen beruflich und privat. Mich nerven auch die Leute, die sagen: "Mach doch mal Urlaub!" Ich brauche keinen Urlaub, ich führe exakt das Leben, das ich führen will. Es ist bis jetzt zum Glück noch nicht passiert, dass ich etwas gemacht habe, wozu ich keinen Bock hatte.

Galore: Sie sind deutscher Präsident der Transylvanian Society of Dracula. Was sind dort Ihre Aufgaben?

MB: Ich beschäftige mich mit klinischem Vampirismus, vor allem mit Fäulniszeichen, die falsch interpretiert werden. Neulich gab es einen Fall in Rumänien, wo die Familie eines Verstorbenen krank wurde. Nach deren Ansicht handelte es sich um einen Strigoi, einen Untoten, der seine Familie bei sich haben will. Deshalb schwächt er sie, nicht aus Hass, sondern aus Liebe. Die Familie beschloss aber, dass sie nicht sterben wollte. Normalerweise sieht in einem solche Fall das übliche Procedere so aus: Leiche ausgraben, Kopf abhacken, Pfahl durchs Herz. Da der Strigoi aber aus Liebe handelte, beschloss die Familie, sein Herz, den Sitz seiner Liebe, zu essen. Sie gruben ihn aus, die Leiche war nicht stark verwest, also war für die Familie der Beweis erbracht, dass es sich wirklich um einen Vampir handelte. Also haben sie sein Herz verascht, in Getränke verrührt und an einer Kreuzung getrunken.

Galore: Und wie lautete Ihre Erklärung dafür, dass er nicht verwest war?

MB: Die Menschen denken, Leichen müssten immer so aussehen: zerfallen, voller Maden, oder dass nur Knochen übrig ist. Aber es hängt auch davon ab, wo ein Mensch begraben ist, wie er vorher aussah, ob Fliegen drangekommen sind, als er aufgebahrt war. Der Mann in Rumänien war hager, und die Leiche war im sandigem Boden bestattet, so dass er einfach vertrocknet ist.

Galore: Wie unterscheiden sich echte Serienmörder von denen im Film?

MB: Serientäter sind zutiefst langweilig. Das, was man an ihnen in Filmen so spannend findet, ist überhaupt nicht vorhanden. Ich habe in einem Gefängnis in Kolumbien mehrmals Luis Alfredo Garavito getroffen, einen Mann, der über 300 Jungs totgefoltert hat. Und was macht der? Will mir erzählen, dass er jetzt ein besserer Mensch sei und solche Dinge nicht mehr tun würde. Ich sagte nur: "Das glaubt Ihnen doch kein Mensch." Er meinte: "Doch, das war ein Dämon, und der ist jetzt verschwunden."

Garavito ist der Inbegriff eines paraphilen Täters, er hat keinerlei Emotionen und kann sich an jede einzelne Tat erinnern, ohne jemals eine Aufzeichnung gemacht zu haben. Er kennt das Alter der Kinder, weiß, wo sie begraben sind -- alle Details. Im Grunde ist das eine stinknormale Serientäter-Geschichte: Der Vater war Säufer, schon als Kind hat Garavito sexuelle Übergriffe erlebt -- das ganze Programm eben. Die genetischen Einflüsse kennen wir nicht. Er ist jedenfalls antisozial, was aber keiner gemerkt hatte. Weil das Land so groß ist und dort solch ein Chaos herrscht, kam es zu dieser hohen Opferzahl.

Galore: Wieso haben Sie sich mit ihm überhaupt getroffen?

MB: Die Kollegen in Kolumbien haben sich geweigert, mit ihm zu arbeiten. Die sagten: Wir können nur mit Menschen arbeiten, und das ist kein Mensch. Ich arbeitete am Tag seiner Festnahme** in Bogota, und fuhr nach einiger Zeit da hin. Ich dachte, es wäre interessant zu sehen, wie solche Menschen ticken. Ich erwartete etwas Tiefes, Höllisches, Unverständliches - etwas, was über die Tat hinausweist. Aber da war nichts. Mir war nicht klar, dass diese Menschen so in sich einbetoniert sind. Sie wissen, dass man das nicht machen darf. Aber tief drinnen verstehen sie nicht, wieso sich alle so aufregen.

Galore: Wie erklären Sie sich die Fanpost, die viele Schwerverbrecher bekommen - gerade auch von Frauen?

MB: Die einzige, die jemals eine gute Begründung vorgebracht hat, war die Ehefrau von Jürgen Bartsch. Sie hatte eine Lähmung und sagte: "Er ist seelisch ein Monster und ich bin körperlich verändert, deshalb passen wir zusammen." Viele sind Groupies, die darauf stehen, dass da ein großer, machtvoller Bösewicht im Knast sitzt. Obwohl das in Wirklichkeit nur Arschlöcher und Langeweiler sind.

Galore: Können Sie den Hass nachvollziehen, der solchen Menschen entgegenschlägt?

MB: Das mit dem Hass ist so eine Sache. "Kinderfickern soll man die Eier abreißen, und danach muss man sie häuten" -- solche Sachen höre ich, wenn ich bei einem Prozess im Zuschauerraum sitze. Ich glaube das aber nicht. Ich habe nichts gegen das alttestamentarische Flammenschwert, aber dann sollen die Menschen, die danach schreien, auch so handeln und dafür die Verantwortung übernehmen. Aber von denen schwingt keiner das Flammmenschwert.

Galore: Sondern?

MB: Die setzen sich in den Gerichtssaal und erzählen abends ihrer Freundin am Telefon vom Prozess. Es gab mal einen Fall in Aachen, wo zwei Luschen zwei Kinder umgebracht haben. Was da auf der Zuschauerbank los war, kann man sich nicht vorstellen. Ein Fernsehteam hat eine Frau interviewt, die sagte: "Das, was ich hier gehört habe, war das Schlimmste, was ich in meinem ganzen Leben gehört habe. Ich hoffe, dass ich so etwas nie wieder erleben muss." Und genau diese Frau stand am nächsten Tag um sechs Uhr früh als erste vor der Tür, damit sie ja nichts verpasst und einen guten Platz bekommt. Die kam jeden Tag, den ganzen Prozess lang.

Galore: Man stellt sich den Umgang mit dem Tod so vor: Am Anfang geht einem das unter die Haut, später nicht mehr, weil man sich daran gewöhnt. War das bei Ihnen so?

MB: Nein, ich erinnere mich nicht mehr an meine erste Leiche. Und ich glaube, wer anders empfindet, der kann diesen Job überhaupt nicht machen. Wie willst du sonst mit den Spuren von 16-jährigen Mädchen umgehen, die von der Brücke springen und als Wasserleichen aus dem Rhein gezogen werden? Ist das nicht traurig, ist das nicht eklig, ist das nicht schicksalhaft -- wer sich solche Fragen stellt, ist im falschen Job. Früher gab es davon viele. Als ich anfing, kannte ich in mehreren Ländern Todesermittler, die Alkoholiker waren. Der Grund war, dass sie irgendwann emotional zu sehr beteiligt waren.

Galore: Bekommt man durch Ihren Beruf eine andere Einstellung zum Tod? Oder muss man per se eine andere Einstellung haben, um Ihren Beruf zu machen?

MB: Keine Ahnung. Ich habe kein Konzept vom Tod. Für einen Biologen bedeutet der Tod einfach, dass der Körper nicht mehr arbeitet. Insofern hat sich durch meinen Beruf nichts verändert. Ein Biologe, der Probleme mit dem Tod hat, ist kein Biologe -- der ist Esoteriker.

Zur Person

Der Kriminalbiologe Mark Benecke wurde am 1970 in Rosenheim geboren. Er studierte in Köln Biologie, Zoologie und Psychologie und arbeitete in New York am Institut für Rechtsmedizin. Er ist Fachmann für Forensische Entomologie, der anhand der auf Leichen gefundenen Insekten Liegezeit und -ort bestimmt. Bekannt wurde er 1998, als er als Sachverständiger aufgrund von drei Maden einen Hinweis im Fall des Pastors Klaus Geyer gab, der wegen Totschlags an seiner Frau verurteilt wurde. Benecke gilt weltweit als Experte, der zu schwierigen Fällen gerufen wird, Vorträge an Universitäten hält und das FBI berät***. Er hat ein Büro in Köln und arbeitet weltweit.

* Korrektur (März 2007, Quelle hier: SWR): "Das Ganze läuft in zwei Schritten ab: Im ersten Schritt wachsen einzelne graue oder weiße Haare. Und die sieht oder bemerkt man einfach nicht. Das kann ein normaler Alterungsprozess sein, der sich über Monate hinzieht. Es kann eine Hautkrankheit dahinter stecken, wie Vitiligo, die Weißfleckenkrankheit, es kann auch geschehen, wenn sich ein Mensch in einer Lebenskrise befindet. Und dann fallen in einem zweiten Schritt plötzlich viele Haare aus. Und zwar nur die pigmentierten, also die dunklen Haare. Die grauen oder weißen bleiben. Warum das so ist, weiß eigentlich keiner. Dann sieht es so aus, als wären die Haare über Nacht plötzlich grau geworden."

** genauer gesagt am Tag seiner Identifizierung

*** genauer gesagt: "in extrem seltenen Einzelfällen schon mal eine winzige Anmerkung für das FBI lieferte..."

Lesetipps



Dr. rer. medic. Mark Benecke · Diplombiologe (verliehen in Deutschland) · Öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für kriminaltechnische Sicherung, Untersuchung u. Auswertung von biologischen Spuren (IHK Köln) · Landsberg-Str. 16, 50678 Köln, Deutschland, E-Mail: forensic@benecke.com · www.benecke.com · Umsatzsteueridentifikationsnummer: ID: DE212749258 · Aufsichtsbehörde: Industrie- und Handelskammer zu Köln, Unter Sachsenhausen 10-26, 50667 Köln, Deutschland · Fallbearbeitung und Termine nur auf echtem Papier. Absprachen per E-mail sind nur vorläufige Gedanken und nicht bindend. 🗺 Dr. Mark Benecke, M. Sc., Ph.D. · Certified & Sworn In Forensic Biologist · International Forensic Research & Consulting · Postfach 250411 · 50520 Cologne · Germany · Text SMS in criminalistic emergencies (never call me): +49.171.177.1273 · Anonymous calls & suppressed numbers will never be answered. · Dies ist eine Notfall-Nummer für SMS in aktuellen, kriminalistischen Notfällen). · Rufen Sie niemals an. · If it is not an actual emergency, send an e-mail. · If it is an actual emergency, send a text message (SMS) · Never call. · Facebook Fan Site · Benecke Homepage · Instagram Fan Page · Datenschutz-Erklärung · Impressum · Archive Page · Kein Kontakt über soziale Netzwerke. · Never contact me via social networks since I never read messages & comments there.