2018-07 Neue Westfaelische: Nichts als die Wahrheit
Nichts als die Wahrheit
Kriminalbiologe Mark Benecke erzählt kurzweilig von der Spurensuche an Tatorten
Quelle: NW / Neue Westfälische, Lokale Kultur Bielefeld, 14./15. Juli 2018, Seite ES12
Ein Beitrag von Maria Frickenstein
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Bielefeld. Viele junge Menschen kommen in die Stadthalle und begegnen diesem Wissenschaftler wie einem Popstar. Dabei ist das Thema bizarr, denn Dr. Mark Benecke ist Kriminalbiologe, forensischer Insektenkundler und vereidigter Sachverständiger. Nach diesem Abend wird man anders auf die Welt schauen. Der gute Glaube an die Justiz könnte ins Wanken geraten.
Aus einem Themenpool mit Aliens, Insekten und Mumien entscheidet sich das Publikum für "Mord im geschlossenen Raum" und soll es nicht bereuen.
Seit 26 Jahren ist Mark Benecke Spurensucher und trifft mitten in einem Dorf auf einen Tatort. Mit rund 50 Messerstichen soll eine Tochter ihre Mutter ermordet haben. Sie allein habe einen Schlüssel zum Haus, heißt es in der Urteilsverkündung. Sechs Jahre danach ermittelt Mark Benecke und findet Erstaunliches heraus.
"Was Spuren bedeuten, ist völlig egal", so der Kriminalbiologe. Er sichere die Spuren, aber das Denken überlasse er anderen. Nur die Wahrheit der Spuren zähle. Mehrfach betont Benecke diese sachliche, wissenschaftlich notwendige Einstellung. Der ernste Hintergrund: Vielfach liegen bereits bei der ersten Spurensicherung falsche Annahmen beziehungsweise vorschnelle Schlussfolgerungen zugrunde. Einige Spuren bleiben so unberücksichtigt.
Ein Dorfjunge erzählt, dass ein Schlüssel für alle Dorfbewohner zugänglich ist und viele Bekannte ihn auch fleißig nutzen, um die alte Dame zu besuchen. Wahr ist auch, dass es neben der Haustür weitere Eingänge gibt. Wahrheit und Gerechtigkeit seien nicht dasselbe, veranschaulicht Benecke an vielen Beispielen.
Humorvoll erzählt er vom Gattenmördergift, das früher gerne zur Beseitigung lästig gewordener Partner benutzt worden sei. Bei Haarausfall und Schwäche eines älteren Mannes glaube der Mensch ad hoc an einen natürlichen Tod. Spannend schildert der Biologe das typische menschliche Fehlverhalten bei der Frage, ob jemand etwas am Tatort verändert hat. Die Befragten empfinden ein „notwendiges“ Aufräumen nicht als eine Manipulation des Tatortes.
Humorvoll stimmt Benecke auf den Alltag eines Spurensuchers ohne feste Arbeitszeiten ein, auf lange Anreisen mit Bahn und Bummelbus. Sein Arbeitsfeld ist die penible und unbeirrbare Suche nach Spuren, nach Insekten, Pollen und Blut.
Sein Team mit Studierenden experimentiert und stellt das Tötungsdelikt nach. 50 Messerstiche durch eine dicke Decke seien für eine Frau kräftemäßig kaum möglich. Der Richter kannte diese und andere Beweise bei der Urteilsverkündung nicht.
— Mit vielem Dank an die Redaktion für die freundliche Erlaubnis zur Verwendung. —
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