2017 02 Kriminalistik: Handy Abriebe
Quelle: Kriminalistik, 71. Jahrgang, Seite 104
Rückschlüsse durch Handy-Abriebe
Interessante Ermittlungsmöglichkeiten
[Weitere Artikel von MB] [Artikel über MB]
[Alle Kriminalistik-Artikel]
VON MARK BENECKE
Handy-Abriebe lassen Rückschlüsse auf Lebensgewohnheiten, hygienische und medizinische Bedingungen sowie Aufenthaltsorte zu. Zu diesem Ergebnis kommt ein deutschamerikanisches Forscherteam in einem Aufsatz, der im November 2016 im Magazin der "National Academy of Sciences of the United States of America" (PNAS) erschienen ist. Einer Forschungsgruppe von den Universitäten Kalifornien in San Diego und Heidelberg ist es gelungen, Wattestäbchen-Abriebe von Handies deren Besitzern zuzuordnen. Dazu wurden je zwei Stellen der Handy-Vorder- und zwei der Rückseiten mit 588 Proben von den Händen der Freiwilligen verglichen.
Knapp über die Hälfte der Bestandteile, die nach chemischen Zerlegung der Proben anfielen, waren bei mehreren Menschen gleich. Viele andere Bestandteile ähnelten sich aber erstens nicht und waren zweitens in ihrer Zusammenstellung sogar individualtypisch. Da Hautleistenabdrücke auf Handies sehr leicht verwischen, und da die genetischen Fingerabdrücke der meisten Personen nicht in Datenbanken verfügbar sind, bietet die chemische Untersuchung von Handies nun also interessante Ermittlungsmöglichkeiten.
Gefunden wurden beispielsweise Bestandteile von Sonnenschutzmitteln (Avobenzon und Oxibenzon). Mückenverprellungs-Flüssigkeiten (DEET), dem Hautpflegemittel Dexpanthenol nebst Zusatzstoffen wie dem Geruchsverbesserer m-Anissäure. Auf anderen Handies fanden sich chemische Spuren von Gewürzen, beispielsweise 7-Hydroxy-Austroballignan, das in Muskat vorkommt, sowie Piperin und Capsaicin, das in schwarzem Pfeffer und Pepperoni zu finden ist. Auch ein Medikament gegen Pilze (Clobetalsol) sowie ein Haarwuchsmittel (Minoxidil), des weiteren das verbreitete Antidepressivum Citalopram und dessen Abbauprodukt Citalopram-N-oxid und Nobiletin aus Zitrusfruchtschalen, aber auch Sinensetine aus zitronig riechenden Reinigungsflüssigkeiten konnten bei einzelnen Proben nachgewiesen werden.
"Viele dieser Stoffe", so die Kolleginnen und Kollegen, "kamen nur bei einer oder sehr wenigen Personen vor." Die Herausforderung lag weniger bei der Probennahme und Datensammlung, sondern der Auswertung der großen Datenmengen." "Wir haben hiermit einen Meilenstein bei der Überprüfung persönlicher Gegenstände dahingehend erreicht, dass wir zuordnen können, welche Lebensgewohnheiten eine Person hat, welche hygienischen und medizinischen Bedingungen vorliegen und wo sie sich aufgehalten hat."
Die Wahrscheinlichkeit der chemisch richtigen Zuordnung des Handies zum Besitzer war anfangs etwa 33fach besser als bei bloßem Raten, nach Probenentnahme vier Monaten später noch etwa zehnfach besser als Raten. Bei eingeschränktem Verdächtigenkreis ist dies ein sinnvoller Hinweis für weitere Ermittlungen, bei nicht eingeschränktem Verdächtigenkreis lassen sich aus den Einzelstoffen gute Hinweise auf Lebensumstände der Besitzer gewinnen. Interessant war, dass auf der Vorderseite der Handies vorwiegend Spuren aus dem Gesichtsbereich der Verwender, auf der Rückseite hingegen eher Spuren, die von ihren Händen übertragen worden waren, vorlagen. Es lohnt sich also sehr, mehrere Proben pro Handy, genau beschriftet, mit metrischem Maßstab versehen und fotografisch dokumentiert, zu nehmen.
Da etwa zehn bis dreißig Prozent der Substanzen, etwa das genannte Mückenverbrämungs-Gift, auch noch vier Monate nach der letzten Verwendung des Mückenschutzes auf den - durchgehend weiter benutzten - Handies nachgewiesen wurden, und da die chemische Zerlegungs- und Erkennungstechnik mittlerweile weit fortgeschritten ist, dürfte die Methode auch jenseits der soeben veröffentlichten Pilotstudie in der polizeilichen Praxis sinnvolle Ergebnisse erbringen. Die Autorinnen und Autoren der Veröffentlichung weisen lediglich darauf hin, dass eine sehr große Computer-Rechenleistung nötig wird, um die anfallenden Datenmengen zu vergleichen und zu individualisieren. Die Apparate- und Asservierungstechnik ist hingegen unaufwändig.
Quelle (Originalveröffentlichung)
• "Lifestyle chemistries from phones for individual profiling" von Amina Bouslimani, Alexey Melnik, Zhenjiang Xu, Amnon Amir, Ricardo da Silva, Mingxun Wang, Nuno Bandeira, Theodore Alexandrov, Rob Knight und Pieter Dorrestein (2016). PNAS Early Edition. http://pnas.org/cgi/doi/1 0.1 073/pnas.161 0019113
Mit großem Dank an die Redaktion für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.
Lesetipps