2016 09 10 Nachtplan: Schwarz macht tolerant
Quelle: nachtplan 9/10 2016 (Heft Nr. 81), Seite 25
Dem Doktor seine Seite
Schwarz macht tolerant
[Weitere Artikel von MB] [Artikel über MB] [Alle Kolumnen im Nachtplan]
VON MARK BENECKE
So, Leute, festhalten. Seit dem diesjährigen Amphi darf bitte niemand jemals mehr abbitchen, dass heutiger ‘Industrial’, der übrigens in Wirklichkeit Techno ist, bei unsereins allerdings Cyber genannt wird, und blutromantischer Grufti-Herzschmerz-Pop nicht zusammen passen.
Woher ich das weiß? Ich stand mit den sau-sau-saugeilen Jungs von X-Rx beim Kölner Amphi backstage rum und machte dort den üblichen Quatsch. Der in preußischer Disziplin schon vor Festivalöffnung in aller Herrgottsfrühe soundcheckende Headliner Chris Pohl gesellte sich zu unserer Kuschelgruppe. Bizarren Scherzen nie abgeneigt, fantasierte ich davon, dass das Arm-Tattoo von Jan von X-Rx doch verdammt nach demjenigen von Chris aussähe und die beiden wohl bei der Geburt getrennt worden seien.
Und dann passierte etwas, woran ich mich vermutlich noch auf dem Sterbebett erinnern werde. Der gute X-Rx-Jan sagte mit fester Stimme und klarem Blick: “Ja, aber Mark…ich habe mir dieses Tattoo stechen lassen, weil ich, seit ich zwölf bin, glühender Blutengel-Fan bin.”
Nun bin auch ich ein Groupie reinsten Wassers, der die Autogramme von Welle:Erdball, Chris und Uli von Blutengel, Eskil, Ronan, Chris (Agonoize), den zwei von der Kirlian Camera und vieler anderer auf dem Körper trägt. Aber ich bin kein Industrial-Musiker — datt jildet also nitt (ripuarisch für: “Das gilt daher nicht”).
Andersrum wird ein schwarzer Samtschuh draus: Wenn eine junge, großartige Elektroband und die bekannteste Gruftipop-Band sich so mögen, und wenn beim selben Festival Alex von Eisbrecher beim Auftritt von Megaherz im Graben sitzt und sich deren Show ansieht — dann ist die Welt doch wesentlich in ordnunger als man es bei all dem Kriegsjedöns da draußen manchmal denken könnte.
Daher: Ob EBM, Blutpop, Cyber, Batcave, Aggrotech, Weiberelektro oder 8-Bit-Musik, ob Barde mit Herz oder Rammstein-Coverband…am Ende des Tages sind wir alle schwarze Seelen. Und wenn wir dann manchmal heimlich oder sogar ganz offen Fan derjenigen Fraktion sind, die angeblich so ganz anders ist, dann ist das nichts anderes als der beste Beweis dafür, dass schwarz vielleicht nicht immer schlank, dafür aber tolerant macht. Zack!
Herzlich die Euren
Marky Mark, Chris & X-Rx
Lesetipps
- Alle Beiträge von dem Doktor im "nachtplan"
- Das MARKierten-Poster
- WGT 2020 (jawohl) in Leipzig
- Sammelseite Gothic
- MB über das WGT 2014
- MB und Sara Noxx inszenieren Falcos Klassiker "Jeanny"