2014 move38: Es gibt Glitzerkugeln für alle
Quelle: Move36, Dezember 2014 (Ausgabe 38), Seiten 52 und 53
Es gibt Glitzerkugeln für alle
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Text: Mariana Friedrich (klick hier für Infos zur Zeitschrift)
Dr. Made, der Herr der Maden oder schlicht Marky Mark – Dr. Mark Benecke ist Deutschlands bekanntester Kriminalbiologe und weltweit mit seinen Vorträgen unterwegs. Im Dezember war er im Propsteihaus in Petersberg. move36 hat mit ihm nicht über Mord und Leichen, dafür über seine Spinnenphobie, falsche Annahmen
und seine Kandidatur zum Oberbürgermeister von Köln geplaudert.
Hallo Mark, wurden deine in Leipzig entführten Fauchschaben inzwischen gefunden?
Nein. Eine ist schon vor dem Vortrag abgehauen, die wurde aber in der Garderobe wiedergefunden. Die andere ist leider verschollen. Die haben die Zuschauer
tatsächlich geklaut. Sehr schade. Das ist schon das zweite Mal.
Dabei sind die Schaben deine Freunde und treuen Mitarbeiter, wie du sagst. Warum hast du vor ihnen keine Angst, vor Spinnen aber schon?
Ich glaube, das hat keinen Grund. Die Spinnenangst ist mittlerweile aber nicht mehr so ausgeprägt. Ich fand das ja selbst albern und bemühte mich deshalb
um eine bessere Beziehung zu ihnen.
Wie macht man das?
Ich wohne mitten in der Stadt in einem efeubewachsenen Haus. Da kommen ständig Spinnen rein. Also blickte ich der Sache ins Gesicht und hörte einfach
auf, immer so ein Theater zu machen.
Apropos Theater: Du wirst ja gern als Popstar der Wissenschaften gefeiert, bringst Experimentierkästen für Kinder heraus – warum ist es für dich so wichtig, Wissenschaft verständlich zu erklären?
Weil es sonst nichts bringt. Ich sehe mich nicht als supertollen Frontforscher, der in modernen – auch modischen – Bereichen in der ersten Reihe steht.
Wenn ich am Tatort bin, möchte ich, dass die anderen mir erklären, warum sie machen, was sie machen. Wir spielen viel rum, jonglieren mit den Techniken,
die auch die anderen benutzen. Wenn ich mich nicht verständlich ausdrücke, wird das der andere auch nicht tun.
Aber ist es nicht ein Unterschied, ob du dich im täglichen Leben verständlich ausdrückst oder dies auf einer großen Bühne tust?
Das Ganze ist ja daraus entstanden. Die Polizei fragte mich, ob ich verschiedene Sichtweisen auf den Tatort erklären könnte. Wir machten Körbchen mit Dias,
jeder sollte zwei ziehen und dann sagten wir, was wir und was die Polizisten sehen. Das Erklären ist etwas, das ganz langsam gewachsen ist.
Du bist Mitglied in der Sherlock-Holmes-Gesellschaft. Was hast du mit dem Meisterdetektiv gemein?
Vor allem das Prinzip, keine Annahmen zu machen. Ich mache wirklich keine Annahmen, weder über Menschen noch über Dinge oder Abläufe. Ich schaue mir nur die Spuren an. Alles, was messbar ist. Der Nachteil ist, dass man so keine höherwertigen Aussagen treffen kann. Das ist aber gleichzeitig sehr angenehm, denn
du kannst dich aus allen religiösen, politischen und höheren Problemen raushalten.
Sherlock Holmes Erschaffer, Arthur Conan Doyle, wird nachgesagt, dass er an Feen und Magie glaubte und einigen esoterischen Annahmen
aufsaß …
Ja, wobei ich mir nicht sicher bin, ob er wirklich darauf hereinfiel. Er verstei% e sich darauf. Viele Wissenschaftler machten ihre Entdeckungen nur, weil sie sich auf etwas versteifen, was keiner für möglich gehalten hätte. Ein gutes Beispiel ist Ignaz Semmelweis, der die Händedesinfektion erfand. Daten besagten,
dass in seiner Klinik weniger Patienten gestorben sind, und er brachte das mit seinem ständigen Händewaschen in Verbindung. Semmelweis endete in der Klapse. Der Grat zwischen jemandem mit Händewaschzwang, der das auf andere ausdehnen will, und dem, der Daten hat, ist schmal. Der Zusammenhang, den er herstellte, war für die Menschen damals nicht verständlich. Heute sagt man, er war ein brillanter Wissenschaftler, weil er recht hatte.
Du hast dich beruflich den Fakten verschrieben, bist aber auch Politiker – und kandidierst mit der PARTEI für das Amt des Oberbürgermeisters in Köln. Warum sollen die Kölner dich wählen?
Ja, wen denn sonst? Es gibt ja keine seriöse Alternative.
Was wäre deine erste Amtshandlung?
Unser Elferrat hat beschlossen, die Straßen mit 4711 (Parfüm made in Köln – Anm. der Redaktion) zu reinigen, freie Sicht auf den Dom von der ganzen Welt aus durchsetzen, und Baumwurzeln wollen wir mit Beton zuschütten, weil sich dazwischen Pfützen bilden, in die die Leute reintreten. Das ist lästig. Und es gibt Glasperlen und Glitzerkugeln für alle, die uns wählen.
Klingt nicht so, als würdest du die Politik ernst nehmen ...
Doch! Sehr ernst sogar. Das ist ja ein Riesenaufwand. Wir müssen, anders als die anderen Parteien, jedes Mal Unterstützerstimmen einsammeln. Das ist Arbeit.
Wie vereinst du das mit deinem Beruf?
Gar nicht. Aber hier in Köln hat das Tradition. Der durchschnittliche Kölner klüngelt. Das beruht auf Konrad Adenauer. Bevor er Bundeskanzler wurde, war er Oberbürgermeister von Köln. Er sagte: „Man kennt sich, man hilft sich.“ Das Fantasma ist: Direkte, kurze Wege führen zur schnellen, unbürokratischen Klärung von Dingen. Tatsächlich ist das die reinste Amigo-Wirtschaft, in der nur Freunde begünstigt werden und Geld verschwendet wird bis zum Geht-nicht-mehr. Das mache ich nicht. Wie war die Frage nochmal?
Wie du Politik und Kriminalbiologie gemeinsam auf die Reihe bekommen willst.
Ah, ja, genau. Das tue ich nicht. Und weil ich das nicht mache, brauche ich nicht so viel Zeit. Ich muss nicht ständig Netzwerke pflegen – hier in Köln ist das nicht Facebook, sondern Karneval – ich mache einfach, was die Wähler wollen. Und das erfahre ich auf der Straße. Und ich führe eine Redezeit ein. An der Harvard-Universität vergeben wir einmal im Jahr die Spaßnobelpreise für Sachen, die sich lustig anhören, aber echte Forschung sind. Da ist die Redezeit auf eine Minute begrenzt. Wenn das Nobelpreisträger können, können das auch Stadtratsmitglieder. Deswegen werden die Sitzungen auch so kurz und effektiv, wenn ich die leite. Eine Minute Redezeit, Abstimmung, Pizza essen.
Oder ein neues Tattoo stechen lassen. Welches ist dein neuestes?
Meine Gattin hat tätowieren gelernt, und sie durfte mir ein rotes Herzchen stechen. Das ist mein aktuellstes Tatto und ihr allerallererstes.
Gibt es für dich ein Tabu in Sachen Bodymodifications? Du hast Tattoos, einen Magneten im Finger...
Ich habe sogar zwei Magneten in zwei Fingern. Amputationen fänd ich für mich nicht so praktisch, die Finger brauche ich ja zum Arbeiten. Aber das ist kein Tabu, nur unpraktisch. Auch so Hörnchen am Vorderkopf. Das musst du jedes Mal überall erklären. Und dafür hätte ich nicht die Nerven.
Mit herzlichem Dank an die move38-Redaktion für die Freigabe und die Genehmigung zur Veröffentlichung.
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