2014 09 Rhein-Zeitung Immer die Wahrheit im Blick
Quelle: Rhein-Zeitung, Region Bonn, Nr. 205, 4. September 2014, Seite 20
Immer die Wahrheit im Blick
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VON THOMAS KÖLSCH
Dr. Mark Mark Benecke sieht Fälle wie Puzzles an
Bonn. Gerechtigkeit? Daran glaubt Dr. Mark Benecke schon lange nicht mehr. „Die Menschen wollen einfach nur gewinnen – wenn sie es tun, empfinden sie das als fair“, sagt Deutschlands berühmtester Kriminalbiologe. Ein übergeordnetes Konstrukt? Fehlanzeige. Sonderlich optimistisch klingt das nicht, schon gar nicht von jemandem, der mit seinen Untersuchungen täglich dabei hilft, Verbrechen aufzuklären.
„Mir geht es nur um die Wahrheit“, erläutert Benecke dann. Um nüchterne Fakten. „Ich liebe es zu tüfteln“, gesteht er. So lange, bis alle Puzzlestücke ein Bild der Geschehnisse am Tatort ergeben, völlig losgelöst von Emotionen oder Moral. Das ist es, was Benecke ausmacht, was seinem Leben Sinn gibt und was ihn zu einem der Besten seines Fachbereichs gemacht hat. Auch wenn dieses Umarmen des Intellekts seinen Tribut fordert:
„Menschen wie ich sind gut darin. Spuren zu analysieren, aber dafür fällt es uns manchmal schwerer, mit den sozialen Komponenten des Lebens klarzukommen.“ Das eine, so Benecke, bedingt beinahe schon das andere. Dabei ist Benecke, der als Entomologe irgendwann den Spitznamen „Herr der Maden“ erhalten hat und international als Experte und Ausbilder zu Rate gezogen wird, bekannt dafür, auch komplexe Zusammenhänge populärwissenschaftlich aufzubereiten, sei es in seinen Büchern oder seinen Bühnenshows. Vieles klingt zusammengefasst spektakulär, doch Benecke winkt ab: „Eigentlich ist die Forensik unglaublich langweilig“, betont er, „an einem Fall haben wir zum Beispiel zwölf Jahre lang gesessen.“
Aber etwas anderes tnn? Undenkbar. „Ich möchte das hier machen, ansonsten wäre mir langweilig. Für mich wäre es der blanke Horror, als Animateur im Robinson Club arbeiten zu müssen“, erzählt Benecke. Dann doch lieber Blut, Sperma, Insekten und Fäkalien untersuchen und Fakten schaffen. „Fakten sind sehr beruhigend“, erklärt der 44-Jährige. Weil sie Strukturen schaffen, die allgemeingültig sind. Anders als kulturelle Konstrukte wie Gerechtigkeit.
Gleichzeitig ist Benecke von der Psychologie fasziniert, fragt ebenso oft nach dem Warum wie nach dem Wie, Wo und Wann. Ist ein Mann böse, weil er seine Frau getötet hat, obwohl diese unter einer extremen Borderline-Persönlichkeit litt und eine Scheidung nicht infrage kam? Begeht ein Serienmörder einen Akt des Übels, wenn er einer suizidalen Frau hilft, aus dem Leben zu scheiden? Fragen, für die Mark Benecke keine direkten Antworten in Schwarz und Weill auf Lager hat.
„Gut und Böse sind immer relativ“, sagt er. Normalität ebenfalls. Ein Begriff, dem Benecke sich bewusst zu entziehen scheint: Er ist Mitglied der von Satiriker Martin Sonneborn gegründeten "Partei", bekennt sich zum Dudeismus (Philosophie auf Grundlage des Films "The Big Lebowski") und Donaldismus (Grundlage ist das Leben in Entenhausen). Ein Gegenentwurf für all die Düsternis, mit der der Kriminalbiologe sonst zu tun hat? „Nein, ich sehe es eher als Übungen für den Wahnsinn vor Gericht an“, so Benecke. „Dort geht es ja auch sehr kanonisch zu: Die Lebensnähe des Richters gibt zum Beispiel häufig vor, was als akzeptabel angesehen wird.“
In seinen Bühnenshows bietet Benecke dem Publikum üblicherweise verschiedene Themen an, über die er dann spricht. „Wer tatsächlich an der Forensik interessiert ist, stellt in der Regel eine konkrete Frage“, sagt er. „Manche haben auch selbst etwas Traumatisches erlebt und hoffen, von mir eine Erklärung zu bekommen.“ Fakten, die die Psyche beruhigen. Und die zugleich das Publikum aufwühlen können. „Häufig kommen hinterher Menschen zu mir und sagen, dass sie meine Arbeit niemals machen könnten“, sagt Benecke. „Aber sie sind froh, dass ich es tue.“
Mit herzlichem Dank an Thomas Kölsch und die Redaktion der Rhein-Zeitung für die Freigabe und die Genehmigung zur Veröffentlichung.
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