2013 11: Meine Freizeit - Dem Taeter auf der Spur
Quelle: Meine Freizeit, November 2013, Seiten 56 bis 57
Dem Täter auf der Spur
Deutschlands berühmtester Kriminalbiologe packt aus
[Weitere Artikel von MB] [Artikel über MB]
VON NADINE REITER
Nichts für schwache Nerven. Wenn Polizei und Gerichtsmedizin am Ende sind, wird er gerufen: Mark Benecke - der Sherlock Holmes der Neuzeit
Ein Mann der seine Tochter 24-Jahre lang gefangen hält, missbraucht und sieben Kinder mit ihr zeugt. Ein charmanter Kolumbianer, der über 300 Jungen tötet. Killer, Pädophile, Sadisten, eine Menge Insekten, ein psychologischer Baukasten und mittendrin ein Wissenschaftler mit unzähligen Tattoos: Mark Benecke. Sie alle verbindet sein Beruf – er ist Kriminalbiologe. Und zwar der bekannteste Deutschlands!
Als dieser untersucht er Tatorte und Leichen auf Spuren von Gewaltverbrechen. Seine persönlichen Assistenten: Insekten. Anhand von Made, Schmeißfliege und Co. erkennt der Kölner, wie lange das Opfer schon tot ist. So und mit Vorgehensweisen, die an die des bekannten Sherlock Holmes erinnern - auf ganz eigene kriminalistisch-kreative Weise Spuren finden, objektive Befunde erstellen und wertfreie Schlussfolgerungen ziehen – löst er ungeklärte Kriminalfälle. Und das Multitalent hat noch mehr auf dem Kasten!
Der 43-Jährige absolvierte Ausbildungen an der FBI-Academy, hält Vorträge rund um den Globus, unterstützt PETA beim Tierschutz, schreibt Bücher und Kolumnen, erklärt in TV-Serien unterhaltsam wissenschaftliche Hintergründe und moderiert im Radio eine Sendung. Noch nicht genug? Er engagiert sich für "Die Partei", ist Vorsitzender des Vereins "ProTattoo", besitzt die Silberne Ehrennadel des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, und, und, und. Warum er das alles macht? Benecke selbst sagt, als Kriminalbiologe verdient man nicht genug. Doch das alleine kann es nicht sein. „Ich tüftle gerne, bin fasziniert von kniffeligen Rätseln, suche nach Lösungen wie Sherlock Holmes.“ Und das gelingt ihm mindestens genauso gut wie der Romanfigur.
Der Unterschied: der Wissenschaftler stellt sich den Verbrechen nicht immer alleine.
Kürzliche schrieb er ein Buch [...]. In diesem legen sie Verbrechen offen, die einem das Grauen lehren. So erfährt man von Herman Webster Mudgett, der ein Hotel mit Geheimgängen, Krematorien, Gaskammern und Präparationstischen erschuf, in denen er Menschen folterte und tötete. Zudem werden Details aus der Entführung von Natascha Kampusch preisgegeben und der Fall von Billy Milligan erzählt: einem Vergewaltiger, der als Erster in den USA glaubhaft machte, dass nicht er, sondern eine seiner anderen Persönlichkeiten die Verbrechen begangen hatte. Außerdem berichtet der Kölner von der Untersuchung des Gebisses von Adolf Hitler. Zu diesem sagt er: „Die Kieferfragmente lassen sich zweifelsfrei identifizieren. Falls Hitler noch herumlaufen sollte, dann ohne Kiefer“.
Doch dieser Befund weltgeschichtlichen Ranges beeindruckt den Spurensucher kaum. Im Gegenteil! Ihn faszinieren mehr die unscheinbaren Geheimnisse, die niemand sonst untersuchen möchte. So wie der Fall von Luis Alfredo Garavito Cubillos, der über 300 Jungen gefoltert und getötet hat. Ganz Kolumbien schämt sich für seine Taten. Das hielt Benecke aber nicht davon ab, den Massenmörder zu interviewen. Sein unglaubliches Fazit nach dem Aufeinandertreffen: „Er ist einer der nettesten Menschen, die ich je getroffen habe.“ Als Benecke das Gefängnis betrat, hielt er Garavito wegen dessen Auftretens für den Gefängnisdirektor. „Bevor ich das erste Wort gesagt hatte, stand es eins zu null für den Serientäter.“
Das Phänomen, dass Psychopathen, Narzissten und Co. ihr Umfeld trotz der schrecklichen Taten immer wieder um den Finger wickeln, ist kein Einzelfall. Die Psychologin erklärt in dem Buch, wieso. Und sie geht noch weiter: Anhand einer Art Baukasten schlüsselt sie psychische Krankheitsbilder auf, sucht nach Ursachen – traumatische Erlebnisse in der Kindheit, fehlende Liebe, Alkoholmissbrauch oder ein Gendefekt – und hilft so zu verstehen, wie es zu den Horror-Taten kommen konnte.
Dabei sollen diese nicht verharmlost, aber mit Vorurteilen aufgeräumt werden. Statt zu verurteilen, könne man durch gezielte Präventionsarbeit Verbrechen verhindern, meinen die Beneckes. Aus seiner Arbeit mit traumatisierten Kindern weiß Mark, dass jeder die Möglichkeit hat, sich Hilfe zu holen. „Es ist Blödsinn, ständig zu sagen: Daran sind die anderen und die Umstände schuld. Denn viele Menschen, die es faustdick abbekommen haben, machen was Gescheites aus ihrem Leben. Man hat immer die Wahl.“
Mit herzlichem Dank an Nadine Reiter und die "Meine Freizeit"-Redaktion für die Freigabe und die Genehmigung zur Veröffentlichung.
Lesetipps