2013 09 Tätowiermagazin: Harter Stoff: Difference between revisions

From Mark Benecke Forensic Wiki
Jump to navigation Jump to search
(Created page with "thumb Quelle: [http://www.taetowiermagazin.de/ Tätowiermagazin] 9/2013, Seite 144<br> =<font color=orange>Harter Stoff!</font>= ==<font c...")
 
No edit summary
Line 1: Line 1:
[[File:Taetowier magazin logo.jpg|thumb]]
[[File:Taetowier magazin logo.jpg|thumb]]
Quelle: [http://www.taetowiermagazin.de/ Tätowiermagazin] 9/2013, Seite 144<br>
Quelle: [http://www.taetowiermagazin.de/ Tätowiermagazin] 10/2013, Seite 144<br>


=<font color=orange>Harter Stoff!</font>=
=<font color=orange>Die düstere Welt der Annemie</font>=
==<font color=orange>Kolumne mit Mark Benecke</font>==
==<font color=orange>Kolumne mit Mark Benecke</font>==


Line 12: Line 12:
'''Von Mark Benecke'''<br>
'''Von Mark Benecke'''<br>
   
   
[[File:Das letzte Wort 9 2013 final.jpg|thumb|300px|left]] Manche schmunzeln über Tattoos mit zu tiefer Bedeutung, andere prangern allzu leichtfertig geinkten Quatsch an. Sehr selten gibt es aber einfach nix mehr zu kommentieren, wenn ein Mensch die Geschichte seiner Tätowierungen erzählt. Hier kommt eine davon.<br>
[[File:Das letzte Wort 10 13 final.jpg|thumb|300px|left]] Auf der Leipziger Buchmesse fiel mir Annemie sofort auf. Beim Wave-Gotik-Festival, ebenfalls in Leipzig, trafen wir uns daher ein paar Wochen später noch einmal. Hier ist Annemies Geschichte. Ich lasse sie so stehen, weil ich selber baff von der krassen Story und ihrem Mut bin.<br>


»Ich bin total leseverrückt – Bücher sind mein Heiligtum. Mein Freund hat eins von dir gelesen, also bin ich zu deiner Lesung gegangen. Mein Lieblingsautor ist der Phantastik-Autor Kai Meyer.<br>


Meine Ex und ich schlenderten neulich auf ein bis zwei Sprudelwasser in das Dresdner Bahnhofs-Café »Angels«. Zwischen überfröhlichen Junggesellen und einsamen Herzen hielt Tänzerin Heike erfolgreich den Laden bei Laune. Im Vorbeiwirbeln schien es uns allerdings, als habe sie einen Grabstein auf ihrem Rücken tätowiert. Ein so ernstes und zudem offen erkennbares Symbol mitten im Herzen der täglichen Party? »Das ist doch kein Grabstein«, berichtet uns Heike in einer kurzen Pause, »sondern eine Kinderwiege.<br>
Die Idee für das Tattoo auf meinem Arm kam vor zwei Jahren ganz plötzlich. Ich habe mir sofort einen Tätowierer gesucht, auf der Convention in Frankfurt. Das war weit von der Heimat, drei Autostunden entfernt, aber ich wollte es einfach erleben, dieses Convention-Feeling, dort tätowiert zu werden. Nach meiner Nachtschicht – ich habe damals in einer Fabrik gejobbt – bin ich direkt los.<br>


Das Motiv soll gegensätzlich wirken. Fröhlich mit kräftigen Farben und niedlich, aber eben ein Häschen, das sich sein Herz rausreißt. Ich kann mich damit identifizieren, mit dem Niedlichen etwas sehr Trauriges zu verbinden. Mir wurde zwar nicht das Herz herausgerissen, ich bin nicht tieftraurig und depressiv. Aber ich finde das Tattoo und die Stimmung schön. Ich möchte es auf mir haben und anderen präsentieren. Ich bin stolz, darauf angesprochen zu werden. Ich fühle mich einfach zu den schwermütigen und traurigen Motiven hingezogen, sie üben eine besondere Faszination auf mich aus. So ein Bild sagt mehr als viele Worte.<br>


Ich verstehe gar nicht, warum das dauernd verwechselt wird. Dieses Rückentattoo habe ich mir nämlich für meinen sechsjährigen Sohn stechen lassen. Links oben ist sein Sternzeichen Jungfrau zu sehen und darunter eine Frau mit einem unschuldigen Teddybär. Rechts oben ist sein Schutzengel und darunter eine Eiche. Mein Kind soll eben so stark werden wie eine Eiche. Ganz unten dann die Wiege mit seinem Geburtsdatum.«<br>
Das große Tattoo an der kompletten linken Seite hat auch keine traurige Geschichte. Gestochen hat es David von der Villa Dunkelbunt in Kassel. Ich hab ihm gesagt, dass ich zwei Orks möchte, die gerade eine Frau vergewaltigen. Sie soll sehr leidend aussehen, man soll ihr ansehen, dass es ihr Schmerzen bereitet und sie es nicht will. Die Orks sollen sehr brutal und maskulin wirken und sie mit einer Kette festhalten<br>




Kein Grund zum Aufatmen.<br>
Das ist mir sehr wichtig, dass sie eine Kette um den Hals hat und zurückgezogen wird, und so hab ich ihm das auch beschrieben.<br>




»Die zwei Kirschen mit den Totenköpfen auf meinem Bauch stehen für Zwillinge, die ich wegen Überforderung abtreiben musste«, erzählt Heike weiter. »So habe ich die beiden immer bei mir. Der Schmetterling mit Geldscheinflügeln steht für meinen Job als Table-Dancerin. Auf dem Geldschein ist allerdings ein kleines Babygesicht – das ist wieder mein Sohn, denn mit dem Geld will ich ihm ein gutes Leben bieten.<br>
Wir brauchten fünf Sitzungen, denn ich bin sehr wehleidig. Meine Mama war bei jeder Sitzung dabei und musste Händchen halten. Sie steht voll und ganz hinter mir, findet das toll und möchte jetzt auch selber ein Tattoo haben, um sich mit mir verbunden zu fühlen.<br>




Ach ja, und dann sind da noch die zwei Feen, die vorne aus meinem Busen herausfliegen. Das ist ein Partner-Tattoo mit einer guten Freundin, die früher auch hier gearbeitet hat.«<br>
Ich werde immer gefragt, ob ich mal vergewaltigt wurde. Ob ich das damit verarbeite, aber das ist nicht so. Ich hatte eine ganz, ganz tolle Kindheit und eine ganz tolle Mama. Mir ging es eigentlich immer gut. Ich weiß nicht, warum ich mich gerade zu diesen düsteren und finsteren Motiven hingezogen fühle.<br>




Die am Bein hochwachsende Pflanze, an der »destiny« steht, ist damit schon fast vorgegeben: Sie steht für das Schicksal in Form aller Dinge, die in Heikes Leben passieren und sie begleiten.<br>
Ich komme aus einer kleinen, katholisch-spießigen Stadt. Ich wurde nie so akzeptiert, mit meinem Aussehen, mit den vielen Piercings und schwarzen Klamotten. Ich hatte auch ziemliche Probleme in meiner Ausbildung als Physiotherapeutin.<br>




Harter und schöner Stoff, der nebenbei eine fröhliche Knalltüte (mich), eine harte Arbeiterin (Heike) und eine forensische Psychologin (meine Ex) zusammengebracht hat.<br>
Aufgrund dessen habe ich sie abgebrochen. Das war sehr schade, aber das geht einfach nicht, so wie ich aussehe. Meine Piercings und die dunklen Augen, das wäre ja gruselig, haben die Ausbilder gesagt. Ich hätte die Piercings rausnehmen können, dann hätte ich die Ausbildung beenden können. Ich habe aber immer gedacht: ›Leckt mich doch alle am Arsch‹.<br>


Jetzt arbeite ich Vollzeit bei Amazon. Ich bin in der Qualitätsabteilung und dafür da, die Fehler zu suchen und zu bereinigen. Ich bin heiter, vergnügt und zufrieden und voller Vorfreude, weil meine Mum mich bald wieder besucht.«<br>


Eine weitere Freundschaft durch Tinte mit Eurem Dr. Doom.<br><br>
Tja, man muss nicht alles nachvollziehen können. Ich nehme Annemie trotzdem alles wörtlich ab. Denn meiner beruflichen Erfahrung nach gilt am Rand des Randes nur noch eine Regel – die von Sherlock Holmes: »I never guess. It is a shocking habit.« (»Ich rate nie. Das ist eine fürchterliche Angewohnheit.«)
 
 
Wilde Welt und coole Annemie: der Eure – Dr. Doom.<br><br>





Revision as of 16:05, 12 October 2013

Taetowier magazin logo.jpg

Quelle: Tätowiermagazin 10/2013, Seite 144

Die düstere Welt der Annemie

Kolumne mit Mark Benecke

[Alle Letzten Worte] [Weitere Publikationen von MB] [Mehr über Tattoos] [MB's Tattoos]

[Artikel von MB über Tätowierungen]


Von Mark Benecke

Das letzte Wort 10 13 final.jpg

Auf der Leipziger Buchmesse fiel mir Annemie sofort auf. Beim Wave-Gotik-Festival, ebenfalls in Leipzig, trafen wir uns daher ein paar Wochen später noch einmal. Hier ist Annemies Geschichte. Ich lasse sie so stehen, weil ich selber baff von der krassen Story und ihrem Mut bin.

»Ich bin total leseverrückt – Bücher sind mein Heiligtum. Mein Freund hat eins von dir gelesen, also bin ich zu deiner Lesung gegangen. Mein Lieblingsautor ist der Phantastik-Autor Kai Meyer.

Die Idee für das Tattoo auf meinem Arm kam vor zwei Jahren ganz plötzlich. Ich habe mir sofort einen Tätowierer gesucht, auf der Convention in Frankfurt. Das war weit von der Heimat, drei Autostunden entfernt, aber ich wollte es einfach erleben, dieses Convention-Feeling, dort tätowiert zu werden. Nach meiner Nachtschicht – ich habe damals in einer Fabrik gejobbt – bin ich direkt los.

Das Motiv soll gegensätzlich wirken. Fröhlich mit kräftigen Farben und niedlich, aber eben ein Häschen, das sich sein Herz rausreißt. Ich kann mich damit identifizieren, mit dem Niedlichen etwas sehr Trauriges zu verbinden. Mir wurde zwar nicht das Herz herausgerissen, ich bin nicht tieftraurig und depressiv. Aber ich finde das Tattoo und die Stimmung schön. Ich möchte es auf mir haben und anderen präsentieren. Ich bin stolz, darauf angesprochen zu werden. Ich fühle mich einfach zu den schwermütigen und traurigen Motiven hingezogen, sie üben eine besondere Faszination auf mich aus. So ein Bild sagt mehr als viele Worte.

Das große Tattoo an der kompletten linken Seite hat auch keine traurige Geschichte. Gestochen hat es David von der Villa Dunkelbunt in Kassel. Ich hab ihm gesagt, dass ich zwei Orks möchte, die gerade eine Frau vergewaltigen. Sie soll sehr leidend aussehen, man soll ihr ansehen, dass es ihr Schmerzen bereitet und sie es nicht will. Die Orks sollen sehr brutal und maskulin wirken und sie mit einer Kette festhalten


Das ist mir sehr wichtig, dass sie eine Kette um den Hals hat und zurückgezogen wird, und so hab ich ihm das auch beschrieben.


Wir brauchten fünf Sitzungen, denn ich bin sehr wehleidig. Meine Mama war bei jeder Sitzung dabei und musste Händchen halten. Sie steht voll und ganz hinter mir, findet das toll und möchte jetzt auch selber ein Tattoo haben, um sich mit mir verbunden zu fühlen.


Ich werde immer gefragt, ob ich mal vergewaltigt wurde. Ob ich das damit verarbeite, aber das ist nicht so. Ich hatte eine ganz, ganz tolle Kindheit und eine ganz tolle Mama. Mir ging es eigentlich immer gut. Ich weiß nicht, warum ich mich gerade zu diesen düsteren und finsteren Motiven hingezogen fühle.


Ich komme aus einer kleinen, katholisch-spießigen Stadt. Ich wurde nie so akzeptiert, mit meinem Aussehen, mit den vielen Piercings und schwarzen Klamotten. Ich hatte auch ziemliche Probleme in meiner Ausbildung als Physiotherapeutin.


Aufgrund dessen habe ich sie abgebrochen. Das war sehr schade, aber das geht einfach nicht, so wie ich aussehe. Meine Piercings und die dunklen Augen, das wäre ja gruselig, haben die Ausbilder gesagt. Ich hätte die Piercings rausnehmen können, dann hätte ich die Ausbildung beenden können. Ich habe aber immer gedacht: ›Leckt mich doch alle am Arsch‹.

Jetzt arbeite ich Vollzeit bei Amazon. Ich bin in der Qualitätsabteilung und dafür da, die Fehler zu suchen und zu bereinigen. Ich bin heiter, vergnügt und zufrieden und voller Vorfreude, weil meine Mum mich bald wieder besucht.«

Tja, man muss nicht alles nachvollziehen können. Ich nehme Annemie trotzdem alles wörtlich ab. Denn meiner beruflichen Erfahrung nach gilt am Rand des Randes nur noch eine Regel – die von Sherlock Holmes: »I never guess. It is a shocking habit.« (»Ich rate nie. Das ist eine fürchterliche Angewohnheit.«)


Wilde Welt und coole Annemie: der Eure – Dr. Doom.



Dr. rer. medic. Mark Benecke · Diplombiologe (verliehen in Deutschland) · Öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für kriminaltechnische Sicherung, Untersuchung u. Auswertung von biologischen Spuren (IHK Köln) · Landsberg-Str. 16, 50678 Köln, Deutschland, E-Mail: forensic@benecke.com · www.benecke.com · Umsatzsteueridentifikationsnummer: ID: DE212749258 · Aufsichtsbehörde: Industrie- und Handelskammer zu Köln, Unter Sachsenhausen 10-26, 50667 Köln, Deutschland · Fallbearbeitung und Termine nur auf echtem Papier. Absprachen per E-mail sind nur vorläufige Gedanken und nicht bindend. 🗺 Dr. Mark Benecke, M. Sc., Ph.D. · Certified & Sworn In Forensic Biologist · International Forensic Research & Consulting · Postfach 250411 · 50520 Cologne · Germany · Text SMS in criminalistic emergencies (never call me): +49.171.177.1273 · Anonymous calls & suppressed numbers will never be answered. · Dies ist eine Notfall-Nummer für SMS in aktuellen, kriminalistischen Notfällen). · Rufen Sie niemals an. · If it is not an actual emergency, send an e-mail. · If it is an actual emergency, send a text message (SMS) · Never call. · Facebook Fan Site · Benecke Homepage · Instagram Fan Page · Datenschutz-Erklärung · Impressum · Archive Page · Kein Kontakt über soziale Netzwerke. · Never contact me via social networks since I never read messages & comments there.