2013 09: Der Detektiv Kriminalbiologe zweifelt an Gestaendnis
Quelle: Der Detektiv, Ausgabe September 2013, Seite 11
Kriminalbiologe zweifelt an Geständnis
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VON MARK BENECKE
„Ich will nicht klug rumscheißern, aber die heutige Sicht der damals ermittelnden PolizistInnen würde mich sehr interessieren“. cit Benecke.
Dass das Buch bei Amazon unter “Ratgeber” geführt wird, ist eine weitere bizarre Ironie dieses total vermurxten Kriminalfalles: Es ist nämlich ein Ratgeber dafür, wie eine polizeiliche Ermittlung besser nicht laufen sollte, nämlich unter Druck, der am Ende zu nichts Gutem führt
Vorweg etwas Allgemeines: Peggy war eines der ersten Kinder, deren Verschwinden den falschen Eindruck auslösten, es gäbe im deutschsprachigen Raum immer mehr Gewaltverbrechen gegen Kinder. Da es aber immer weniger Kinder gibt und die zentraleuropäische Welt auch sonst immer weniger Morde verzeichnet, stimmt das nicht.
Den „Skandal”, wie es Ina Jung und Christoph Lemmer mit Nachdruck nennen, liegt darin, dass der Mörder von Peggy mit guter Wahrscheinlichkeit beim Schreiben dieser Rezension noch frei ist, während ein geistig benachteiligter Mann dafür eine lebenslange Haftstrafe in der forensischen Psychiatrie absitzt.
Die Ermittlungen und die Gerichtsverhandlung liefen, wie das Buch unbarmherzig, polizei- und gerichtskritisch darstellt, nicht gut. Der Verurteilte ist leider ein klassisches Opfer für ein Fehlurteil, wie es sie schon seit Jahrhunderten gut dokumentiert gibt: Er erfindet gerne Geschichten, plappert manchmal auch Unsinn mit, hat wenig Einsicht und kann sich kaum wehren. Gerade die oft vorbildlich arbeitende bayrische Polizei sollte seit Räuber Kneissl, der den ganzen Staats-Apparat ungewollt vorführte, in schrägen Fällen wie dem von Peggy ein wacheres Auge haben.
Richtungsstreit in Ermittlungen gibt es immer, und Fehlurteile sind auch nichts Neues. Die Autorin und der Autor gehen darauf aber nicht ein, sondern zeigen hier (und in einem kurzen Exkurs am Fall Mollath) - merklich innerlich beteiligt - beispielhaft an einem Fall, was sie so richtig ärgert: Der Glaube vieler an den Staat, die Gerechtigkeit und „das Verfahren”, obwohl bei den Nachforschungen zu Peggys Verschwinden genügende und deutliche Hinweise darauf gab und gibt, dass beispielsweise Zeugenaussagen von der Polizei bewusst überhört wurden, wenn sie nicht in den vermuteten Ablauf passten.
Auch die Leiche, die meiner Auffassung nach auf jeden Fall hätte entdeckt werden müsste, wenn die Schilderung des Verurteilten stimmen würde, ist bis heute verschwunden. Das ist für mich als Spurenkundler eigentlich die lauteste Alarmglocke -- wie kann ein Geständnis von Gericht als wahr gelten, wenn die Leiche an keinem der Orte, an dem sie demnach liegen müsste, zu finden ist? Seit wann lösen sich Leichen in Luft auf?
Was im Buch nicht steht, und was Stoff für vermutlich noch zwei Bände zu diesem ungemütlichen Thema wäre:
Mir ist das kalte Grauen über den Rücken gezischt, während sich das Buch von einem anfangs noch sehr auf Ablauf-Fehler konzentriertes, rein journalistisches Stück zu einem aufwändig recherchierten Horrorfilm - samt möglichem wahrem Täter - entwickelt. Solange die „Gegenseite“ sich nicht zum Buch äußert, bleibt es ein Lehrstück dafür, wie leicht Menschen sich manchmal von ihren eigenen Annahmen leiten lassen - und das, obwohl es schon bei Sherlock Holmes heißt: „Never assume anything.“
Mit herzlichem Dank an Cornelia Haupt und die Redaktion für die Freigabe und die Genehmigung zur Veröffentlichung.
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