2013 02 01 Heidenheimer Neue Presse: Einblicke direkt in die Hoelle
Quelle: Heidenheimer Neue Presse, 01. Februar 2013, S. 25
Einblicke direkt in die Hölle
Kriminalbiologe Mark Benecke in Herbrechtingen über Mörder und Massenmörder und den Fall Bögerl
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[Hier gibt es den Bericht als .pdf]
Von: Manfred Allenhöfer
Das Publikum kann wählen: Im
Angebot sind etwa die Themen
"Vampir-Leichen", "Serienmord
Special", "Insekten auf Leichen"
oder "Hitlers Schädel und Zähne":
Im Herbrechtinger Bürgersaal
war der, so superlativiert der
Verlag, "bekannteste Kriminalbiologe
der Welt". Und Mark Benecke
hatte nicht nur seine Frau Lydia
dabei, eine Psychologin, die ebenfalls
in den Asservatenkammern
der Unmenschlichkeit tätig ist,
sondern eben auch eine Liste
Düsteres verheißender Themen.
Der 42-jährige Benecke ist nicht
nur ein promovierter Biologe mit
der späteren Spezialisierung auf
Begebenheiten "Aus der Dunkelkammer
des Bösen", so der Titel
seines neuesten, gemeinsam mit
seiner Frau verfassten und höchst
erfolgreichen Buchs. Sondern
wohl auch eine sehr bunte Persönlichkeit,
die in den Bürgersaal
auch eine dort noch nie gesehene
stattliche Zahl von Vertretern des
schwarzen Blocks lockte, die Benecke
auch unmittelbar ansprach,
ist er doch selber Vorsitzender des
Vereins "Pro Tattoo" (mit eigener
Verzierung u.a. an Armen und
Hals, Händen und Fingern) und
Kolumnist eines Tätowiermagazins,
außerdem als Sänger und
Musiker tätig in der Gothic-Szene.
Seine Vita weist auch eine Landesvorstandschaft
der Antipartei
"Die Partei" auf.
Folgerichtig war das Publikum
buntest gemischt: Vom Arzt über
Musikpädagogin bis zum Punk
waren vermeintlich recht heterogene
Gruppierungen vertreten und
alle dürften auf ihre Kosten
gekommen sein.
Denn Benecke mag ein Mensch
sein, der sich privat nicht allzu
ernst nimmt (mit dabei hatte der bekennende Vegetarier sein Kaninchen
"Hermine" und zwei riesige
Fauchschaben, die er spontan
"Herbrechtingen" und "Ulrn"
taufte) - als Wissenschaftler ist er
von ausgesprochen konsequenter
Ernsthaftigkeit. Dem aber bei der
Lösung von oberkniffligen kriminalistischen
Fällen seine Unkonventionalität
im Denken sehr zugute
kommen mag.
Was er so macht, belegte er
gleich, vortragspädagogisch ausgesprochen
geschickt, mit einigen
auch fotografisch dokumentierten
Beispielen, die Herbrechtinger
Beobachtungen integrierten.
Graffitis etwa, die er in originelle
Kontexte setzte. Oder Fotos
einer Bahnhofsunterführung, bei
der er am Treppenrand viele Spuren
von "Kot, Sperma, Speichel,
Haaren" liegen sah: "Da könnte
ich zwei Wochen lang sitzen bleiben
und untersuchen".
Er sei ein "Spurenkundler", der
mit Begeisterung sortiere und untersuche:
"Statt zu joggen, analysiere
ich lieber den Müll". Oder er
verweist auf "Fans in Dresden, die
haben ein Jahr lang ihre Nabelpopel
gesammelt", da klamüsere er
wochenlang Fasern auseinander:
"Das ist Spurenkunde", die er
weltweit praktiziert und lehrt und
in seinen Büchern bestsellerträchtig
vermarktet. Auch Mageninhalte
analysiere er gerne.
"Der gesunde Menschenverstand
spielt in meiner Branche
keine Rolle", meinte der eingefleischte
Naturwissenschaftler,
der das Denken in eingefahrenen
Schienen erfolgreich verweigert:
"Glauben ist schlecht, Wissen ist
besser" - man müsse "prüfen und
untersuchen". Falsche Grundannahmen
blockierten häufig kriminalistische
Verfahren. Man glaubt
ihm gerne, dass er da nachhaltig
für viel frischen Wind sorgen
kann.
Benecke wühlt also mit Leidenschaft
in vermeintlichem Dreck, Auswurf und Abfall. Und er klinkt
sich erfolgreich ein, weltweit, in
unglaublich abseitige Kriminalfälle.
Kurz berichtete er von einem
psychopathischen Kinderkiller in
Kolumbien, dem vorgeworfen
wurde, 72 Kinder zu Tode gefoltert
zu haben - vor den Augen
weiterer Opfer, die er sich später
vorknöpfte. Dank Benecke konnte
nachgewiesen werden, dass der
"böse sadistische Gravito" sogar
300 unvorstellbar grausige Kindstötungen auf seinem Gewissen hatte, das er nicht ansatzweise
wirklich besaß.
Bei diesen Schilderungen seines
beruflichen Tuns zeigte er
auch das Foto eines halbverwesten
grünen Schädels aus dem
Dschungel, so wie seine Frau
Lydia nach der Pause des insgesamt
dreistündigen Vortrags auch
ein Bild von zwei in ihrem Blut
liegenden US-Jugendlichen zeigte,
die von ihrem eigenen Vater
erschossen worden waren.
Unvorstellbare Grauslichkeiten
bekam das Herbrechtinger Publikum da präsentiert, zuvörderst in
Worten, aber auch in Bildern. Billiger
Voyeurismus aber wurde damit
nicht bedient, weil sowohl der
Kriminalbiologe wie die Vollzugspsychologin,
bei aller Schrägheit
im Auftreten, ihr ernsthaftes wissenschaftliches
wie aufklärerisches
und durchaus auch präventives
Tun glaubhaft zu vermitteln
wussten.
Übrigens wurde Benecke in der
Pause auch zum Fall Bögerl befragt.
Er wolle, sagte er hemach,
sich da nicht einmischen - "aber
ich glaube schon, dass da noch
was kommt". Das müsse aber
nicht schnell gehen.
Sowohl der Rheinländer wie
seine aus Polen stammende Frau
(die nach der Pause über den psychologischen
"Baukasten des Bösen"
referierte) wussten, in galoppierendem
Redefluss, kaum fassbare
Belege für die Unmenschlichkeit
von Menschen zu berichten,
die in ihrem Alltagswesen oft
unauffällig, ja sympathisch agierten und sich ihre Untaten meistmit unglaublichen psychischen
Konstrukten gutredeten: Jeder
Mensch halte sich selber schließlich
für einen Guten - Mörder
eben häufig auch. "Unauffällig"
sei ihr Dasein, ihr verbrecherisches
Tun scheinbar "nicht lebensnah"
- aber eben doch
höchst fatal für ihre Opfer.
Die Beneckes warfen einige
Schlaglichter "direkt in die Hölle".
Unterhaltsam war das schon für
ein Publikum, das öfters mal auch
lauthals zu lachen hatte. Weil die
Berührungspunkte mit dem
Grauen eben auch durchaus gothic-
mäßig showaffin und jedenfalls
sehr professionell heruntergezoomt
wurden: In der Pause
konnte man sich mit zwei riesigen
"Fauchschaben" fotografieren lassen.
Und zum Abschied wurden
im Publikum noch einige bunte
"Antigrusel-Knicklichter" verteilt.
Die beiden Mordsarbeiter präsentierten ihre gottlob ausgesprochen
randständige Profession
überaus öffentlichkeitswirksam.
Auf einen Blick: Dr. Mark Benecke über sich
"„Ich kann kein Fußball spielen, habe keinen Führerschein und habe auch noch nie einen Fernseher besessen. Und ich kann keine Computerspiele – aber ich war auch mal Messdiener.“
Zudem ist der 42-jährige Kölner seit Oktober 2010 Vorsitzender von „Die Partei“ in Nordrhein-Westfalen. Dazu wurde er mit 100 Prozent der Stimmen gewählt – mehr als der damalige DDR-Chef Erich Honecker je bekam. Seine Partei, die ihn als Bundespräsidenten vorgeschlagen hat, steht unter anderem „für Solidarität ja, aber richtig: Die Partei setzt sich seit 2004 für die ruinierten westdeutschen Randgebiete ein. Wiederaufbau nach ostdeutschem Vorbild. Mit Spaßbädern! Nach Ost kommt West“. Spaß beiseite: Das Anliegen von Dr. Mark und Lydia Benecke ist ernst – mit ihrer forensischen Arbeit wollen sie die Abgründe erkunden, um Straftaten zu verhindern. Sie erforschen das Böse, um es erfolgreich bekämpfen zu können. Das ist ihnen gelungen – mit wissenschaftlicher wie auch unorthodoxer Vorgehensweise.
Was Abby Sciuto und Leroy Jethro Gibbs in der amerikanischen Krimi-Serie „Navy CIS“ verkörpern – das ist Dr. Mark Benecke in einer Person. Und er ist es im wahren Leben. Der berühmteste Forensiker der Welt – ein Kölner Jung mit Rosenheimer Wurzeln – zog am Montagabend bis kurz vor Mitternacht die Zuschauer in seinen Bann. „Der Herr der Maden“, wie der Krimminalbiologe auch genannt wird, wurde als eines der jüngsten Mitglieder in die Linnean Society of London aufgenommen, ist gefragter Gastdozent an der FBI-Academy in Quantico und durch zahlreiche, weltweit ausgestrahlte Fernsehsendungen bekannt. Der Kriminalbiologe, der ebenso die Psyche der Täter mikroskopisch genau betrachtet, hatte seine Frau Lydia mitgebracht. Auch die nur 1,58 Meter kleine Diplom-Psychologin ist eine ganz Große in ihrem Fach. Außerdem schreibt sie eine psychologische Kolumne für Deutschlands bedeutendste BDSM-Zeitschrift. Das teilweise sehr weit angereiste und äußerst geneigte Publikum bekam in Salzwedel keinen reißerischen Krimi geboten, sondern Fakten, Fakten, Fakten – Forensik und Psychologie für Fortgeschrittene.
Der Herr der Maden kam direkt aus der Dunkelkammer des Bösen ins Salzwedeler Kulturhaus. Montagabend hielt der Forensiker Dipl.-Biol. Dr. rer. medic., M.Sc., Ph.D. Mark Benecke einen Vortrag für Fortgeschrittene. Der berühmteste Kriminalbiologe der Welt – er untersuchte unter anderem Adolf Hitlers mutmaßliche Schädeldecke und Gebiss sowie den Fall des kolumbianischen Serienmörders und Vergewaltigers Luis Alfredo Garavito Cubillos – blickte hinter die Fassade von Massenmördern, Vergewaltigern und Kinderschändern. Benecke hatte an diesem Abend seine Frau und Mitautorin an seiner Seite.
Die Psychologin Lydia Benecke – Diplomarbeit über Persönlichkeitseigenschaften von Sadomasochisten – packte dann ihren „Baukasten des Bösen“ aus, anhand dessen sie Gewaltstraftaten psychologisch auf den Grund geht. Sie machte deutlich, dass Straftäter wie der Kinderschänder Marc Dutroux eben nicht auf den ersten Blick als „Monster“ erkennbar sind, sondern eher die lieben netten Nachbarn von nebenan. So fühle sie sich auf einem Gothic-Treffen wesentlich sicherer als unter „normalen Menschen“, machte Lydia Benecke deutlich.
Massenmörder seien nicht auffällig, sonst könnten sie nicht unerkannt ihren Taten nachgehen, stellte auch ihr Mann klar. Und die Brücke zur zur Gothic-Szene kam nicht von ungefähr: Mark Benecke spielte nicht nur in einer Punk-Band und Theater, er ist auch ständiger Gast der Wave-Gotik-Treffen in Leipzig, hat die beiden jüngsten Festivals sogar als DJ eröffnet. Auch seine Frau Lydia hat sich mit Büchern „Vampire unter uns“ auf anderen Gebieten einen Namen gemacht.
Anhand konkreter Fallbei- spiele nahmen die Beneckes Montag in Salzwedel die Zuschauer im voll besetzten Kulturhaussaal mit auf eine Reise der jüngeren Kriminalgeschichte. Ihr Anliegen: Den Blick der Menschen für Details schärfen. Wenn ein Achtjähriger einem Klassenkameraden auf dem Schulhof ein Messer an den Hals setzt, um fünf Euro zu bekommen, dann sieht Benecke das nur als Beginn an, aus dem eine kriminelle Karriere werden kann. „Wenn Sie so etwas mitbekommen, gehen Sie hin, reden Sie mit den Eltern“, so der Rat des Experten.
Viele Straftaten von so genannten Monstern hätten nach Beneckes Auffassung verhindert werden können, wenn man ihnen zugehört und sie nicht von Anfang an nur als krank abgetan hätte. Sicherlich seien sie krank, nur müssen sich die Ermittler wertungsfrei deren Gedanken- und Gefühlswelt nachvollziehen können, um weitere Straftaten zu verhindern. Beide Beneckes untermauerten das an zahlreichen bekannten Fällen aus der Kriminalgeschichte, an denen sie mitgearbeitet hatten.
Mark Beneckes Spezialgebiet sind dabei die kleinsten Details. Und die Ermittlungen des Sherlock Holmes der Neuzeit begannen schon als er aus dem Zug stieg auf dem Salzwedeler Bahnhof. Er analysierte das Umfeld des Bahnhofshotels und fand Häufchen, die für ihn kriminalistisch interessant waren. Auch ein Spinnenkörper im Kulturhaus weckte seine Aufmerksamkeit: „Das Tier ist da rausgekrochen und läuft hier irgendwo rum.“ Die Lacher im Publikum waren männlich – leichtes Erschauern bei den Frauen.
Trotz des ernsten Themas entpuppte sich der weltweit geschätzte Forensiker als ein Maitre de Plaisir. Seine Haustiere – Fauchschaben zum Anfassen und Streicheln – waren dabei ein Muss. Und er nannte den Erfolg seines Vorgehens: kindlicher Forscherdrang. „Ich mag Physik und Chemie. Ich war der, den Sie in der Schule nicht leiden konnten“, bekannte Benecke. Er hat sich das Kindliche bewahrt. Kein Wunder, dass er auch Bücher wie „Das knallt dem Frosch die Locken weg“, geschrieben hat, die man den Nachbarskindern schenken sollte, wenn man sie nicht leiden kann. Das jedenfalls rät der Autor mit einem fiesen Grinsen. Denn das Werk strotzt von Anleitungen für lustige Experimente, mit denen der Nachwuchs seine Erzeuger zur Weißglut bringen kann.
Mit herzlichem Dank für die Freigabe und Genehmigung zur Veröffentlichung an die Rechte-Inhaber.