2013-03-11 Laborpraxis: Forensik lässt Insekten reden
Quelle: laborpraxis.de vom 11. März 2013
Forensik lässt Insekten reden
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Von Janika Wiesner
In der Forensik werden viele Fragen gestellt: Wie lange hat die Leiche im Freien gelegen? Starb die Person drinnen oder draußen? Was erzählt das Muster der Blutspritzer über den Ablauf eines Gewaltverbrechens? Um die Antworten zu geben, müssen Kriminalbiologen wie Dr. Mark Benecke ganz genau hinsehen.
Viele kennen Deutschlands bekanntesten Kriminalbiologen Dr. Mark Benecke aus Köln von Fernsehdokumentationen, in denen die Aufklärung von Kriminalfällen dargestellt wird. Auch Adolf Hitlers mutmaßlichen Schädel untersuchte er schon vor laufenden Kameras. Benecke ist gern gesehener Gast in Talkshows zu Themen wie kriminalistische Spurenauswertung, Mord oder menschliche Abgründe im Allgemeinen. Der Sachverständige hält Vorträge, schreibt Bücher und unterrichtet Studenten. Er genießt auch international hohes Ansehen. Mit dem, was Krimiserien im Fernsehen zeigen, hat Mark Beneckes Berufsalltag allerdings wenig gemeinsam.
Mit Lupe und Tatortlampe
Die Unterschiede beginnen schon damit, dass Benecke niemals wie die Fernsehermittler im teuren italienischen Designeranzug am Tatort erscheint. Er bevorzugt einfach zu waschende Kleidung, die auch mal richtig schmutzig werden kann. Seine wichtigsten Utensilien sind zunächst eine leistungsstarke LED-Tatortlampe und eine Lupe mit zehnfacher Vergrößerung, womit er beispielsweise die Spuren auf und in der Umgebung einer Leiche inspiziert. „Schon bei der Betrachtung mit der Tatortlampe arbeite ich – wie später unter Einsatz des Stereomikroskops – auch mit Schräglicht“, erläutert der Kriminalbiologe. „Leider gibt es nur wenige LED-Lampen, die ein gleichmäßig ausgeleuchtetes Feld ermöglichen, was für meine Arbeit aber unverzichtbar ist.“ Das Entwicklungsstadium der Maden, die sich im Laufe des Verwesungsprozesses auf einem toten Körper entwickeln, kann Hinweise darauf geben, wie lange er bereits an dieser Stelle gelegen hat. Sind auf einer draußen entdeckten Leiche zum Beispiel Stubenfliegenlarven vorhanden, könnte der Fundort nicht der Tatort sein. Die Person könnte in einem geschlossenen Raum zu Tode gekommen sein. Schon am Tatort kann Dr. Benecke mit dem tragbaren Leica DM1000 LED die gefundenen Spuren bei bis zu 500-facher Vergrößerung untersuchen. „Das portable Mikroskop ist für meine Arbeitsweise ideal, weil ich es unterwegs benutzen kann. Ich bin begeistert, wie hell die LED-Beleuchtung ist“, berichtet der Kriminalbiologe.
Entwicklungsstadien von Maden geben wichtige Aufschlüsse
Ist seine Untersuchung am Tatort abgeschlossen, nimmt Benecke die dort genommenen Proben mit ins Labor. Mit dem Stereomikroskop Leica MZ12 untersucht er beispielsweise die Maden, die er auf der Leiche gefunden hat. Anhand der Mundwerkzeuge kann er die Schmeißfliegenart bestimmen, zu der die Maden gehören. Die Größe und das Entwicklungsstadium der Maden lassen dann darauf schließen, wie lange der tote Körper am Fundort gelegen haben muss. „Für meine Arbeit müssen die Geräte extrem robust sein“, erklärt Benecke. „Das Leica MZ12 ist sehr stabil und hat einen soliden Feintrieb. Meine Kollegin und ich arbeiten oft mit relativ geringen Vergrößerungen. Hier sind ein großes Sehfeld und großer Arbeitsabstand wichtig. Zudem muss das Stereomikroskop sofort einsatzbereit sein. Wenn wir beispielsweise verfaulenden Mageninhalt untersuchen wollen, dürfen wir keine Zeit verlieren. Alle diese Voraussetzungen erfüllt das Leica MZ12.“ Auch unter dem Stereomikroskop setzt der Kriminalbiologe hauptsächlich Schräglicht ein. Mit dem Stereomikroskop untersucht der Kriminalbiologe auch winzige Teile von Insekten, die auf den am toten Körper angebrachten Klebebändern zur Sicherung von Faserspuren zurück geblieben sind. Benecke und seine Mitarbeiterin Kristina Baumjohann mustern unter dem Mikroskop große Mengen an Rückständen durch, die mit bloßem Auge nicht von Schmutzpartikeln zu unterscheiden sind, und suchen nach Insektenfragmenten. Sind zum Beispiel Bruchstücke von Stubenfliegen zu finden, deutet das auch in diesem Fall darauf hin, dass die Person in einem geschlossenen Raum zu Tode kam.
Anders als die meisten Ermittler in Fernsehkrimis ist Benecke kein Polizeibeamter, sondern öffentlich bestellter und vereidigter Gutachter, den jeder beauftragen kann. Ihm persönlich ist es am liebsten, wenn seine Auftraggeber möglichst wenig Vorannahmen machen: „Ich werde zum Beispiel auch von den Eltern eines Opfers hinzugerufen“, erzählt Benecke. „Das sind dann Fälle, wo die Angehörigen einen Riecher dafür haben, dass irgendetwas faul ist. Sie sagen nicht, wie die ermittelnden Kommissare: „Der bekommt ja auch die Lebensversicherung“ oder „der hat ja dem die Freundin ausgespannt.“ Meine Auftraggeber wissen das oft alles nicht und sagen einfach: „Da ist ein roter Fleck, warum kümmert sich keiner um den?“ Im Auftrag von Staatsanwaltschaft oder Verteidigung erstellt der Kriminalbiologe dann ein Gutachten. Das erläutert er mithilfe von zahlreichen Fotos, was er aus den entsprechenden Spuren lesen kann.
Kriminalbiologe zeigt Ermittlungslücken auf
Eines hat Mark Benecke mit den Fernsehermittlern gemeinsam: Er ist in Notfällen rund um die Uhr erreichbar. Auf seiner Notfallnummer ruft auch schon mal ein Krimiautor an, der ihn fragt, ob man Leichen in Salzsäure auflösen kann. „Das ist natürlich kein Notfall“, erzählt der Kriminalbiologe. „Durch meine jahrzehntelange Erfahrung werde ich oft hinzugezogen, wenn die Ermittler nicht mehr weiterkommen oder um festzustellen, welche Spuren von den ermittelnden Beamten gar nicht erst genommen wurden. Ich soll prüfen: Wo könnte der Fehler liegen? Welche Spuren wurden nicht untersucht? Das passiert nicht aus Bösartigkeit, sondern weil die Beteiligten relevante Details nicht bemerkt haben oder dachten, sie spielen keine Rolle.“
In einem Fall wurde Mark Benecke, sechs Jahre nachdem die Täterin wegen Mordes an ihrer Mutter verurteilt worden war, zu den wieder aufgenommen Ermittlungen an den Tatort bestellt. Die Verurteilung gründete seinerzeit darauf, dass sich auf dem Tatmesser Blutspuren vom Opfer befanden – Fingerabdrücke fehlten allerdings. „Am Tatort haben meine damalige Mitarbeiterin und ich dann versucht, uns wie die Täterin zu bewegen, ohne zu wissen, was deren Motivation war“, erzählt der Kriminalbiologe. „Wir haben überlegt: Wo lag die Leiche? Wie weit reichen die Arme? Wo stößt man an? Wir sind dann durch den Tatort gelaufen und kamen schließlich zu einer Schublade, darin lag ein Handschuh mit Blut von der Täterin. Damit konnten wir nachweisen, dass die Begründung des Urteils aufgrund der fehlerhaften spurenkundlichen Annahme falsch war.“
Mehrere Spuren lösen den Fall
In Fernsehkrimis bringt oft die eine, entscheidende Spur den Fall zur Aufklärung. Auch das entspricht nicht den Tatsachen im Berufsalltag von Mark Benecke: „Ich versuche schon meinen Studenten zu vermitteln, dass es in der Forensik eben nicht diese CSI-Magie gibt, wo am Ende ein Untersuchungsgerät ein Ergebnis ausspuckt, das dann den Fall löst“, erzählt der Kriminalbiologe.
„Wir arbeiten teilweise mit solch geringen Spurenmengen, dass sie an der Grenze dessen sind, was man selbst mit dem Mikroskop sehen kann. Ich war in Fällen von mutmaßlichen Sexualdelikten tätig, wo ich keine Spermien sehen konnte, auf dem Ausstrich war aber genügend Material für eine DNA-Analyse vorhanden. Ein weiteres Beispiel ist der Todesfall einer Frau, in dem Benecke die Rekonstruktion der Blutspuren durchführte. Die Dame war nach einem Streit mit ihrem Partner eine Runde um den Block gelaufen und lag anschließend erschlagen vor der Haustür.
„Ob in dem Fall der Partner oder ein Fremder der Täter war, konnte ich nicht beurteilen. Ich habe dem Gericht lediglich dargelegt, in welchem Muster und in welche Richtung das Blut gespritzt ist“, erläutert Benecke. „Die weiteren Schlüsse musste dann der Richter ziehen.“
Verbrechensrate rückläufig
Der Kriminalbiologe beschäftigt sich neben den wissenschaftlichen Untersuchungen auch mit den psychologischen Hintergründen von Verbrechen. Die Benutzung von Kategorien wie „das Böse“ lehnt er strikt ab. „Das Böse konstruieren sich die Menschen selbst“, erklärt Benecke. „Wenn sich alle Leute vernünftig benehmen würden, also einfach mal miteinander reden, würde das schon viel ändern. Im Prinzip ist die Verbrechensrate in Deutschland rückläufig, das ist den meisten gar nicht bewusst.“
Ein anderes Thema seien Psychopathen wie der norwegische Attentäter Anders Behring Breivik, der bei seinem Amoklauf 77 Opfern das Leben nahm, sagt der Kriminalwissenschaftler. „Solche Menschen werden immer Verbrechen begehen. Aus Spurensicht sind Fälle wie dieser aber langweilig. Hier sind die Taten so offensichtlich, dass die Spuren völlig egal sind.“
Mit herzlichem Dank an Anja Schué und die Redaktion für die Freigabe und die Genehmigung zur Veröffentlichung.
Das Interview als .pdf gibt es HIER