2012 07: Welt der Wunder Magazin - In der Dunkelkammer des Bösen
Quelle: Welt der Wunder Magazin 07/2012, Seiten 88 bis 91.
In der Dunkelkammer des Bösen
Was verraten Leichen über ihren Tod?
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VON HANNES WELLMANN
Wo die meisten Menschen sich vor Ekel abwenden, sieht Mark Benecke genauer hin. Im Interview mit Welt der Wunder erklärt der Kriminalbiologe, was Leichen über ihren Tod verraten …
Welt der Wunder: Herr Benecke, gibt es den perfekten Mord?
MB: Jeder Mord, der nicht aufgeklärt wird, ist – zumindest aus Tätersicht – perfekt. In diesen seltenen Fällen (Anm. d. Red: In Deutschland werden statistisch gesehen 95 Prozent aller Morde aufgeklärt) liegt der „Erfolg“ jedoch nicht an der Schläue der Mörder, sondern daran, dass die Spurensucher etwas übersehen.
Welt der Wunder: Hinterlässt denn jeder Täter Spuren?
MB: Es gibt keinen spurlosen Tatort. Mikroskopisch kleine Faserspuren, die Herkunft der Haare auf der Bluse, die Art der Hautpartikel unter den Fingernägeln des Opfers – ein Mord hinterlässt immer unzählige Spuren – egal wie vorsichtig der Täter ist.
Welt der Wunder: Woran liegt das?
MB: Das liegt vor allem daran, dass es keinen Kontakt zwischen zwei Menschen, aber auch kein Geschehen geben kann, ohne dass die Beteiligten Spuren hinterlassen, und wenn es nur winzige DNA-Spuren sind. Das wurde auch schon 1910 in der Locard’schen Regel zusammengefasst, bennannt nach dem französischen Kriminaltechniker Edmond Locard.
Welt der Wunder: Aber wenn es keinen direkten Kontakt gab? Zum Beispiel bei einem Kopfschuss?
MB: Auch dann kann uns eine Leiche noch einiges über den Täter erzählen. Zieht sich der Einschusswinkel eher von unten nach oben durch den Körper, verrät dies zum Beispiel, dass der Täter vielleicht kleiner war oder merkwürdig stand. Extrem hohe Einschusswinkel von oben nach unten können auf eine Hinrichtung hindeuten. Im Geschoss selbst stecken natürlich auch tonnenweise Informationen.
Welt der Wunder: Und wenn es keine Einschusswinkel gibt und das Opfer von Messerstichen perforiert ist?
MB: Auch Messermorde können ohne DNA-Spuren etwas über den Täter verraten. Hat das Opfer beispielweise mehr Messerstiche als zum Herbeiführen des Todes notwendig waren, handelt es sich oft um eine Beziehungstat oder eine wahnsinnige Person. Wir nennen das „Übertöten“. Damit hat man eine psychologische Spur zum Täter oder der Täterin. Bei Übertötungs-Tatorten mit Messern finden sich wegen der großen Nähe der Beteiligten meist sehr viele forensisch verwertbare Spuren.
Welt der Wunder: Warum?
MB: Erstens sind Übertötungen meist sehr emotional. Und Emotionen führen zu Fehlern: In Wut und Rage handeln Täter und Täterinnen ungeplanter als sonst. Zweitens verursachen viele Messerstiche viele Blutspuren. Jeder Blutspritzer kann etwas über den Tat-Ablauf verraten: Blut kann aus einer Wunde laufen, tröpfeln oder durch den ganzen Raum spritzen. Aus den Formen, etwa wie Kronkorken, Schweife oder Ausrufezeichen, entstehen übergeordnete Muster. Je feiner etwa ein Sprühmuster ist, desto größer waren Druck und Geschwindigkeit, als das Blut austrat und auf eine Fläche traf. Wird eine Arterie beispielsweise nur angestochen, verbreitet sich das Blut wie ein Sprühnebel.
Welt der Wunder: Angenommen, es gibt weder Blutspuren noch Einschusswinkel oder sonstige Spuren des Täters?
MB: Es finden sich immer Hinweise, aber sie sind nicht immer leicht wahrzunehmen. Selbst an einer stark verwesten Leiche im Wald finden sich noch massenhaft Spuren, auch ohne jede Stich- oder Schusswunde, ohne Kampfspuren und ohne DNA-Spur des Täters oder der Täterin.
Welt der Wunder: Das müssen Sie erklären …
MB: Ich vertraue unter anderem auf die Hilfe hunderttausender "Kollegen", die oft lange vor uns allen am Tatort sind: Insekten. Sie besiedeln praktisch jeden Lebensraum und sind oft auch die Ersten am Tatort – und sie lügen nie. Schon 15 Minuten nach dem Ablegen einer Leiche im Freien können Schmeißfliegen mit der Eiablage beginnen, wenn das Wetter gut ist. Mittels der Entwicklungsstadien der Larven lässt sich so der Todeszeitpunkt berechnen. Je nachdem, welche Arten von Käfern, Maden oder Fliegen wir auf dem Opfer oder in der Umgebung finden, ziehen wir unsere Schlüsse.
Welt der Wunder: Wie sieht diese Arbeit genau aus?
MB: „Insektenlesen“ ist eine echte Kniffelei. Man muss wissen, welche Fliegenart bei welcher Temperatur schlüpft, welche Käfer wo vorkommen und wie sich Maden verhalten. Erst dann werden aus den stummen Leichenbesetzern hilfreiche Zeugen.
Welt der Wunder: Wie sollen sich Maden schon verhalten? Sie fressen, oder?
MB: Genau. Aber wo und warum? In einem Fall behauptete beispielsweise ein Mann, er habe eine Leiche gefunden, diese dann entsorgen wollen, zerstückelt und im Wald beseitigt. Es bestand jedoch darauf, dass sie körperlich vollkommen unversehrt war, als er sie fand. Tatsächlich gab es keine objektiven Hinweise für eine Gewaltanwandung vor dem Tod. Bis ich die Handgelenke der Leiche untersuchte. Sie waren von Maden zerfressen. Nun sind Handgelenke aber letzte Ort, an dem Maden an unverletzten Leichen zu finden sind. Sie suchen sich lieber weiche Körperbereiche wie Augen, Nase und Mund. Das bedeutete hier: An den Gelenken der Leiche müssen von Anfang an Wunden gewesen sein – und das ist meist der Fall, wenn jemand gefesselt war oder sich gewehrt hat und dabei verletzt wurde. Die Aussage des befragten Mannes war also nicht mehr glaubwürdig.
Welt der Wunder: Klingt so, als müsse man eine Leiche schon verbrennen, um wirklich alle Spuren zu verwischen?
MB: Selbst dann können Insekten eine Leiche noch zum Reden bringen: In den USA fand ein Kollege in einem ausgebrannten Autowrack eine Leiche. Alles sprach für einen Verkehrsunfall – bis bei der Obduktion im Schädel des Opfers verkochte Maden gefunden wurden. Das bedeutete in diesem Fall: Die Leiche hatte länger gelegen, bevor sie angezündet worden war. Durch den Madenfund und die folgenden Ermittlungen kam heraus, dass der Mann 18 Tage vor der Entdeckung erstochen worden war.
Welt der Wunder: Gibt es eigentlich irgendetwas, wovor sie sich ekeln?
MB: Ja, vor Wurst. Das sind für mich nichts anderes als Leichenteile. Und auch wenn ich sie untersuche: Leichenteile zu essen, kommt für mich nicht in Frage.
Mit herzlichem Dank an Hannes Wellmann für die Freigabe und die Genehmigung zur Veröffentlichung.
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