2012-11 Kreuzer: Mit Blut haben wir Erfahrung
Quelle: Kreuzer, 11/2012, Seiten 24 bis 26
die photo credits stimmen NICHT => die fotos auf seite zwei sind von benecke.com
Mit Blut haben wir Erfahrung
Der Kriminalbiologe Mark Benecke über gelangweilte Tintenfische, die Wahrheit von Sherlock Holmes
und warum wir sterben müssen, um Sex zu haben
INTERVIEW: TOBIAS PRÜFER, JULIANE STREICH
[Weitere Interview mit MB] [Das Interview als .pdf]
Schon die Terminabsprache mit Mark Benecke
ist eine einzige Freude. In seinen
E-Mails mischt der tätowierteste aller Wissenschaftler
Beamtendeutsch mit Berliner Dialekt
und englischen Einspritzern. Er erklärt,
dass er in der nächsten Zeit NUR noch unterwegs
sein wird und dass wir doch bitte schon
mal aus Interviews klauen sollen, die er anderen
Menschen gegeben hat, bevor er mit
»liebst vom bf reichenbach/vogtland marky
markkkkkkk« unterschreibt. Wir klauen
natürlich nichts, sondern rufen ihn an, damit
er mit uns über Insekten, den Tod und romantische
Treffen auf der Parkbank spricht.
kreuzer: Die Zukunft der Ernährung sehen viele
in der Ressource Insekten, Maden und Würmer.
Fürchten Sie um Ihre Lieblinge?
MARK BENECKE: Nein, überhaupt nicht. Das
wird ja schon länger diskutiert. Aber ich glaube
nicht, dass das in der heutigen Zivilisation
durchsetzbar ist: Die Leute ekeln sich doch
immer mehr – vor sich selbst und vor allem
anderen auch. Komischerweise ist es so, dass
die Leute Hummer und Krabben essen, also
Gliedertiere. Krebse? Kein Problem, aber Insekten
und Spinnen? Das ist nicht durchsetzbar.
kreuzer: Man müsste Wirbellose als Frutti di terra
anpreisen?
BENECKE: Genau. (lacht) Aber so was gab es ja
alles schon, sogar in einem prima Restaurant
in Berlin. Das ist aber einfach eine obskure
Sache geblieben, egal, wie appetitlich man die
Insekten zubereitet hat.
kreuzer: Sie selbst sind Vegetarier. Wird man das
automatisch, wenn man sich wie Sie ständig mit
Leichen beschäftigt?
BENECKE: Nicht automatisch. Anders als
Rechtsmediziner kommen wir Spurenkundler
aber detaillierter in Kontakt mit den Überbleibseln
der Gewalt. Wir sehen auch nicht nur
die rein körperliche oder soziale Einwirkung,
wie es Polizisten tun. Je länger du aber Blutspuren an der Wand anschaust, umso klarer
werden dir alle fiesen Abläufe, nicht nur die
Wunden an sich. Ich kann vielleicht deshalb
nicht mehr wie ein anderer Mensch sagen: »Ja,
das ist eine Scheibe Schinken, scheiß drauf,
schmeckt doch!« Ich sehe halt, dass es das gleiche
Leichengewebe ist, wovor sich sonst alle
ekeln, auch dass es genauso aussieht und
riecht. Wir haben ja auch mit mumifizierten
Leichen zu tun und Schinken ist nichts
anderes als Mumiengewebe: ein Scheibchen
vertrocknetes Leichenbein, von einem Rind
oder Schwein. Irgendwie kann ich das nicht
mehr richtig ausblenden.
kreuzer: Haben Sie sich aus wissenschaftlichem
Interesse auf diese Art der Forensik spezialisiert
oder eine Marktlücke gewittert?
BENECKE: Ich bin ja eigentlich Biologe und
mag wirbellose Tiere: Früher habe ich mit
Blutegeln und Tintenfischen gearbeitet. Tintenfische
sind sehr individuell. Da sie die Haut
verfärben, sieht man, ob es denen gut geht
oder nicht. Die können Leute erkennen, die
können eifersüchtig sein, gelangweilt. Irgendwann
wollte ich in der Rechtsmedizin lernen,
wie man genetische Fingerabdrücke anfertigt.
Und die einzigen wirbellosen Tiere, die es da
gab, waren Insekten.
kreuzer: Was macht denn ein Tintenfisch, wenn
ihm langweilig ist?
BENECKE: Bei Lernexperimenten spielt man ja
mit ihnen. Die raffen das Experiment aber
natürlich nicht als solches, sondern denken:
»Oh wie schön, da spielt einer mit mir.« Wenn
du am Schreibtisch sitzt, setzen sie sich dann
beispielsweise an die Scheibe, genau da, wo du
sitzt, und gucken dir zu. Tintenfische können
sehr gut sehen. Deswegen können die auch
Leute erkennen. Wenn man beispielsweise mit
Bart reinkommt und eine Woche hat keiner
einen Bart gehabt, dann gehen sie teils in die
Ecke des Aquariums und haben Angst. Und
wenn man sie mal länger gar nicht beschäftigt,
machen sie Quatsch: Erst spritzen sie mit
Wasser und dann mit Tinte, wie kleine Kinder,
das ist echt eine Sauerei. Sie machen einfach
irgendwas, sodass du dich darum kümmern
musst.
kreuzer: Sie bilden auch Polizisten aus – worin?
BENECKE: Meistens Blutspuranalysen. Wie
man die Auftreffwinkel von Blutspuren
berechnet etwa. Vieles lernen die Polizisten
am Tatort und durch Erfahrung, da lerne ich
dann auch was von ihnen. Die Ermittler selbst
kennen sich meistens eher mit Telefonüberwachung
und technischen Maßnahmen aus, die
Spurenkundler oft sehr gut mit Fingerabdrücken.
Ich bin also nicht der Schlaueste bei solchen
Kursen. Aber Insekten auf Leichen und
Blutspuren, das sind ganz unterrepräsentierte
Themen, die noch dazu Spaß machen und vor
Gericht sehr nützlich sein können.
kreuzer: Führt dieser biomedizinische Komplex
bei Ermittlungen nicht auch zu Fehlern? Man kann
zwar Spuren zuordnen, aber wie die entsprechende
Hautschuppe dorthin gekommen ist, ist eine
andere Frage, oder?
BENECKE: Jau, auch dazu muss ich vor Gericht
Stellung nehmen. Sekundärübertragungen
nennt man das: Einer hat dem anderen eine Zeitung
gegeben, der gibt die weiter, und wenn der
dann tot ist, ist die Spur vom Ersten dran, den
der Dritte gar nicht kannte. Genau darüber
schreibe ich Gutachten. Wir ergänzen das in der
naturwissenschaftlichen Kriminalistik durch
experimentelle Serien. Ich bin einer der ganz
wenigen Sachverständigen, die solche Fragen
lieben – je komplizierter, desto schöner.
kreuzer: Warum gibt es eigentlich so wenige?
BENECKE: Es ist ein unheimlich komplizierter
Job. Mit hochbegabten Kindern mache ich
manchmal solche Trainings, die können das
verblüffenderweise ganz ohne Probleme: Fälle
durch Querdenken, verschiedene Techniken
und Experimentieren fundiert und gerichtlich
nachvollziehbar lösen. Das ist traumhaft.
Aber für normale Leute ist dieses verwurschtelte
Denken, das zu einer supereinfachen
Lösung führen muss, oft ätzend. Es ist anstrengend,
nervend und man kriegt wenig Geld
dafür. Man muss viele verschiedene Techniken
lernen. Man arbeitet sich tot und die
Arbeitszeiten sind megascheiße. Das ist eine
Kombination, die kaum jemandem Spaß
macht. Da sagen die meisten Leute: »Ich will
auch mal ein Bier trinken oder zum Geburtstag
meiner Tochter gehen.«
kreuzer: Sind Sie so umtriebig, weil Sie Kohle
brauchen oder so neugierig sind?
BENECKE: Das ist ineinander verschränkt. Ich
könnte ja auch mit ganz wenig Geld auskommen.
Ich schlafe zum Beispiel auf einem Feldbett
im Labor. Ich habe noch nicht mal ein
Schlafzimmer. Das ist mir egal, das ist mir
wurscht.
kreuzer: Sie haben kein Schlafzimmer?
BENECKE: Nein, ich wohne in der Kurs-Etage,
in der die Studenten Spuren bearbeiten. Da
gibt es eine Bibliothek, eine Küche mit 30 Tassen
und 30 Messern, also für die Kurse ausgerichtet,
ein Büro und einen Materialraum. Da
steht das Bett. In einem Raum ist es also schon,
ich penne nicht im Flur. Aber zum Geld: Ich
habe an so vielen kriminalistischen Dingen
Spaß und brauche entsprechend viele Geräte.
Die kosten halt Kohle, so hängt das miteinander
zusammen. Ich könnte natürlich auch nur
eine Methode verwenden, dann wäre der
Kostenaufwand geringer.
kreuzer: Man kann sagen, dass Ihr Äußeres etwas
ungewöhnlich ist. Sie sind tätowiert, haben
Piercings. War es schwierig, damit in der Wissenschaft
durchzukommen?
BENECKE: Das kann ich nicht beurteilen, weil
die Leute das natürlich nicht sagen. Wahrscheinlich
sagen sie sich: »Was soll’s, kann
man jetzt eh nichts machen.« Kinder von
Medizinern sind ja häufig sozio-ökonomisch
besser gestellt, Biologen kommen dagegen oft
aus der Mittelschicht. Als ich meine Doktorarbeit
im Institut für Rechtsmedizin schrieb,
hatte ich oft zwei verschiedene Socken an, weil
mir das zu lästig war, die richtigen zusammenzusuchen.
Da wurde ich echt jeden Tag angesprochen
– ich hatte Birkenstocksandalen an –,
warum ich verschiedene Socken trage. Die
konnten nicht an mir vorbeigehen, ohne einen
Kommentar dazu zu machen. Auf der Ebene ist
das schon merkwürdig. Wer weiß, was die
sonst noch denken.
kreuzer: Heidi Klum muss sich jetzt ihr Tattoo mit
dem Schriftzug »Seal« überstechen lassen. Der
Ex-Bundespräsident hat eine Frau mit Tribal. Wie
Mainstream sind Tattoos?
BENECKE: Ist das bei Heidi Klum überhaupt
so? Ich könnte mir nämlich vorstellen, dass die
viel cooler ist, als man meint. Meiner Erfahrung
nach sind die Leute häufig cooler als man
meint. Bei Frau Wulff merkt man zwar an
ihrem Buch, dass sie derzeit echt ultraunausgeglichen
ist. Aber vielleicht ist sie auch cool,
tief in ihrem Herzen. (lacht) Manchmal bin ich
als Clown in Talkshows. Als Z-Minus-Promi
unterhalte ich mich dann backstage mit Aund
B-Promis und die sind in der Regel wirklich
sehr cool. Alle Supermodels, die ich bis
jetzt getroffen habe, waren coole Schweine. Ob
jemand Tattoos hat oder nicht, spielt dabei
keine Rolle. Und wer wäre denn die Tattoo-
Polizei, die bestimmt, wer was tragen soll und
wie angesagt es gerade ist? Ich gehe immer
davon aus, dass ein Mensch gut ist. Wenn
jemand mal ein Tattoo hat, ist das natürlich
ein guter Ansatz, denn ich halte Tätowierungen
für erwachsen und das Normalste auf
der Welt. Wer keine hat: genauso gut – freie
Entscheidung.
kreuzer: Wenn Sie backstage bei den Talkshows
abhängen, machen Sie Interviews mit Sido und
Peter Maffay. Schon mal darüber nachgedacht,
Showbiz-Promi zu werden?
BENECKE: Nein, ich kombiniere das bisschen
Z-Prominenz lieber mit aufklärerischer
Arbeit. Ich habe zum Beispiel für das Bundesamt
für Risikobewertung in den letzten Monaten
Veranstaltungen für Schüler gemacht,
unter anderem über Tattoos, Bubbletea, Shisha
rauchen. Da führe ich durch den Tag und sorge
dafür, dass das cool bleibt für die Kids. Ich bin
schmerzfrei, solange es Spaß macht. Promi-
Dinner etwa klappt nicht für mich, die haben
mal angefragt, aber ich war denen dann doch
zu wenig glitzy.
kreuzer: Sie sind Mitglied der Gesellschaft zur
wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften
(GWUP). Da mischt sich ja auch knallharte
Wissenschaft mit weichen Themen, wenn
Sie esoterischem Unsinn auf den Grund gehen.
BENECKE: Genau. Bei der GWUP habe ich diese
Mischung auch als Erstes gemacht. Ich bin da
einer der Leute, die einerseits fragen, warum
es keine bösen Handystrahlen gibt, und andererseits
aber auch, warum die Leute sehr reale
Angst davor haben. Oder wenn Leute anfangen,
religiös zu glauben, dass man heute wissenschaftlich
alles so darstellen kann, dass der
Rest der Welt damit zufrieden ist. In diesem
Glauben ist man dann auch nicht besser als
die Leute, die an Unsinn glauben. Ich gehe
grundsätzlich zu allen Leuten persönlich hin,
über die andere nur reden: zu den Vampiren,
den Wiccanerinnen und rede mit ihnen. Ich
lasse mir erklären, was die machen, und schau
es mir in Ruhe an: erst gucken, dann vielleicht
später reden.
kreuzer: Wurden Sie mal richtig überrascht?
BENECKE: Nein, ich bin da wie ein kleines
Kind. Ich freue mich einfach über alles, was
passiert. Wenn eine Fliege an mir vorbeifliegt
oder eine Biene, dann freue ich mich. »Oh!
Eine Biene, wie toll!« Ich erwarte gar nichts.
Wenn du mit Erwartungshaltung irgendwo
reingehst, hast du schon verloren, das ist eine
alte Regel von Sherlock Holmes. »Don’t
assume!« – führe keine Grundannahmen
ein. Wenn du anfängst, irgendetwas für
normal oder unnormal zu halten, hast du
schon verloren.
kreuzer: Apropos Sherlock Holmes, Arthur Conan
Doyle war knallharter Spiritist, hat versucht die
vierte Dimension wissenschaftlich zu beweisen.
BENECKE: Ein sehr interessantes Beispiel. Im
Netz haben Sherlockianer eine Zitate-Sammlung
von Sherlock Holmes zusammengetragen,
das ist ein einziges Lehrbuch der Kriminalistik.
Umso interessanter, weil Conan Doyle in der Tat
totaler Spiritist war. Das war wirklich eine Leistung,
wie er seine Figur entwickelt hat: als
Mensch, der Methoden anwendet, mit denen
man Dinge wirklich beweisbar verstehen kann
– objektiv und richtig. Und wie er dann eine
Grenze ziehen kann zu dem, was man nicht
mehr verstehen kann. Ich will das Wort Genie
echt nicht überstrapazieren, aber ich finde es
genial, dass ein Autor, der zutiefst Esoteriker
war, in der Lage ist, den Verstand abzuspalten
und einen ganz modernen, naturwissenschaftlich
rationalistisch-humanistischen Menschen
als Roman-Hauptdarsteller durchzuhalten.
Eine Figur, die sich ab und zu langweilt und die
deswegen Drogen nimmt oder eben Kriminalfälle
braucht, damit es nicht so öde ist. Eine
tolle Leistung von einem spannenden Autor.
kreuzer: Wie erklären Sie sich denn das Interesse
am Okkultismus?
BENECKE: Das Interesse ist im Moment gar
nicht mehr so da. Echter Spiritismus und
echter Okkultismus werden sogar seltener,
sind irgendwie nicht mehr so sexy. Im
Moment sind es eher diese schrägen alternativen
Heilmethoden, die wegen der Alterung
der Menschen rumgeistern. Ohrkerzen oder
Homöopathie führen längst einen Rückzugskampf.
Jetzt gibt es Rescue-Pillen und solchen
Kram, was eher in die Richtung Lifestyle geht.
Aber letztlich ist das alles stark im Rücklauf.
Das Interesse an Übersinnlichem kommt
daher, dass es Erscheinungen gibt, die man
nicht sofort versteht oder nicht wahrhaben
möchte, und unser Kopf, der ja im Kern schon
vor ein paar Millionen Jahren entwickelt
wurde, Denk-Abkürzungen nimmt.
kreuzer: Ähnliches berichten kirchliche Sektenbeauftragte:
Es gibt kaum Fälle, aber sie haben
wahnsinnige Angst vor Satanisten.
BENECKE: Ich bin in einem Arbeitskreis von
Religionspsychologen. Das ist total lustig, da
sind die Leute von den Sektenstellen dabei. Da
gibt es viele Kolleginnen, die sich das alles mit
gespitzten Ohren anhören. Aber man darf
nicht vergessen, warum irgendeiner irgendetwas
wird. Ich werde Journalist, weil ich neugierig
bin und gern Geschichten erzähle. Ich
werde Naturwissenschaftler, weil ich nicht gut
mit Menschen klarkomme und lieber mit Dingen
arbeite. Warum werde ich also Sektenexperte?
Weil ich eben ein sehr ambivalentes –
um es vorsichtig zu sagen – Verhältnis zu möglichen
Mächten da draußen habe.
kreuzer: Trotzdem sagen Sie, dass es Vampire
gibt?
BENECKE: Sie sind einfach Realität. Es gibt
Menschen, die Blut trinken und davon ausgehen,
dass da mehr Energie drin ist, als tatsächlich
drin ist. Energie-Vampire denken, dass sie
anderen auch ohne Blut einfach so Energie
entziehen können. Das ist eine märchenhafte
Vorstellung, die in eine Form gegossen wird,
die für diese Menschen dann eine Lebensrealität
darstellt. Und es funktioniert gefühlsmäßig
auch und wird dadurch völlig real. So wie
bei Christen. Die sagen: »Da ist einer für uns
am Kreuz gestorben und der hat unsere Sünden
auf sich genommen.« Da denkt man ja
auch: Was ist los? Aber das ist für diese Menschen
tief empfundene Realität.
kreuzer: Ist das gelebter Glaube?
BENECKE: Genau. Gute Formulierung!
kreuzer: Beim WGT halten Sie Vorträge über Vampire.
Ist das nicht der Ausverkauf dieser Menschen?
BENECKE: Ausverkauf? Die Leute sind ja dabei,
ich treffe mich auch mit ihnen und mache
eigens Veranstaltungen für sie. Vor einem Jahr
habe ich ein Treffen gemacht für alle, die das
Thema in der subkulturellen Tiefe – nicht als
Filmfans – interessiert. Da waren 300 bis 500
Leute und einige haben sich zum ersten Mal
geoutet. Das sind meine Freunde.
kreuzer: Alle sind Ihre Freunde. Sogar die Biene,
obwohl die Sie stechen könnte?
BENECKE: Dass sie mich stechen könnte,
würde ich nie denken, sondern eher: Ist das
toll, dass sie trotz Außenskelett fliegen kann,
wie kann man denn an einem harten Außenpanzer
so die Flügel hin- und herbewegen?
kreuzer: Was war die letzte wissenschaftliche Erkenntnis,
die Sie errungen haben?
BENECKE: Wir haben gerade eben ein Paper über
Blutspuren veröffentlicht. Je nach Oberfläche,
auf der sie aufkommen, und Höhe, aus der sie
fallen, vergrößern die sich nämlich nicht in der
linearen Art und Weise, wie man früher dachte.
Stattdessen verhalten sie sich möglicherweise
deterministisch chaotisch. Sehr rätselhaft, da
haben wir noch einiges vor uns.
kreuzer: Lassen Sie Schweinsblasen aus zehn Meter
Höhe fallen und schauen dann mal?
BENECKE: Noch einfacher. Wir nehmen
zunächst einfach standardisierte Tropfen echten
Blutes und gucken uns nach dem Aufprall
deren Form an. Deswegen brauchen wir auch
viele Studenten. Es muss sauviel gerechnet
werden, die Oberflächen müssen beschrieben
werden. Das ist auf Papier anders als auf Glas,
als auf Holz.
kreuzer: Sicher eine ganz schöne Sauerei.
BENECKE: Geht so, mit Blut haben wir Erfahrung
hier. Ich habe schon mal meine ganze
Bibliothek unter Blut gesetzt, um einen Tatort
nachzustellen.
kreuzer: Was sagt Ihre Frau dazu? Kein Bett, keine
Wohnung – treffen Sie sich auch an zivilen Orten?
BENECKE: Ja, gestern saßen wir noch auf der
Parkbank. Das war gemütlich.
kreuzer: Über den Tod sagten Sie den schönen
Satz: »Wenn man Altern und Tod als Kuchenrezept
verstanden hat, dann hat man auf einmal unendlich
viel mehr Zeit und unendlich viel mehr Lebensqualität
und ist unendlich viel mehr entspannt.«
Das müssen Sie erklären.
BENECKE: Mal aus Spaß angenommen, die Biologie
könnte alles erklären: Dann ist bekannt und
verstanden, warum all das Sterben stattfindet.
Durch die Veränderung der Umwelt müssen
ständig neue genetische Angebote auf den Markt
geworfen werden. Und die kann man nur
dadurch erzeugen, dass neues genetisches Material
sexuell kombiniert wird. Das passiert folglich
durch Sex. Wenn man aber jetzt Nachkommen
zeugt, können die Alten nicht die ganze Zeit
dableiben. Es muss ja eine Chance geben, damit
die veränderten Umweltbedingungen mit den
neuen genetischen Möglichkeiten irgendwie
interagieren. Die Neuen brauchen also Platz, was
zu essen, Brennholz. Deswegen können nicht
immer alle am Leben bleiben. Seit es Sexualität
gibt, gibt es auch den Tod.
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