2012-04-23 Salzburger Nachrichten: Thema: Käfer - Alles was kreucht und fleucht
Quelle: Salzburger Nachrichten, Wochenende - Thema, 21. April 2012
Käfer - Alles was kreucht und fleucht
Im Müsli, im Badesee oder im Gletschereis, Käfer kommen fast überall vor. Bis auf das Meer und die Antarktis haben sie jeden Lebensraum erobert, keine andere Tiergruppe ist größer und vielfältiger. Erst jetzt verstehen wir erste Details der ausgeklügelten Überlebensstrategien – und kopieren sie.
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Text: Tanja Warter
Bild: Sn/Th. van de Scheck
Jeden Morgen macht der Nebeltrinkerkäfer in der afrikanischen Namib-Wüste einen Kopfstand. Er hat Durst und das ist seine spezielle Art und Weise, an Flüssigkeit zu gelangen. An seinem kleinen schwarzen Körper
lässt er das Wasser aus dem Nebel kondensieren. Die Tröpfchen fließen geradewegs hinunter in sein Maul. Diese Technik war Vorbild für jene Nebelnetze, die seit einigen Jahren in trockenen Regionen der Erde aufgestellt werden und zur Gewinnung von Trinkwasser dienen.
Der in Mitteleuropa heimische Bombardierkäfer ist mit einer einzigartigen Waffe ausgestattet. Droht Gefahr, kommt es in seinem Hinterleib zu einer Explosion, deren Knall deutlich hörbar ist. Der Käfer schleudert seinem Gegner ein 100 Grad Celsius heißes, ätzendes Gasgemisch entgegen. Die Wendigkeit des biologischen Schussapparats sichert den Trefferfolg, der Käfer kann sein Hinterteil in alle Richtungen biegen. Experten für Thermodynamik aus Großbritannien haben bereits versucht, eine ähnliche Brennkammer mit einem so perfekten Ventilsystem zu erzeugen. Doch die Vorgaben der Natur scheinen unerreichbar: Der Bombardierkäfer schafft 500 Dampfstrahlen pro Sekunde, die Bioniker mit Glück 15. Gelungen ist den Forschern aber ein Nachbau, mit dem sich die Tröpfchengröße kontrollieren lässt. Dieses inzwischen lizenzierte System könnte zukunftsweisend für ein effizienteres Einspritzverfahren für Verbrennungsmotoren sein oder zur Herstellung medizinischer Sprays dienen.
Das Glühwürmchen – sein Name ist irreführend, denn es handelt sich um einen Käfer und keinen Wurm – stellt Techniker vor eine offenbar unlösbare Aufgabe. Für die Partnersuche erzeugt es Licht, das zwar extrem hell strahlt, dabei aber kaum Wärme abgibt. Der Wirkungsgrad liegt bei über 95 Prozent. Obwohl die Geheimnisse dieser Lichterzeugung längst entschlüsselt sind, schaffen wir es nicht annähernd, ein ähnlich gutes Leuchtmittel in den Elektrohandel zu bringen. Eine moderne LED-Lampe erreicht einen Wirkungsgrad von 45 Prozent, die alte Glühbirne gar nur fünf Prozent.
Leider haben Käfer nicht nur Fähigkeiten, von denen wir etwas lernen können, sondern auch Eigenschaften, die der Mensch mit allen Mitteln zu bekämpfen versucht. Am Arbeitsplatz von Notburga Pfabigan sind ungewöhnliche Geräusche zu hören. Fast klingt es wie ein Schmatzen, das da aus der Schublade dringt. Ein Schmatzen, laut, genussvoll und ohne jeden Anstand. „Über dieses Geräusch wundern sich unsere Besucher oft“, sagt die Biologin, die bei der Holzforschung Austria in Wien tätig ist. Doch wenn Notburga Pfabigan eine der Schubladen öffnet, in denen geschmatzt wird, sind nur Holzklötze zu sehen.
Der Hausbock ist ein heimischer Käfer. Bevorzugt siedelt er sich in Dachstühlen und Holzhäusern an. Seine Larven sind gefräßig. Sie werden gut drei Zentimeter groß, sind dick und gelblich und fressen bis zu 2,5 Zentimeter große Löcher und Gänge in das Holz. Nicht gerade die besten Voraussetzungen für einen langlebigen Dachstuhl. Gegen einen Befall schützt eine vorbeugende Behandlung mit einem Holzschutzmittel.
Solche Mittel testet die Holzforschung Austria und beherbergt dafür eine Hausbockzucht mit mehreren Tausend Tieren. Genormte Holzklötze werden mit den Präparaten behandelt und dann den Larven zum Fraß vorgesetzt. Ist das Holzschutzmittel wirksam, dann war es ihre Henkersmahlzeit.
Damit hat Notburga Pfabigan kein Problem, obwohl sie, Chefin der größten Hausbockzucht Österreichs, Käfer eigentlich mag. „Alle Produkte, die auf den Markt kommen, müssen abtötende Wirkung haben“, erklärt sie. Ist die Substanz aber unwirksam, fressen sich die Larven fröhlich weiter durch den genormten Holzklotz. Dabei schmatzen sie.
Noch viel mehr Käfer krabbeln im Dienst der Menschen im Keller der Bundesanstalt für Materialforschung (BAM) in Berlin herum. Mit Holzwürmern (auch das sind Käfer) und Splintholzkäfern werden ähnliche Tests gemacht wie mit den Hausböcken in Wien. Aber nicht nur Holz wird von Käfern befallen. Auch Wollpullover, Teppiche und Kissen können von Larven zerlegt werden. Übeltäter in diesen Fällen: der Polsterwarenkäfer.
"Alle relevanten Schädlinge sind längst Kosmopoliten"
Sein Nachwuchs ernährt sich von allem, was Keratin enthält. Dazu gehören Wolle, Federn und Haare. Biologe Rüdiger Plarre kennt die ungewöhnlichsten Schadstellen: „Polsterwarenkäfer lieben naturkundliche
Sammlungen. Seehundschuhe der Inuit, Federschmuck der Indianer, dort siedeln sie sich gern an.“ In diesen Lebensräumen haben sie meist einen engen Verwandten, den Museumskäfer, im Schlepptau. Dessen Larven futtern auch Chitin, aus demdie Insekten selbst aufgebaut sind. Museumskäfer zerstören deshalb vor allem Insektensammlungen und sind dort außerordentlich gefürchtet.
Doch weder dieMuseen noch die löchrigen Teppiche sind der eigentliche Grund dafür, warum die BAM diese Käferart züchtet und erforscht. Plarre: „Die Tiere gehen auf Dämmmaterial los, das immer öfter aus nachwachsenden Rohstoffen erzeugt wird. Ist davon in einem Haus alles aufgefuttert, geht nicht nur die Dämmwirkung verloren, die Käfer machen sich auf die Suche nach neuen Futterquellen.“ Die nächstbeste Nahrung sind Daunenbettzeug und Wollkleidung.
„Alle relevanten Schädlinge sind längst Kosmopoliten“, erklärt Plarre. Darum müssen alle Prüfverfahren streng standardisiert ablaufen. Durch diese Vorgabe hat es der Polsterwarenkäfer zu einem „international
anerkannten Prüforganismus“ gebracht. Er wird weltweit für Testzwecke eingesetzt, weshalb Rüdiger Plarre mit seinen Zuchttieren sogar handelt. Deren vorhersehbarer Tod ist Teil des Verfahrens.
Auch Mark Benecke hat es beruflich mit Käfern zu tun. Sein Job ist eher aus Krimis bekannt, spannend und gleichzeitig gruselig. Der Kölner ist forensischer Entomologe. Das heißt, er untersucht unter anderem
Leichen auf Krabbeltiere, die sich während des Zersetzungsprozesses ansiedeln. „Zuerst kommen immer die Fliegen, die ihre Eier in den Körperöffnungen ablegen“, erklärt der Experte. „Aber schon kurz danach
tauchen auch die Käfer auf.“
Es sind jene, die als Aufräumer in der Natur gelten: die Aaskäfer. Im Erwachsenenalter fressen sie Pflanzenreste, Pilze, Exkremente oder fremdeMaden. Ihre Larven aber füttern sie stets mit den Überresten toter Tiere – oder Menschen.
Der Totengräber ist einer dieser Aaskäfer. Seinem Namen macht er besondere Ehre, denn die Weibchen vergraben regelmäßig Kadaver in der Erde. Gleich neben dieses Erdgrab bauen sie eine unterirdische Kammer, in die sie ihre Eier legen und die kurze Zeit später als Kinderstube dient. Aus Teilen des verwesenden Körpers formen die Totengräber Futterkugeln und schleppen sie zu den Larven nach nebenan. Mit diesem Verhalten fallen sie ebenso in Beneckes Repertoire wie die Speckkäfer, die sich gern von Hautschuppen ernähren. Findet er ein solches Exemplar auf einer Leiche, deutet das auf Austrocknung hin. „Aber die meisten erwachsenen Käfer krabbeln weg, wenn eine Leiche befördert wird“, erklärt der Profi, der sich deshalb auf die Maden konzentriert. „Manche dieser Maden bohren Löcher in den Körper, die genau so aussehen wie Einschusskanäle. Das kann natürlich zu fatalen Irrtümern in Kriminalfällen führen.“
Käferfraß kann in Kriminalfällen zu fatalen Irrtümern führen
Weltweit gibt es rund 300 verschiedene Aaskäferarten, allein in Mitteleuropa sind es 47. Damit bilden sie nur einen kleinen Teil innerhalb der zoologischen Ordnung der Käfer. Farbenpracht, Formen, Verhalten und Überlebensstrategien sind unglaublich vielfältig. Es gibt Laufkäfer, Schwimmkäfer, Bockkäfer, Schnellkäfer, Ölkäfer, Prachtkäfer, Rüsselkäfer, Blattkäfer, Buntkäfer, Borkenkäfer, Schwarzkäfer, Weichkäfer, Goliathkäfer, Purzelkäfer, Zuckerkäfer und so weiter und so fort.
Eine 230Millionen Jahre währende Evolution hat ihnen faszinierende Fähigkeiten zugedacht: Sie können laufen, fliegen, schwimmen, graben, klettern, bohren oder tauchen. Sie duften, erzeugen Licht, geben Klopfzeichen oder musizieren, haben spektakuläre chemische Waffen, kommunizieren mit ihren Farben und schleudern Gifte. Unterteilt in 179 Familien, sind bis jetzt rund 350.000 Arten bekannt. Damit ist schon heute klar, dass mindestens jedes vierte Tier auf der Erde ein Käfer ist. Biosystematiker schätzen die Anzahl viel höher. Sie gehen von bis zu einer Million Arten aus. Viele dieser Käfer werden noch vor ihrer Entdeckung ausgestorben sein.
Mit herzlichem Dank für die Freigabe und Genehmigung zur Veröffentlichung an die Rechte-Inhaber.