2012-01-28 Potsdamer Wochenendkurier: Charmante Bestien
Quelle: MAZ, Potsdamer Wochenendkurier, 28./29. Januar 2012, Seite 25
Charmante Bestien
Star-Kriminalbiologe Mark Benecke über Serienmörder, die bisweilen seriöser als Gefängnisdirektoren wirken
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Direkt "Aus der Dunkelkammer des Bösen" kommt Mark Benecke am Sonntag in den Jugendklub 91.
MAZ: Am Sonntag kommen Sie in den Jugendklub 91. Sonst füllen Sie Hallen. Was lockt Sie in den kleinen Klub?
Mark Benecke: Ganz einfach: Die haben nett gefragt. Ich mache gerne kleine Veranstaltungen, beispielsweise für verhaltensauffällige, traumatisierte Kinder, auch für Leute, die komische Fragen haben oder überhaupt an Schulen.
Angekündigt ist eine Veranstaltung, die anders ist als Ihre sonstigen. Inwiefern?
Der Plan ist: Ich sage "Tach!" und "Haben Sie 'ne Frage?". Hier sollen die Leute von sich aus sagen, was sie so beschäftigt. Wenn aber nur so Fragen kommen wie "Ist CSI realistisch und fliegen Sie auch mit einem Hubschrauber rum?", ist dem Publikum auch nicht mehr zu helfen. Bei anderen Veranstaltungen erzähle ich eine Geschichte, dann gibt es die Auflösung.
Welche Geschichten sind das?
Vor kurzem habe ich zum Beispiel über "Selbstentzündung" gesprochen.
Selbst - was?
Sei Jahrhunderten sterben Menschen daran, dass sie sich selbst entzünden. Ich bin durch die ganze Welt gefahren und habe recherchiert. Alle Kollegen haben gesagt, das ist Schwachsinn oder eine Fehlinterpretation. Aber ich habe richtig alte Dokumente aus dem 17. Jahrhundert gefunden, mit Feuerwehrleuten gesprochen, sogar mit einer Überlebenden einer Selbstentzündung. Fast immer kommen dieselben Faktoren zusammen. Erstens sind es fast durchweg Frauen. Alte einsame Frauen. Weil sie alleinstehend sind, werden die Brandgase meist nicht gerochen. Die Zündquelle ist sehr klein: Zigaretten zum Beispiel. Und die Person hat genügend Unterhautfettgewebe, um den Brand am Brennen zu halten.
Wie geht das?
Das Fettgewebe ist wie das Wachs einer Kerze; die Klamotten sind der Docht. Die Flamme ist ziemlich klein, so dass nicht die ganze Bude abgefackelt wird. Interessanterweise bleiben meist die Unterschenkel und Füße übrig.
Warum?
Das will ich noch nicht verraten.
In Ihrem neuesten Buch "Aus der Dunkelkammer des Bösen" beschreiben Sie [...] wie Sie in Moskau ein angebliches Schädelfragment Hitlers und sein Gebiss untersuchen durften. Wie bekamen Sie diese Möglichkeit?
Das lief über den internationalen Sender "National Geographic". Die kamen mit dem Vorschlag zu mir.
Und? Stammt das Schädelfragment mit dem Einschussloch von Hitler?
Kollegen haben neulich herausbekommen, dass Hitler eine Frau war: Nach deren DNA-Spuren handelte es sich um einen Frauenschädel. Meiner Meinung nach sind es aber eher die Spuren der Archivarin, die das Knochenstück dauernd ohne Handschuhe herumgeschleppt hat. Die Echtheit konnten wir nicht eindeutig feststellen; schon deshalb, weil es kein Vergleichsmaterial gibt. Von keinem Verwandten Hitlers existiert DNA-Material. Die Zähne waren aber echt. Röntgenbilder des Kopfes, die zu Lebzeiten entstanden, belegen das.
Sie schildern, dass Hitlers Mund wie ein Metallteillager ausgesehen hat.
Vorne unten die vier Zähne sind echt. Der Rest ist aus metall oder mit einer Zahnverblendung oder eine Brücke. Übrigens war Hitlers Mundgeruch bei den Menschen in seiner Umgebung gefürchtet.
In Ihrem Buch geht es viel um Serienmörder. Würden Sie Hitler auch so einordnen?
Ganz sicher nicht. Er war offensichtlich sehr hilfsbedürftig. Wenn er früh genug in eine ordentliche Therapie gegangen wäre, denke ich schon, dass man etwas hätte machen können. Er hätte ja einfach auch nur ein verrückter Künstler werden können. Er war wohl nicht verrückter als viele andere, die aber im Endeffekt keiner Fliege was zuleide tun. Er war einfach zur "richtigen" Zeit am "richtigen" Ort. Die Menschen wolten so einen wie ihn haben und haben ihn auch gekriegt.
Sie beschreiben die Serienmörder als oft nach außen hin sehr einnehmende Personen.
Ich würde eher sagen: unauffällige Personen. Ein Serienmörder mit Schaum vor dem Mund würde ja nicht funktionieren. In Kolumbien habe ich Luis Alfredo Garavito kennengelernt, der 300 Jungen zu Tode gefoltert hat. Als ich ihn zum ersten Mal traf, hielt ich ihn für den Gefängnisdirektor. Jedenfalls wirkte er seriöser als der Direktor. Serienmörder sind oft sehr charmant. Charmante Bestien.
Sie haben nie Auffälligkeiten an Serienmördern bemerkt?
Doch. Interessant ist, dass sie an den falschen Stellen die falschen Bemerkungen mache, ohne sich stelbst darüber im Klaren zu sein. Garavito tauschte zu Beginn des Gesprächs sofort unsere Kaffeetassen aus. Er fürchtete, dass sein Kaffee vergiftet sein könnte. Ein normaler Mensch hätte den Kaffee einfach weggeschüttet. Garavito war es komplett egal, dass ich an dem - in seiner Vorstellung - vergifteten Kaffee sterben würde.
Gibt es sonst noch Anzeichen?
Kennezeichnend für solche Psychopathen ist, dass sie ihre bizarren Vorstellungen auf Biegen und Brechen durchsetzen wollen. Und sie machen eine extreme Kosten-Nutzen-Rechnung au: Gut ist, was ihnen Vorteile bringt. Deshalb können sie auch sehr nett sein - aber nur zu Menschen, von denen sie sich Vorteile versprechen. Sie nutzen Menschen bis zum Letzten aus. Das geht sogar so weit wie im Fall des Serienmörders Holmes, der im 19. Jahrhundert mitten in Chicago ein Hotel zum Folterknast umbaute. Die Leichen verkaufte er dann an Lehreinrichtungen weiter und kassierte Lebensversicherungen.
Wie wird man zum Psychopathen?
Wo andere ein Herz haben, ist bei ihnen ein blinder Fleck. Solche Täter wurden in der Kindheit oft traumatisiert durch Vernachlässigung und andere Arten von Missbrauch. Solche Schäden sind schon bald nicht mehr reparabel. Ich habe vernachlässgite Kinder erlebt, die dann zu liebevollen Pflegefamilien kamen, aber die Liebe einafach nicht mehr annehmen konnten. Es gibt sicher auch erbliche Einflüsse,d ie das Ganze erst in diesem uferlosen Ausmaß ermöglichen, sozusagen durch eine von vornherein etwas unrund laufende Festplatte.
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