2011 Studien zur Koelner Kirchengeschichte: Kaeferfunde und andere biologische Spuren im Schrein des Hl Severin

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Quelle: Studien zur Kölner Kirchengeschichte, 40. Band (2011), Seiten 183 bis 190

Käferfunde und weitere biologische Spuren aus dem Holzschrein des hl. Severin

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VON MARK BENECKE

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Im Holzschrein des hl. Severin fanden sich nicht nur die in mehrere Gewebe eingewickelten Gebeine, sondern auch Materialien unterschiedlicher Art, darunter überwiegend Knochengrus und zudem eine Reihe weiterer organischer Funde1 sowie 15 Deckflügel von Käfern.2 Geprüft werden sollte ursprünglich, ob es anhand von Bestimmungen der Käferarten möglich ist, die Liegezeit des Toten einzugrenzen3 oder Hinweise auf den Prozess des Fäulniszustands4 zu erlangen. Da dies angesichts der unbekannten Umstände der Lagerung des Leichnams insbesondere der Aufbewahrung zwischen Tod und Beerdigung, aber auch während der späteren Umbettungen sowie Grab- und Schreinsöffnungen - schwierig erschien, wurde die Ausgangsfrage dahingehend umformuliert, ob besagte Käferfunde generell Rückschlüsse zulassen. Die Artbestimmung der Käfer anhand der Deckflügel übernahm dankenswerterweise Frank Köhler. Er bestimmte die Käferarten Nebria salina (Feld-Dammläufer) und Trox scaber (ein Erdkäfer) (Abb. 1,2).


1. Zu Nebria salina (Faimaire & Laboulbène, 1854)

Bei 14 Flügeldecken handelt es sich um die Elytren von Nebria salina, dem Feld-Dammläufer. Diese Käferart gehört zur Familie der Laufkäfer (Carabidae) und ist westeuropäisch-atlantisch in trockeneren Lebensräumen weit verbreitet, zum Beispiel in offenen Kultur-Biotopen, Sand- und Kiesgruben, an trockenen Waldrändern und auf Ackerflächen.5 Die Art ist ein so genannter Kulturfolger. Die erwachsenen Tiere sind glänzend dunkelbraun bis schwarz gefärbt und zeigen deutliche Punktreihen auf den Deckflügeln. Die Insektenforscher Fairmaire und Laboulbène beschrieben die Art 1854 erstmals aus Frankreich (Abb. 3). In Deutschland wurde Nebria salina zum ersten Mal 1919 nachgewiesen.6


Da Nebria salina kein typischer Leichenbesiedler ist, können die Käfer lange nach dem Tod von Bischof Severin in den Holzschrein eingedrungen sein. Möglicherweise waren sie nicht am vertrockneten Leichengewebe, sondern an anderen Inhalten des hölzernen Schreins interessiert. Zudem versteckt sich Nebria salina gern an dunklen Orten. Da es mehrfach Öffnungen des Schreins gegeben hat7, können die Tiere zum einen mit an den Schrein gelegten Gaben unbewusst eingeschleppt worden sein - immerhin kamen auch Knochen von Zwergmäusen zutage8 -, zum anderen ist ein zufälliger Eintrag während der Entnahme von Reliquien möglich. Dabei könnten sich die Käfer zwischen den Textilien vielleicht schlichtweg versteckt haben.


Es kann aber auch sein, dass Nebria salina zur Zeit der Umbettung des hl. Severin m den Holzschrein im 10. Jahrhundert sehr wohl schon im Rheinland lebte, Die Käferart allerdings von früheren Zoologen übersehen wurde.9 Dafür spricht, dass In großen Museumsbeständen der häufIgen und sehr ähnlichen Schwesterart Nebrza brevicollis (Gewöhnlicher Dammläufer) keine verwechselt einsortierten Exemplare von Nebria salina anzutreffen sind.10 Das Fehlen von Nebria salina in deutschen Museumssammlungen erlaubt zumindest die Aussage, dass dieser Laufkäfer im 19. Jahrhundert nicht so häufig und verbreitet in Deutschland auftrat wie im 20. Jahrhundert. Auch in den frühen rheinischen Faunen-Übersichten11 wird die Art nicht erwähnt. Später wird Nebria salina dann allerdings wegen der zahlreichen Nachweise nicht mehr mit der Nennung einzelner Funde angeführt.12 Interessant ist darüber hinaus, dass Nebria salina heutzutage von mehreren Fundorten im Kölner Stadtgebiet gemeldet ist, indes fehlen Meldungen aus der Kölner Innenstadt.13 Damit ist der Nachweis von Nebria salina aus dem Holzschrein des hl. Severin zugleich ein Erstnachweis dieser Käferart von einer Fundstätte im innerstädtischen Gebiet Kölns.


Bei einer Durchsicht der großen Käfersammlung im Bonner Museum Alexander König im Jahr 1996 stellte Frank Köhler - zusammen mit dem Material aus anderen Privat- und Museumssammlungen - für das Rheinland folgende expandierende Verbreitung des Tieres dar14:

Jahrzehnt und belegte Funde in Sammlungen (nicht: Individuen)

  • 1920-1929 -- 1
  • 1930-1939 -- 0
  • 1940-1949 -- 3
  • 1950-1959 -- 6
  • 1960-1969 -- 27
  • 1970-1979 -- 14
  • 1980-1989 -- 32
  • 1990-1999 -- 41


Vorstellbar, wenngleich weniger wahrscheinlich, wäre auch, dass Nebria saIina den rheinischen Koleopterologen früher unbekannt war oder aufgrund der Häufigkeit der bereits erwähnten Schwesterart Nebria brevicollis (eIn häufiger Waldbewohner) kein Sammelanreiz bestand. Neben dIesem Übersehen der Art ist eine Einwanderungshypothese jedoch mindestens ebenso wahrscheinlich. Arten mit Verbreitungsschwerpunkt in anderen Faunenreglonen können in Abhänigkeit von Klima und weiteren Faktoren im mltteleuropälschen BereIch Arealschwankungen unterliegen. Arten wandern ein und sterben scheinbar wieder aus. Vielleicht gab es Nebria brevicollis zur Zeit der Umbettung des hl. Severin in den Holzschrein, er starb dann jedoch scheinbar - vielleicht auch während Phasen merklicher Abkühlung im Mittelalter - vermeintlich wieder aus. Zwei vergleichbar gelagerte Fälle konnte Frank Köhler bei Untersuchungen zu subfossilen Käferfragmenten aus einem römischen Brunnen in Weisweiler (ca. 80 n. Chr.) feststellen:15 In der Verfüllung des Brunnens fand er Bruchstücke des Goldlaufkäfers Carabus auratus und eines weiteren Laufkäfers, Pterostichus madidus, die ebenfalls ihr Hauptverbreitungsgebiet in Westeuropa besitzen und für die ursprünglich eine wesentlich spätere (Erst-)Einwanderung angenommen wurde.


Denkbar ist außerdem, dass die Textilien aus dem Holzschrein samt Leiche und Käfern von woanders her ins Rheinland gebracht wurden. Da die Legende behauptet, dass die Leiche des Severin aus dem heutigen Frankreich stamme, ist das ein reizvoller Gedanke, zumal Nebria salina erstmals dort beschrieben wurde.16


2. Zu Trox scaber (L., 1758/1767)

Eine Flügedeck.e stammt von Trox scaber, einem Erdkäfer (Trogidae). Im Englischen heißt dieser Kafer "skin beetle" im Sinne von "an Fellen anzutreffender Kafer". WIe der zuvor beschriebene Käfer Nebria salina ist Trox scaber auch im Rheinland weit verbreitet. Er lebt - entsprechend seines Trivialnamens - vor allem von trockenen Stoffen tierischer Herkunft; dazu gehören alte Felle, Lappen, Leder, Federn und alte, trockene Leichen. Er findet sich jedoch ebenfalls in Baumhöhlen und Vogelnestern.17 Diese Käferart wird in Köln bei allen groß angelegten Untersuchungen, auch in der Innenstadt, angetroffen.18 Der 8-10 mm lange Körper des erwachsenen Trox scheInt WIe von Warzen besetzt, graubraun bis dunkelbraun und wie mit Schmutz verkrustet (Abb. 4).


Obwohl Trox scaber wIe Nebria salina gemäß unserer Erfahrung mit Kriminalfällen nicht zur hiesigen Leichenfauna gehört19, lässt sich sein Fund dennoch zwanglos damit deuten, dass sich der Kafer zu irgendeinem Zeitpunkt von der trockenen Leiche oder von den im Holzschrein gelegten textilen Geweben ernährte.20 Die Tiere sind klein und konnten problemlos bei Öffnungen in den hölzernen Schrein einwandern.21 Dass Trox, der sich durchaus von trockenen Leichen ernähren kann, trotz dieser Vorliebe oftmals nicht an alten Kadavern angetroffen wird, muss daran liegen, dass er sich nicht gegen die Konkurrenz anderer Leichenbewohner durchsetzen kann ("outcompeting"). Dabei sind im späten Leichen-Liegestadium besonders Speck-, Pelz- und Museumskäfer (Dermestiden) zu nennen, die offenbar besser als Trox an mumifiziertes Substrat angepasst sind, und sei es nur durch schnellere Vermehrung.


Mit den im Holzschrein angetroffenen Textilien wurde Trox scaber wohl nicht eingeschleppt, da diese wegen ihrer Hochwertigkeit und teilweisen rituellen Benutzung (liturgisches Gewand) - und daher sorgfältigen Behandlung - wohl keinen zerstörenden Bedingungen ausgesetzt gewesen waren. Es besteht noch die Möglichkeit, dass nicht die erwachsenen Troxe, sondern deren Larven mit Erde eingeschleppt wurden, die an Blumengaben oder schmückenden Pflanzen am Schrein haftete. Die in der Erde enthaltenen Pilze, Algen, Flechten und Bakterien stellen eine Nahrungsquelle für die Larven von Trox scaber dar und werden auch noch heute mit Blumenerde in menschliche Umgebungen gebracht.22 Es ist also möglich, dass nicht die erwachsenen Käfer, sondern deren Larven in den Holzschrein gelangten und dann nicht mehr entweichen konnten oder wollten, bis sie als Erwachsene zwischen den Textillagen starben.23


3. Reste von pflanzlichem Weichgewebe?

An den im Holzschrein des hl. Severin befindlichen Textilien fanden sich millimetergroße amorphe Gebilde, die als mögliche Reste des Weichgewebes (Haut, Muskeln oder ähnliches) der Leiche aufgefasst werden können (Abb. 5). Teile dieser Gebilde wurden nach der Einbettung in Paraffinblöcke in 7,5 mikrometer dünne Schichten geschnitten, entparaffiniert und gefärbt (Abb. 6).24 In erster Linie erwarteten wir, Hinweise auf vertrocknete Haut zu finden. Da Zellkerne aber nicht durch Färbung dargestellt werden konnten, gelang - trotz grober Strukturähnlichkeiten der untersuchten Stückchen mit Haut - kein eindeutiger Be- oder Nachweis auf Haut. Einige weitere, kugelförmige Gebilde stellten sich im Schnitt nach Färbung mit so genannter PAS-Reagens (Schiffsche Reagens- und Periodsäure) als nicht menschlich dar; vielleicht handelt es sich um Pflanzenteile.


Fussnoten

1 Siehe die Beiträge von Ursula Tegtmeier u. a., von Hubert Berke sowie von Ralf Urz und Ursula Tegtmeier.

2 Frau Dr. Saskia Reibe (wissenschaftliche Assistenz bei der International Forensic Research & Consulting; Köln) und Herr Frank Köhler (Käferkundler; Bornheim), deren Bezahlung die International Forensic Research & Consulting übernahm, beteiligten sich gemeinsam mit dem Autor an der Untersuchung der Käferreste. Untersucht wurden die Käferreste mit Hilfe eines Stereomikroskops (Binokular) Leica Mz 12.5 (Okulare 10fach, End-Vergrößerung 8-100fach) mit aufgesetzter Digital-Kamera Leica DFC320 (3,3 MPixel CCD, 12 bit digitalization/ resolution) und einer Kaltlicht-Quelle Leica (Schott) KL 1500 LCD mit Ringlicht-Blende. Für die Standard-Fotos wurde mit einer Digital-Kompakt-Kamera Panasonic DMC-FX5 mit Bild-Stabilisator und Objektiv Leica DC Vario-Elmarit Asph gearbeitet.

3 Benecke 2001; 2003; 2004; Grote/Benecke 2001; Benecke 2008.

4 Sauser 1995, Sp. 1507-1510; Päffgen 2001/2, S. 275-326; Schaden 1997, S. 3.

5 Koch 1989.

6: Frdl. mdl. Mitt. Frank Köhler.

7Siehe den Beitrag von Joachim Oepen: Die Öffnungen des Severinusschreins zwischen 948 und 1999.

8 Siehe den Beitrag von Huben Berke.

9 Eine der zwei AMS-datierten Käferflügel istz zwischen 780 und 980 n. Chr. einzuordnen; da die Käferflügel ohne Nennung der Art ins 14C-Labor weitergereicht wurden, wird erörtert, dass es sich hierbei möglicherweise um Nebria salina handeln könnte (siehe Beitrag Ursula Tegtmeiner u. a., Fußnote 21).

10 Horion 1941; frdl. mdl. Mitt. Frank Köhler.

11 Roettgen 1911.

12 Koch 1968.

13 Frdl. mdl. Mitt. Frank Köhler.

14 Frdl. mdl. Mitt. Frank Köhler.

15 Köhler 1989.

16 Zum Stand der Forschung im Hinblick auf diese Legende siehe den Beitrag von Bernd Päffgen: Der hl. Severin im Spiegel der frühen historischen Überlieferung.

17 Koch 1991.

18 Franzen 1992; Stumpf 1994.

19 Zum Beispiel Benecke 1998.

20 Uns fehlt allerdings forensisch-entomologisch statistisch auswertbare Erfahrung mit lange mumifizierten Leichen.

21 Von den in Fußnote 9 erwähnten AMS-Datierungen an zwei Käfer-Deckflügeln ergab die zweIte Messung eine chronologische Einordnung zwischen 120 und 350 n. Chr., wobei aufgrund begründeter Überlegungen die Zeit vor 200 n. Chr. ausgeschlossen werden kann; warum in diesem Fall vielleicht die Käferart Trox scaber in Erwägung gezogen werden kann, wird im Beitrag von Ursula Tegtmeier u. a., Abschnitt 2d überlegt.

22 Weidner/Sellenschloh 2003.

23 Dieser Effekt ist uns auch aus Madenzuchten und aktuellen Särgen aus Exhumierungen mit darin eingebrachten Textilschichten (als Versteck) gut bekannt.

24 Die Gewebeschnitte und Färbungen führte Elli Haskamp (Univers!täts-Klinik der Universität zu Köln, Institut für Pathologie, Leitung: Prof. Hans-Peter DIenes) durch, bel der wir uns herzlich bedanken.


Literatur

Benecke 1998: Mark Benecke, Six forensic entomology cases: description and commentary, in: Journal of Forensic Sciences 43 (1998), S. 797-805; S. 1303.

Benecke 2001: Mark Benecke (Hg.), Forensic Entomology, in: Forensic Science InternatIonal 120, Amsterdam 2001.

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Benecke 2004: Mark Benecke, Forensic Entomology: Arthropods and Corpses, in: Michael Tsokos (Hg.), Forensic Path Rev Vol. II, Totowa (USA) 2004, S. 207-240.

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Horion 1941: Adolf Horion, Faunistik der deutschen Käfer, Band I: Adephaga - Caraboidea, Krefeld, 1941.

Koch 1968: Klaus Koch, Käferfauna der Rheinprovinz (Decheniana, Beihefte 13), Bonn 1968.

Koch 1989: Klaus Koch, Ökologie - Die Käfer Mitteleuropas, Band E1, Krefeld 1989.

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Köhler 1989: Frank Köhler, Untersuchung der Käferbruchstücke, in: Wolfgang Gaitzsch/KarlHeinz Knörzer/Frank Köhler/Mostefa Kokabi/Jutta Meurers-Balke/Mechthild Neyses/Heinz Radermacher, Archäologische und naturwissenschaftliche Beiträge zu einem römischen Brunnensediment aus der rheinischen Lößbörde, in: Bonner Jahrbücher 189 (1989), S. 247-252.

Päffgen 2001/2: Bernd Päffgen, Die Speyerer Bischofsgräber und ihre vergleichende Einordnung. Eine archäologische Studie zu Bischofsgräbern in Deutschland von den frühchristlichen Anfängen bis zum Ancien Regime. Phil.-Habilitationsschrift Universität Bonn, 2001/2.

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Sauser 1995: Ekkard Sauser, Severin, dritter Bischof von Köln, in: Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon, Band IX, Nordhausen 1995, Sp. 1507-1510.

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Stumpf 1994: Thomas Stumpf, Totholzkäfer in Köln. Ein Beitrag zur Stadtökologie, in: Mitteilungen der Arbeitsgemeinschaft Rheinischer Koleopterologen (Bonn) 4 (1994), S. 217-234.

Weidner/Sellenschloh 2003: Herben Weidner/Udo Sellenschlo, Vorratsschädlinge und Hausungeziefer. 6. Auf!. Heidelberg/Berlin 2003.

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Bericht über zwei Fälle aus dem Ruhrgebiet, in denen der Verstorbene jeweils in einer Biotonne im heimischen Garten aufgefunden wurde. Beide Male gaben die Hinterbliebenen an, es sei ein natürlicher Tod vorausgegangen und das Lagern bzw. Verbergen habe nur dazu gedient, die Bezüge aus Pflege- bzw. Rentenversicherung weiterhin zu beziehen. In Fall 1 gab die Verantwortliche eine Leichenliegezeit von ca. 3 Jahren an, in Fall 2 soll es sich um ein halbes Jahr gehandelt haben. In beiden Fällen war eine Verpackung der Leiche in Plastiksäcken vorgenommen worden. Der Insektenbefall stellte sich trotz der geschlossenen Tonne arten- und umfangreich dar: Es fanden sich in beiden Fällen leere Puppenhüllen von mehreren Schmeißfliegenarten, in Fall 1 außerdem Käfer der Familie der Stutzkäfer und Puparien der sog. Latrinenfliege Fannia scalaris. Im Fall 2 wurden zusätzlich Buckelfliegen und Larvenhäute von Speckkäfern gefunden.

Schlüsselwörter: Forensische Entomologie - Mülltonne - Leichenliegezeit


Dumping of corpses in compost bins - two forensic entomological case reports

Summary

Two cases from the Ruhr Area in Western Germany are presented. In each case, the deceased had been wrapped in plastic bags and placed inside a large compost bin in the backyard of the property. In both cases, the relatives claimed that the decedent had died from a natural cause and that they had concealed the body to ensure the further payment of the nursing care and pension benefits. In the first case, the responslble person stated that the body had been inside the bin for three years; in case 2 the postmortem intervall indicated was 6 months. In spite of the closed lid of the bin the insect infestatlon was extensive and rich in species: Empty pupal cases of several blowfly species were colleted as weIl as histerids and pupal cases of Fannia scalaris in the fIrst case. In case 2, phorids and larval skins of dermestids were also found.

Keywords: Forensic entomology - Compost bin - Post-mortem interval


1. Einleitung

Abb. 1: Tonne im Fall 1, Verschluss mit Klebeband für eine Nachstellung mit einem toten Ferkel

Das Arbeitsgebiet der Forensischen Entomologie beinhaltet die Asservierung, Identifizierung und Auswertung aller insektenkundlicher Spuren, die im Zusammenhang mit Todesfällen und deren Aufklärung stehen [1]. In den beiden hier beschriebenen Fällen wurde jeweils ein Leichnam von den Angehörigen in die heimische Biotonne verbracht. Im ersten Fall wurde eine Liegezeit von ungefähr 3 Jahren, im zweiten Fall von einem halben Jahr angegeben. Die Auswertung der insektenkundlichen Asservate von Biotonne und Leichnam sollte die Angaben zur Leichenliegezeit überprüfen.


Die Bestimmung der Postmortalzeit anhand der am Leichnam gefundenen Insekten kann durch eine Altersberechnung der ältesten auf dem Leichnam fressenden Fliegenmaden durchgeführt werden. Kurz nach dem Tod fliegen Schmeißfliegen bei günstigen Wetterbedingungen und gegebener Zugänglichkeit zur Leiche diese an, um ihre Eier abzulegen. Optimalbedingungen für Schmeißfliegen sind eine im Freien liegende Leiche, kein Regen und Temperaturen um 25 °C [2]. Wird jedoch der Reiz, Eier abzulegen entsprechend groß, begeben sich die Tiere auch an schwer zugängliche Stellen, durch Ritzen, in Wohnungen oder Verpackungen. Die schlüpfenden Maden entwickeln sich temperaturabhängig. In einem gewissen Temperaturbereich gilt: je wärmer, desto schneller [3]. Nachdem die Larven aus dem Ei geschlüpft sind, durchlaufen sie drei Larvalstadien, in denen sie fressen und wachsen. Nach Beendigung des dritten Larvalstadiums gehen die Tiere in das Post-feeding-Stadium über und verlassen den Leichnam, um sich in Vorbereitung auf das Verpuppungsstadium zu verstecken [4].


Über die Länge und das Entwicklungsstadium kann unter Einbeziehung der am Fundort herrschenden Temperaturen das Alter der Larve bestimmt werden, welches einer minimalen LeIchenliegezelt entspricht. Diese Methode kann im Sommer in einem Zeitraum von eInem Monat post mortem zuverlässig angewendet werden. Ist eine Leiche über einen Zeitraum von mehreren Monaten für Insekten zugänglich, wird die Leiche sukzessive von verschiedenen Fliegen- und Käferarten besiedelt, zusätzlich zu den erstbesiedelnden SchmeIßfliegen (Calliphoridae) [5]. Es entsteht eine Besiedlungsabfolge, die gerade in ländlichen Habitaten sehr artenreich und vielfältig sein kann. Die verschiedenen Arten können aufgrund Ihrer Ökologie und Lebensweise Hinweise auf z. B. die Jahreszeit geben in der ein Leichnam Ins Freie gebracht wurde.


2. Kasuistik

2 .1 Auffindesituation

Fall 1 (3 Jahre Liegezeit)

Im Januar 2005 wurde die Leiche eines über 80 Jahre alten Mannes, in Plastiksäcken verpackt, in einer handelsüblichen 240-Liter-Biotonne im Garten einer Doppelhaushälfte im Ruhrgebiet gefunden (Abb. 1). Die Bewohnerin des Hauses eine ausgebildete Altenpflegerin, gab an, ihren Vater, den sie bis zu seinem Tode zu Hause gepflegt hatte, vor drei Jahren in die Biotonne verbracht zu haben, um weiterhin dessen Rente und das Geld der Pflegeversicherung zu erhalten. Die Leiche wurde entdeckt, da die Tochter einem überfälligen Besuch des Amtsarztes zur Kontrolle der Pflegesituation nicht mehr entgehen konnte und sich selbst der Polizei stellte. Die Biotonne stand im Garten hinter der angebauten Garage und war von Unrat und Sperrmüll umgeben. Der Gesamtzustand des Hauses und des Gartens war unordentlich und teilweise vermüllt.


Fall 2 (l/2-jährige Liegezeit)

Im November 2006 stellte sich im Ruhrgebiet ein 45-jähriger Mann der Polizei und gab an, in der mitgeführten Biotonne den Leichnam seines 85 Jahre alt gewordenen Vaters gelagert zu haben (Abb. 2). Die Tonne habe mitsamt dem Leichnam seit Mai 2006 im heimischen Garten gestanden. Aus einer finanziellen Notlage heraus habe er entschieden, den natürlichen Tod seines Vaters nicht zu melden sondern dessen Rente trotz des Ablebens weiterhin zu beziehen. Der Leichnam war in Plastiksäcken verpackt und anschließend in die Biotonne verbracht worden die neben den anderen Mülltonnen im Garten stand. Der Garten sowie das gesamte Haus waren sehr ordentlich und sauber.


2.2 Sektionsbefunde

Fall 1 (3 Jahre Liegezeit)

Abb. 2: Tonne im Fall 2

In Müllsäcken verpackte Leichenteile mit einer Gesamtmasse von 28 kg. Obenauf lagen in der Kompostmülltonne Teile der unteren Körperhälfte mit Anteilen des Beckens sowie beide Oberschenkelknochen und beide Unterschenkel. In zwei weiteren, gleichartig ineinander gelegten Müllsäcken fanden sich am Boden der Mülltonne Teile der oberen Körperhälfte mit dem Brustkorb, den oberen Extremitäten, der Wirbelsäule sowie dem Kopf. Die Leichenteile waren insgesamt einem Leichnam zuzuordnen. Den Leichenteilen hafteten Textilgewebsreste an (z. B. Socken, Hose etc.).


Nach Adaptation weitgehend skelettierte und hochgradig fäulnisveränderte Leiche eines Mannes (Abb. 3). Typische männliche Skelettmerkmale mit ausgeprägten Augenbrauenwülsten und männlich konfiguriertem Becken. Reste von Weichteilgewebe lediglich noch im Bereich des Schädels, des linken Kniegelenkes sowie der Schulterregion. Zerfließliche Reste des Gehirns. Intaktes Kehlkopfskelett und Zungenbein. Keine nachweisbaren Schartenspuren und keine sonstigen frischen Verletzungen im Bereich des postcranialen Skeletts oder des Schädels. Ober- und Unterkiefer zahnlos. Die am Skelett erhobenen Befunde deuteten auf einen Mann im höheren Lebensalter hin.


Die Todesursache war durch die Obduktion wegen der weitgehenden Skelettierung und Weichgewebsaufzehrung nicht zu klären. Eindeutige Hinweise auf eine fremde, mechanische, todesursächliche Gewalteinwirkung erbrachte die Obduktion nicht. Die Anordnung und Verpackung der Leichenteile (untere und obere Körperhälfte in jeweils getrennten Plastiktüten) sprach für eine Zerteilung des Körpers etwa in Höhe des Bauchnabels, ohne dass eine solche Leichenzerstückelung aus den Befunden sicher objektiviert werden konnte.


Fall 2 (l/2-jährige Liegezeit)

Stark fäulnisveränderter Leichnam eines Mannes (Abb. 4). Körpergröße 167 cm, Körpermasse mit Tüten 52,7 kg. Weit fortgeschrittene Fäulnis mit Epidermolyse, abgelösten Fingernägeln, leicht ausziehbaren Haaren sowie Fäulnisgasdunsung. Im Bereich der Beine beginnende Fettwachsbildung. Hochgradige Arteriosklerose der Körperhauptschlagader und ihrer großen Äste. Hochgradige Koronarsklerose mit nahezu vollständigem Verschluss des vorderen absteigenden Astes. Fragliches frisches Blutgerinnsel in der rechten Herzkranzschlagader. Brustbeinquerbruch zwischen der zweiten und dritten Rippe ohne Einblutungen. Prothetischer Ersatz des rechten Hüftgelenks. Am rechten Oberschenkelknochen eine Metallplatte mit 10 Schrauben. Fragliches Druckgeschwür im Bereich des Kreuzbeins.


Die Todesursache war durch die Obduktion nicht eindeutig zu klären. Als potentiell todesursächlicher Befund könnte die hochgradige Koronarsklerose mit einem fraglichen thrombotischen Verschluss der rechten Herzkranzschlagader herangezogen werden. Es fanden sIch keIne HInweIse auf eIne todesursächliche mechanische Gewalteinwirkung.


Der genannte Brustbeinquerbruch könnte möglicherweise durch eine Laien-Reanimation der Angehörigen entstanden sein oder auch beim Verbringen des Leichnams in die Tonne. Des Weiteren ist nicht ausgeschlossen, dass es sich nicht um einen eigentlichen Bruch handelte, sondern um die fäulnisbedingt gelockerte Verbindung zwischen Manubrium sterni und Corpus sterni. Da Folgeaufträge ausblieben, wurde auf eine genaue Darstellung des Bruches verzichtet.


2.3 Entomologische Befunde

Fall 1 (3 Jahre Liegezeit)

Sowohl am Leichnam als auch aus der Biotonne konnten Insektenspuren asserviert werden. Es wurden leere Puparien der Dipteren-Familien Phoridae (Buckelfliegen) und Calliphoridae (SchmeIßfliegen) gesammelt. Des Weiteren konnten leere Puparien der Art Fannia scalans (Latrinenfliege) identifiziert werden. Außerdem wurden adulte Tiere der Käfer-Familie Histeridae (Stutzkäfer) asserviert.


Auswertung

Wie einführend erwähnt, besiedeln einige Arten der Familie der Calliphoridae einen LeIchnam schon Innerhalb der ersten Stunden nach Todeseintritt, sofern die Umweltfaktoren und die Zugänglichkeit dieses erlauben. Die leeren Puppenhüllen belegten einen abgeschlossenen Entwicklungszyklus vom Ei bis zum Schlupf der adulten Tiere. Der dafür benötigte Zeitraum ist temperaturabhängig und kann im Sommer innerhalb von 3 Wochen abgeschlossen sein [3, 4]. Jedoch sind Schmeißfliegen im Winter nicht sehr aktiv und präsent [6]. Da der LeIchnam Jedoch angeblich im Dezember in die Tonne verbracht wurde besteht die Möglichkeit, dass Eier von Schmeißfliegen erst bei höheren Temperaturen im Frühjahr abgelegt wurden.


Abb. 3: Zustand der Leiche nach 3-jähriger Liegezeit, nach TeilsektLon (Fall 1)

Einige Buckelfliegenarten sind auch im Winter aktiv, außerdem sind sie nur wenige MIllimeter groß, so dass eIne eIngeschränkte Zugänglichkeit zur Leiche für diese Tiere kein Problem darstellen muss; sie können durch sehr enge Zugänge einen Leichriam besiedeln [7]. Diese beiden Aspekte, Jahreszeit und Zugänglichkeit, sprachen für eine Erstbesiedlung durch Phoridae, da - sobald eine Leiche von Calliphoriden-Larven dominiert wird - nahezu keine Möglichkeit für die viel kleineren Phoriden besteht, die Leiche gleichzeitig zu besiedeln.


Die so genannte Latrinenfliege Fannia scalaris ist eine in Zentraleuropa weit verbreitete Art, deren Auftreten häufig mit der Anwesenheit von Kot und Urin einhergeht. Die optimale Entwicklung der Larven findet in halb-flüssigen Fäkalien statt [8]. Die gesamte Biotonne roch auch nach Entfernen des Leichnams sehr stark nach Fäkalien. Offenbar wurde auch bei dieser Art der gesamte Entwicklungszyklus von der Eiablage bis zum Schlupf der adulten Tiere durchlaufen.


Die Käfer und Larven der Histeridae ernähren sich räuberisch von den Larven und Puppen der Schmeißfliegen [8]. Sie bevölkern einen Leichnam kurz nach den Schmeißfliegen, um deren Larven zu fressen. Alle gefundenen Fliegenarten konnten mindestens eine Generation von Nachkommen auf dem Leichnam erzeugen. Die festgestellte Sukzession spricht für eine Mindestliegezeit von mehreren Monaten; allerdings war es in diesem Fall aus entomologischer Sicht nicht möglich zu bestimmen, ob sich der Leichnam mehr als ein Jahr in der Biotonne befunden hatte.


Fall 2 (1/2-jährige Liegezeit)

Während der Sektion wurden am Leichnam, in der Tonne und an den Müllsäcken insektenkundliche Asservate gesammelt. Es wurden leere Puppenhüllen von Calliphorinae, Luciliinae und Protophormia terraenovae (alles Schmeißfliegen) asserviert. Außerdem wurden adulte Tiere sowie leere Puppenhüllen der Familie der Phoridae (Buckelfliegen) und Fanniidae, und des Weiteren Larvenhäute von Dermestes lardarius (Speckkäfer) gesammelt. Aus der Flüssigkeit am Tonnenboden wurden adulte Tiere der Art Necrophorus humator (Schwarzer Totengräber) asserviert.


Auswertung

Nach Aussage des Sohnes wurde der Leichnam im Mai 2006 in die Biotonne verbracht. Aus entomologischer Sicht spricht für diese Aussage, dass leere Puppenhüllen der Art Protophormia terraenovae gefunden wurden. Diese Art ist von der Familie der Calliphoridae die am besten an Kälte adaptierte Spezies [9]. Die Höchsttemperaturen vor Ort beliefen sich Ende Mai auf 12°-16° Celsius. Diese Werte sprechen dafür, dass der Leichnam tatsächlich zur angegebenen Zeit in die Tonne verbracht wurde und zu Anfang von Protophormia terraenovae besiedelt wurde.


Die leeren Puppenhüllen der verschiedenen Arten zeigen auch in diesem Fall, dass die kompletten Entwicklungszyklen durchlaufen wurden. Der Fund von Käferlarven der Art Dermestes lardarius bestätigt ebenfalls, dass bereits mehrere Monate seit der Verbringung in die Tonne vergangen sein müssen, nach Megnin treten sie erst 3-6 Monate post mortem auf [8]. Sie ernähren sich von vertrockneten organischen Substanzen. In diesem Fall ließ sich die Aussage hinsichtlich der Postmortalzeit mithilfe der entomologischen Asservate verifizieren.


3. Diskussion

Abb. 4: Zustand der Leiche nach einer Liegezeit von einem halben Jahr (Fall 2)

Die zwei vorgestellten Fälle von "Entsorgung" eines Leichnams in einer Biotonne und die anschließende Auswertung der insektenkundlichen Asservate zeigen die Möglichkeiten und Schwierigkeiten bei der Eingrenzung der Leichenliegezeit mithilfe der Forensischen Entomologie. Im ersten Fall (3 Jahre Liegezeit) stellte sich die Frage, wie schnell die Insekten, trotz der erschwerten Zugänglichkeit, in die Tonne hineingelangen. Zu diesem Zweck führten wir eine Simulation durch, für die wir ein totes Ferkel in die Originaltonne (Abb. 1 a) legten, den Deckel schlossen und nach 2 Wochen erstmalig wieder öffneten.


Im Unterschied zum realen Fall verbrachten wir das Ferkel im Hochsommer (Juli 2005) in die Tonne und nicht wie im Originalfall im Dezember; des Weiteren wurde auf die Verpackung in Müllsäcken verzichtet. Nach zweiwöchiger Liegezeit in der geschlossenen Biotonne bei Außentemperaturen zwischen 20 und 25°C fanden sich am Ferkel Schmeißfliegenlarven im dritten Larvalstadium sowie - ertrunken in der Leichenflüssigkeit am Tonnenboden - Käfer der Art Necrophorus humator. Die Ergebnisse des Versuches zeigten, dass sowohl Schmeißfliegen als auch größere Käfer den erschwerten Zugang überwinden und die Leiche bereits nach kurzer Zeit über den Lüftungsschlitz der Tonne besiedeln.


Im Gegensatz zu den beiden vorgestellten Fällen wurden im Experiment weder adulte noch juvenile Individuen der Buckelfliegen (Phoridae) gefunden; dies ist ein wesentliches Indiz für die längere Liegezeit von mehreren Monaten in den realen Fällen. Des Weiteren konnte im Versuch gezeigt werden, dass durch die fehlende Abflussmöglichkeit im Tonnenboden die Leichenflüssigkeit gesammelt wird und so als "Falle" fungiert, in der die Käfer und einige Maden ertrinken. Durch die Flüssigkeit wird außerdem die Fettwachsbildung an der Leiche begünstigt.


Wie die beiden Fälle und unsere Simulation zeigen, finden die Insekten auch in augenscheinlich schwer zugänglichen Situationen - wie bei geschlossener Tonne und zusätzlicher Verpackung in Müllsäcken einen Zugang zur Leiche. Außerdem werden trotz der Flüssigkeit am Tonnenboden nicht alle Tiere ertränkt, wie die leeren Puppenhüllen zeigen. Viele Tiere fielen beim Abwandern von der Leiche (um anschließend in das Verpuppungsstadium einzutreten) nicht auf den Tonnenboden, sondern verpuppten sich in den Falten der Müllsäcke.


Interessanterweise fanden wir in beiden Fällen ein weitgehend übereinstimmendes Spektrum von Insektenarten. Im ersten Fall wurden also, trotz der wesentlich längeren Liegezeit, nicht verstärkt weitere Arten von späteren Zersetzungsstadien des Leichnam angezogen. So war es im Fall der 3-jährigen Liegezeit nicht möglich, anhand einer artenreicheren Insektenbesiedlung auf eine mehrjährige Liegezeit zu schließen.


Zusammenfassend ergibt sich, dass bei einer Leichenverbringung in ein bedecktes Behältnis, wie z. B. eine Biotonne mit Lüftungsschlitz, trotz einer zusätzlichen Verpackung in Müllsäcke Fliegen und andere Insekten den Leichnam in kurzer Zeit besiedeln können. Außerdem ist es bei dieser Art der Leichenverbringung gelungen, die Täteraussage über eine Leichenliegezeit innerhalb eines Jahres zu erhärten, während sich die mehrjährige Postmortalzeit nicht nachweisen ließ.


Literatur

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  • Mit großem Dank an die Redaktion für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.

    Lesetipps


    Dr. rer. medic. Mark Benecke · Diplombiologe (verliehen in Deutschland) · Öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für kriminaltechnische Sicherung, Untersuchung u. Auswertung von biologischen Spuren (IHK Köln) · Landsberg-Str. 16, 50678 Köln, Deutschland, E-Mail: forensic@benecke.com · www.benecke.com · Umsatzsteueridentifikationsnummer: ID: DE212749258 · Aufsichtsbehörde: Industrie- und Handelskammer zu Köln, Unter Sachsenhausen 10-26, 50667 Köln, Deutschland · Fallbearbeitung und Termine nur auf echtem Papier. Absprachen per E-mail sind nur vorläufige Gedanken und nicht bindend. 🗺 Dr. Mark Benecke, M. Sc., Ph.D. · Certified & Sworn In Forensic Biologist · International Forensic Research & Consulting · Postfach 250411 · 50520 Cologne · Germany · Text SMS in criminalistic emergencies (never call me): +49.171.177.1273 · Anonymous calls & suppressed numbers will never be answered. · Dies ist eine Notfall-Nummer für SMS in aktuellen, kriminalistischen Notfällen). · Rufen Sie niemals an. · If it is not an actual emergency, send an e-mail. · If it is an actual emergency, send a text message (SMS) · Never call. · Facebook Fan Site · Benecke Homepage · Instagram Fan Page · Datenschutz-Erklärung · Impressum · Archive Page · Kein Kontakt über soziale Netzwerke. · Never contact me via social networks since I never read messages & comments there.