2009 Laborjournal: Wissenschaftsbetrug reloaded

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Quelle: Laborjournal, Rubkrik 'Hintergrund', 11/2009, Seiten 20 bis 23

Wissenschaftsbetrug reloaded

Gespräch mit Armin Himmelrath, Journalist

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Interview von MARK BENECKE

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Laborjournal berichtet seit Jahren über Wissenschaftsbetrug im Labor. Den gibt es jedoch auch in einer experimentfreien aber umso schmierigeren Variante: Promotion gegen Sex und Geld.

An dem gerade laufenden Fall von Promotionsbetrug sind unter anderem die Unis Düsseldorf, Münster, Aachen, Bonn, Köln, Duisburg-Essen, Bochum und Witten-Herdecke beteiligt. Vierzehn Privat-Dozenten und außerplanmäßige Professoren sowie zwei ordentliche Professoren haben laut Ermittlungsverdacht falsche Doktortitel unter anderem in der Medizin vergeben. Der erste krumme Vogel ist laut Kölner Staatsanwaltschaft bereits zu elf Monaten Haft (auf Bewährung) verurteilt worden.

"Mich hat [im Fall Herrmann/Brach] die Reaktion des Wissenschaftsbetriebs erstaunt. Viele haben gesagt, das ist ein Einzelfall, [...] aber grundsätzlich machen Wissenschaftler so was nicht."

Auch der Journalist Armin Himmelrath beschäftigt sich mit jeder Art wissenschaftlicher Betrügereien. Und das schon seit zehn Jahren. Mark Benecke sprach mit ihm über seine journalistische Sicht auf die Probleme der Wissenschaftler.

Mark Benecke: Armin, Dich treibt das Theater mit Wissenschaftlern, die betrügen, schon lange um. Du schreibst darüber laufend Bücher, Spiegel-Artikel und Radiobeiträge. Wie bist Du zu diesem randständigen Thema gekommen?

Armin Himmelrath: Da gab‘s im Frühjahr 1998 den Fall Friedhelm Herrmann/Marion Brach, einem Ulmer Wissenschaftlerpaar, beide in der Krebsforschung tätig und sehr produktiv, was das Verfassen von Papers anging. Eines Tages hat sich dann einer der Postdocs aus der Arbeitsgruppe seinem Doktorvater anvertraut und ihm erzählt, wie unseriös viele Ergebnisse waren.

Bei der Aufarbeitung zeigte sich das ganze erschreckende Ausmaß: Da wurden Ergebnisse plagiiert, geschönt, glattgerechnet, als Gutachter aus Anträgen anderer Forscher geklaut, die dann abgelehnt wurden, am Computer zusammen gestückelt oder gleich frei erfunden – das ganze Panoptikum wissenschaftlichen Fehlverhaltens.

"In der deutschen Wissenschaftsgeschichte [...] sind wir auf etliche Fälle von Wissenschaftsbetrug gestoßen. [...] Das Problem liegt im System."

Mich hat damals die Reaktion des Wissenschaftsbetriebs erstaunt. Viele haben gesagt, das ist ein Einzelfall, da gibt’s ein hohes Maß an krimineller Energie und so weiter, aber grundsätzlich machen Wissenschaftler so was nicht. Zusammen mit meinem Kollegen Marco Finetti habe ich dann mal ein bisschen in die deutsche Wissenschaftsgeschichte geschaut – und wir sind auf etliche Fälle von Wissenschaftsbetrug gestoßen. Das war’s dann mit der Einzelfallthese, das Problem liegt im System. Wir haben ein Buch darüber veröffentlicht: Der Sündenfall – Betrug und Fälschung in der deutschen Wissenschaft (Raabe Verlag, Stuttgart, 1999).

Ist das der bizarrste Fall, dem Du begegnet bist?

Nein, lustigerweise ist das ein historischer: Der Forscher Emil Rupp hatte 1926 in seiner Habilitationsschrift die Durchführung der von Einstein kurz vorher angeregten Experimente beschrieben und dabei nebenbei die These vom Wellencharakter des Lichts angeblich experimentell bewiesen.

In einem Brief an die Zeitschrift für Physik gestand er später nicht nur ein, dass seine Experimente nie stattgefunden hatten, sondern zog gleich fünf wissenschaftliche Artikel zurück. Für sein Verhalten legte er ein Gutachten vor: Der Berliner Psychiater Victor Emil Freiherr von Gebsattel hatte ihm einen „mit psychogenen Dämmerzuständen verbundenen seelischen Schwächezustand” bestätigt. „Während dieser Erkrankung und durch sie bestimmt, hat er“, so der Psychiater, „ohne sich dessen bewußt zu sein, Mitteilungen über physikalische Phänomene (Positronen, Atomzertrümmerung) veröffentlicht, die den Charakter von Fiktionen an sich tragen.“ Wer so ‘ne Diagnose veröffentlicht, hat tatsächlich einen an der Waffel. Aber der Strafe hatte sich Rupp damit entzogen.

Wie erklärst Du Dir, dass Betrügereien derzeit häufiger auffliegen? Liegt es dran, dass mehr geforscht wird und damit auch mehr betrogen? Gibt es bessere Kontrollen? Oder was anderes?

Zum einen herrscht seit dem Fall Herrmann/Brach mehr Sensibilität. Es gab damals die Idee von Forschungspolitikern, man müsse die Wissenschaftler stärker durch Gesetze kontrollieren, um solche Entgleisungen zu verhindern. Das hat der Scientific Community natürlich nicht gepasst, man wollte unabhängig bleiben. MPG und DFG haben danach die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis aufgestellt.

Vielleicht gibt es wegen des steigenden ökonomischen Druckes aber auch wirklich mehr Fälschungen: „Publish or perish!“ gilt in immer mehr Forschungsgebieten, und bei Veröffentlichungen bekommt immer nur der Erste die Lorbeeren. Der eine oder andere wird sich da sagen: Ich weiß ja eh, was bei der Versuchsreihe raus kommt, da kann ich das Ergebnis vorformulieren. Damit ist der erste Schritt schon getan. Und wenn einem dann noch der Uni-Präsident oder Institutsleiter im Nacken sitzt und ständig nach neuen Drittmitteln fragt, ist das ein enormer Druck. Damit muss man erstmal umgehen können.

Du hast schon in einigen Gerichtsverhandlungen wegen solcher Betrügereien gesessen. Was sind das für Leute, die sich auf diese Art durchschummeln?

"Betrugsverfahren eignen sich durchaus als Instrument zum Rufmord. Als Journalist muss ich aufpassn, mich nicht instrumentalisieren zu lassen."

Viele davon scheinen gute und fähige Leute zu sein. Zumindest sind es in der Regel keine Windeier, sondern Forscher, die wirklich etwas drauf haben. Vielleicht geraten sie irgendwann wegen ihrer Erfolge in eine Art Rausch, so dass sie immer mehr und das immer schneller haben wollen und anfangen, an Ergebnissen herumzupfuschen.

Dann gibt’s natürlich diejenigen, denen es gar nicht um Ergebnisse geht, sondern nur um Titel. Oder vielleicht auch nur um Geld oder andere persönliche Vorteile.

Warum versuchen die Unis oft, Betrügereien zu kaschieren? Wie erlebst Du Deine Recherchen? Wer hilft Dir, wer mauert?

Institutionen haben generell die Tendenz, Vorwürfe erstmal abzuwehren oder kleinzureden. Die haben bei einem potenziellen Skandal Angst um ihr Image – zu Recht. Wenn, wie aktuell in Göttingen, eine Elite-Universität feststellt, dass in einem ihrer Sonderforschungsbereiche und einem Graduiertenkolleg massiv gemogelt wurde und 54 Papers auf der Publikationsliste auftauchen, die zum Teil gar nicht existieren oder angeblich noch nicht fertig sind, dann ist das ein Schock. Nach dem ersten Zurückschrecken gibt‘s in der Regel eine ordentliche Untersuchung, und dann steigt auch die Kommunikations- und Kooperationsbereitschaft nach außen.

Das andere sind Gespräche mit Beteiligten – gerade Mitarbeiter sind oft vorsichtig, weil sie innerhalb der Hierarchien Strafen und Nachteile fürchten.

Dann gibt’s Leute, die einem unglaublich viel erzählen und ellenlange Briefe schicken. Wenn man nachrecherchiert, stellt man fest, dass da offenbar eine persönliche Fehde ausgetragen wird. So gesehen hat sich innerhalb der Wissenschaft die Erkenntnis verbreitet, dass sich Betrugsvorwürfe durchaus als Instrument zum Rufmord eignen. Als Journalist muss ich aufpassen, mich nicht instrumentalisieren zu lassen.

"Insgesamt ist es schwierig, abzuwägen, was berechtigte Vorwürfe sind und was nur aus persönlicher Kränkung heraus als Betrug wahrgenommen wird."

Beispiel? Ein normaler Mensch kann sich diese Psycho-Nummer ja nicht vorstellen.

Hier ein Beispiel: „Schon während meiner Promotion fiel mir auf, dass Herr Prof. X. immer wieder Zwischenergebnisse meiner Arbeit anforderte und sie sehr genau studierte. Manchmal traf ich ihn auch abends oder am Wochenende im Labor an meinem Arbeitsplatz, wo er offenbar herumschnüffelte.
Nach der Veröffentlichung meiner Doktorarbeit hat er dann durch seine Kontakte verhindert, dass ich meinen neuen Forschungsansatz, der ja gegen seinen eigenen steht, irgendwo weiter verfolgen konnte. Ich habe mehrere Bewerbungen an Unis abgeschickt, wurde aber nirgendwo genommen, weil Prof. X dort interveniert hatte.

Letztlich hat er so verhindert, dass ich überhaupt noch als Forscher arbeitern kann. Ich lebe jetzt von Hartz IV. Um so mehr schockiert war ich, als er ein paar Jahre später einen Aufsatz veröffentlichte, in dem meine Forschungsergebnisse und mein Ansatz als seine eigene, neue Idee präsentiert wurden.“

Das ist ein typischer Fall: Konkrete Vorwürfe, aber offenbar auch eine leichte Paranoia (Herumschleichen im Labor, Verschwörungstheorie und so weiter). Ganz schön schwer, so etwas mit hundertprozentiger Sicherheit zu bewerten, und viel Arbeit, das nach zu recherchieren.

Solche Briefe und Recherchen kennen die Kollegen von Laborjournal gut... Wie gehst Du mit diesen Briefen um?

Ich versuche erstmal, sie zu verstehen! Wenn‘s um strukturelle Fragen geht, fällt mir das natürlich viel leichter als bei Fachfragen. Manchmal sind es haarkleine, fachwissenschaftliche Streits, die ich nicht nachvollziehen kann – und dann lasse ich auch die Finger davon. Andererseits erhoffen sich viele Briefeschreiber eine Art Rettung von mir, dass ich es dem Kontrahenten mal so richtig zeige. Dafür bin ich aber nicht da. Insgesamt ist es schwierig, abzuwägen, was berechtigte Vorwürfe sind und was nur aus persönlicher Kränkung heraus als Betrug wahrgenommen wird.

"Am meisten staune ich über die bodenlose Frechheit und das fehlende Unrechtsbewusstsein, mit der sich gebildete Menschen über Regeln und Gesetze hinwegsetzen."

Packt Dich, beispielsweise bei Promotionsbetrug, schon mal die Wut, oder was denkst Du über Menschen, die sich mit der einfachsten Methode einen Abschluss abholen?

Das ist mehr Verwunderung als Wut bei mir. Verwunderung darüber, dass jemand glaubt, er wäre ein besserer, wichtigerer, interessanterer Mensch, wenn er sich für 20.000 Euro einen Titel kauft. Das ist doch absurd.

Andererseits ist das offenbar auch eine finanzielle Abwägung, Zeichen der zunehmenden Ökonomisierung des ganzen Betriebs: Wenn ich jetzt das Geld für den Titel investiere, was springt später rein einkommensmäßig für mich dabei raus? Die Promotion wird auf den rein monetären Aspekt reduziert. Das finde ich ärgerlich. Am meisten aber staune ich über die bodenlose Frechheit und das fehlende Unrechtsbewusstsein, mit der sich gebildete Menschen über Regeln und Gesetze hinwegsetzen.

Neben Geld scheint ja auch Sex eine gängige Währung zu sein, um an akademische Vorteile zu kommen.

Ja, Hormone und Sex sind generell ein starker Beweggrund. Das konnte man zuletzt in Hannover sehen, wo ein Prof nicht nur angeklagt war, weil er 68 Doktoranden gegen Bezahlung angenommen haben soll, sondern auch, weil er mehreren Studentinnen gute Noten oder Hilfskraftjobs gegen Sex angeboten hatte (siehe zum Beispiel hier: http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,532055,00.html). Juristisch gesehen geht’s da um Bestechung und Vorteilsnahme, real aber auch um Lust, und zumindest bei einer der Studentinnen offenbar auch um Liebe, wie man in der Gerichtsverhandlung sehen konnte.

Gefühle und Beziehungen sind auch in der Wissenschaft ein starker Antrieb (wie überall, wo Leute miteinander arbeiten, ich denke nicht, dass das ein eigenständiges Problem der Wissenschaft ist), das konnte man schon bei den Ulmer Fälschern Friedhelm Herrmann und Marion Brach sehen, die auch ein Paar waren.

Aber das kennst Du ja vielleicht auch: Wenn man verliebt ist, entwickelt man ungeahnte Energie - manchmal geht diese Energie in Richtung gesteigerter Produktivität, und ein Forscher oder eine Forscherin berücksichtigt nicht mehr alle Regeln guter wissenschaftlicher Praxis, nur um noch mehr, noch spektakulärere und noch schnellere Ergebnisse vorzeigen zu können, um den Partner oder die Partnerin zu beeindrucken. Es gibt also einerseits Sex als Bezahlungsmittel, um im Labor an Vorteile zu gelangen, aber manchmal auch echte Liebe, aus der heraus man versucht, beim (Labor-)Partner Eindruck zu machen oder seine/ihre Wünsche nach Erfolg und Ergebnissen zu erfüllen.

Glauben Dir eigentlich normale Leute (Schwiegereltern, Ehegattin, Nachbarn, Projektkollegen, die nicht Journalisten sind), dass es so rückgratlose Wissenschaftler gibt?

(lacht) Doch, die glauben das. Erstens, weil ich ihnen so viel davon erzähle – Wissenschaftsbetrug ist ein tolles Party-Thema. Und zweitens, weil dem oft ganz menschliche Eigenschaften zugrunde liegen: Eitelkeit, Angeberei, Sex, Lust, übersteigerter Ehrgeiz. Und das gibt’s überall. Manchmal staune ich, was die mir alles aus ihren Arbeitsfeldern erzählen.



Dr. rer. medic. Mark Benecke · Diplombiologe (verliehen in Deutschland) · Öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für kriminaltechnische Sicherung, Untersuchung u. Auswertung von biologischen Spuren (IHK Köln) · Landsberg-Str. 16, 50678 Köln, Deutschland, E-Mail: forensic@benecke.com · www.benecke.com · Umsatzsteueridentifikationsnummer: ID: DE212749258 · Aufsichtsbehörde: Industrie- und Handelskammer zu Köln, Unter Sachsenhausen 10-26, 50667 Köln, Deutschland · Fallbearbeitung und Termine nur auf echtem Papier. Absprachen per E-mail sind nur vorläufige Gedanken und nicht bindend. 🗺 Dr. Mark Benecke, M. Sc., Ph.D. · Certified & Sworn In Forensic Biologist · International Forensic Research & Consulting · Postfach 250411 · 50520 Cologne · Germany · Text SMS in criminalistic emergencies (never call me): +49.171.177.1273 · Anonymous calls & suppressed numbers will never be answered. · Dies ist eine Notfall-Nummer für SMS in aktuellen, kriminalistischen Notfällen). · Rufen Sie niemals an. · If it is not an actual emergency, send an e-mail. · If it is an actual emergency, send a text message (SMS) · Never call. · Facebook Fan Site · Benecke Homepage · Instagram Fan Page · Datenschutz-Erklärung · Impressum · Archive Page · Kein Kontakt über soziale Netzwerke. · Never contact me via social networks since I never read messages & comments there.