2006 SeroNews: Buchrezension Rolf Bossi: Halbgötter in Schwarz
Quelle:SeroNews 1:22-23 (2006)
Buchrezension: Rolf Bossi: Halbgötter in Schwarz. Deutschlands Justiz am Pranger
Eichborn, 2005, Hardcover, ISBN 3-8218-5609-2
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VON MARK BENECKE
Das Buch wird sich schlecht verkaufen. Rolf Bossi, dessen Name seit vierzig Jahren für Straf-Verteidigung mit Schweiß und Tränen steht, hat das Richtige getan und es trotzdem falsch gemacht. Anstatt seine berühmtesten Fälle aufzuschreiben, wirft Bossi dem deutschen Rechts-System lieber alles, was er zu bieten hat, vor und zwischen die Füße. Das ist aus seiner Sicht mehr als angemessen. Denn Bossi möchte etwas ändern und sich nicht im nutzlosen Abglanz der ihm wahrscheinlich zum Hals heraus hängenden menschlichen Todsünden sonnen.
Doch leider ist aus seinem Buch ein Fachbuch geworden, auch wenn man es nur schleichend merkt. Was als Sammlung von rechtlichen Irrtümern, Hürden und Verdrehungen anhand einiger gut ausgesuchter, unbekannter Fälle daherkommt, geht stellenweise blitzschnell in die Tiefe. Dazu ein Beispiel:
"Das Missverhältnis zwischen Berufung und Revision ist völlig absurd", schreibt Bossi. "Es wird seit Jahrzehnten von allen Strafverteidigern laut beklagt -- und hinter vorgehaltener Hand selbst von vielen konservativen Richtern, Staatsanwälten und Rechtswissenschaftlern. Dennoch ändert sich nichts.
Denn die Beseitigung dieses Missstandes würde eine völlige Neuorganisation der bundesdeutschen Strafjustiz erfordern. Eine zweite Tatsacheninstanz nach den Großen Strafkammern und Schwurgerichtskammern der Landgerichte müsste naturgemäß bei den Oberlandesgerichten angesiedelt werden. (...)
(Eine Besserung der Situation kann vermutlich nur dadurch erreicht werden, dass man im "großen" Strafverfahren Sicherungen einbaut, die der Berufung zumindest vergleichbar sind. Dazu müssten die Möglichkeiten der sachlichen Revisionsrüge erweitert werden."
Haben Sie das verstanden? Ganz ehrlich? Dann sind Sie wahrscheinlich studierter Jurist. Ich nicht.
Unabhängig von solchen formelleren und anderen, mehr Plädoyer-artigen Passagen zeigt Bossi, was einen Straf-Verteidiger in schlaflosen Nächten und an Verhandlungs-Tagen gleichermaßen nerven muss: Dass ein Mandant verurteilt wird, wo der andere im selben Fall noch nicht einmal angeklagt wird (S. 181 ff.). Dass in einer Urteils-Begründung Zeugen ein ganz kleines bisschen falsch zitiert werden -- allerdings so, dass das Urteil erst dadurch wasserdicht wird (S. 43 ff.), und so weiter.
Leider sind Bossis Mandanten oft sozial schwach, stammen aus anderen Ländern oder Ethnien, lieben bekloppte Sex-Spielchen, schäumen vor Wut oder laufen grundsätzlich mit einer Knarre über die Straße. Es ist kein Wunder, dass sich kaum jemand für sie einsetzen möchte, wo es doch unendlich viel Mühe kosten würde, für seie ein ganzes Rechts-System zu ändern. Zwar liefert Bossi auch das gute Beispiel eines Staatsanwaltes, der in die Mühlen seines eigenen Apparates gerät, doch die saftigsten Rechts-Verdrehungen betreffen meist Mitglieder von Rand-Gruppen.
Dass Bossi, mittlerweile 83 Jahre alt, stur und wacker sein Flammenschwert nicht nur schwingt, sondern auch versenkt, wo immer er nur kann, ist erstaunlich und bestätigt meinen Respekt vor ihm und seiner Zunft. Warum er aber ein derart ungemütliches und getriebenes Leben gewählt hat, das hätte ich doch noch gerne erfahren.
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