2005 SeroNews: Adrienne Lochte (2004): Sie werden dich nicht finden. Der Fall Jakob von Metzler
Quelle: SeroNews10(1):8 (2005)
sowie leicht gekürt auch in:
bund deutscher kriminalbeamter (bdk) köln, blickpunkt 2/2005, S. 19-20
Adrienne Lochte (2004): Sie werden dich nicht finden. Der Fall Jakob von Metzler
Droemer, München, Hardcover, € 18,90, ISBN 3-426-27345-4
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Rezension Mark Benecke
Wie gut, dass ausgerechnet Adrienne Lochte dieses Buch geschrieben hat. Sie ist -- anders als fast alle Autoren von Pitavals -- eine Frau, vergleichsweise jung, war Polizei-Reporterin bei der FAZ, hat den Fall recherchiert, als es auch wirklich etwas zu recherchieren gab und hält sie sich aus Politik und Juristerei heraus.
Obwohl damit schon die besten Anfangs-Bedingungen gegeben sind, hat die Autorin sich außerdem (wie auch ihrer kryptischen Danksagung zu entnehmen ist) sehr nah an die Menschen getraut, die in diesem Fall die Opfer sind. Und das sind neben den offensichtlichen Personen unerwartet viele: Die Pfarrgemeinde, die seit Jahren einen sehr stillen und zähen Kampf gegen den Bilderbuch-Jugend-Betreuer Markus Gäfgen focht, die Kumpels des Täters aus stinkreichen Stadt-Vierteln Frankfurts, Lehrer, Schüler und ganz besonders Gäfgens Freundin. Denn nach herrschender Legende war es ja sie, die durch ihre Gier den Täter gleichsam anstiftete, immer mehr Geld zu beschaffen.
Ohne Blabla und Psychologisierungen gelingt es Adrienne Lochte, gründlich durchzulüften und Platz für eine sinnvolle und moderne Deutung einer Kriminal-Geschichte zu schaffen, die man ansonsten für langweilig halten könnte. Stattdessen scheint es mir nach Lektüre ihres Berichtes nun, dass Gäfgen ein missing link zwischen Serientätern mit hohen Opfer-Zahlen und den dilettierenden Antisozialen sein könnte, die sonst hin und wieder Kinder töten, weil sie keine anderen Menschen zu fassen kriegen.
Die wenigen Dokumente im Buch sind gut ausgewählt, beispielsweise der abenteuerliche Erpresser-Brief Gäfgens sowie kurze Zitate aus dem Trauer-Buch der Schule des Getöteten. Ansonsten führt der Text journalistisch sauber und ohne Dichtung durch die Erlebnis-Welten der Beteiligten. Die wenigen Fiktionalisierungen sind ausnahmsweise hilfreich -- und vor allem deutlich gekennzeichnet.
Ich habe selten einen besseren modernen Pitaval gelesen als dieses uneitle und gut recherchierte Buch. Es weist schon jetzt über sich und den eigentlichen Kriminal-Fall hinaus, indem es künftigen LeserInnen zeigen wird, dass wir auch im Jahr 2004 noch wenig darüber wussten, wie Menschen ticken, aber dennoch brauchbare Wege gefunden haben, das Chaos in den Herzen nicht in gesellschaftliches Chaos ausufern zu lassen.
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