2004 Skeptiker Magazin: Das Blutwunder von Neapel: Difference between revisions

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Quelle: Skeptiker, 3/2004, S. 114-117;123<br>
Quelle: Skeptiker, 3/2004, S. 114-117;123<br>


=<font color="orange">Das Blutwunder von Neapel</font>=
=<font color="orange">Das Blutwunder von Neapel</font>=


[Alle [[All Para-Scientific Phenomena|para-wissenschaftlichen Phänomene]]]
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'''Von Mark Benecke'''<br>
'''VON MARK BENECKE'''<BR>
                          
                          


Neapel! Stadt des charmanten Chaos, der hügeligen Gassen, des fürchterlich starken Espresso! Heimat eines sympathischen Blut-Wunders und des Bischofes Januarius (lat.: der Pförtner)...<br>
Neapel! Stadt des charmanten Chaos, der hügeligen Gassen, des fürchterlich starken Espresso! Heimat eines sympathischen Blut-Wunders und des Bischofes Januarius (lat.: der Pförtner)...<br>


In einer Hopplahopp-Aktion suchte das ZDF im April 2004 einen Experten, der zum sich in Kürze wieder verflüssigenden Blut des Heiligen St. Januarius etwas sagen bzw. noch besser die rotbraune Substanz nachkochen und zudem der Prozession in Neapel beiwohnen könne. <br>
In einer Hopplahopp-Aktion suchte das ZDF im April 2004 einen Experten, der zum sich in Kürze wieder verflüssigenden Blut des Heiligen St. Januarius etwas sagen bzw. noch besser die rotbraune Substanz nachkochen und zudem der Prozession in Neapel beiwohnen könne. <br>


Die GWUP-Kollegen Bernd Harder (katholische Wunder) [7] und Jochen Bergmann (Lebensmittel-Chemie) spielten den Ball mir, dem Kriminalbiologen, zu [4]. Dafür danke ich den beiden, denn ich lernte bei der Vor-Ort-Analyse viel -- auch darüber, was konservative Medien, hier das ZDF und die BILD-Zeitung [3,9], unter Optimal-Bedingungen wahrnehmen möchten, können und dürfen. Denn klar ist: Dröge Aufklärung alleine taugt nix. Sexy und mirakulös muss ein Thema (auch: "Stoff", "Story" oder "Stück") sein, selbst wenn der Forscher sich zwischendurch die Haare rauft. <br>
Die GWUP-Kollegen Bernd Harder (katholische Wunder) [7] und Jochen Bergmann (Lebensmittel-Chemie) spielten den Ball mir, dem Kriminalbiologen, zu [4]. Dafür danke ich den beiden, denn ich lernte bei der Vor-Ort-Analyse viel -- auch darüber, was konservative Medien, hier das ZDF und die BILD-Zeitung [3,9], unter Optimal-Bedingungen wahrnehmen möchten, können und dürfen. Denn klar ist: Dröge Aufklärung alleine taugt nix. Sexy und mirakulös muss ein Thema (auch: "Stoff", "Story" oder "Stück") sein, selbst wenn der Forscher sich zwischendurch die Haare rauft. <br>


Um es kurz zu machen und vor allem Bilder (Abb. 1-16) sprechen zu lassen: Seit angeblich dem Jahr 1389 verflüssigt sich eine rötlich-braune Substanz (das "Blut" des Heiligen Januarius) in zwei gut verschlossenen Fläschchen. Die Verflüssigung ist, wie ich aus einem Abstand von wenigen Metern beobachten konnte, weder ein Vertauschungs-Trick noch eine Wahrnehmungs-Täuschung, sondern geschieht unter von allen Seiten gut beobachtbaren Bedingungen im Hellen (Abb. 1, 2). <br>
Um es kurz zu machen und vor allem Bilder (Abb. 1-16) sprechen zu lassen: Seit angeblich dem Jahr 1389 verflüssigt sich eine rötlich-braune Substanz (das "Blut" des Heiligen Januarius) in zwei gut verschlossenen Fläschchen. Die Verflüssigung ist, wie ich aus einem Abstand von wenigen Metern beobachten konnte, weder ein Vertauschungs-Trick noch eine Wahrnehmungs-Täuschung, sondern geschieht unter von allen Seiten gut beobachtbaren Bedingungen im Hellen (Abb. 1, 2). <br>


Auffällig ist, dass neben einer runden Flasche, in der das Wunder-Blut gut zu sehen ist, noch ein älter erscheinendes Fläschchen steht, in das man wegen seiner Form und Farbe kaum sehen kann (Abb. 3). Nach älteren Quellen italienischer Kollegen soll es fast 200 solcher Fläschchen im Raum Neapel geben [1,2].<br>
Auffällig ist, dass neben einer runden Flasche, in der das Wunder-Blut gut zu sehen ist, noch ein älter erscheinendes Fläschchen steht, in das man wegen seiner Form und Farbe kaum sehen kann (Abb. 3). Nach älteren Quellen italienischer Kollegen soll es fast 200 solcher Fläschchen im Raum Neapel geben [1,2].<br>


In Italien ist dabei das "Blut" des Hl. Lorenz besonders bekannt, weil es dem Kollegen Garlaschelli von der Universität Pavia schon vor mehr als zehn Jahren gelungen war, mit Erlaubnis von Pater Italo Pisterzi von der Kirche der Hl. Maria in Amaseno, das "Blut" im verschlossenen Original-Fläschchen durch Abkühlen und darauf folgendes, mildes Erhitzen mit einem Fön zu verflüssigen und wieder zu verfestigen [5,6,8]. Auch vom Hl. St. Pantaleon, der unter rheinischen Katholiken sehr bekannt ist, weil sein Schädel in Köln liegt, sind mehrere Blut-Fläschchen im Süden verteilt. Im Madrid verflüssigt sich sein "Blut" beispielsweise stets am 27. Juli im Konvent der dortigen Augustinerinnen.<br>
In Italien ist dabei das "Blut" des Hl. Lorenz besonders bekannt, weil es dem Kollegen Garlaschelli von der Universität Pavia schon vor mehr als zehn Jahren gelungen war, mit Erlaubnis von Pater Italo Pisterzi von der Kirche der Hl. Maria in Amaseno, das "Blut" im verschlossenen Original-Fläschchen durch Abkühlen und darauf folgendes, mildes Erhitzen mit einem Fön zu verflüssigen und wieder zu verfestigen [5,6,8]. Auch vom Hl. St. Pantaleon, der unter rheinischen Katholiken sehr bekannt ist, weil sein Schädel in Köln liegt, sind mehrere Blut-Fläschchen im Süden verteilt. Im Madrid verflüssigt sich sein "Blut" beispielsweise stets am 27. Juli im Konvent der dortigen Augustinerinnen.<br>


Doch zurück zu Januarius. Das Heiligen-Lexikon berichtet zu diesem Heiligen:<br>


"Januarius' Reliquien wurden 835 von Neapel nach Benevent übertragen und 1491 nach Neapel zurückgebracht, wo er Namensgeber des Doms ist; sie sind Grundlage einer besonderen Verehrung mit den dort aufbewahrten Ampullen, deren trockenes Blut flüssig erscheint, wenn sie an seinem Hauptfest in die Nähe seines Hauptes gebracht werden. Das so genannte Blutwunder ereignet sich meist am Samstag vor dem 1. Mai, dem Fest der Überbringung der Reliquie nach Neapel, am 19. September und am 16. Dezember, dem Gedächtnistag der Warnung vor dem Vesuvausbruch im Jahr 1631. In den letzten 400 Jahren wurden zusätzlich noch etwa 80 Verflüssigungen außerhalb der genannten Zeiten gezählt. Eine Nichtverflüssigung gilt als schlimmes Omen."<br>
Doch zurück zu Januarius. Das Heiligen-Lexikon berichtet zu diesem Heiligen:<br>
 
 
<i>Januarius' Reliquien wurden 835 von Neapel nach Benevent übertragen und 1491 nach Neapel zurückgebracht, wo er Namensgeber des Doms ist; sie sind Grundlage einer besonderen Verehrung mit den dort aufbewahrten Ampullen, deren trockenes Blut flüssig erscheint, wenn sie an seinem Hauptfest in die Nähe seines Hauptes gebracht werden. Das so genannte Blutwunder ereignet sich meist am Samstag vor dem 1. Mai, dem Fest der Überbringung der Reliquie nach Neapel, am 19. September und am 16. Dezember, dem Gedächtnistag der Warnung vor dem Vesuvausbruch im Jahr 1631. In den letzten 400 Jahren wurden zusätzlich noch etwa 80 Verflüssigungen außerhalb der genannten Zeiten gezählt. Eine Nichtverflüssigung gilt als schlimmes Omen.</i><br>  
 


Weil sich das Blut am ersten Tag tatsächlich nicht verflüssigte, stand ich in einem Meer intensiv Betender und teils ernsthaft erschütterter Italiener/-innen, die bei der Abschluss-Kundgebung in der großen Kathedrale von Neapel nun Vulkan-Ausbrüche und Erdbeben, also um ihr Leben, fürchteten. Die Stimmung war niederdrückend. Ältere Leute packte tiefer Kummer, die Gutgekleideten in den ersten Reihen der Kirche wurden immerhin blass (Abb. 4).<br>
Weil sich das Blut am ersten Tag tatsächlich nicht verflüssigte, stand ich in einem Meer intensiv Betender und teils ernsthaft erschütterter Italiener/-innen, die bei der Abschluss-Kundgebung in der großen Kathedrale von Neapel nun Vulkan-Ausbrüche und Erdbeben, also um ihr Leben, fürchteten. Die Stimmung war niederdrückend. Ältere Leute packte tiefer Kummer, die Gutgekleideten in den ersten Reihen der Kirche wurden immerhin blass (Abb. 4).<br>


Noch viel stärker war der Kardinal in Bedrängnis, in dessen Händen sich das Blut trotz des bewährten Ritus und nach einer langen Prozession einfach nicht verwandeln wollte (Abb. 5, 6). Nachdem er das Gefäß bereits ein dutzend Mal gedreht und gewendet hatte, verkündete er verunsichert und sichtlich verstimmt, dass die Welt offenbar in einem derart üblen Zustand sei, dass das Wunder diesmal ausfalle (Abb. 7). Das sei ein göttlicher Fingerzeig, sich innerlich zu bessern. Damit entließ das sprachlose und entsetzte Publikum in den schönen Frühlings-Abend.<br>
Noch viel stärker war der Kardinal in Bedrängnis, in dessen Händen sich das Blut trotz des bewährten Ritus und nach einer langen Prozession einfach nicht verwandeln wollte (Abb. 5, 6). Nachdem er das Gefäß bereits ein dutzend Mal gedreht und gewendet hatte, verkündete er verunsichert und sichtlich verstimmt, dass die Welt offenbar in einem derart üblen Zustand sei, dass das Wunder diesmal ausfalle (Abb. 7). Das sei ein göttlicher Fingerzeig, sich innerlich zu bessern. Damit entließ das sprachlose und entsetzte Publikum in den schönen Frühlings-Abend.<br>


Zu meinem Erstaunen hörte ich danach vor der Kathedrale mehrfach hämische Bemerkungen darüber, dass der Grund des gescheiterten Wunders wohl eher darin zu sehen sei, dass die anwesenden Kleriker, wie allgemein bekannt sei, korrupte Geschäftemacher seien.<br>
Zu meinem Erstaunen hörte ich danach vor der Kathedrale mehrfach hämische Bemerkungen darüber, dass der Grund des gescheiterten Wunders wohl eher darin zu sehen sei, dass die anwesenden Kleriker, wie allgemein bekannt sei, korrupte Geschäftemacher seien.<br>


Abgesehen davon passierte nach dem misslungenen Versuch Dreierlei:<br>
Abgesehen davon passierte nach dem misslungenen Versuch Dreierlei:<br>


1) Die Kirchgänger -- praktisch nur Über-45-jährige -- verließen deutlich zerknirscht die Kirche und bereiteten sich auf eine (für mich zunächst verwunderliche) "Wiederholung" am folgenden Morgen vor.<br>
1) Die Kirchgänger -- praktisch nur Über-45-jährige -- verließen deutlich zerknirscht die Kirche und bereiteten sich auf eine (für mich zunächst verwunderliche) "Wiederholung" am folgenden Morgen vor.<br>
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2) Die jüngeren Menschen gaben auf Befragen in den Straßen um die Kirche herum an, dass sie überhaupt nicht wüssten, warum wir alle so aufgeregt seien und ob wir von einer 1. Mai-Feier kämen?<br>
2) Die jüngeren Menschen gaben auf Befragen in den Straßen um die Kirche herum an, dass sie überhaupt nicht wüssten, warum wir alle so aufgeregt seien und ob wir von einer 1. Mai-Feier kämen?<br>


3) Die anwesende ZDF-Journalistin entschied sich spontan für folgende Geschichte: "Es muss sich hier um ein Wunder handeln. Herr Benecke kann mit seiner Behauptung nicht Recht haben, dass das Blut eine Mischung von in Neapel und Umgebung besonders leicht erhältlichen Chemikalien ist (Abb. 8, 9). Der Beweis dafür ist, dass sich das Blut heute nicht verflüssigt hat. Hätte es sich verflüssigt, so würde ich glauben, dass das Blut im Reagiergefäß hergestellt werden kann. So aber scheinen mir andere Einflüsse vorzuliegen."<br>
3) Die anwesende ZDF-Journalistin entschied sich spontan für folgende Geschichte: <i>"Es muss sich hier um ein Wunder handeln. Herr Benecke kann mit seiner Behauptung nicht Recht haben, dass das Blut eine Mischung von in Neapel und Umgebung besonders leicht erhältlichen Chemikalien ist (Abb. 8, 9). Der Beweis dafür ist, dass sich das Blut heute nicht verflüssigt hat. Hätte es sich verflüssigt, so würde ich glauben, dass das Blut im Reagiergefäß hergestellt werden kann. So aber scheinen mir andere Einflüsse vorzuliegen."</i><br>
 


Hier klingelte meine skeptische Alarm-Glocke, denn diesem wagemutigen Gedanken-Weg lässt sich nichts entgegen setzen. Bei sehr viel Pizza und noch mehr rotem Wein beschlossen das ZDF-Team und ich, uns vorsichtshalber gegenseitig auf den Fersen zu bleiben.<br>
Hier klingelte meine skeptische Alarm-Glocke, denn diesem wagemutigen Gedanken-Weg lässt sich nichts entgegen setzen. Bei sehr viel Pizza und noch mehr rotem Wein beschlossen das ZDF-Team und ich, uns vorsichtshalber gegenseitig auf den Fersen zu bleiben.<br>


Am folgenden Tag gelang es mir, der stets nach Tat-Verdächtigen sucht, eines der Geheimnisse des nun endlich, nach gewaltigem Drehen und Wenden des Gefäßes zuletzt stattfindenden Verflüssigungs-Wunders zu verstehen: Die Zeremonie wurde, anders als am Vortag, von einem in weiß gewandeten Mann, wohl dem Diakon der Gemeinde, begleitet. (Der Kardinal war am Vortag abgereist und hatte dem örtlichen Priester alles weitere überlassen.)<br>
Am folgenden Tag gelang es mir, der stets nach Tat-Verdächtigen sucht, eines der Geheimnisse des nun endlich, nach gewaltigem Drehen und Wenden des Gefäßes zuletzt stattfindenden Verflüssigungs-Wunders zu verstehen: Die Zeremonie wurde, anders als am Vortag, von einem in weiß gewandeten Mann, wohl dem Diakon der Gemeinde, begleitet. (Der Kardinal war am Vortag abgereist und hatte dem örtlichen Priester alles weitere überlassen.)<br>


Als die Anwesenden an diesem zweiten Tag erneut allen Mut schon sinken ließen und die Zeremonie erfolglos abgebrochen werden sollte, tat der Diakon etwas Interessantes: Er verließ den Chor-Raum und forderte die in ersten Reihe betenden sechs älteren Frauen, die schon am Vortag den altertümlichen Singsang zur Anbetung von San Gennaro unermüdlich wiederholt hatten, auf, unbedingt weiter zu singen (Abb. 10).<br>
Als die Anwesenden an diesem zweiten Tag erneut allen Mut schon sinken ließen und die Zeremonie erfolglos abgebrochen werden sollte, tat der Diakon etwas Interessantes: Er verließ den Chor-Raum und forderte die in ersten Reihe betenden sechs älteren Frauen, die schon am Vortag den altertümlichen Singsang zur Anbetung von San Gennaro unermüdlich wiederholt hatten, auf, unbedingt weiter zu singen (Abb. 10).<br>


Ich leite daraus ab, dass dieser Mann, der im Gegensatz zu den deutlich erregten Priestern und Laien keine Mine verzog, wohl weiß, warum sich die Substanz wirklich verflüssigt: Sie muss einfach genügend bewegt werden. Da die Priester die Dreh-Bewegung an beiden Tagen aber nur recht zaghaft ausführen, um zu prüfen, ob das Blut flüssig ist, spielte er nun auf Zeit.<br>
Ich leite daraus ab, dass dieser Mann, der im Gegensatz zu den deutlich erregten Priestern und Laien keine Mine verzog, wohl weiß, warum sich die Substanz wirklich verflüssigt: Sie muss einfach genügend bewegt werden. Da die Priester die Dreh-Bewegung an beiden Tagen aber nur recht zaghaft ausführen, um zu prüfen, ob das Blut flüssig ist, spielte er nun auf Zeit.<br>


Ungewöhnlich war dabei, dass selbst die lange Prozession durch Neapel am Vortag nicht die nötige Energie ins thixotrope Material gebracht hatte. Immerhin bewegen sich die Träger in einem zeremoniell sehr eigentümlichen Gleichschritts, der das höchstmögliche Schwanken der Reliquie bewirkt (Abb. 11).<br>
Ungewöhnlich war dabei, dass selbst die lange Prozession durch Neapel am Vortag nicht die nötige Energie ins thixotrope Material gebracht hatte. Immerhin bewegen sich die Träger in einem zeremoniell sehr eigentümlichen Gleichschritts, der das höchstmögliche Schwanken der Reliquie bewirkt (Abb. 11).<br>


Die Betenden können übrigens nicht erkennen, ob bzw. wann genau sich das "Blut" verflüssigt, weil die Fläschchen recht klein sind. Stattdessen tut ein daneben stehender Laien-Zeuge durch Schwenken eines Taschentuches kund, ob das Wunder bereits eingetreten ist (Abb. 12). Umso größer ist deshalb die Anspannung der Anwesenden. Wegen der mangelnden Größe der Fläschchen achten sie weniger auf das Heiligenblut als auf jede Regung, die im Raum stattfindet. So kam es am ersten Tag in der Kirche auch zu kleinen, sofort wieder ersterbenden Jubel-Ausbrüchen der Menge, wenn der ein oder andere das Minen-Spiel des Kardinals missdeutet hatte.<br>
Die Betenden können übrigens nicht erkennen, ob bzw. wann genau sich das "Blut" verflüssigt, weil die Fläschchen recht klein sind. Stattdessen tut ein daneben stehender Laien-Zeuge durch Schwenken eines Taschentuches kund, ob das Wunder bereits eingetreten ist (Abb. 12). Umso größer ist deshalb die Anspannung der Anwesenden. Wegen der mangelnden Größe der Fläschchen achten sie weniger auf das Heiligenblut als auf jede Regung, die im Raum stattfindet. So kam es am ersten Tag in der Kirche auch zu kleinen, sofort wieder ersterbenden Jubel-Ausbrüchen der Menge, wenn der ein oder andere das Minen-Spiel des Kardinals missdeutet hatte.<br>


Das ZDF -- nach dem zweiten Tag nun doch von der Vorhersagbarkeit des Wunders überzeugt -- schnitt trotz eines aufwändigen Drehs, in dem ich im Labor die Verflüssigung bereits vorgemacht hatte, diese meiner Meinung nach wichtigste Sequenz vollständig aus dem Beitrag heraus. Bei nicht ganz trennscharfem Zuschauen konnte so der Eindruck entstehen, dass es sich vielleicht doch um ein echtes Wunder handeln könnte.<br>
Das ZDF -- nach dem zweiten Tag nun doch von der Vorhersagbarkeit des Wunders überzeugt -- schnitt trotz eines aufwändigen Drehs, in dem ich im Labor die Verflüssigung bereits vorgemacht hatte, diese meiner Meinung nach wichtigste Sequenz vollständig aus dem Beitrag heraus. Bei nicht ganz trennscharfem Zuschauen konnte so der Eindruck entstehen, dass es sich vielleicht doch um ein echtes Wunder handeln könnte.<br>


Ähnlich verfuhr die BILD-Zeitung, die zwar an sehr prominenter Stelle inhaltlich völlig korrekt über das Ereignis berichtete, aber ebenfalls das (ein zweites Mal im Labor nachgestellte) Experiment verschwieg und stattdessen "Vatikan-Experten kontern" ließ:
<br>
"Der Experte: "Es ist eine einfache chemische Reaktion aus Eisen-Drei-Chlorid, Eierschalenkalk und Wasser. Alle Zutaten gibt es seit Jahrhunderten." Der Trick: "Durch das Bewegen der Ampulle verflüssigt sich der feste Stoff."<br>


"Unsinn", kontern Vatikan-Experten. "Schon öfter verflüssigte sich das Blut nicht."<br>
Ähnlich verfuhr die BILD-Zeitung, die zwar an sehr prominenter Stelle inhaltlich völlig korrekt über das Ereignis berichtete, aber ebenfalls das (ein zweites Mal im Labor nachgestellte) Experiment verschwieg und stattdessen "Vatikan-Experten kontern" ließ:<br>
 
 
<i>"Der Experte: "Es ist eine einfache chemische Reaktion aus Eisen-Drei-Chlorid, Eierschalenkalk und Wasser. Alle Zutaten gibt es seit Jahrhunderten." Der Trick: "Durch das Bewegen der Ampulle verflüssigt sich der feste Stoff."<br>
 
"Unsinn", kontern Vatikan-Experten. "Schon öfter verflüssigte sich das Blut nicht."</i><br>
 


Eine ähnliche Erfahrung, allerdings wesentlich härter ausgeprägt, machte GWUP-Kollege Wolfgang Hund, der als Illusions- und Manipulations-Künstler im Februar 2004 dem TV-Sender RTL vorgeführt hatte, wie Uri Geller Löffel biegt. Hunds eindeutige und klare Vorführungen wurden im ersten Teil der Sendung zugunsten Gellers Vorführung gar nicht gezeigt, sondern erst in einem später gesendetem Beitrag kurz angedeutet.<br>
Eine ähnliche Erfahrung, allerdings wesentlich härter ausgeprägt, machte GWUP-Kollege Wolfgang Hund, der als Illusions- und Manipulations-Künstler im Februar 2004 dem TV-Sender RTL vorgeführt hatte, wie Uri Geller Löffel biegt. Hunds eindeutige und klare Vorführungen wurden im ersten Teil der Sendung zugunsten Gellers Vorführung gar nicht gezeigt, sondern erst in einem später gesendetem Beitrag kurz angedeutet.<br>


Dabei klärt das Labor-Blut eindeutig, was wirklich geschieht: Eine Substanz, die mit örtlich problemlos erhältlichen Chemikalien schon seit Jahrhunderten herstellbar ist, geht durch Bewegung recht plötzlich vom scheinbar "festen" Gel- in den flüssigen Sol-Zustand über (Thixotropie).<br>
Dabei klärt das Labor-Blut eindeutig, was wirklich geschieht: Eine Substanz, die mit örtlich problemlos erhältlichen Chemikalien schon seit Jahrhunderten herstellbar ist, geht durch Bewegung recht plötzlich vom scheinbar "festen" Gel- in den flüssigen Sol-Zustand über (Thixotropie).<br>


Skeptiker sollten sich dennoch nicht über die etwas verbogenen Bericht-Erstattung ärgern. Eine Prise übersinnlicher Ungewissheit lässt nun einmal jede Geschichte spannend bleiben -- und nichts anderes verkaufen die Medien: Schöne Geschichten. Pure, kritische und rein inhaltsbezogenen Aufklärung ist für das breite Publikum nicht spannend, wie die niedrige Auflage des SKEPTIKER zeigt.<br>
Skeptiker sollten sich dennoch nicht über die etwas verbogenen Bericht-Erstattung ärgern. Eine Prise übersinnlicher Ungewissheit lässt nun einmal jede Geschichte spannend bleiben -- und nichts anderes verkaufen die Medien: Schöne Geschichten. Pure, kritische und rein inhaltsbezogenen Aufklärung ist für das breite Publikum nicht spannend, wie die niedrige Auflage des SKEPTIKER zeigt.<br>


Ich meine, dass wir Skeptiker stattdessen glücklich sein können, dass sich gerade die beiden konservativsten deutschen Massen-Medien entschieden haben, das ohne chemisches Fach-Wissen nicht begreifliche napolitanische Blut-Wunder im Kern korrekt darzustellen: Als eine emotional aufgeladene, kirchliche Inszenierung für katholische Menschen.<br>
Ich meine, dass wir Skeptiker stattdessen glücklich sein können, dass sich gerade die beiden konservativsten deutschen Massen-Medien entschieden haben, das ohne chemisches Fach-Wissen nicht begreifliche napolitanische Blut-Wunder im Kern korrekt darzustellen: Als eine emotional aufgeladene, kirchliche Inszenierung für katholische Menschen.<br>


Angenehm war vor Ort übrigens, dass keinerlei Geschäft aus dem "Wunder" geschlagen wird. Es gibt nur einen winzigen Stand in der Kirche, der kleine Souvenirs für wenig Geld verkauft (Abb. 13), ansonsten fanden sich weder eine Kirmes noch Pommes-Buden, T-Shirt-, Devotionalien- oder Buch-Verkäufer -- nichts. Die religiöse Veranstaltung wird also nicht, wie es in Zentral-Europa so oft geschieht, profanisiert, indem man den Glauben vorschiebt, um einen freien Arbeits-Tag herauszuschinden oder eben auf einer Kirmes Zuckerwatte zu schlecken. Obwohl es sich regelmäßig wiederholt, berichten die italienischen Zeitungen allerdings landesweit über das Ereignis (Abb. 14).<br>
Angenehm war vor Ort übrigens, dass keinerlei Geschäft aus dem "Wunder" geschlagen wird. Es gibt nur einen winzigen Stand in der Kirche, der kleine Souvenirs für wenig Geld verkauft (Abb. 13), ansonsten fanden sich weder eine Kirmes noch Pommes-Buden, T-Shirt-, Devotionalien- oder Buch-Verkäufer -- nichts. Die religiöse Veranstaltung wird also nicht, wie es in Zentral-Europa so oft geschieht, profanisiert, indem man den Glauben vorschiebt, um einen freien Arbeits-Tag herauszuschinden oder eben auf einer Kirmes Zuckerwatte zu schlecken. Obwohl es sich regelmäßig wiederholt, berichten die italienischen Zeitungen allerdings landesweit über das Ereignis (Abb. 14).<br>


Insgesamt habe ich das Blut-Wunder von Neapel als etwas im Grunde Schönes wahrgenommen, das den vorwiegend älteren Katholiken helfen soll, ihren Glauben aufrecht zu erhalten (Abb. 16). Ob das wünschenswert ist oder nicht, geht mich nichts an. Der örtliche Priester war jedenfalls so froh, als die Verflüssigung endlich eintrat, dass er seine Tränen nicht mehr zurück halten konnte und ohne jede Schauspielerei weinte (Abb. 15).<br>
Insgesamt habe ich das Blut-Wunder von Neapel als etwas im Grunde Schönes wahrgenommen, das den vorwiegend älteren Katholiken helfen soll, ihren Glauben aufrecht zu erhalten (Abb. 16). Ob das wünschenswert ist oder nicht, geht mich nichts an. Der örtliche Priester war jedenfalls so froh, als die Verflüssigung endlich eintrat, dass er seine Tränen nicht mehr zurück halten konnte und ohne jede Schauspielerei weinte (Abb. 15).<br>


Auch einen bösartigen Betrug der Kleriker kann ich nicht erkennen, weil mehrere Theologen heute argumentieren, dass Wunder oder Reliquien nicht deshalb so bedeutsam sind, weil sie echt seien, sondern weil sie als subjektiver Glaubens-Beweis dienten [4]. Hierdurch ist eine skeptische Entlarvung verunmöglicht, da die Echtheit des Wunders gar nicht behauptet wird.<br>
Auch einen bösartigen Betrug der Kleriker kann ich nicht erkennen, weil mehrere Theologen heute argumentieren, dass Wunder oder Reliquien nicht deshalb so bedeutsam sind, weil sie echt seien, sondern weil sie als subjektiver Glaubens-Beweis dienten [4]. Hierdurch ist eine skeptische Entlarvung verunmöglicht, da die Echtheit des Wunders gar nicht behauptet wird.<br>


Das ist eine zwar freche, aber aufrichtige katholische Interpretation. Das spirituelle Erleben der Kirchgänger/-innen wird dabei nicht auf die Sach-Ebene gezwungen, sondern bleibt im Bereich des Glaubens. Der Glaube soll aber meinetwegen gerne frei bleiben, so lange kein Dogma daraus wird und niemand dadurch in Bedrängnis kommt. <br>
Das ist eine zwar freche, aber aufrichtige katholische Interpretation. Das spirituelle Erleben der Kirchgänger/-innen wird dabei nicht auf die Sach-Ebene gezwungen, sondern bleibt im Bereich des Glaubens. Der Glaube soll aber meinetwegen gerne frei bleiben, so lange kein Dogma daraus wird und niemand dadurch in Bedrängnis kommt. <br>
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''Mark Benecke arbeitet international als Kriminalbiologe.''<br>
''Mark Benecke arbeitet international als Kriminalbiologe.''<br>


<big>'''Literatur'''</big><br>
 
'''Literatur'''<br>


1. Alfano GB, Amitrano A (1924) Il miracolo di S. Gennaro: documentazione storica e scientifica. Napoli: Scarpati. <br>
1. Alfano GB, Amitrano A (1924) Il miracolo di S. Gennaro: documentazione storica e scientifica. Napoli: Scarpati. <br>
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9. Storch K (2004) Das Blut-Wunder von Neapel. ZDF Auslands-Journal, 6. Mai 2004 <br>
9. Storch K (2004) Das Blut-Wunder von Neapel. ZDF Auslands-Journal, 6. Mai 2004 <br>
===<font color=orange>Lesetipps</font>===
<i>
* [[2016 07 Hanauer Anzeiger: Der natuerliche Lauf des Lebens|Der natürliche Lauf des Lebens]]<br>
* [[2016 03: Radio Eins: Nestbau und Zigarettenstummel|Warum Vögel Zigarettenstummel in ihre Nester einbauen]]<br>
* [[1998 10 Die Zeit: Spinne im Spinat|Spinne im Spinat]]<br>
* [[1995 05 Die Zeit: Der vertonte Fadenwurm|Der vertonte Fadenwurm]]<br>
* [[1998 Die Zeit: Forschung im Namen der Ente|Forschung im Namen der Ente]]<br>
* [[1995 Die Zeit: Kartoffelchips im Windkanal|Kartoffelchips im Windkanal]]<br>
* [[1995 03 Die Zeit: Vom Schneck zum Schreck|Vom Schneck zum Schreck]]<br>
* [[1998 Die Zeit: Hoelle nach Herzenslust|Hölle nach Herzenslust]]<br>
* [[1998 Die Zeit: Kampf der Wissenschaftshumorjournale|Kampf der Wissenschaftshumorjournale]]<br>
* [[2019 03 Stuttgarter Zeitung: Ich arbeite nicht für die Toten|Ich arbeite nicht für die Toten]]
* [[Media#Beispiele_f.C3.BCr_Radio-Beitr.C3.A4ge|Alle Radio-Beiträge von MB]]<br>
* [[All_Mark_Benecke_Publications#Science_Humor.2C_Leeches.2C_Hissing_Roaches.2C_Fish.2C_Magnetic_Mountains.2C_Skeptic_Stuff|Mehr Wissenschafts-Humor]]<br>
* [http://www.radioeins.de/archiv/podcast/die_profis_benecke.html <font color=lightgrey>Die Podcasts von MB bei radioeins</font>]<br>
* [[2014 06: Online Interview zum Thema Paranormales|Online Interview zum Thema Paranormales]]<br>
* [http://benecke.com/pdf/Hausarbeit_Polizei_Spontane_Menschliche_Selbstentzuendung_Laura_Hofmann.pdf <font color=lightgrey>Spontane menschliche Selbstentzündung</font>]<br>
* [[2010-02 Skeptiker: Dreiundzwanzig|Dreiundzwanzig]]<br>
* [[2006 MAGIE PUR!: Über Geistererscheinungen|Calmet. Vorwort "Über Geistererscheinungen"]]<br>
* [[2005 Laborjournal: Spiderman: Sex hat sehr wohl stattgefunden|Spiderman & MJ: Sex hat stattgefunden]]<br>
* [[2004 03: Sueddeutsche Zeitung Das Geheimnis der Piraten|Das Geheimnis der Piraten]]<br>
* [[2002 Skeptical Inquirer: Magnetic Mountains|Magnetic Mountains]] <font size="-2" color="#FF0000" face="helvetica">ENGLISH / GERMAN TEXT</font><br>
* [[2001 12 FAZ: High - Tech - Ritter Troy Hurtubise|Ein High-Tech-Ritter im Kampf gegen Schläger, Jeeps und Bären]]<br>
* [[2001 09 Sueddeutsche Zeitung: Pharaonenfluch|Endlich Ruhe im Sarkophag - Das Ende des Pharaonenfluchs]]<br>
* [http://www.gwup.org/component/content/article/107-sonstige-themen/761-spontane-menschliche-selbstentzuendung <font color=lightgrey>Spontane menschliche Selbstentzündung</font>]<br>
* [http://archiv.sueddeutsche.de/sueddz/index.php?id=A12522828_EGTPOGWPPOPAWAGOWSWWHWH <font color=lightgrey>Bigfoot auf Asiatisch</font>]<br>
* [[2001 Die Zeit: Geliebte mit Hunderttausend Volt|Geliebte mit hunderttausend Volt]]<br>
* [[2000-01 Skeptiker: Patente Unternehmer|Patente Unternehmer. US-Patentbehörde erteilt Ideenschutz, ohne die Erfindungen zu prüfen]]<br>
* [[2000-05 AiR: Bomby The Bombardier Beetle Review|Bomby: Thoughts of a Forensic Entomologist]] <font size="-2" color="#FF0000" face="helvetica">ENGLISH TEXT</font><br>
* [[2001-11-28 SeroNews: Angewandte SHC: Plötzliche Selbst-Entzündung von Menschen|Angewandte SHC]]<br>
* [[1999 01 Die Zeit: Manche Tote leben laenger|Manche Tote leben länger. Lenins Leiche erzählt die Geschichte russischer Präparierkunst]]<br>
* [[1998 Skeptical Inquirer: Spontaneous Human Combustion|Spontaneuos Human Combustion (SHC) - thoughts of a forensic biologist]] <font size="-2" color="#FF0000" face="helvetica">ENGLISH TEXT</font><br>
* [[1998 06 TAZ: Chindogus|Nie wieder nasse Bücher]]<br>
* [[1998-12 AIR: Solution for the Chicken/Egg Problem by use of Toothpaste Arithmetic|Toothpaste Arithmetic and the Chicken/Egg problem]] <font size="-2" color="#FF0000" face="helvetica">ENGLISH TEXT</font><br>
* [[All Para-Scientific Phenomena|Alle para-wissenschaftlichen Phänomene]]<br>
* [[Sarah Burrini: Die Skeptiker|Hinter den Kulissen der Skeptiker]]<br>
* [[2004 02 Sueddeutsche Zeitung: Selige DNS Analyse|Die Blut-Male der Therese von Konnersreuth]]<br>
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Skeptiker.jpg

Quelle: Skeptiker, 3/2004, S. 114-117;123

Das Blutwunder von Neapel

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VON MARK BENECKE


Neapel! Stadt des charmanten Chaos, der hügeligen Gassen, des fürchterlich starken Espresso! Heimat eines sympathischen Blut-Wunders und des Bischofes Januarius (lat.: der Pförtner)...


In einer Hopplahopp-Aktion suchte das ZDF im April 2004 einen Experten, der zum sich in Kürze wieder verflüssigenden Blut des Heiligen St. Januarius etwas sagen bzw. noch besser die rotbraune Substanz nachkochen und zudem der Prozession in Neapel beiwohnen könne.


Die GWUP-Kollegen Bernd Harder (katholische Wunder) [7] und Jochen Bergmann (Lebensmittel-Chemie) spielten den Ball mir, dem Kriminalbiologen, zu [4]. Dafür danke ich den beiden, denn ich lernte bei der Vor-Ort-Analyse viel -- auch darüber, was konservative Medien, hier das ZDF und die BILD-Zeitung [3,9], unter Optimal-Bedingungen wahrnehmen möchten, können und dürfen. Denn klar ist: Dröge Aufklärung alleine taugt nix. Sexy und mirakulös muss ein Thema (auch: "Stoff", "Story" oder "Stück") sein, selbst wenn der Forscher sich zwischendurch die Haare rauft.


Um es kurz zu machen und vor allem Bilder (Abb. 1-16) sprechen zu lassen: Seit angeblich dem Jahr 1389 verflüssigt sich eine rötlich-braune Substanz (das "Blut" des Heiligen Januarius) in zwei gut verschlossenen Fläschchen. Die Verflüssigung ist, wie ich aus einem Abstand von wenigen Metern beobachten konnte, weder ein Vertauschungs-Trick noch eine Wahrnehmungs-Täuschung, sondern geschieht unter von allen Seiten gut beobachtbaren Bedingungen im Hellen (Abb. 1, 2).


Auffällig ist, dass neben einer runden Flasche, in der das Wunder-Blut gut zu sehen ist, noch ein älter erscheinendes Fläschchen steht, in das man wegen seiner Form und Farbe kaum sehen kann (Abb. 3). Nach älteren Quellen italienischer Kollegen soll es fast 200 solcher Fläschchen im Raum Neapel geben [1,2].


In Italien ist dabei das "Blut" des Hl. Lorenz besonders bekannt, weil es dem Kollegen Garlaschelli von der Universität Pavia schon vor mehr als zehn Jahren gelungen war, mit Erlaubnis von Pater Italo Pisterzi von der Kirche der Hl. Maria in Amaseno, das "Blut" im verschlossenen Original-Fläschchen durch Abkühlen und darauf folgendes, mildes Erhitzen mit einem Fön zu verflüssigen und wieder zu verfestigen [5,6,8]. Auch vom Hl. St. Pantaleon, der unter rheinischen Katholiken sehr bekannt ist, weil sein Schädel in Köln liegt, sind mehrere Blut-Fläschchen im Süden verteilt. Im Madrid verflüssigt sich sein "Blut" beispielsweise stets am 27. Juli im Konvent der dortigen Augustinerinnen.


Doch zurück zu Januarius. Das Heiligen-Lexikon berichtet zu diesem Heiligen:


Januarius' Reliquien wurden 835 von Neapel nach Benevent übertragen und 1491 nach Neapel zurückgebracht, wo er Namensgeber des Doms ist; sie sind Grundlage einer besonderen Verehrung mit den dort aufbewahrten Ampullen, deren trockenes Blut flüssig erscheint, wenn sie an seinem Hauptfest in die Nähe seines Hauptes gebracht werden. Das so genannte Blutwunder ereignet sich meist am Samstag vor dem 1. Mai, dem Fest der Überbringung der Reliquie nach Neapel, am 19. September und am 16. Dezember, dem Gedächtnistag der Warnung vor dem Vesuvausbruch im Jahr 1631. In den letzten 400 Jahren wurden zusätzlich noch etwa 80 Verflüssigungen außerhalb der genannten Zeiten gezählt. Eine Nichtverflüssigung gilt als schlimmes Omen.


Weil sich das Blut am ersten Tag tatsächlich nicht verflüssigte, stand ich in einem Meer intensiv Betender und teils ernsthaft erschütterter Italiener/-innen, die bei der Abschluss-Kundgebung in der großen Kathedrale von Neapel nun Vulkan-Ausbrüche und Erdbeben, also um ihr Leben, fürchteten. Die Stimmung war niederdrückend. Ältere Leute packte tiefer Kummer, die Gutgekleideten in den ersten Reihen der Kirche wurden immerhin blass (Abb. 4).


Noch viel stärker war der Kardinal in Bedrängnis, in dessen Händen sich das Blut trotz des bewährten Ritus und nach einer langen Prozession einfach nicht verwandeln wollte (Abb. 5, 6). Nachdem er das Gefäß bereits ein dutzend Mal gedreht und gewendet hatte, verkündete er verunsichert und sichtlich verstimmt, dass die Welt offenbar in einem derart üblen Zustand sei, dass das Wunder diesmal ausfalle (Abb. 7). Das sei ein göttlicher Fingerzeig, sich innerlich zu bessern. Damit entließ das sprachlose und entsetzte Publikum in den schönen Frühlings-Abend.


Zu meinem Erstaunen hörte ich danach vor der Kathedrale mehrfach hämische Bemerkungen darüber, dass der Grund des gescheiterten Wunders wohl eher darin zu sehen sei, dass die anwesenden Kleriker, wie allgemein bekannt sei, korrupte Geschäftemacher seien.


Abgesehen davon passierte nach dem misslungenen Versuch Dreierlei:


1) Die Kirchgänger -- praktisch nur Über-45-jährige -- verließen deutlich zerknirscht die Kirche und bereiteten sich auf eine (für mich zunächst verwunderliche) "Wiederholung" am folgenden Morgen vor.

2) Die jüngeren Menschen gaben auf Befragen in den Straßen um die Kirche herum an, dass sie überhaupt nicht wüssten, warum wir alle so aufgeregt seien und ob wir von einer 1. Mai-Feier kämen?

3) Die anwesende ZDF-Journalistin entschied sich spontan für folgende Geschichte: "Es muss sich hier um ein Wunder handeln. Herr Benecke kann mit seiner Behauptung nicht Recht haben, dass das Blut eine Mischung von in Neapel und Umgebung besonders leicht erhältlichen Chemikalien ist (Abb. 8, 9). Der Beweis dafür ist, dass sich das Blut heute nicht verflüssigt hat. Hätte es sich verflüssigt, so würde ich glauben, dass das Blut im Reagiergefäß hergestellt werden kann. So aber scheinen mir andere Einflüsse vorzuliegen."


Hier klingelte meine skeptische Alarm-Glocke, denn diesem wagemutigen Gedanken-Weg lässt sich nichts entgegen setzen. Bei sehr viel Pizza und noch mehr rotem Wein beschlossen das ZDF-Team und ich, uns vorsichtshalber gegenseitig auf den Fersen zu bleiben.


Am folgenden Tag gelang es mir, der stets nach Tat-Verdächtigen sucht, eines der Geheimnisse des nun endlich, nach gewaltigem Drehen und Wenden des Gefäßes zuletzt stattfindenden Verflüssigungs-Wunders zu verstehen: Die Zeremonie wurde, anders als am Vortag, von einem in weiß gewandeten Mann, wohl dem Diakon der Gemeinde, begleitet. (Der Kardinal war am Vortag abgereist und hatte dem örtlichen Priester alles weitere überlassen.)


Als die Anwesenden an diesem zweiten Tag erneut allen Mut schon sinken ließen und die Zeremonie erfolglos abgebrochen werden sollte, tat der Diakon etwas Interessantes: Er verließ den Chor-Raum und forderte die in ersten Reihe betenden sechs älteren Frauen, die schon am Vortag den altertümlichen Singsang zur Anbetung von San Gennaro unermüdlich wiederholt hatten, auf, unbedingt weiter zu singen (Abb. 10).


Ich leite daraus ab, dass dieser Mann, der im Gegensatz zu den deutlich erregten Priestern und Laien keine Mine verzog, wohl weiß, warum sich die Substanz wirklich verflüssigt: Sie muss einfach genügend bewegt werden. Da die Priester die Dreh-Bewegung an beiden Tagen aber nur recht zaghaft ausführen, um zu prüfen, ob das Blut flüssig ist, spielte er nun auf Zeit.


Ungewöhnlich war dabei, dass selbst die lange Prozession durch Neapel am Vortag nicht die nötige Energie ins thixotrope Material gebracht hatte. Immerhin bewegen sich die Träger in einem zeremoniell sehr eigentümlichen Gleichschritts, der das höchstmögliche Schwanken der Reliquie bewirkt (Abb. 11).


Die Betenden können übrigens nicht erkennen, ob bzw. wann genau sich das "Blut" verflüssigt, weil die Fläschchen recht klein sind. Stattdessen tut ein daneben stehender Laien-Zeuge durch Schwenken eines Taschentuches kund, ob das Wunder bereits eingetreten ist (Abb. 12). Umso größer ist deshalb die Anspannung der Anwesenden. Wegen der mangelnden Größe der Fläschchen achten sie weniger auf das Heiligenblut als auf jede Regung, die im Raum stattfindet. So kam es am ersten Tag in der Kirche auch zu kleinen, sofort wieder ersterbenden Jubel-Ausbrüchen der Menge, wenn der ein oder andere das Minen-Spiel des Kardinals missdeutet hatte.


Das ZDF -- nach dem zweiten Tag nun doch von der Vorhersagbarkeit des Wunders überzeugt -- schnitt trotz eines aufwändigen Drehs, in dem ich im Labor die Verflüssigung bereits vorgemacht hatte, diese meiner Meinung nach wichtigste Sequenz vollständig aus dem Beitrag heraus. Bei nicht ganz trennscharfem Zuschauen konnte so der Eindruck entstehen, dass es sich vielleicht doch um ein echtes Wunder handeln könnte.


Ähnlich verfuhr die BILD-Zeitung, die zwar an sehr prominenter Stelle inhaltlich völlig korrekt über das Ereignis berichtete, aber ebenfalls das (ein zweites Mal im Labor nachgestellte) Experiment verschwieg und stattdessen "Vatikan-Experten kontern" ließ:


"Der Experte: "Es ist eine einfache chemische Reaktion aus Eisen-Drei-Chlorid, Eierschalenkalk und Wasser. Alle Zutaten gibt es seit Jahrhunderten." Der Trick: "Durch das Bewegen der Ampulle verflüssigt sich der feste Stoff."

"Unsinn", kontern Vatikan-Experten. "Schon öfter verflüssigte sich das Blut nicht."


Eine ähnliche Erfahrung, allerdings wesentlich härter ausgeprägt, machte GWUP-Kollege Wolfgang Hund, der als Illusions- und Manipulations-Künstler im Februar 2004 dem TV-Sender RTL vorgeführt hatte, wie Uri Geller Löffel biegt. Hunds eindeutige und klare Vorführungen wurden im ersten Teil der Sendung zugunsten Gellers Vorführung gar nicht gezeigt, sondern erst in einem später gesendetem Beitrag kurz angedeutet.


Dabei klärt das Labor-Blut eindeutig, was wirklich geschieht: Eine Substanz, die mit örtlich problemlos erhältlichen Chemikalien schon seit Jahrhunderten herstellbar ist, geht durch Bewegung recht plötzlich vom scheinbar "festen" Gel- in den flüssigen Sol-Zustand über (Thixotropie).


Skeptiker sollten sich dennoch nicht über die etwas verbogenen Bericht-Erstattung ärgern. Eine Prise übersinnlicher Ungewissheit lässt nun einmal jede Geschichte spannend bleiben -- und nichts anderes verkaufen die Medien: Schöne Geschichten. Pure, kritische und rein inhaltsbezogenen Aufklärung ist für das breite Publikum nicht spannend, wie die niedrige Auflage des SKEPTIKER zeigt.


Ich meine, dass wir Skeptiker stattdessen glücklich sein können, dass sich gerade die beiden konservativsten deutschen Massen-Medien entschieden haben, das ohne chemisches Fach-Wissen nicht begreifliche napolitanische Blut-Wunder im Kern korrekt darzustellen: Als eine emotional aufgeladene, kirchliche Inszenierung für katholische Menschen.


Angenehm war vor Ort übrigens, dass keinerlei Geschäft aus dem "Wunder" geschlagen wird. Es gibt nur einen winzigen Stand in der Kirche, der kleine Souvenirs für wenig Geld verkauft (Abb. 13), ansonsten fanden sich weder eine Kirmes noch Pommes-Buden, T-Shirt-, Devotionalien- oder Buch-Verkäufer -- nichts. Die religiöse Veranstaltung wird also nicht, wie es in Zentral-Europa so oft geschieht, profanisiert, indem man den Glauben vorschiebt, um einen freien Arbeits-Tag herauszuschinden oder eben auf einer Kirmes Zuckerwatte zu schlecken. Obwohl es sich regelmäßig wiederholt, berichten die italienischen Zeitungen allerdings landesweit über das Ereignis (Abb. 14).


Insgesamt habe ich das Blut-Wunder von Neapel als etwas im Grunde Schönes wahrgenommen, das den vorwiegend älteren Katholiken helfen soll, ihren Glauben aufrecht zu erhalten (Abb. 16). Ob das wünschenswert ist oder nicht, geht mich nichts an. Der örtliche Priester war jedenfalls so froh, als die Verflüssigung endlich eintrat, dass er seine Tränen nicht mehr zurück halten konnte und ohne jede Schauspielerei weinte (Abb. 15).


Auch einen bösartigen Betrug der Kleriker kann ich nicht erkennen, weil mehrere Theologen heute argumentieren, dass Wunder oder Reliquien nicht deshalb so bedeutsam sind, weil sie echt seien, sondern weil sie als subjektiver Glaubens-Beweis dienten [4]. Hierdurch ist eine skeptische Entlarvung verunmöglicht, da die Echtheit des Wunders gar nicht behauptet wird.


Das ist eine zwar freche, aber aufrichtige katholische Interpretation. Das spirituelle Erleben der Kirchgänger/-innen wird dabei nicht auf die Sach-Ebene gezwungen, sondern bleibt im Bereich des Glaubens. Der Glaube soll aber meinetwegen gerne frei bleiben, so lange kein Dogma daraus wird und niemand dadurch in Bedrängnis kommt.


Mark Benecke arbeitet international als Kriminalbiologe.


Literatur

1. Alfano GB, Amitrano A (1924) Il miracolo di S. Gennaro: documentazione storica e scientifica. Napoli: Scarpati.

2. Alfano GB, Amitrano A (1951) Notizie storiche ed osservazioni sulle reliquie di sangue dei martiri e dei santi confessori ed asceti che si conservano in Italia e particolarmente in Napoli. Napoli: Arti grafiche Adriana.

3. Begass B, Ley J (2004) Blut-Wunder nur fauler Zauber? BILD (Mantel-Teil), 5. Mai 2004, S. 20

4. Benecke M (2004) Selige DNS-Analyse. Rechtsmediziner überprüfen ein christliches Wunder. Süddeutsche Zeitung Nr. 33/2004 (10. Februar 2004), S. 9

5. Garlaschelli L, Ramaccini F, Della Sala S (1991) Working bloody miracles. Nature 353:507

6. Garlaschelli L (1999) Chemie der Wunder. Chemie in unserer Zeit 33:152-157

7. Harder B (2003) Pater Pio und die Wunder des Glaubens. Pattloch, München

8. Polidoro M (2004) What a bloody miracle! - Notes On A Strange World. Skeptical Inquirer 28(1)18-20

9. Storch K (2004) Das Blut-Wunder von Neapel. ZDF Auslands-Journal, 6. Mai 2004


Lesetipps



Dr. rer. medic. Mark Benecke · Diplombiologe (verliehen in Deutschland) · Öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für kriminaltechnische Sicherung, Untersuchung u. Auswertung von biologischen Spuren (IHK Köln) · Landsberg-Str. 16, 50678 Köln, Deutschland, E-Mail: forensic@benecke.com · www.benecke.com · Umsatzsteueridentifikationsnummer: ID: DE212749258 · Aufsichtsbehörde: Industrie- und Handelskammer zu Köln, Unter Sachsenhausen 10-26, 50667 Köln, Deutschland · Fallbearbeitung und Termine nur auf echtem Papier. Absprachen per E-mail sind nur vorläufige Gedanken und nicht bindend. 🗺 Dr. Mark Benecke, M. Sc., Ph.D. · Certified & Sworn In Forensic Biologist · International Forensic Research & Consulting · Postfach 250411 · 50520 Cologne · Germany · Text SMS in criminalistic emergencies (never call me): +49.171.177.1273 · Anonymous calls & suppressed numbers will never be answered. · Dies ist eine Notfall-Nummer für SMS in aktuellen, kriminalistischen Notfällen). · Rufen Sie niemals an. · If it is not an actual emergency, send an e-mail. · If it is an actual emergency, send a text message (SMS) · Never call. · Facebook Fan Site · Benecke Homepage · Instagram Fan Page · Datenschutz-Erklärung · Impressum · Archive Page · Kein Kontakt über soziale Netzwerke. · Never contact me via social networks since I never read messages & comments there.